"Und was in euch singt und gewahrt,
wohnt nach wie vor in den Grenzen
jenes Moments, der die Sterne im
Weltraum verstreute.
Wer von euch spürt etwa nicht,
dass seine Fähigkeit zu lieben
unbegrenzt ist?
Und dennoch, wer empfindet nicht,
dass ebendiese Liebe, wenn auch unbegrenzt,
doch restlos im Zentrum seines Wesens enthalten
ist und sich nicht von Liebesgedanken zu
Liebesgedanken bewegt noch von Liebeshandlung
zu Liebeshandlung?
Und ist etwa die Zeit nicht ganz so wie die Liebe-
ungeteilt und raumlos?
Khalil Gibran
Es war dunkel. Stella konnte sich nicht richtig bewegen, ihre Glieder waren schwer wie Blei. Sie fühlte einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf. Erst langsam nahm sie wahr, dass ihre Augen geschlossen waren. Mit Mühe gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie befand sich in einem fremden Raum. Nur ein schwacher Lichtschimmer fiel vom Fenster her durch die dunklen Vorhänge.
Schemenhaft kamen ihr die vergangenen Ereignisse wieder ins Bewusstsein. Stella zermarterte sich den Kopf, welcher Wochentag heute sei, wusste es aber nicht. Sie fühlte sich zu schwach zum Nachdenken.
Man hält mich in diesem Raum gefangen und ich werde dahinsiechen, dachte sie dennoch. Dann holte die Müdigkeit sie zurück in Dunkelheit und Träume. Ein Mann wartete dort und verfolgte sie. Stella öffnete im Traum die Augen. Es war es Mahoud. Sie wollte fliehen, konnte sich aber nicht bewegen. Als sie um Hilfe schrie, schreckte sie weinend auf.
Mir ist kalt. Mir ist so kalt, hörte sie sich sagen. Da fühlte sie eine Hand, die beruhigend über ihre Stirn strich.
Stella. Hab keine Angst.
Es war die Stimme Mahouds. Trink das, Stella, bat er sanft, es wird dich beruhigen.
Er flößte ihr eine Tablette ein.
Sie trank durstig.
Er lächelte zu ihr herunter, betrachtete sie prüfend.
Du hast fast zwei Tage geschlafen. Es ist Mittwochmorgen.
Ich habe Angst vor dir, sagte sie leise. Was ist geschehen?
Du bist gestürzt und dabei mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Der Arzt aus Nagran kam gestern Mittag und untersuchte dich gründlich. Du warst für kurze Zeit wach. Der Arzt meinte, es bestehe kein Anlass zur Sorge, nur eine leichte Gehirnerschütterung. Du sollst im Bett bleiben, brauchst Schlaf. Er gab dir eine Spritze gegen die Schmerzen und Tabletten zur Beruhigung.
Daher bin ich so müde, dachte Stella. Dann fielen ihr wieder die Augen zu.
Du willst meinen Verstand mit Tabletten ausschalten, Mahoud. Meine einzige Waffe, mit der ich dich angreifen...
Sie war zu schwach, um weiterzusprechen.
Liebste. Du sollst ruhen und dich nicht schon wieder auflehnen.
Sie hatte das Gefühl, von einer dicken Watteschicht umhüllt zu sein die er um sie legte, von weicher Watte, die sie dennoch nicht zu durchdringen vermochte. Er aber konnte sie erreichen.
Es kommt ganz auf dich an, wie schnell du deinen Widerstand aufgibst, hörte sie ihn sanft sprechen. Dann brauche ich dir auch nichts mehr zur Beruhigung zu geben.
Die Dunkelheit schlich heran, holte sie zurück. Sie war eingeschlafen.
Mahoud betrachtete sie aufmerksam.
Ihr Brustkorb hob und senkte sich.
Text von Karuna
