"Am Anfang war es sehr gut. Es fing eigentlich erst nach zwei Jahren an." Hans M. wirkt ruhig, nur seine Finger reibt er aneinander, als ob es ihn jucken würde. Ein Mann von gepflegter Erscheinung, er ist einfach, aber durchaus stilvoll gekleidet. Wenn er erzählt, schaut er in die Ferne. Die Luft über dem See ist trüb und grau an diesem Morgen. Leicht fällt es ihm nicht, die richtigen Worte zu finden. Um das zu beschreiben, was geschehen ist im letzten Jahr. Aber Hans M. will es tun, er findet es wichtig, dass Männer wie er über das reden, was bei Ihnen zu Hause passiert ist.
Seine Frau, mit der er seit rund fünf Jahren verheiratet ist, sei erst mit der Zeit aggressiv geworden. Zuerst habe es mit Worten angefangen. "Nichts war mehr richtig, in ihren Augen machte ich alles falsch." Immer wieder wieder bezeichnete sie ihn als "Arsc*****" oder als "tumme Siech". Auslöser für die Beschimpfungen konnte irgendwas sein. "Ein Haar von mir an der Bürste konnte bei ihr das Fass zum Überlaufen bringen", erzählt Hans M.
Und dann kamen die Drohungen. Immer wieder habe sie die Hand gegen ihn erhoben, manchmal auch mit Gegenständen gedroht, einem Brieföffner etwa. Da habe er noch nicht gross reagiert, suchte die Schuld zuerst bei sich selbst. Vielleicht hatte sie ja Recht, wenn sie wütend auf ihn war, dachte er damals. "Ich bin der Typ, der die Fehler immer zuerst bei sich selbst
sucht."
Ein guter Kollege, von dem er wusste, dass er früher selbst "Probleme mit seiner Frau" gehabt hatte, hat ihm geraten, er soll ihr doch einfach mal eine Ohrfeige geben. Hans M. schüttelt bestimmt den Kopf. Das hätte Ihre Aggressivität nur gesteigert, ist er überzeugt. Ich habe sie nie geschlagen. Das kann ich nicht.
Beule am Kopf
Sie schon. Seine Frau, etwa 15 Jahre jünger als er, wurde handgreiflich. "Dann begann sie, mich zu schlagen", erinnert er sich. Er habe zwar die Schläge meistens abwehren können. Mit Flaschen, einem Brieföffner oder mit Tellern versuchte sie ihn zu verletzen. Immer wieder. "Wenn es mir zu viel wurde, ging ich jeweils spazieren, um ein bisschen Luft zu haben." Das habe seine Frau nur noch mehr in Rage versetzt. Er renne doch nur davon, habe sie ihm vorgeworfen.
Und dann eskalierte es: "Einmal sassen wir auf dem Balkon", sagt Hans M. "Da hat sie mich mitsamt dem Stuhl umgeworfen." Er prallte mit dem Kopf an die Wand. Das habe eine "ziemliche Beule" gegeben. Die Verletzung war schmerzhaft und mehrere Tage sichtbar.
Ob er nie Angst gehabt hat? Hans M. überlegt. Zu diesem Zeitpunkt noch nicht, meint er. Aber einsam habe er sich gefühlt. Und traurig. Und leer. "Ich hatte auch ein Gefühl der Hilflosigkeit." Wem sollte er das alles erzählen? Er versuchte, die Geschehnisse von anderen zu verstecken. "Geschämt hab ich mich zwar nie", er habe auch nicht an seiner Männlichkeit gezweifelt, "aber es ist doch eine Schande, nicht nur für mich, auch für sie." In seiner Verzweiflung ging er zu seinem Psychiater. Da sei er komplett auseinander genommen worden. Wie er sich im Leben positionieren wolle, sei er gefragt worden. "Ich sagte, dass ich mir vorkomme, wie ein Dorf, bei dem die Kirche immer wieder an einem anderen Ort steht." Der Psychiater bestätigte ihm, dass er den Boden unter den Füssen verloren habe, und riet ihm, er solle auch einmal Nein sagen. Hans M. zuckt mit den Schultern. Heute kann er das, aber damals?
Immer wieder hoffte er, dass es wieder besser würde mit ihrer Beziehung. Vergeblich. Auch die Sexualität hat nicht zur Entspannung beigetragen. Trotz heftigen Beschimpfungen schliefen die beiden immer noch miteinander. Fiel ihm das in so einer Situation nicht schwer? "Ich hoffte halt, dass die körperliche Liebe etwas bewirken würde."
Mit Messer bedroht
Warum es so weit gekommen ist, weiss Hans M. nicht. Er habe sich immer alle Mühe gegeben, dass es seine Frau gut hat. "Ich habe immer versucht, Streit zu vermeiden. Vielleicht bin ich einfach zu lieb." Das habe ihm auch seine Frau in erster Ehe schon gesagt. Dennoch: Dass eine Frau darum so bösartig reagierte, das hat Hans M., der bereits zum dritten Mal verheiratet ist, noch nie erlebt. Fast nie, zumindest. Zwischen der zweiten und der dritten Ehe hatte er eine Freundin mit starken Alkoholproblemen. "Wenn sie betrunken war, hat sie mich geschlagen." Das hat dann zur Trennung geführt.
Auch mit der jetzigen Frau ging es nicht mehr weiter. Der Höhepunkt der Demütigungen war, als Hans M. eines Abends von ihr mit einem grossen Küchenmesser bedroht wurde. Da merkte ich: Sie würde es tatsächlich tun." Und er bekam Agnst. Hans M. redete auf seine Frau ein, versuchte sie zu beruhigen. Er brauchte eine Viertelstunde, bis sie das Messer ablegte. Dann wollte er für zehn Minuten an die frische Luft. "Ich versprach ihr, wiederzukommen, dann hat sie es mir zugestanden." Statt draussen ging er aber zu den Nachbarn, nebst seinem Kollegen und seiner ältesten Schwester die einzigen Menschen, die wussten, was bei ihm zu Hause los war.
Angst vor der Frau
Die Nachbarn gingen zu Hans M. in die Wohnung, man trank ein Glas Wein, die Situation entschärfte sich. Hans M. dachte damals: "Ich kann es wagen, hier zu übernachten." Schlaf hat er keinen gefunden, und am nächsten Tag ging es weiter. Am Abend drohte sie ihm, sie mache ihn kaputt. Wieder ging er an die frische Luft. Hans M. wurde jetzt klar: Er kann nicht mehr zurück. "Ich hatte das erste Mal Angst um Leib und Leben."
Ein Jahr nachdem alles angefangen hatte, ging Hans M. zur Polizei und zeigte seine Frau an. Man glaubte ihm.
"Der Polizist war zuerst skeptisch. Als ich alles erzählt hatte, konnte er es kaum glauben." Dann ging er zu seinem Kollegen, um dort zu übernachten. Es folgte die zweite schlaflose Nacht. "Sie rief mir immer wieder aufs Natel an." Später sprach die Frau seines Kollegen mit ihr. Die Situation beruhigte sich nicht, im Gegenteil: "Sie drohte damti sich selbst umzubringen", sagt Hans M. Dann hörte er durchs Telefon einen Schrei. Die Polizei fand sie kurz darauf mit einem Messer im Bauch.
Ein Neuanfang
Seine Frau überlebte den Suizidversuch. Nach mehreren Wochen im Spital und auf der Psychiatrie und nach vielen Gesprächen mit Therapeuten konnte sie wieder nach Hause. Das war vor knapp einem halben Jahr. Seither leben die beiden wieder zusammen. Erstaunlicherweise. "Für mich war eigentlich klar, dass ich mich von ihr trennen wollte." Und doch: Heute funktioniert Ihre Partnerschaft wieder. Ohne Gewalt. Was hat sich geändert? "Ich kann jetzt auch einmal Nein sagen", meint Hans M. Heute kann er sie auch mal fragen, warum sie etwa den Badezimmerteppich wechsle, ohne dass sie gleich explodiere. "Das war vorher nicht möglich." Er habe gelernt, schneller Grenzen zu setzen. Als sie vor kurzem wieder einmal laut geworden sei, habe er gesagt: "Das akzeptiere ich nicht mehr." Seine Frau wisse heute, dass er wieder zur Polizei gehen würde, wenn es eskaliert. "Davor hat sie
Respekt."
Hans M. kann trotzdem nicht alles ungeschehen machen. "Irgendetwas ging schon kaputt, es ist nicht mehr ganz wie früher." Warum es so weit gekommen ist, weiss Hans M. bis heute nicht. Alkohol- oder andere Suchtprobleme habe seine Frau nicht. Heute ist für ihn aber klar, dass nicht nur er Schuld ist an dem, was passiert ist. "Sie hat immer schon Mühe mit Kompromissen gehabt, für sie gibt es im Grunde nur Schwarz und Weiss. Vielleicht hat es darum so weit kommen müssen.