Was ist schief gelaufen?

Ich lese gerne in diesem Forum und habe schon den einen oder anderen wertvollen Denkanstoß hier bekommen. Ich würde mich gerne mit folgender Situation an die Gemeinschaft wenden:

Es geht um meine Tochter. Sie steht mit beiden Beinen im Berufsleben, ist nicht gerade hässlich und sehr ehrgeizig. Sie arbeitet schon seit längerem in einem Team das hauptsächlich aus Frauen besteht und möchte demnächst ihr Masterstudium beginnen.
Eines Abends erhielt ich einen Anruf von ihr, sie war total aufgelöst und den Tränen nahe; wir hatten ein sehr langes Gespräch dessen Kernthema im weitesten Sinne letztendlich der Sinn des Lebens war.
Es ging uns beiden sehr nahe und wir konnten seit langer Zeit Themen besprechen die sonst Tabu sind.

Der Auslöser war, daß ihr einer der wenigen Männer in ihrem Leben die sie an sich herankommen lässt gestanden hat, daß er schwul geworden ist. Die beiden haben sich alle paar Wochen getroffen um einen Kaffee zu trinken und zu plaudern. Auch er ist im Beruf sehr erfolgreich und sie hätte sich mit ihm gut eine Beziehung vorstellen können.
Sie zählte sich selbst nie zu denen, die mit ihren Bedürfnissen offen umgehen und das Thema Liebe war für sie sie (insbesondere seit ihrer Magersucht in der Teenager-Zeit) eher zweitrangig. Oft habe ich mich gefragt, was dahintersteckt - sie hat sich immer sehr abgegrenzt wenn ich damit an sie herangetreten bin. Sie meinte sie hätte eigentlich garkeine Zeit dafür, sie hätte Angst vor Enttäuschungen, einmal sagte sie es wären hauptsächlich "wirtschaftliche Gründe", sie fühlte sich flexibler und leistungsfähiger bzw konkurrenzfähiger als Single.
Trotzdem erschreckt mich unser Telefonat nicht besonders - ich kann mir Denken daß ihr Lebensstil nicht sehr erfüllend ist. Diese Sinnkrise war nur eine Frage der Zeit - und ich wusste nicht welche Worte der richtige Trost gewesen wären. Ich habe gemerkt, daß sie eigene Erfahrungen machen muss und das tat mir so unglaublich weh. Ihr fehlt einfach Etwas, das sie nur bei sich selbst finden kann. Und ich mache mir Vorwürfe, daß ich ihr dabei bisher nicht helfen konnte. Und ich habe versucht das Problem zu konkretisieren und habe die Lebensumstände beleuchtet. Sie hat bereits eine Psychotherapie in der Themen wie Scheidung etc. schon behandelt wurden, und auch eine Behandlung mit Antidepressiva hinter sich, seit sie von zuhause ausgezogen ist hat sich keine probleme mit der Ernährung, sie isst gesund, betreibt Sport, und sie nimmt seit sie 15 Jahre alt ist die Pille (ein sehr wirksames Präparat soweit ich weiß). Sie hat eine gewisse Lustlosigkeit beklagt, die sich schon seit geraumer Zeit bemerkbar macht, alles sei bloß noch Routine. Auch ein Auslandsaufenthalt hat sie in ihrer Weltanschauung nur bestätigt, sie würde nichts an fremden Straßenkindern oder öden Kirchen reizen, und alles was mit ihrem Fach zu tun hatte wäre im Ausland das gleiche wie hier. Es ist als würde sie trotz ihres Erfolges seelisch in einer dicken Masse ertrinken und es fehlt jegliches Trittbrett um da herauszufinden.
Hat jemand etwas vergleichbares erlebt? Gibt es vielleicht Eltern die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben? Da ich nicht zuletzt auch den Wunsch hege einmal Großmutter zu sein: muss man sich entscheiden zwischen dem Erfolg seines Kindes und dem Fortbestand der Familie?

du sollst den fehler nicht bei dir suchen , den kinder bringen in diese welt ihre geschichte mit an der sie zuarbeiten haben und das ist total unabhängig von dir oder dem vater,
das einzige was du tun kannst für sie da zusein,


lieben gruß gilla
 
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Schön, daß ich hier auf Resonanz stoße :)

... und dir angewöhnen nicht darunter leiden, wenn deine tochter unglücklich ist, denn auch das ist ihr weg...

Ich versuche so gut es geht mein Leben zu genießen, ihre Situation zehrt aber trotzdem an meinen Kräften. Mitleid ist einfach da, nur einen Teil davon kann man m.E. bewusst "steuern", solange sie meine Tochter ist.

schwierige Sache, aber die kann sie nur allein für sich lösen, du könntest vielleicht mal das Wort Bindungsangst in ihrem Beisein fallen lassen, solltest dann aber sofort wieder das Thema wechseln, das wäre jedenfalls mein Tip, wenn sie sich den Schuh anziehen will, dann wird sie von selbst anfangen, mit dir davon zu reden

Das scheint bei unserer Familie leider nicht so einfach zu sein. Die Medikamente, die Therapie das alles hat mir nach der Scheidung sehr geholfen wieder auf die Beine zu kommen und beruflich am Ball zu bleiben, aber dabei ist schon fast eine gewisse Resistenz entstanden. Das Thema Bindungsangst ist schon sehr oft besprochen worden, das Wort ist nurmehr eine leere Hülle.

was die Zuneigung zu dem schwulen Freund betrifft, dazu folgendes:
wir suchen uns unsere Partner, Freunde etc. immer unbewußt, aber niemals bewußt aus,
wir fühlen uns angezogen oder auch abgestoßen ... von einer nicht erklärbaren Macht

die Angst deiner Tochter vor einer Beziehung bzw. vor dem Verlust eines Menschen
(was das gleiche ist) verhindert, daß sie sich zu einem Mann hingezogen fühlt,
mit dem sie eine normale Familie aufbauen könnte,
deshalb hat sie sich einen unerreichbaren Mann 'ausgesucht' und dieses Muster
wird sich so lange durch ihr Leben ziehen, bis sie es erkannt hat

Danke, dieser Ansatz ist sehr interessant. Was für sie so schlimm war war, daß er erst nachdem er sie kennengelernt hat bemerkt hat, daß er schwul war. Er hat ihr bei einem Treffen geradeheraus von einem Erlebnis mit einem Mann vorgeschwärmt, und daß er immer schon sehr offen dafür gewesen wäre und sich jetzt eben sicher wäre. Das war für sie ein Schlag ins Gesicht. Davor war er nicht unerreichbar. Er war vielleicht ein bisschen eine "harte Nuß" wenn ich das so sagen darf, aber nicht unerreichbar.

wie man mit solchen Leuten als Partner oder Familienmitglied besser umgehen kann, erfährt man in speziellen Büchern, aber dem Betroffenen selbst helfen diese Bücher leider in keiner Weise
Das kenne ich nur zu gut, es scheint eine Jagd auf diese Themenbereiche zu geben, aber man muss immer wieder schmerzlich erkennen daß eine derart gespaltene Familie einfach Schmerzen bereitet und man hier keinen "Predigern" folgen kann, die Lösung liegt immer bei einem selbst.

du sollst den fehler nicht bei dir suchen , den kinder bringen in diese welt ihre geschichte mit an der sie zuarbeiten haben und das ist total unabhängig von dir oder dem vater, das einzige was du tun kannst für sie da zusein,

Wie ist denn das gemeint? Ich denke daß die ersten prägenden Jahre oder ein so gravierendes Erlebnis wie die Trennung der Eltern doch starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben, oder?

liebe Grüße,
Kerstin
 
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