Platonische Liebe?

χαίρετε

Es ist die Weisheit, die sinnliche Begierde käme niemals in Frage:

Platon Symposion 216d

Solches nun haben ich und viele andere von dem Flötenspiele dieses Satyrs erlitten. Vernehmt aber noch andere Dinge von mir, um zu erfahren, wie ähnlich er denen ist, mit welchen ich ihn verglichen habe, und welche wunderbare Gewalt er ausübt. Denn dessen seid gewiß, [D] daß niemand von euch diesen Mann wirklich kennt; ich aber will ihn euch kundmachen, da ich nun einmal dies zu tun begonnen habe. Ihr seht nämlich, wie sehr Sokrates in schöne Jünglinge verliebt ist und sie beständig umschwärmt und außer sich ist vor Entzücken über sie, und ferner, daß er sich das äußere Ansehen eines Unwissenden und Unkundigen in allen Dingen gibt. Ist dies nun nicht ganz silenenhaft? Wenigstens ist dies durchaus nur die äußere Hülle an ihm, gerade wie jene geschnitzten Silenen; wenn man ihn aber öffnet, so glaubt ihr es gar nicht, meine Tischgenossen, von wie großer Besonnenheit sein Inneres voll ist. Denn wißt, daß er in Wahrheit nicht das geringste Gewicht darauf legt, [E] ob jemand schön oder reich ist oder irgend eine andere Auszeichnung von allen denen an sich trägt, die von der Menge gepriesen werden, sondern dies alles so sehr verachtet, wie niemand es glauben sollte. Alle diese Besitztümer hält er für wertlos, und uns alle achtet er gering, das hütet er sich aber freilich zu sagen, vielmehr Ironie und Verstellung übt er sein ganzes Leben hindurch gegen alle Menschen aus und treibt mit ihnen sein Spiel. Ob daher irgend ein anderer, wenn er Ernst macht und sein Inneres aufschließt, die in ihm verborgenen Götterbilder erblickt hat, weiß ich nicht, aber ich habe sie gesehen, und sie erschienen mir so göttlich und golden, so reizend schön [217 St.3 A] und bewundernswert, daß ich ohne Zaudern tun zu müssen glaubte, was Sokrates von mir verlangte. Da ich nun wähnte, daß er ernstlich nach dem Genusse meiner Reize strebte, so hielt ich dies für einen herrlichen Fund und einen wunderbaren Glücksfall für mich, da ich glauben durfte, daß mir, wenn ich dem Sokrates zu Willen wäre, alles zu Gebote stehen würde, was er selber wüßte, ich bildete mir nämlich eben auf meine Reize wunder wieviel ein. Während ich daher bisher nicht ohne Gegenwart eines Dieners allein mit ihm zu bleiben pflegte, schickte ich jetzt in dieser Erwägung jenen fort und blieb mit ihm ganz allein. Denn ihr sollt jetzt die volle Wahrheit hören: drum merkt auf, und wenn ich irgend etwas Unwahres sage, Sokrates, so erhebe du dagegen Einspruch! Ich blieb also ganz allein mit ihm, Freunde, und erwartete nun, daß er sofort zu mir sprechen würde, wie wohl ein Liebhaber zu seinem Geliebten, wenn sie ohne Zeugen sind, zu sprechen pflegt, und freute mich schon darauf. Aber es geschah von alledem gar nichts, sondern er sprach mit mir ganz wie sonst gewöhnlich und nachdem er den Tag mit mir zugebracht hatte, ging er nach Hause. Darauf lud ich ihn ein, meine Leibesübungen zu teilen, und ich teilte sie auch wirklich mit ihm, [C] um dabei zum Ziele zu kommen. Er übte sich also und rang nackt mit mir ohne jemandes Beisein. Und was bedarf es weiterer Worte? Auch hierbei richtete ich ebensowenig etwas aus. Da ich nun auf keinem dieser Wege meinen Zweck erreichte, so glaubte ich dem Manne stärker zusetzen zu müssen und nicht nachlassen zu dürfen, da ich einmal angefangen; sondern ich wollte nun erfahren, wie es denn eigentlich mit der Sache stände. Ich lade ihn also ein, mit mir zu Abend zu speisen, indem ich ihm gerade wie ein Liebhaber seinem Geliebten nachstellte. Er aber sagte mir dies nicht einmal sogleich zu, mit der Zeit indessen ließ er sich überreden. Als er nun das erste Mal zu mir kam, [D] wollte er nach dem Essen wieder weggehen, und ich ließ ihn diesmal aus Scham auch noch wirklich fort. Das zweite Mal aber machte ich so meinen Angriff: nachdem er gegessen hatte, hielt ich ihn mit Gesprächen bis in die Nacht hinein auf, und als er endlich gehen wollte, stellte ich ihm vor, daß es schon zu spät wäre, und nötigte ihn zu bleiben. So legte er sich denn auf dem Lager zur Ruhe, das an das meine stieß, und auf dem er auch zu Tische gelegen hatte, und kein anderer schlief in dem Zimmer als wir. Bis hierher nun könnte ich die Sache wohl noch jedermann erzählen, was aber nun folgt, [E] würdet ihr schwerlich sobald von mir hören, wenn nicht erstens der Wein die Wahrheit sagte, selbst um die Gegenwart oder Nichtgegenwart der Sklaven unbekümmert, und wenn es mir ferner nicht ungerecht erschiene, eine stolze Tat des Sokrates zu verschweigen, nachdem ich es einmal übernommen, ihm eine Lobrede zu halten. Endlich geht es mir überdies hierbei wie den von einer Natter Gebissenen: Denn man sagt, daß der, welcher einen solchen Biß erlitt, es keinem andern zu beschreiben geneigt sei, was er infolge desselben empfand, als den selber einmal Gebissenen, [218 St.3 A] weil diese allein imstande sein dürften, es zu begreifen und verzeihlich zu finden, wenn er vor Schmerz im Reden wie im Tun zum Äußersten getrieben ward. Ich aber bin von etwas gebissen, was noch weit größere Schmerzen macht, und bin es gerade an dem empfindlichsten Teile. Denn ins Herz oder in die Seele - oder wie soll ich es sonst nennen? - hinein bin ich getroffen und gebissen worden von den Worten der Weisheit, welche, wenn sie ein jugendliches, nicht unbegabtes Gemüt ergreifen, sich grimmiger in ihm festbeißen als die Natter, und es zum Äußersten forttreiben in Rede und Tat. Indem ich nun also einen Phaidros, Agathon, Eryximachos, Pausanias, Aristodemos und Aristophanes vor mir sehe, was bedarfs noch den Sokrates selber zu nennen und alle anderen, die hier zugegen sind? Kurz, ihr alle seid, wie einst ich, von dem Wahnsinn und der Schwärmerei der Liebe ergriffen, darum sollt ihr alle es hören, denn ihr werdet mir verzeihen, was ich damals tat, und daß ich jetzt es erzähle. Die Dienerschaft aber, und wenn sonst ein Ungeweihter und Ungebildeter unter uns ist, die mögen [C] starke Schlösser vor ihre Ohren legen.
Als nun nämlich, ihr Freunde, das Licht ausgelöscht war und die Sklaven das Zimmer verlassen hatten, da glaubte ich ohne weitere Umschweife gegen ihn gerade heraus mit der Sprache über meine Absichten gehen zu müssen. Ich stieß ihn daher an und fragte ihn: Sokrates, schläfst du?
Nein, erwiderte er.
Weißt du, was ich beabsichtige?
Nun, was denn? fragte er.
Es will mir scheinen, erwiderte ich, als ob du der einzige meiner Liebhaber bist, der es zu sein verdient, und als ob du dich scheust, mir deine Wünsche zu gestehen. Ich aber denke so: Es wäre, wie ich meine, töricht, [D] wollte ich dir hierin nicht ebensowohl zu Willen sein, als wenn du sonst irgendwie meiner bedarfst, sei es in bezug auf mein Vermögen oder auf meine Freunde. Denn mir liegt nichts mehr am Herzen als dies: ein möglichst tüchtiger Mann zu werden, hierzu aber glaube ich eine geeignetere Beihilfe nicht finden zu können als die deinige, und ich scheue daher den Tadel, der mich bei allen Verständigen treffen müßte, wenn ich einem solchen Manne seine Wünsche versagte, mehr als den, welchen der große Haufe der Unverständigen wegen ihrer Gewährung erheben wird.
Er aber, als er dies vernommen, antwortete wiederum ganz mit seiner gewohnten Ironie: [E] Mein guter Alkibiades, du scheinst mir wirklich gar nicht dumm zu sein, wenn es in der Tat so mit dir steht, wie du meinst, und ich wirklich eine solche Kraft in mir habe, dich zu veredeln, denn wahrlich, eine wunderbare Schönheit würdest du dann in mir erblicken, welche die Wohlgestalt an dir weit übertrifft. Wenn du also infolge dieses Anblickes an ihr teilzunehmen und den Genuß deiner Schönheit gegen den der meinigen auszutauschen wünschest, so merkst du dabei recht wohl, daß du mich nicht etwa bloß um ein geringes übervorteilst, sondern du suchst vielmehr um den Preis eines bloßen Scheines von Schönheit dir die wahre Schönheit zu erwerben und in der Tat [219 St.3 A] eine goldene Rüstung für eine eherne einzutauschen. Aber, mein Verehrter, siehe doch erst genauer zu, damit dir meine Wertlosigkeit nicht entgehe! Beginnt doch das Auge des Geistes erst dann scharfblickend zu werden, wenn das des Leibes seine Schärfe zu verlieren anfängt, davon aber bist du noch weit entfernt.
Wie es meinerseits steht, entgegnete ich, hast du nun gehört, und ich habe dabei kein Wort anders gesagt, als ich denke; überlege du also nun, was dir für mich und dich das Beste zu sein scheint!
Wohlgesprochen, versetzte er. Laß uns also in der Folge nach dieser Erwägung so handeln, wie es uns beiden in diesem Stücke und in allen andern als das Beste erscheint!
Nachdem ich nun in dieser Wechselrede gleichsam meine Pfeile gegen ihn abgeschossen hatte, glaubte ich ihn getroffen zu haben. Ich stand daher auf und ließ ihn nicht weiter sprechen, sondern warf mein eigenes Oberkleid über ihn, es war nämlich gerade Winter, und legte mich unter seinen Mantel und schlang meine Arme um diesen wahrhaft dämonenbeseelten und wunderbaren Mann, und so lag ich die ganze Nacht neben ihm. [C] Und auch hierin, Sokrates, wirst du mich wiederum nicht der Unwahrheit beschuldigen können. Als ich nun dies alles tat, da zeigte dieser Mann seine Überlegenheit in einem staunenswerten Grade und verachtete und verspottete, ja verhöhnte meine blühende Schönheit, auf welche ich mir doch wunder wieviel eingebildet hatte, ihr Richter, denn Richter sollt ihr mir sein über des Sokrates Hochmut. Denn bei allen Göttern und Göttinnen, ihr könnt es glauben, nachdem ich mein Lager mit Sokrates geteilt hatte, stand ich wieder auf, ohne daß irgend etwas Weiteres vorgegangen wäre, ganz so, als ob ich bei meinem Vater oder einem älteren Bruder geschlafen hätte.
Wie glaubt ihr aber wohl, daß jetzt meine Stimmung war, da ich mich für verschmäht hielt, [D] aber zugleich den Charakter dieses Mannes und seine Besonnenheit und Seelenstärke bewunderte, so daß ich jetzt zuerst einen solchen Mann gefunden, wie ich ihn an Weisheit und Festigkeit niemals zu finden erwartet hatte? So vermochte ich ihm denn weder zu zürnen und seinen Umgang zu entbehren, noch bot sich mir andererseits ein Mittel dar, ihn an mich zu fesseln. Denn das wußte ich wohl, daß er durch Gold noch viel unverwundbarer sei als Aias durch Eisen, [E] und das einzige Mittel, durch das ich ihn in meine Gewalt zu bringen hoffte, hatte er soeben vereitelt. Ratlos also blieb ich und in der Gewalt dieses Mannes, wie wohl niemals sonst ein Mensch in der eines andern.
 
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