"Es bereitet euch Freude, Gesetze aufzustellen,
Aber noch gröβere Freude bereitet es euch,
sie zu brechen.
Wie spielende Kinder am Meeresufer,
die mit Ausdauer Sandburgen bauen und sie dann
lachend zerstören.
Aber während ihr eure Sandburgen baut,
trägt das Meer weiteren Sand an den Strand.
Und wenn ihr sie niederreiβt, lachte der Ozean mit euch.
Wahrlich, der Ozean lacht immer mit den Unschuldigen."
Khalil Gibran
Miguel Angelo fuhr auf der Nationalstrasse 125 in Richtung Lagos. Das Wetter hatte sich noch immer nicht gebessert. Über den Monchique Bergen hingen dicke Regenwolken. Der Himmel riss zwischendurch zwar manchmal auf und es schien sogar die Sonne, aber dann brachte der Wind vom Nordwesten her wieder dunkle Wolken heran.
Als Miguel Angelo gestern Abend Marco besucht hatte, verfolgte er die Wettervorhersage. Für Mittwoch gab es Sturmwarnung. Ein Tief näherte sich mit zweihundert Stundenkilometern von den Azoren her und würde morgen hier eintreffen.
Es begann wieder zu regnen. Miguel stellte die Scheibenwischer an und dachte daran, wie er gestern mit Marco das Haus sturmfest gemacht hatte. Er musste lächeln. Sonst hatte Stella immer dafür gesorgt. Da mussten alle Fensterläden verschlossen werden, der Tisch und die Stühle wurden von der Terrasse geholt. Der Sturm schleuderte sonst alles durch die Gegend herum.
Später hatten sie noch einen Film gesehen, aber Marco war verschlossen, gab über die Reise seiner Mutter und ihren Verbleib kaum einen Kommentar ab.
Miguel Angelo atmete tief ein.
Nach dem Film meinte sein Sohn unmissverständlich, er solle jetzt besser zu seiner brasilianischen Zahnärztin gehen. Bei mir kannst du dich nicht einschmeicheln, sagte er. Du hast offiziell Hausverbot. Das Türschloss wechselte Mama auf Anraten ihrer Rechtsanwältin nicht aus, um nicht aggressiv vorzugehen.
Miguel Angelo sah auf die Uhr. Halb drei. Er war gut in der Zeit. In zehn Minuten würde er bei seinem Freund Jochen Bergmann sein.
Vor dem Hotel Penina Meridien bog er nach rechts in die kleine Strasse nach Alcalar ab.
Er kannte Jochen noch aus der Zeit, als beide zusammen bei Bayer gearbeitet hatten. Miguel Angelo musste nachrechnen. Ja, das war vor über zweiundzwanzig Jahren, als wir in Leverkusen die Ausbildung gemacht hatten.
Jochen ging dann irgendwann in die Emirate. Ich kam als Auslandsdelegierter nach Rio de Janeiro. Wir blieben in Kontakt. Mal eine Weihnachtskarte mit heißen Grüssen aus der Wüste, mal sah man sah sich in Leverkusen zu Fortbildungskursen wieder.
Er erinnerte sich, dass Jochen von seinem unglaublichen Reichtum schwärmte. Der einzige Haken sei der Alkohol. Lachend erzählte er, dass er und seine Frau in der Badewanne Weintrauben mit den Füßen stampften. Daraus hätten sie heimlich Schnaps gebrannt. Alkoholische Getränke bekomme man nur in den fünf Sterne Hotels, berichtete Jochen. Und die waren anfangs für ihn zu teuer. Lang ist es her, dachte Miguel Angelo.
Rechts tauchte die Anlage Serra e Mar auf, Miguel bog in die Einfahrt ein. Die weißen Villen mit ihren Rundbögen und Flachdächern erinnerten an die Mauren. Darum fühlte Jochen sich hier so wohl. Er ließ sich frühzeitig pensionieren und zog an die Algarve.
Miguel Angelo fuhr an den Villen vorbei. Umgeben von Gärten mit stattlichen Palmen und blühenden Sträuchern. Da war bereits Jochens Villa. Etwas abseits, auf einem Hügel gelegen. Von hier hatte man den weiten Blick über das Hinterland und die Monchique Berge. Das Tor war offen, er fuhr in die Einfahrt und parkte vor der Garage.
Hallo Miguel. Jochen kam gleich zu ihm heraus. Das ist ja eine Überraschung. Schön, dass du dir die Zeit nimmst, mich auch einmal zu besuchen.
Jochen umarmte ihn herzlich und führte ihn ins Haus. Inge, seine Frau grüßte ebenfalls und gleitet ihn sie Wohnzimmer.
Also, mein Freund. Was hast du auf dem Herzen?, fragte Jochen geradeheraus.
Inge hatte Kaffee gebracht und sich dann zurückgezogen.
Jochen musterte ihn aufmerksam mit seinen hellgrauen Augen, denen nichts zu entgehen schien.
Als erstes möchte ich dich bitten, absolute Diskretion zu bewahren. Miguel Angelo lächelte verkrampft. Ich denke vor allem an die deutsche Clique, die nur darauf wartet, sich den Mund über mich zerreißen zu können.
Jochen nickte. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete ab, was er erfahren würde.
Ich deutete es bereits am Telefon an. Es geht um Stella, begann Miguel Angelo.
Dann erzählte er Jochen von dem Anruf aus Abu Dhabi, von seiner Sorge und seiner Angst, man könne sie dort gewaltsam festhalten. Bitte hilf mir, Jochen, sagte er, ich kann nachts schon nicht mehr richtig schlafen.
Jochen stand auf und holte eine Flasche Portwein aus der Bar.
Darauf müssen wir erst einen Schluck trinken. Er öffnete umständlich die Flasche und reichte Miguel ein Glas.
Was macht Stella in den Emiraten? Weißt du mit Sicherheit, dass der Anruf aus Abu Dhabi kam?
Sie tranken schweigend. Der rote Port schmeckte vorzüglich. Wirkte wohltuend beruhigend auf Miguel Angelos Nervensystem.
Der Anruf kam aus dem Hilton in Abu Dhabi. Das hat mir gestern Cristina bestätigt.
Deine Tochter?
Ja. Er nickte. Sie hat noch bis letzten September bei der Lufthansa gearbeitet und kennt jede Menge Leute dort.
Gut. Jochen drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Du hast meine erste Frage noch nicht beantwortet. Also, mein Freund, was macht Stella in den Emiraten? Wenn ich helfen soll, muss ich schon die ganze Geschichte kennen.
Das ist wahr. Miguel Angelo lächelte dünn und sah seinen Freund ein wenig hilflos an. Ich will meine Herzoperation nicht als Entschuldigung vorschieben, aber es war wohl so eine Art Torschlusspanik, die mich befiel. Ich verließ Stella kurz vor Weihnachten und zog bei einer jungen Zahnärztin aus Brasilien ein.
Das ist bedauerlich, mein Lieber. Ich hoffe, du hast richtig gewählt.
Darum geht es ja, antworte Miguel Angelo schnell. Ich ließ Stella nach Indien fliegen. Sie wollte dort meditieren. Da vermutete ich nie, dass sie ... Er schwieg.
Und jetzt?
Jetzt? Miguel Angelo zuckte mit den Schultern. Ich will sie unbedingt zurück. Aber sie ist mit einem Araber zusammen. Cristina konnte in Erfahrung bringen, dass Stella am achten Februar eine Nacht im Hilton Abu Dhabi war. Zusammen mit einem Mahoud Kamal Habbas. Das Problem ist nur, es gibt weder eine Ankunft, noch einen Abflug vom Flughafen Abu Dhabi. Cristinas Kollegen bemühen sich, den ganzen Raum abzuchecken. Aber das dauert.
Der Name dieses Herrn könnte uns weiterhelfen. Ich war zehn Jahre in Dubai und kenne dort eine Menge Leute, meinte Jochen aufmunternd. Doch ich will dir nichts versprechen, du musst Geduld haben.
Miguel Angelo schrieb den Namen des Arabers auf einen Zettel und reichte ihn Jochen.
Ich weiß, dass ich mich gedulden muss, aber meine Nerven sind am Ende. Wann glaubst du, höre ich von dir?
Drei bis vier Tage wird es schon dauern. Ich rufe dich an.
Text von Karuna
