L
Lincoln
Guest
Abteil 3
Immer nur Stichworte eingeben und suchen lassen.
Im Inarah
3.5 muhammad als Würdenahme in der späteren islamischen Tradition
Interessant ist, dass auch die spätere muslimische Tradition des 9. Jahrhunderts – entgegen den sonstigen Mohammedbiographien – die Erinnerung bewahrt hat, muhammad sei ursprünglich ein Würdename gewesen, der erst sekundär einem unter einem anderen Namen Geborenen verliehen wurde. In seiner Mohammedbiographie „Klassen“ oder „Annalen“ (Kitab al-tabarakat al-kabir)49 berichtet Ibn Saad (gest. 845) in einem Abschnitt „Bericht über die Namen und Vaternamen des Gesandten Allahs“ über die verschiedenen Namen des Propheten.
Ibn Saad referiert ihm vorliegende Quellen unterschiedlicher (fiktiver?) Autoren. Gemäß einer Version wurde der Prophet bei seiner Geburt von seinem Großvater ‚Abd al-Mottalib zunächst Kotham (Qutham)genannt. Erst später, als die Mutter Amina von einem Traum mit einem Engel erzählte, habe der Großvater den Jungen in Mohammed umbenannt.
In anderen, von Ibn Saad im gleichen Kapitel angeführten Quellen wird von mehreren Namen, bis zu sechs, gesprochen, von denen Mohammed nur einer war50. Von sechs Würdenamen wird laut Ibn Saad in zwei Quellen (in anderen von fünf oder drei) berichtet. Danach sagt der Prophet selbst, dass er sechs Namen habe: muhammad (der Gepriesene), Achmed (der Gepriesene), Khatim (das Siegel), Haschir (der Erwecker [von den Toten?]), Akib (der letzte Prophet) und Machiy (der [Sünden-] Tilger oder auch: der [zum Leben] Erweckende). Alle sind theologisch bedeutsame Benennungen, die im Grunde eher auf Jesus passen würden. A. Sprenger ist jedenfalls zuzustimmen, der mit Bezug auf die Berichte bei Ibn Saad schlussfolgert: „In diesen Traditionen erscheint ‚Mohammad‘ geradeso, wie die übrigen Benennungen, als Epithet des Propheten und nicht als Eigennamen.“51
Kurz: Schon A. Sprenger war der Meinung, muhammad sei ein Prädikat, nicht der Eigennamen. Natürlich bezieht er alles auf den arabischen Propheten. Er ist der Meinung: „Er (der Islam, Verf.) ist die einzige Weltreligion, über deren Entstehung wir ungeachtet seines Alters zuverlässige Nachrichten besitzen.“52Diese Überzeugung ist aufgrund der Berücksichtigung (formal) historisch-kritischer Methoden und (material) der zeitgenössischen Quellen ins Wanken geraten. Gültigkeit behält aber die Feststellung, dass auch noch islamische Quellen des 9. Jahrhunderts davon wissen, dass muhammad (und andere Namen) theologische Prädikate sind.
Diese aber hatten sich bis zum Beginn der Abbasidenzeit verselbständigt und – wenigstens dem Augenschein nach – von ihrem ursprünglichen Subjekt Jesus gelöst. Jetzt war die Situation gekommen, unter neuen Bedingungen und Erfordernissen das Prädikat muhammad mit anderem Material, das dem mittlerweile eingetretenen und sich verstärkenden arabischen Charakter von Religion und Politik entsprach, zu unterlegen.
4. Die Historisierung des muhammad-Prädikats in der Gestalt des arabischen Propheten
Die Kulturgeschichte bietet nicht wenige Beispiele dafür, dass grundlegende Anfangsprozesse mit handelnden Personen verknüpft und auf sie zurückgeführt werden; um sie herum bilden sich narrative Traditionen aus, deren Material und kerygmatische Ausgestaltung zentrale Aspekte dessen, was man begründen will, anschaulich und fassbar sichtbar werden lässt.
Stadt- und Reichsgründungen, die Herleitung eines Volkes oder einer Religion usf. können auf Anfangsgestalten gestützt werden, aber auch zentrale religiöse Inhalte können zu fiktiven Biographien werden; so werden z.B. „die drei göttlichen Tugenden“, Glaube, Hoffnung und Liebe, in der griechischen/russischen wie auch in der lateinischen Kirche als konkrete Heilige verehrt.
Vor allem konstitutive religiöse Neuanfänge und Zäsuren werden oft mit Erzählungen über ihre Begründer verbunden, seien sie gänzlich fiktiv wie bei Laotse, den biblischen Patriarchen oder Mose, oder seien sie als theologisch bedeutsame biographische Ausführungen mit „historischen“ Menschen verbunden, über deren Leben kaum noch etwas bekannt ist, wie z.B. bei Gautama Siddhartha (Buddha) oder bei Zarathustra, sei es, dass das karge biographische Material im Sinne der Verkündigung erzählt und erweitert wird (vgl. das Problem „geschichtlicher Jesus“ und „kerygmatischer Christus“).
Auch in einer Religion zentrale heilige Literatur kann fiktiven Verkündern zugeschrieben und in ihrer „Biographie“ verankert werden, wie z.B. im Zoroastrismus an Zarathustra oder in der jüdischen / christlichen / islamischen Religion an Mose; in letzterem Fall galt dessen Urheberschaft für die Thora einschließlich seiner Biographie unumstritten mehr als zweitausend Jahre lang.
In diese Linie muss wohl auch das Verständnis von muhammad, dem für das arabische Christentum seit ‚Abd al-Malik zentralen und in allen Inschriften und Münzprägungen verwendeten Begriff, im Sinne eines eigenständigen Verkündigers eingeordnet werden. Zunächst war muhammad, in der Ikonographie der Münzen und ausdrücklich im Felsendom, auf den Gottesknecht und Messias Jesus, den Sohn der Maria, bezogen; dann tritt die Nennung Jesu immer mehr zurück und konnte bei den Mitgliedern dieser Bewegung, die – anders als die herrschende Schicht – die Zusammenhänge nicht kannten, den Eindruck erwecken, es sei eine selbständige Gestalt gemeint.
Vor allem aber die binnenchristlichen Gegner des arabischen Christentums, syrische und byzantinische Christen, kannten in ihrer Tradition das christologische Prädikat muhammad nicht. Was lag da für sie näher, dieses als Namen eines eigenen arabischen Propheten zu verstehen (so z.B. Johannes von Damaskus)? Sie haben damit eine auch innerhalb des arabischen Christentums vermutlich schon in Gang gekommene Entwicklung, für die es aber leider zunächst keine Zeugnisse gibt53, befördert.
Je mehr die aus der vornizenischen Christologie gebräuchlichen und zunehmend unverstandenen Titel „Messias“, „Knecht Gottes“, Träger von „Wort“ und „Geist“ zurücktraten, rückten neben muhammad die beiden Titel „Prophet“ und „Gesandter“ in den Vordergrund. Muhammad ist der Gesandte Gottes und der Prophet, der am Anfang der neuen arabischen religiösen Bewegung stand: Mohammed, der Sohn des Abdallah.
Diese Entwicklung kennt noch eine zweite Wurzel: Die östlichen arabischen Christen, die seit ‚Abd al-Malik das Geschehen bestimmten, brachten zumindest einen Kernbestand des koranischen Materials – nennen wir dieses versuchsweise den „mekkanischen“ Teil – mit und übersetzten es (teilweise?), noch im späteren 7. Jahrhundert, wie die Inschrift im Felsendom zeigt, ins Arabische, genauer: in ein Arabisch mit stark syro-aramäischer Prägung bzw. eine aramäisch-arabische Mischsprache. Diesem Kernbestand wuchsen im Verlauf des 8. Jahrhunderts weitere Sprüche hinzu – recht ungenau: die „medinischen“ Suren und Verse.
Heilige Literaturen werden aber – nicht mit Autoren in unserem heutigen Sinn, wohl aber – mit „Urhebern“, „Garanten“ oder „Gewährsleuten“ dessen verbunden, was in ihnen steht. Relativ zeitgleich mit dem Koran wurde die zunehmend zu Schriften zusammengefasste zoroastrische Tradition einem, wie die neuere iranistische Forschung zeigt, weithin legendarischen Zarathustra zugesprochen. Zwar hatten die mitgebrachten „mekkanischen“ Suren möglicherweise schon einen „Gewährsmann“, einen idealisierten Mose (möglicherweise auch, wie in der Bergpredigt, Typos für Jesus, den „neuen Mose“), der den ersehnten Exodus der isolierten ostiranischen Christen in ihre alte Heimat oder sogar ins Heilige Land garantieren sollte. Diese ideengeschichtliche „Archäologie“ aber war vergessen, sobald nicht nur der „Exodus“ nach dem Zusammenbruch der Sassanidenherrschaft gelungen und seit ‚Abd al-Malik sogar die Herrschaft errungen war sowie koranische Materialien in arabischer Sprache und Schrift vorlagen. Jetzt erschien muhammad als der im Koran angesprochene Prophet und Gesandte.
Weiterhin muss die Arabisierung dieser Christen berücksichtigt werden. Diese war bei Mu’awiya, obwohl „Araber“, noch nicht so stark gegeben, begann aber machtvoll mit ‚Abd al-Malik und seinen Nachfolgern. Die neue Herrschaft empfand sich als „arabisch“, als Erbe z.B. des alten („arabischen“) Nabatäerreichs, in dem – zusätzlich zur „theologischer Mitte“ (Jerusalem) – im Norden (Damaskus) und Süden (Medina) programmatisch Heiligtümer gebaut wurden. So trat auch der arabische Charakter der eigenen, zunächst noch – oberflächlich? – christlichen Religion und der arabische Charakter der identitätsstiftenden koranischen Materialien in den Vordergrund: muhammad musste als für die eigene Richtung normativerarabischer Prophet am Anfang aufgefasst werden – „ein Gesandter aus den eigenen Reihen“ (S. 9,128) -, zugleich der arabische Gewährsmann der mittlerweile arabischen koranischen Verkündigungen.
Die Ausbildung der Vorstellung von einem arabischen Propheten, auf den die koranischen Sprüche zurückgehen, kann durchaus noch in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts erfolgt sein, als offiziell noch Jesus das Subjekt der christologischen Prädikate in den Inschriften und auf Münzen war; ja, sie muss schon dann erfolgt sein, wie der Bericht des Johannes von Damaskus zeigt, der von Ma(ch)med wie von einer historischen Gestalt spricht und einige Suren (grafé) auf ihn zurückführt. Allerdings versteht er den „Pseudopropheten“ noch als Begründer einer christlichen Häresie, die der Ismaeliten, und diskutiert „binnenchristlich“ über ihre Lehre.
Von daher wird wohl Mohammed, in einer ersten Phase – bis rund 750 -, zwar gelegentlich als historische Figur am Anfang der Bewegung gesehen, aber doch noch in einem Kontext mit dem Christentum. Dies wird dadurch gestützt, dass dieser so historisierte muhammad zunächst wohl noch wie ein Apostel (Jesu Christi) gesehen wird, dessen Aufgabe die Bekräftigung und Durchsetzung der Tora und des Evangeliums, der Schrift, ist – gegen die falschen Interpretationen der anderen „Schriftbesitzer“. Y.D. Nevo und J. Koren nehmen eine frühere Proklamierung Mohammeds als arabischen Propheten, 690-692, an.54 Für diese Einschätzung ist die (von ihnen fehlgedeutete) Inschrift im Felsendom maßgebend, die aber noch nicht auf Mohammed bezogen werden kann.55
Im 7. Jahrhundert scheint es noch keine Historisierung von muhammad gegeben zu haben. Die von vielen Autoren hierfür angeführten Zeugnisse christlicher zeitgenössischer Quellen, in denen angeblich von Mohammed die Rede ist, sind unkritisch analysiert und oft falsch – in Analogie zu der einfach als historisch vorausgesetzten islamischen Geschichtsschreibung des 9. Jahrhunderts – datiert. Im Verlauf der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts an aber gab es wohl, bis hin zu Johannes Damascenus, Hinweise auf ein Verständnis von muhammad als arabischer Prophet mit Namen Mohammed56 – die frühesten Zeugnisse einer Historisierung von muhammad.
Erst relativ spät im 8. oder erst im frühen 9. Jahrhundert kommt die Vorstellung auf, die arabische Religion sei eine neue, nicht mehr christliche Religion (noch nicht als Islam bezeichnet). Im Zuge dieser Entwicklung wird dann aus muhammad, dem arabischen Propheten, der eigenständige Verkündiger einer neuen Religion, der die fälschliche Lehre von Juden und Christen in einer neuen Offenbarung zurechtrückt und überbietet. Aus dem arabischen Prediger wird der Verkünder des Koran, der in späteren Suren neben (oder über) Tora und Evangelium tritt.
Seit dieser Zeit sind wohl auch erste Versuche einer detaillierten biographischen Füllung des Prophetenlebens, das sich auf der arabischen Halbinsel abgespielt haben soll, möglich geworden. Mekka und Medina, die im Koran nur selten (Mekka einmal, Medina dreimal) genannt sind, werden zu den zentralen Orten seines Lebens. Hilfreich war hierbei die urprüngliche Herkunft dieser Bewegung aus dem ostmesopotamischen Reich ‚Arabiya, das mittlerweile vergessen war und mit der arabischen Halbinsel gleichgesetzt werden konnte.
Diese frühen Versuche aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts sind uns nicht mehr zugänglich. Die Mohammedbiographien sind alle im 9. und 10. Jahrhundert niedergeschrieben worden57, die Sammlungen der Sunna im 9. Jahrhundert; aber sie dürften durchaus Quellen aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts benutzt haben, die sie – in ihrem Sinne konsequent – in die frühe Zeit „des Islam“, zu Gefährten, Verwandten und Frauen Mohammeds, zurückdatierten. Hierbei wurde ein erstaunliches historisierendes Material aus in Umlauf befindlichen Erzählungen, die jetzt alle in einen Bezug zu Mohammed gestellt wurden, gesammelt sowie neue Geschichten geschaffen. Die enorme Bemühung um frühe Gewährsmänner und um Überliefererketten scheint noch auf ein – durchaus empfundenes – Defizit eben dieser gewollt rückdatierten Überlieferung hinzuweisen.
Interessant ist, dass auch die spätere muslimische Tradition des 9. Jahrhunderts – entgegen den sonstigen Mohammedbiographien – die Erinnerung bewahrt hat, muhammad sei ursprünglich ein Würdename gewesen, der erst sekundär einem unter einem anderen Namen Geborenen verliehen wurde. In seiner Mohammedbiographie „Klassen“ oder „Annalen“ (Kitab al-tabarakat al-kabir)49 berichtet Ibn Saad (gest. 845) in einem Abschnitt „Bericht über die Namen und Vaternamen des Gesandten Allahs“ über die verschiedenen Namen des Propheten.
Ibn Saad referiert ihm vorliegende Quellen unterschiedlicher (fiktiver?) Autoren. Gemäß einer Version wurde der Prophet bei seiner Geburt von seinem Großvater ‚Abd al-Mottalib zunächst Kotham (Qutham)genannt. Erst später, als die Mutter Amina von einem Traum mit einem Engel erzählte, habe der Großvater den Jungen in Mohammed umbenannt.
In anderen, von Ibn Saad im gleichen Kapitel angeführten Quellen wird von mehreren Namen, bis zu sechs, gesprochen, von denen Mohammed nur einer war50. Von sechs Würdenamen wird laut Ibn Saad in zwei Quellen (in anderen von fünf oder drei) berichtet. Danach sagt der Prophet selbst, dass er sechs Namen habe: muhammad (der Gepriesene), Achmed (der Gepriesene), Khatim (das Siegel), Haschir (der Erwecker [von den Toten?]), Akib (der letzte Prophet) und Machiy (der [Sünden-] Tilger oder auch: der [zum Leben] Erweckende). Alle sind theologisch bedeutsame Benennungen, die im Grunde eher auf Jesus passen würden. A. Sprenger ist jedenfalls zuzustimmen, der mit Bezug auf die Berichte bei Ibn Saad schlussfolgert: „In diesen Traditionen erscheint ‚Mohammad‘ geradeso, wie die übrigen Benennungen, als Epithet des Propheten und nicht als Eigennamen.“51
Kurz: Schon A. Sprenger war der Meinung, muhammad sei ein Prädikat, nicht der Eigennamen. Natürlich bezieht er alles auf den arabischen Propheten. Er ist der Meinung: „Er (der Islam, Verf.) ist die einzige Weltreligion, über deren Entstehung wir ungeachtet seines Alters zuverlässige Nachrichten besitzen.“52Diese Überzeugung ist aufgrund der Berücksichtigung (formal) historisch-kritischer Methoden und (material) der zeitgenössischen Quellen ins Wanken geraten. Gültigkeit behält aber die Feststellung, dass auch noch islamische Quellen des 9. Jahrhunderts davon wissen, dass muhammad (und andere Namen) theologische Prädikate sind.
Diese aber hatten sich bis zum Beginn der Abbasidenzeit verselbständigt und – wenigstens dem Augenschein nach – von ihrem ursprünglichen Subjekt Jesus gelöst. Jetzt war die Situation gekommen, unter neuen Bedingungen und Erfordernissen das Prädikat muhammad mit anderem Material, das dem mittlerweile eingetretenen und sich verstärkenden arabischen Charakter von Religion und Politik entsprach, zu unterlegen.
4. Die Historisierung des muhammad-Prädikats in der Gestalt des arabischen Propheten
Die Kulturgeschichte bietet nicht wenige Beispiele dafür, dass grundlegende Anfangsprozesse mit handelnden Personen verknüpft und auf sie zurückgeführt werden; um sie herum bilden sich narrative Traditionen aus, deren Material und kerygmatische Ausgestaltung zentrale Aspekte dessen, was man begründen will, anschaulich und fassbar sichtbar werden lässt.
Stadt- und Reichsgründungen, die Herleitung eines Volkes oder einer Religion usf. können auf Anfangsgestalten gestützt werden, aber auch zentrale religiöse Inhalte können zu fiktiven Biographien werden; so werden z.B. „die drei göttlichen Tugenden“, Glaube, Hoffnung und Liebe, in der griechischen/russischen wie auch in der lateinischen Kirche als konkrete Heilige verehrt.
Vor allem konstitutive religiöse Neuanfänge und Zäsuren werden oft mit Erzählungen über ihre Begründer verbunden, seien sie gänzlich fiktiv wie bei Laotse, den biblischen Patriarchen oder Mose, oder seien sie als theologisch bedeutsame biographische Ausführungen mit „historischen“ Menschen verbunden, über deren Leben kaum noch etwas bekannt ist, wie z.B. bei Gautama Siddhartha (Buddha) oder bei Zarathustra, sei es, dass das karge biographische Material im Sinne der Verkündigung erzählt und erweitert wird (vgl. das Problem „geschichtlicher Jesus“ und „kerygmatischer Christus“).
Auch in einer Religion zentrale heilige Literatur kann fiktiven Verkündern zugeschrieben und in ihrer „Biographie“ verankert werden, wie z.B. im Zoroastrismus an Zarathustra oder in der jüdischen / christlichen / islamischen Religion an Mose; in letzterem Fall galt dessen Urheberschaft für die Thora einschließlich seiner Biographie unumstritten mehr als zweitausend Jahre lang.
In diese Linie muss wohl auch das Verständnis von muhammad, dem für das arabische Christentum seit ‚Abd al-Malik zentralen und in allen Inschriften und Münzprägungen verwendeten Begriff, im Sinne eines eigenständigen Verkündigers eingeordnet werden. Zunächst war muhammad, in der Ikonographie der Münzen und ausdrücklich im Felsendom, auf den Gottesknecht und Messias Jesus, den Sohn der Maria, bezogen; dann tritt die Nennung Jesu immer mehr zurück und konnte bei den Mitgliedern dieser Bewegung, die – anders als die herrschende Schicht – die Zusammenhänge nicht kannten, den Eindruck erwecken, es sei eine selbständige Gestalt gemeint.
Vor allem aber die binnenchristlichen Gegner des arabischen Christentums, syrische und byzantinische Christen, kannten in ihrer Tradition das christologische Prädikat muhammad nicht. Was lag da für sie näher, dieses als Namen eines eigenen arabischen Propheten zu verstehen (so z.B. Johannes von Damaskus)? Sie haben damit eine auch innerhalb des arabischen Christentums vermutlich schon in Gang gekommene Entwicklung, für die es aber leider zunächst keine Zeugnisse gibt53, befördert.
Je mehr die aus der vornizenischen Christologie gebräuchlichen und zunehmend unverstandenen Titel „Messias“, „Knecht Gottes“, Träger von „Wort“ und „Geist“ zurücktraten, rückten neben muhammad die beiden Titel „Prophet“ und „Gesandter“ in den Vordergrund. Muhammad ist der Gesandte Gottes und der Prophet, der am Anfang der neuen arabischen religiösen Bewegung stand: Mohammed, der Sohn des Abdallah.
Diese Entwicklung kennt noch eine zweite Wurzel: Die östlichen arabischen Christen, die seit ‚Abd al-Malik das Geschehen bestimmten, brachten zumindest einen Kernbestand des koranischen Materials – nennen wir dieses versuchsweise den „mekkanischen“ Teil – mit und übersetzten es (teilweise?), noch im späteren 7. Jahrhundert, wie die Inschrift im Felsendom zeigt, ins Arabische, genauer: in ein Arabisch mit stark syro-aramäischer Prägung bzw. eine aramäisch-arabische Mischsprache. Diesem Kernbestand wuchsen im Verlauf des 8. Jahrhunderts weitere Sprüche hinzu – recht ungenau: die „medinischen“ Suren und Verse.
Heilige Literaturen werden aber – nicht mit Autoren in unserem heutigen Sinn, wohl aber – mit „Urhebern“, „Garanten“ oder „Gewährsleuten“ dessen verbunden, was in ihnen steht. Relativ zeitgleich mit dem Koran wurde die zunehmend zu Schriften zusammengefasste zoroastrische Tradition einem, wie die neuere iranistische Forschung zeigt, weithin legendarischen Zarathustra zugesprochen. Zwar hatten die mitgebrachten „mekkanischen“ Suren möglicherweise schon einen „Gewährsmann“, einen idealisierten Mose (möglicherweise auch, wie in der Bergpredigt, Typos für Jesus, den „neuen Mose“), der den ersehnten Exodus der isolierten ostiranischen Christen in ihre alte Heimat oder sogar ins Heilige Land garantieren sollte. Diese ideengeschichtliche „Archäologie“ aber war vergessen, sobald nicht nur der „Exodus“ nach dem Zusammenbruch der Sassanidenherrschaft gelungen und seit ‚Abd al-Malik sogar die Herrschaft errungen war sowie koranische Materialien in arabischer Sprache und Schrift vorlagen. Jetzt erschien muhammad als der im Koran angesprochene Prophet und Gesandte.
Weiterhin muss die Arabisierung dieser Christen berücksichtigt werden. Diese war bei Mu’awiya, obwohl „Araber“, noch nicht so stark gegeben, begann aber machtvoll mit ‚Abd al-Malik und seinen Nachfolgern. Die neue Herrschaft empfand sich als „arabisch“, als Erbe z.B. des alten („arabischen“) Nabatäerreichs, in dem – zusätzlich zur „theologischer Mitte“ (Jerusalem) – im Norden (Damaskus) und Süden (Medina) programmatisch Heiligtümer gebaut wurden. So trat auch der arabische Charakter der eigenen, zunächst noch – oberflächlich? – christlichen Religion und der arabische Charakter der identitätsstiftenden koranischen Materialien in den Vordergrund: muhammad musste als für die eigene Richtung normativerarabischer Prophet am Anfang aufgefasst werden – „ein Gesandter aus den eigenen Reihen“ (S. 9,128) -, zugleich der arabische Gewährsmann der mittlerweile arabischen koranischen Verkündigungen.
Die Ausbildung der Vorstellung von einem arabischen Propheten, auf den die koranischen Sprüche zurückgehen, kann durchaus noch in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts erfolgt sein, als offiziell noch Jesus das Subjekt der christologischen Prädikate in den Inschriften und auf Münzen war; ja, sie muss schon dann erfolgt sein, wie der Bericht des Johannes von Damaskus zeigt, der von Ma(ch)med wie von einer historischen Gestalt spricht und einige Suren (grafé) auf ihn zurückführt. Allerdings versteht er den „Pseudopropheten“ noch als Begründer einer christlichen Häresie, die der Ismaeliten, und diskutiert „binnenchristlich“ über ihre Lehre.
Von daher wird wohl Mohammed, in einer ersten Phase – bis rund 750 -, zwar gelegentlich als historische Figur am Anfang der Bewegung gesehen, aber doch noch in einem Kontext mit dem Christentum. Dies wird dadurch gestützt, dass dieser so historisierte muhammad zunächst wohl noch wie ein Apostel (Jesu Christi) gesehen wird, dessen Aufgabe die Bekräftigung und Durchsetzung der Tora und des Evangeliums, der Schrift, ist – gegen die falschen Interpretationen der anderen „Schriftbesitzer“. Y.D. Nevo und J. Koren nehmen eine frühere Proklamierung Mohammeds als arabischen Propheten, 690-692, an.54 Für diese Einschätzung ist die (von ihnen fehlgedeutete) Inschrift im Felsendom maßgebend, die aber noch nicht auf Mohammed bezogen werden kann.55
Im 7. Jahrhundert scheint es noch keine Historisierung von muhammad gegeben zu haben. Die von vielen Autoren hierfür angeführten Zeugnisse christlicher zeitgenössischer Quellen, in denen angeblich von Mohammed die Rede ist, sind unkritisch analysiert und oft falsch – in Analogie zu der einfach als historisch vorausgesetzten islamischen Geschichtsschreibung des 9. Jahrhunderts – datiert. Im Verlauf der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts an aber gab es wohl, bis hin zu Johannes Damascenus, Hinweise auf ein Verständnis von muhammad als arabischer Prophet mit Namen Mohammed56 – die frühesten Zeugnisse einer Historisierung von muhammad.
Erst relativ spät im 8. oder erst im frühen 9. Jahrhundert kommt die Vorstellung auf, die arabische Religion sei eine neue, nicht mehr christliche Religion (noch nicht als Islam bezeichnet). Im Zuge dieser Entwicklung wird dann aus muhammad, dem arabischen Propheten, der eigenständige Verkündiger einer neuen Religion, der die fälschliche Lehre von Juden und Christen in einer neuen Offenbarung zurechtrückt und überbietet. Aus dem arabischen Prediger wird der Verkünder des Koran, der in späteren Suren neben (oder über) Tora und Evangelium tritt.
Seit dieser Zeit sind wohl auch erste Versuche einer detaillierten biographischen Füllung des Prophetenlebens, das sich auf der arabischen Halbinsel abgespielt haben soll, möglich geworden. Mekka und Medina, die im Koran nur selten (Mekka einmal, Medina dreimal) genannt sind, werden zu den zentralen Orten seines Lebens. Hilfreich war hierbei die urprüngliche Herkunft dieser Bewegung aus dem ostmesopotamischen Reich ‚Arabiya, das mittlerweile vergessen war und mit der arabischen Halbinsel gleichgesetzt werden konnte.
Diese frühen Versuche aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts sind uns nicht mehr zugänglich. Die Mohammedbiographien sind alle im 9. und 10. Jahrhundert niedergeschrieben worden57, die Sammlungen der Sunna im 9. Jahrhundert; aber sie dürften durchaus Quellen aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts benutzt haben, die sie – in ihrem Sinne konsequent – in die frühe Zeit „des Islam“, zu Gefährten, Verwandten und Frauen Mohammeds, zurückdatierten. Hierbei wurde ein erstaunliches historisierendes Material aus in Umlauf befindlichen Erzählungen, die jetzt alle in einen Bezug zu Mohammed gestellt wurden, gesammelt sowie neue Geschichten geschaffen. Die enorme Bemühung um frühe Gewährsmänner und um Überliefererketten scheint noch auf ein – durchaus empfundenes – Defizit eben dieser gewollt rückdatierten Überlieferung hinzuweisen.
Immer nur Stichworte eingeben und suchen lassen.
Im Inarah