es gibt keine 'mentale Konstante', jake. Alles permanent in Bewegung und in Veränderung begriffen.
Das sag mal - im Extremfall - einem Psychotiker. Auf einer sehr abgehobenen spirituellen Ebene kann ich freilich die permanente Veränderung akzeptieren. Im Bereich der Alltagsreaktionen entwickeln Menschen relativ (das räume ich ein) konstante Haltungen/Einstellungen, um zurechtzukommen ... mit der Herausforderung, das in situationsgerecht adaptiertes Verhalten münden zu lassen.
Deshalb sind die Gefühle hier die Basis. Die Haltungen/Einstellungen liegen darüber.
Ich sehe das nicht als Hierarchie, sondern als Wechselwirkung.
warum sollte man bereits übernommene Haltungen nochmal 'sich zu eigen zu machen'?
Missverstanden... ich habe nicht geschrieben "sich zu eigen machen", sondern "zu eigenen zu machen". Also überprüfen: Was vom Übernommenen halte ich für nützlich, was modifiziere ich lieber, was sehe ich völlig anders?
Manchmal haben sie Ähnlichkeit, manchmal nicht. Warum sollten sie 'keine Ähnlichkeit' haben? Durchaus kann zb ein Gefühl von Trauer zu einem traurigen Ausdruck führen. Warum denn nicht?
Natürlich ... wenn es den Ausdruck betrifft. Darum habe ich ja zu definieren versucht, wie ich "Haltung/Einstellung" als Begriff verwende. Als "mentale Konstante" (relativiert wie o.a.) und eben nicht als Gefühlsausdruck.
Ich denke nicht, dass es Sinn macht, sich in die gerade laufenden Streitgespräche der Gehirnforscher einzuschalten. Dazu fehlt uns beiden das KnowHow und die Messgeräte. Und einfach nachsprechen was in Zeitschriften steht...
Ich denke schon, dass es Sinn macht. Auch ohne Messgeräte. Und woher weißt Du, was ich lese? Oder ob ich nur nachspreche oder vielleicht doch Gelesenes reflektiert übernehme, weil ich auch akzeptieren kann, was andere denken? Oder Gelesenes zu eigenen Anschauungen weiter entwickle? Vielleicht versuchen wir, uns einfach an Argumente zu halten, wie sie dastehen?
Darüber hinaus sind die Deutungsmöglichkeiten solcher 'Ergebnisse' ein weites Feld.
Ja klar. Gut, dass Du von Deutungsmöglichkeiten sprichst und nicht von eindeutigen Ergebnissen, wie es manche tun. Darum hab ich auch mein Beispiel sehr allgemein angesetzt, im übrigen aufbauend auf Thesen des systemischen Hypnotherapeuten Günther Schmidt.
Jake, wusstest du, dass die Hirnforschung herausgefunden hat, dass Jede Erklärung eine Nacherklärung einer vorhergegangenen Sensation (außerhalb deiner Kontrolle!) im Gehirn ist. Konkretes Experiment: Hirnteil der für Arm hochheben verantwortlich ist, wird stimuliert. > Proband hebt den Arm.
Auf die Frage: Warum haben sie den Arm gehoben.
Antwort: Weil ich es wollte. +Rechtfertigung/Erklärung(!)
Wenn das stimmt, wirft es jegliches Lebenskonzept von ich als frei Handelnder über den Haufen. Allerdings nur, WENN das Experiment durchdacht und verstanden wurde. Dann allerdings beeindruckt es tief.
Ich kenne natürlich das Experiment, auf das Du Dich beziehst, und ich kenne auch verschiedene kritische Ansätze, die es beleuchten. Einer davon ist der erkenntnistheoretische: die Formulierung "dass die Hirnforschung herausgefunden hat..." legt nahe, dass es sich dabei um eine objektive Erkenntnis handelt. Das muss man nicht so sehen - es handelt sich zunächst einmal um ein Experiment und um Hypothesen, die die Ergebnisse des Experiments erklären. Die Entwicklung dieser Hypothesen ging von eher fahrlässiger Unbefangenheit im Gebrauch von Begriffen aus, die in Philosophie, Semantik und Erkenntnistheorie seit jeher wesentlich kontroverser und differenzierter betrachtet werden. Wenn da von Schlussfolgerungen für den "freien Willen" berichtet wird, dann ist das einfach eine populistische Verkürzung auf der Basis experimentell gewonnener Messwerte. Formulierungen wie "der freie Willen geht im Feuer der Neuronen unter" sind gekonntes Marketing einer Disziplin und gut für Klappentexte, und das war's dann auch.
Wenn ich auf solche plakative Schwarzweißmalerei verzichte, liefert die jüngere Neurophysiologie interessante Daten, die mit Hypothesen konform gehen, die parallel oder vorher schon in Psychologie, Philosophie, Biologie entwickelt wurden. Der "freie Wille" ist eine plakative Annahme, die seit jeher relativiert wurde, und bevor man darüber diskutiert, müsste erst mal geklärt werden, was einer überhaupt darunter versteht. Im Bereich der systemischen Faktoren, um die es in diesem Thread geht, ist es ja gerade Thema, dass "freie" Verhaltensentscheidungen u.a. durch systemische Loyalitäten unbewusst beeinflusst werden und dass durch sinnvolle, erprobte Verfahren (u.a. systemische Aufstellungen) die Freiheitsgrade für Handlungsoptionen verbessert werden können. Kein vernünftiger Mensch spricht in solchen Zusammenhängen von absoluter Freiheit oder Unfreiheit.
Aber auch wenn ich das mal dahingestellt lasse... kann ich ja nicht aus meinen Gefühlen heraustreten. ich betrachte immer weiter Mit all den Gefühlen, die ich nichtidentifiziert betrachten möchte. Ich versuche etwas das immer gänzlich unmöglich bleibt, nämlich außerhalb der Gefühle diese Gefühle zu betrachten.
Ja und nein. Im Grunde geht es mir dabei um Entwicklungsprozesse - ich kann, wenn ich mir die Zeit dafür gebe und wenn ich bereit bin, es zu erlernen oder mich dabei gut begleiten zu lassen, durchaus aus meinen Gefühlen heraustreten. Nicht als Abspaltung, das wäre schlimm. Aber als Wahrnehmender. Damit bleibe ich ja durchaus bei und in meinem Empfinden. In der Meditation geschieht das seit Jahrtausenden. Wobei ich auf eine weitere begriffliche Klärung Wert lege: Zunächst ist da mal ein Empfinden - vorbewusst, wortlos, unwillkürlich reaktiv auf einen Reiz. Zum "Gefühl" wird es durch eine Benennung, durch ein Konstrukt, durch eine Identifizierung. Erst dann kann ich von diesem oder jenem Gefühl reden. Und in diesem Prozess des Benennens bzw. des Umgangs mit den entstandenen Konstrukten gibt es reichlich Ansatzpunkte für Interventionen.
sich vom Schmerz überschwemmen zu lassen ist ja nichts schlechtes. Selbst wenn es Jahre dauert. Da sind schon wunderbare Ergebnisse dabei rausgekommen. Menschen die in eine tiefe Ruhe gekommen sind. Die gerade dadurch das Leben durch andere Augen sahen. Die tief zufrieden angekommen sind. und und und >>>Also, WER stellt sich hin und sagt mit solch dreister Überzeugung: So ist es richtiger, und so sollst du es nicht machen. Das ist jetzt nicht mehr gesund, das ist krank.
Klar, wenn jemand sich dafür - wie frei auch immer - entscheidet, ist das zu respektieren. Allen anderen, die Schmerz als unangenehm empfinden und Wege suchen, um auf eine ihnen hilfreich erscheinende Weise damit umzugehen, können dafür Möglichkeiten angeboten werden.
Natürlich stellt der Therapeut sich hin und greift tatsächlich auf diese Art und Weise ein.
Aber, ist das nicht möglicherweise die zweite Vergewaltigung nach der ersten Vergewaltigung damals.
Wenn das einer ist wie der oben geschilderte Aufsteller, der einfach jemand aufstellt, der eher zufällig dabei ist und gar kein eigenes Anliegen mitbringt, dann sehe ich das durchaus in dieser Linie. Das ist schlimm. Die Therapeut/inn/en, die ich kenne und schätze, haben hingegen durchaus die professionelle Qualität, nach einer Traumatisierung entsprechend zu intervenieren, um eine Retraumatisierung zu vermeiden.
Wer sagt da, dass etwas einrastet, dass das schlecht ist, [vielleicht ist es gut?] dass es eine präformierte Haltung ist, dass es eine Erschwerung ist [vielleicht führt es in eine Erleichterung (siehe oben)],...... Niemand kann auch nur Eine dieser Fragen beantworten, und doch findet all dieses persönliche Eingreifen statt. Ich bin nicht sicher, ob das nicht oftmals ein zweites Trauma ist. Auch wenn der Patient dann Danke sagt.
Das klingt nach einem hierarchischen Therapiemodell - das gibt es freilich auch, auch in der Aufstellerei, und das ist zunehmend Ansatzpunkt in der Therapiekritik. Daneben und durchaus nicht mehr unbedeutend gibt es kooperative Begleitungsmodelle, die ressourcen- und kompetenzorientiert arbeiten und teilweise (G. Schmidt) sogar so weit gehen, Klienten als Co-Therapeuten zu begreifen ... da geht es dann nicht um Eingriffe in Systeme, sondern um gemeinsame Entwicklungsprozesse. Gute (in meiner Bewertung...) Aufstellungsleiter/innen zum Beispiel lassen sich von der Aufstellung führen, statt "ordnend" einzugreifen oder abenteuerliche Hypothesen durchzudrücken.
Alles Liebe,
Jake