1. Vorbemerkung
Wer den Begriff
muhammad anhand seiner Genese, Geschichte und Bedeutung untersuchen will, kann hierfür zunächst nicht den Koran, der ihn nur an vier Stellen erwähnt (vgl. hierzu u. Abschnitt 5) zur Grundlage nehmen. Zwar ist dieser nach muslimischer Tradition, seit dem 9. Jahrhundert, und auch nach Meinung der Mehrheit der Islamforscher schon zwischen 650 und 656 unter dem dritten Kalifen Osman zur heutigen Ganzschrift zusammengestellt worden; alle anderen Versionen wurden verboten. Doch stammen die ältesten Handschriften erst aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, vielleicht reicht ein größeres Fragment, das in Sanaa gefunden wurde, in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts zurück. Diese Handschriften zeigen aber zumindest eines, dass sie nicht auf einen fertigen Codex zurückgreifen, der wohl erst bis zum 9. Jahrhundert allmählich entstanden ist.
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Auch neutestamentliche Handschriften z.B. liegen erst mit relativ großem Zeitabstand zu möglichen Autographen vor; sie sind aber in allen handschriftlichen Varianten textkritisch ediert, so dass die vermutlich ursprüngliche, jedenfalls älteste Textgestalt erarbeitet werden kann. Darüber hinaus können sie in Inhalt und Form, durch literarkritische, form- und traditionsgeschichtliche (usw.) Methoden zeitlich in ihrer Entstehung relativ genau eingeordnet werden. Dies ist bisher an koranischen Texten – wegen der a priori angenommenen mohammedschen Authentizität – so gut wie nie, außer der Zuordnung zu einer mekkanischen (drei Phasen) und einer medinischen Zeit, versucht worden und erweist sich auch als ungleich schwieriger als etwa bei dem Neuen Testament auf Grund der Eigentümlichkeiten der im Koran referierten Offenbarungen, die kaum regionale, zeitgeschichtliche, „biographische“ oder sonstige „kontextuelle“ Hinweise geben, wenn man die Texte selbst liest, ohne die Literatur des 9. Jahrhunderts zu Hilfe zu nehmen.
Zwar sind viele koranische Texte und Materialien, wie z.B. die Inschrift im Felsendom zeigt, durchaus älter als ihre spätere handschriftliche Dokumentation; aber wir kennen diese früheren Versionen nicht und wissen nicht, wie sie aussahen, welchen Umfang sie hatten, noch nicht einmal, in welcher Sprache sie ursprünglich vorlagen.
Die Berichte muslimischer Autoren, seit dem 9. Jahrhundert, von einer osmanischen Endredaktion müssen als literarischer Topos angesehen werden, mit dem Ziel, den Koran als sehr alt und möglichst nah an der Zeit des Propheten zu behaupten. Dieser Topos für das Zustandekommen heiliger Literatur war damals in Umlauf und wurde in ähnlicher Weise, hier im Rückgriff auf noch ältere Traditionen, von der Sammlung der zoroastrischen heiligen Schrift,
Avesta, und der zugehörigen Gesetze und Kommentare,
Zand, berichtet: Auf Befehl des Großkönigs sollten
Avesta und
Zand so zusammengestellt werden, wie Zoroaster seine Offenbarungen von (Gott) Ohrmazd erhalten hat. Seine Majestät, der König der Könige Ardasir I., folgte dann der religiösen Autorität an seinem Hof, Tansar, und wählte
eine Version als kanonisch aus; die übrigen Versionen wurden aus dem Kanon ausgeschlossen. Später ließ Großkönig Sapur I. alle in Indien, im Byzantinischen Reich und anderen Ländern verbreiteten Schriften zu allen möglichen, im Zoroastrimus wichtigen Themen am Hof sammeln und fügte sie der Avesta hinzu.
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Versteht man die Berichte über eine osmanische Endredaktion – in Analogie zur Sammlung der zorastrischen heiligen Literatur – als literarischen Topos späterer Zeiten, muss also davon ausgegangen werden, dass die Ganzschrift des Koran ältere und jüngere Texte bietet, also ein Produkt länger dauernder Sammlungs- und Redaktionsprozesse ist, so dass seine einzelnen Texteinheiten zuallererst detailliert auf ihre mögliche zeitliche und somit auch traditionsgeschichtliche Zuordnung hin untersucht werden müssen. Deswegen soll im Folgenden der Weg des Begriffs
muhammad zuallererst an Hand zeitgenössischer datierbarer und lokalisierbarer Zeugnisse untersucht werden. Hierfür kommen, wegen des Fehlens literarischer Quellen, ausschließlich Münzen und Inschriften der ersten beiden muslimischen Jahrhunderte in Frage.
3 Mögliche christliche zeitgenössische Literatur wird in einem eigenen Abschnitt untersucht.
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2. muhammad
als christologisches Prädikat
Der Begriff
muhammad kommt in der zweiten Hälfte des 7. und in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts als Hoheitstitel Jesu auf Münzprägungen arabischer Herrscher und in Inschriften vor. Der christologische Würdename
muhammad, nach späterem arabischem Verständnis „der zu Lobende/Preisende“ oder „der Gelobte/Gepriesene“, hat eine Vorgeschichte. Etwas später als der Begriff „Knecht Gottes“
(‚abdallah)findet sich zuerst, in persischer/syrischer Schrift, seit rund dem Jahr 40 H. (661 n.Chr.),
MHMT auf Münzen im ostiranischen Raum.
5 Dorthin waren (auch) Christen unter den Sassaniden seit 241 (Eroberung der Stadt Hatra), zunächst aus dem ostmesopotamischen Reich ‚Arabiya, später auch aus anderen Landesteilen bis hin nach Antiochien, verschleppt worden.
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Es gab anscheinend zwei Ursprungsregionen dieser Münzen, in denen unterschiedliche Konzepte vertreten wurden: Im Nordosten, im heutigen Turkmenien und Afghanistan, werden mit
MHMT die Begriffe
‚abdallah und
kalifat Allah verbunden; dieses Programm wird später von ‚Abd al-Malik, der aus Marv (Merv), weit nördlich von Herat, stammt, vertreten und auch durchgesetzt. Im Südosten, im Gebiet um Kirman (Kerman), östlich der Persis, wird laut persischer oder meist reichsaramäischer Erläuterung,
MHMT als
wali allah bezeichnet und mit dem Gesetz Gottes assoziiert.
Münzprägungen, die ein religiös-politisches Programm dokumentieren, setzen zweierlei voraus: erstens einen Herrscher, der das Recht oder die Macht zu diesen Münzprägungen hat, zum anderen eine oft schon – mindestens – Jahrzehnte lange religiös-politische Vorgeschichte, in der diese Vorstellungen, die dann auch der Herrscher internalisiert hatte, entwickelt wurden. ‚Abd al-Malik hat als erster, soweit bisher bekannt, MHMT-Münzen prägen lassen, auf dem Weg von Ost nach West.
7 Im Osten aber, möglicherweise in seiner Heimatregion um Marv, muss dieses Konzept schon eine lange Tradition gehabt und das ganze Denken bestimmt haben, so dass es jedenfalls zeitlich weit hinter die Lebenszeit eines arabischen Propheten Mohammed zurückreicht. Die
muhammad-Vorstellung, dies bezeugen die Münzprägungen seit dem Beginn der 60er Jahre des 7. Jahrhunderts, ist älter als der spätere arabische Prophet, dazu noch in einem ganz anderen Raum beheimatet, der nichts mit der arabischen Halbinsel zu tun hat.
Wenn in diesem Raum (auch) syrisch gesprochen (und nicht nur geschrieben) wurde, könnte
MHMT als syrisches Wort
mhmt (MHMT, mehmat) aufgefasst werden
. Das auslautende „t“ bei
MHMT – statt „d“
(MHMD) – wäre dann auf eine Lautschreibung zurückzuführen
8 und müsste
mehmad („der Gepriesene“, „der Gelobte“) gelesen werden, in arabischer Aussprache des Syrischen
mahmed (Machmed).
Nach Volker Popp wurden in dieser Region aber damals (vor allem?) Varianten des Mittelpersischen gesprochen. Dann könnte
MHMT als syrisch geschriebenes Ideogramm für das dort überlieferte ugaritische „Fremdwort“
MHMD mit der Bedeutung „erwählt“, „der Erwählte“ aufgefasst werden und – mittelpersisch –
mehmet/mahmat gesprochen worden sein.
9 Mit zunehmender Arabisierung der Herrschaftsverhältnisse und damit der Prägeberechtigten wurde
MHMT dann zu arabisch
muhammadumgeschrieben, wie es zweisprachige Münzen aus dem Jahre 60 (681) – nebeneinander
MHMT in Pehlevi und
muhammad in Arabisch – dokumentieren.
10 Seit den 60er Jahren H. (680er n.Chr.) gibt es dann beinahe ausschließlich den arabischen Begriff
muhammad in arabischen Schriftzeichen auf Münzprägungen im ganzen syrischen Raum. Sobald die arabische Umschrift
muhammad üblich wurde, konnte es die syrische und arabische Bedeutung von „der zu Lobende“ oder „der Gelobte“ annehmen.
Die ältere Variante
Machmed scheint aber daneben noch längere Zeit gebraucht worden zu sein. Jedenfalls benutzt sie noch, in griechischer Schrift (Ma/med, Mamed), der christliche Theologe Johannes von Damaskus (gest. um 750?) in Westsyrien für den „Pseudopropheten“.
11 Denkbar wäre darüber hinaus, dass die Arabisierung des
MHMT auch zur Lesung
‚HMD, achmed/achmad führte. Diese Lesart könnte allerdings auch aus theologischen Gründen entstanden sein: Die
Sira setzt
Achmed (Sure 61,6) mit
Mohammed gleich. Von daher würde die Beobachtung Sprengers verständlich, dass es noch im 9. Jahrhundert einen Wechsel zwischen den Benennungen
muhammad und (dem in etwa gleichbedeutenden)
achmed gab: „Begreiflicherweise entstanden sehr früh Traditionen, welchen zufolge der Mutter des Propheten oder seinem Großvater in einem Traumgesicht schon vor seiner Geburt befohlen wurde, ihn Mohammad zu heißen. Allein in allen Traditionen, welche sich auf seinen Namen beziehen, finden wir ein Schwanken zwischen Ahmad und Mohammad.“
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Die arabische Bezeichnung
muhammad setzt sich seit ‚Abd al-Malik im Gefolge der zunehmenden Arabisierung durch. Worauf schon die anfänglich eindeutige christliche Symbolik der Münzprägungen hinweist, die ein „islamisches“ Verständnis von
machmed/muhammad verbietet, wird zur Gewissheit durch die Inschrift im Felsendom aus dem Jahr 72 (693) und die entsprechenden koranischen Materialien.
13 Hier ist der Messias Jesus
(Isa), der Sohn der Maria,
muhammad, Knecht Gottes, Prophet, Gesandter, Logos und Geist Gottes. Zumindest bis in diese Zeit hinein, um 700, wahrscheinlich bis mindestens 750, ist vom
muhammad Jesus die Rede.
Muhammad könnte, wie ausgeführt, in den Gebieten, die dem längst vergangenen phönikischen Hoheitsgebiet am nächsten lagen, als ugaritisches Fremdwort für „auserwählt“ u.ä. tradiert worden sein
14. Ein solches Verständnis – Jesus ist der Erwählte – liegt vom biblischen Sprachgebrauch her nahe: Das Volk Israel betrachtete sich als das „auserwählte Volk“; so wird es auch noch in der Paulusrede in der Apostelgeschichte (Apg 13,17) genannt.
15 Paulus nennt im Römerbrief (8,33) alle an Jesus Christus Glaubenden „erwählt“
(eklektós).16 Der „Gottesknecht“ wird bei Deuterojesaja von Gott als „mein Erwählter“, auf den er seinen Geist gelegt hat, bezeichnet (Jes 42,1; vgl. 49,7). Wohl in Analogie dazu nennt im Lukasevangelium (9,35), in der Verklärungsszene, die Stimme aus den Wolken Jesus den „auserwählten Sohn“
(eklelegménos; in Abwandlung der markinischen Vorlage [9,7], die auch Matthäus übernommen hat [17,6], in der Jesus als „geliebter Sohn“ bezeichnet wird). Mitglieder des Hohen Rats verspotten Jesus am Kreuz, anderen habe er geholfen, jetzt solle er sich selbst helfen, „wenn er der Messias Gottes, der Auserwählte (eklektós), ist“ (Lk 23,35). Versteht man also
muhammad als „erwählt“, dann würde der Begriff eine wichtige biblische christologische Tradition aufgreifen.
Aber auch die andere Übertragung „gepriesen“, „hochgelobt“ o.ä., die auf das syrische und arabische Sprachverständnis zurückgreift, hat einen guten biblischen und christologischen Sinn. Psalm 118 sagt (V. 22) von dem Stein, den die Bauleute verworfen hatten, der dann zum Eckstein geworden ist: „Gepriesen (gesegnet) sei er, der da kommt im Namen des Herrn“ (V. 26). Dieser Lobpreis des Psalmisten wird im Neuen Testament auf Jesus bezogen: Beim Einzug Jesu in Jerusalem wird er ihm zugerufen (Markus 11,9:
eulogäménos; ebenso in den Parallelen bei Matthäus 21,9 und Lukas 13,35). Der Hohepriester fragt Jesus in seinem Verhör vor dem Hohen Rat nach Markus (14,61.62): „Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten
(eulogätós)? Jesus sagte: Ich bin es.“ Jesus ist also der Sohn des Gepriesenen und selbst der Gepriesene, der da kommt im Namen des Herrn (im Sanctus der lateinischen Messliturgie:
Benedictus qui venit in nomine domini), er ist der
muhammad.
Eine dritte Verständnisvariante von
muhammad, die A. Sprenger
17 in Betracht zieht, kann für die frühen Zusammenhänge wohl ausgeschlossen werden. Er bezieht sich auf die Behauptung des Koranexegeten Ibn ‚Abbas, „daß Mohammad in der Tora genannt werde“. Sprenger meint, dass der Begriff im Arabischen zwar ‚preisen‘, ‚loben‘ bedeute, „aber in den verwandten Dialekten, mit denen auch das Arabische … in der syrischen Wüste gesprochen wurde …“, ‚wünschen‘, ‚ersehnen‘ heißen kann. Mohammed wäre dann der „Ersehnte“.
18 Sprenger verweist auf Haggai 2,8 und Daniel 11,37, in denen der hebräische Begriff
hemdah, im Sinne von ersehnt, benutzt wird. Er hält deswegen die „Behauptung des Ibn ‚Abbas, der Prophet werde im alten Testament unter dem Namen Mohammad vorhergesagt“, für „wenigstens zum Theil“ begründet.
19 Allerdings ist diese auf die Koranexegese des 9. Jahrhunderts gestützte These im Kontext der frühen Verwendung von
muhammad wohl auszuschließen.
Die ersten beiden möglichen Wurzeln des Begriffs
muhammad sind sprachlich, sprachgeschichtlich und theologisch plausibel. Hält man sich an das später zunehmend dominierende arabische Sprachverständnis und an den Text der Inschrift im Felsendom, in der auf das Lob Gottes (mit demselben Wortstamm
hamd) das Lob
(muhammad) des Gottesknechtes folgt, ist in diesem (späteren) Kontext wohl die syrisch-arabische Bedeutung „gepriesen“, „gelobt“ anzunehmen.
In beiden Varianten aber stellt der Begriff eine
christologische Prädikation dar, und zwar eine, die sowohl der judenchristlichen wie auch der gemein-semitischen, in diesem Fall also syrisch-arabischen Mentalität entspricht. In ihr wird die geschichtliche Gestalt Jesu, der gern als „Sohn der Maria“ bezeichnet wird
20, in ihrer
heilsgeschichtlichen Rolle gewürdigt. Noch deutlicher ist diese heilsgeschichtliche Auffassung bei Aphrahat (gest. nach 345), der Nizäa noch nicht kannte, formuliert, der von der „Prophetin Maria, … Gebärerin des großen Propheten“, spricht, womit Jesus gemeint ist.
21 Dies ist ganz anders in den christologischen Prädikaten der hellenistisch geprägten Christologie, die Jesu Würde
in naturalen Kategorien umschreibt: Jesus ist der (physische) Sohn Gottes, der inkarnierte Gott.
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Letztere Christologie wurde allerdings erst seit dem Konzil von Nizäa im Jahre 325 amtliche Doktrin in der griechischen (und so auch: lateinischen) Kirche. In der syrischen Kirche wurde Nizäa, also eine Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie und eine binitarische (später auch trinitarische) Gottesauffassung, erst im Jahre 410 auf einer Synode in Seleukia-Ktesiphon akzeptiert und fand so allmählich Eingang in ihre Theologie.
23 Diese Wandlung aber hat die (ehemals deportierten) syro-arabischen Christen im östlichen Perserreich nicht mehr erreicht; sie blieben bei ihrer syrisch-arabischen, vornizenischen Christologie, die sie auch im Inneren des Iran und später in Westsyrien beibehielten, nachdem sie – nach dem Ende der Sassanidenherrschaft – die Macht erringen konnten.
Somit entspricht
muhammad der Würde Jesu, wie sie in der syrischen und syro-arabischen (vornizenischen) Christologie auf Münzprägungen, in der Inschrift des Felsendoms und im koranischen Material umschrieben wird: Jesus ist der Erwählte/Gepriesene
(muhammad), der Messias
(massiah), der Knecht Gottes
(‚abdallah), der Prophet
(nabi), der Gesandte
(rasul), der Sachwalter Gottes
(wali Allah),Logos und Geist Gottes.
Wie aber kam es dazu, dass im Lauf der Zeit aus dem
muhammad Jesus der Prophet der Araber wurde?
3. Die Auflösung der Verbindung des christologischen Prädikats zu Jesus
3.1 Funktion und mögliches Missverständnis christologischer Prädikate
Christologische Prädikate dienen dazu, die Erfahrung von Gläubigen sprachlich zu artikulieren, dass durch Jesus ihre religiösen Fragen und Sinnhoffnungen – trotz in der Geschichte immer bleibender Defizienzerfahrungen – angestoßen und „gelöst“ sind. Er ist für die, die an ihn glauben, „der Heilsmittler.“ Deswegen wenden Christen auf Jesus superlativische Topoi an, die in ihrer religiösen und kulturellen Tradition als Heilsvorstellungen überliefert sind.
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Ob nun Jesus – in der „semitischen“ Tradition: heilsgeschichtlich – als der Messias, der Gesandte, der
muhammad usf., oder ob er – auf „griechische Weise“: in „seinshaften“ Begriffen – als physischer Sohn Gottes, als inkarniertes Wort Gottes o.ä. bezeichnet wird, immer spiegeln sich in den Prädikaten religiöse Ideal- und Hoffnungsvorstellungen, die notwendig in einem Kontrast zur „Armutsgestalt“ Jesu stehen. Von daher ist es religionspsychologisch verständlich, dass sie oft mehr faszinierten als Jesus selbst.
In der hellenistischen Christologie bestand die Gefahr, dass sich die Prädikate verselbständigten; an Jesus wurde dann vor allem der über die Erde wandelnde Gott wahrgenommen und der konkrete Mensch Jesus vernachlässigt. Auch in der judenchristlichen und in der syrisch-arabischen Christologie konnten die Hoheitstitel so faszinieren, dass die Gestalt Jesu zurücktrat. Dieser Prozess einer Interesseverlagerung auf die Würdenamen und ihre allmähliche Loslösung von ihrem geschichtlichen Katalysator Jesus, dem ursprünglichen Subjekt aller Prädikationen, lässt sich historisch verifizieren und nachweisen. Hierbei sollen im Mittelpunkt die Inschriften stehen, die von den jeweiligen Herrschern an den von ihnen errichteten Heiligtümern programmatisch angebracht wurden, so dass sie das offizielle religiöse Konzept erkennen lassen.