Denke ebenfalls, dass es im Sinne des Mörders ist, noch in diesem Leben Schuld abzutragen
Ein Mord ist nicht "abzutragen". Das ist eine unausgleichbare Schuld.
Und es ist m.E. nicht gemäß, wenn irgendwelche Leute sich berufen fühlen, dem Mörder das Tragen dieser Schuld mittels Therapie oder ähnlichem leichter zu machen. Das achtet weder ihn, noch sein Opfer. Und wer den Täter umbringt oder verteufelt gehört zu jenen, die es ihm leichter machen.
Sehr oft suchen Mörder auch danach, irgendwann erwischt zu werden. Die Aufklärungsrate für Mord ist - zumindest bei uns - m.W. sehr hoch.
Ich hatte mal mit einem Mord zu tun. Eine Freundin (die ich auch persönlich kannte) einer früheren Kollegin von mir ist von ihrem neuen Lebensgefährten erschlagen worden. Wir hatten sie gewarnt, denn wir beide - die Freundin von mir und ich - hatten das gleiche Gefühl: die sucht irgendwie den Tod. Sie wusste, dass der Mann gefährlich ist. Und sie hat ihn provoziert bis er betrunken ausgerastet ist.
Er hat danach versucht, sich auch umzubringen und bei der Polizei ausgesagt: er hatte das Gefühl, von etwas wie ergriffen zu sein und wie ein Automat zu handeln.
Wir haben den Fall unter Freunden aufgestellt damals, weil wir so betroffen waren und klären wollten, ob wir damit etwas zu tun hatten, weil wir sie gewarnt hatten. Es stellte sich heraus, dass der Freund von etwas aus der Familie der Toten in die Pflicht genommen war. Er war durch die sexuelle Bindung identifiziert worden mit einer Person aus der Familie seiner Freundin.
Ganz nebenbei: zum Zeitpunkt der Aufstellung tappte die Polizei noch im Dunkeln, was den Täter anging. Die Kollegin hat dann bei der Zeugenbefragung von dieser Aufstellung erzählt und dass wir vermuten, es war sehr wahrscheinlich der Freund. das wurde aber natürlich nicht ernst genommen. Als Beweismittel ist auch eine solche Aufstellung nicht geeignet. Sehr wohl aber offenbar um einen Hinweis auf die Täterenergie zu bekommen. (Hätte aber genauso gut sein können, dass der Freund sich nur schuldig
fühlte! das hätte sich dann ähnlich gezeigt.)
Die damalige Kollegin hatte ihre Freundin gefunden. Mit eingeschlagenem Hinterkopf und einem Lächeln im Gesicht.
Die Tatsache, dass der Mörder in das Familiensystem des Opfers durch die sexuelle Beziehung verstrickt wurde, ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Mord in seiner Seele wirkt. Und es ändert nichts an seiner Verantwortung für die Tat.
In diesem Dilemma befinden wir uns oft: wir sind nicht annähernd so frei, wie wir glauben und dennoch sind wir verantwortlich.
Nachsatz: Einige Wochen nach dem Mord wurde die Wohnung der Ermordeten "aufgelöst". Ich kam zu der Kollegin zu Besuch und stellte fest, dass sämtliche persönlichen Sachen der Frau auf der Straße vor dem Haus ausgebreitet waren. Jemand hatte einfach alles in blaue Müllsäcke gestopft und vor die Türe gestellt. Da waren Massen von Menschen, die in den ganz intimsten Sachen der Toten herumwühlten - Tagebücher wurden gelesen und Fotos, die ihr sehr viel bedeutet hatten im Streit zerrissen und zerfleddert. Kontoauszüge wurden interessiert gelesen und ich fand noch Lebensversicherungspolicen und ähnliche Dokumente, die wir dann sicher stellten.
Ich sah Gegenstände, die ihr sehr viel bedeutet hatten und die sie wie ihren Augapfel gehütet hatte, verstreuit und zertreten auf dem Gehweg und der Straße. Die Leute wühlten gierig im Haufen mit den Sachen.
Ich ging hin und jagte die Leute weg und rief die Polizei. (Immerhin hatten Kinder schon mit in den Sachen befindlichen Psychopharmaka gespielt und sie für Bonbons gehalten). Einen ganzen Abend habe ich bei dem, was von der Frau übrig geblieben war, Wache gehalten. Ich hatte das Gefühl, sie hat das nicht verdient. Endlich kam die Polizei. Aber die Toten haben keine Rechte mehr. Ich händigte der Polizei die Urkunden aus. Die Fotosammlung interessierte schon nicht mehr. Ebenso wie die Medikamente. Und wegen einer Verunreinigung lohne es sich doch wohl kaum, auch nur ein Protokoll anzufertigen.
Ich habe dann einigen der Umstehenden, die ich von den Sachen verjagt hatte, erzählt, es handele sich um Sachen einer Ermordeten und dass wahrscheinlich ein Fluch darauf läge. Da waren die meisten schnell weg.
Christoph