Hallo,
Weinen kann unterschiedliche Funktionen haben. In den vier Phasen des Liebeskummers, die manche Menschen Phase nach Phase, manche aber auch vermischt erleben, wenn sie an Liebeskummer leiden, hat das Weinen z.B. in der zweiten Phase die Funktion, dass es einfach die Spannung abbaut und beruhigt. In der dritten Phase erst wird realisiert, dass die Beziehung wirklich gescheitert ist und der andere sich abgewandt hat: hier ermöglicht das Weinen nun eine tiefere Trauer, die auch wirklich seelisch "trauert".
Das Weinen führt uns leiblich zu uns selbst. Normalerweise können wir unseren Körper ALS Körper instrumentalisieren, wir können mit ihm spielen, wir können uns und anderen etwas vorspielen, Rollen, Bilder, Haltungen. Aber wenn wir weinen, dann zeigt sich uns der Leib unmittelbar.
Ich finde es sehr schade, dass gerade auch in der Kindheit das Weinen oft nicht zugelassen wird, dass ein Schmerz verdrängt werdenl und eine "tapfere" Haltung gespielt werden soll. Das ist dann der Fall, wenn der Elternteil nicht fähig ist, mit dem Kind zu traueren und an seiner Welt teilzunehmen.
Es werden dann Ego-Rollen aufgebaut, die Stärke signalisieren sollen, Perfektionalität, Durchsetzung, und zugleich werden die schmerzenden Erlebnisse des Kindes ins Innere abgedrängt. Oft ist es daher eine schmerzhafte ERfahrung für viele, wenn sie mit ihrem inneren Kind konfrontiert werden, und oft trauen sie sich dann nicht zu weinen, weil sie immer noch die "tapfere Rolle" spielen und sich also schämen müssten, wenn sie die Trauer zulassen.
Weinen hat also eine sehr wichtige Funktion, dass sich der Mensch selbst erfahren kann und sich nicht entfremden muss.
Das ist die Basis.
Die Frage ist jetzt aber, ob es Schritte hinaus gibt und welche Formen das Weinen annehmen kann. Wer einen tiefen seelischen Schmerz spürt, wer tief in sich unglücklich ist, wer eigentlich noch viele Knoten im Herzen und Stress-Schmerzen im Bauch spürt, für den ist es sicherlich wichtig, wenn er einfach mal alles rauslassen kann. Hier kann Weinen so befreiend sein.
Aber irgendwann - scheint es mir - gilt es dann auch, vom Weinen und von den GEdanken loszulassen, die das Weinen auslösen.
Ein Mensch ist nicht "schwach", er muss sich nicht "schämen", wenn er weint, aber es bringt ihm selbst auch nichts, wenn er im Weinen und den Gedanken und Erinnerungen, die das Weinen auslösen, stecken bleibt.
Manchmal ist es also wirklich eine Frage, ob es nicht sinnvoll ist, sich in Gleichmut zu üben, eine Rolle zu bewahren, die einerseits der Trauer Ausdruck gibt, die aber andererseits nicht ins völlige Weinen umschlägt.
Gerade durch Meditation kann dies auch als Entwicklungsziel aufgefasst werden - aber eben erst dann, wenn der Boden stabil ist.
Weinen kann auch von anderen abhängig machen. Wenn wir nicht anstreben, uns selbst zu regulieren, sondern es nur schaffen, bei anderen zu weinen, weil wir uns selbst nicht zuhören und trösten können, dann werden wir von anderen abhängig. Manchmal kann Abhängigkeit sicherlich auch konstruktiv sein - davor haben ja viele Menschen auch sehr große Angst - weil sie Entwicklungen in der Tiefe ermöglicht, aber letztlich gilt es dann auch hier, loszulassen und auf eigenen Beinen zu stehen.
Erst wenn dieser Prozess des Individuum- und Personenwerden vollzogen ist, dann zeigt sich auch die transpersonale Entwicklung in einer anderen Klarheit. Zuvor können zwar immer wieder intensive transpersonale Erfahrungen gesammelt werden, aber diesen werden durch die unverarbeiteten persönlichen Probleme Grenzen gesetzt und sie können nicht wirklich integriert werden. Es ist dann eher die Gefahr, dass die ERfahrungen wie Orden an das Ego, das den Schmerz des Inneren nicht erfahren möchte, gehängt werden.
Aber all das ist keine Norm, kein Maßstab, einfach nur allzumenschlich.
Liebe Grüße,
Energeia