Strukturelle Gewalt

naglegt

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Strukturelle Gewalt.
Was ist das?


Jede Gesellschaft erschaft sich Regeln oder übernimmt diese von früher. Damit werden gewisse Verhaltensweisen "belohnt" und andere "sanktioniert" - noch harmloses Beispiel: in Großbritannien und Australien lautet die gesellschaftliche Vereinbarung auf der linken Straßenseite zu fahren, während die im Festlandeuropa genau anders herum lautet.
Da damit die persönliche Freiheit eingeschränkt ist, die theoretisch vorhanden ist, wird von manchen, die das Wort Gewalt erst einmal neutral nutzen, dieses "strukturelle Gewalt" genannt.

Im Falle der Straßenverkehrsregeln ist strukturelle Gewalt auch eher neutral.
Im Falle der Regeln die der Kapitalismus der Gesellschaft abnötig, gibt es oft keine Wahlmöglichkeit mehr.

Auch die Unmöglichkeit gewisse Gebiete, besonders in USA z.B., zu betreten, ohne umgebracht oder ausgeraubt oder vergewaltigt zu werden, wird unter struktureller Gewalt eingeordnet.

Doch bleibt strukturelle Gewalt auch immer willkürlich und in den meisten Fällen ist sie unumgänglich. Vor und nach der französischen Revolution gab es gleich viel Gewalt, nur die Struktur war verschieden.

Strukturelle Gewalt wird auch die übliche Denke genannt, also das, was die Mehrheit der Menschen so für richtig hält. Da wird es dann schwierig zu differenzieren, doch übt die Allgemeinheit einen nicht zu unterschätzenden Druck aus.

Strukturelle Gewalt muß nicht schlecht sein, denn wenn die Struktur einer Gesellschaft dazu benutzt werden kann, dass alles sehr reibungslos funktioniert und das Wohlsein aller geschützt und behütet ist, persönliches Wachstum möglich ist, dann haben wir alle die Möglichkeit, das Leben gewinnend zu leben.

Aus der Art und Weise wie strukturelle Gewalt heute meist umgesetzt wird, nämlich gnadenlos, habe ich für mich den Schluß gezogen, dass es sinnvoll ist, sich an die Regeln der strukturellen Gewalt zu halten - ob ich sie gut finde oder nicht, ist irrelevant. Sie werden sich anders verändern als bisher, auch wenn dies meinem Kopf nicht einsichtig zu sein scheint. Meine Ideen von einer "besseren Welt" werde ich nicht daran erproben, die vorhandene Struktur gewaltsam zu ändern, via Revolution, sonder via Begeisterung, Bewußtwerdung und die Nischen finden, wo Veränderung leichter möglich ist, als anderswo.

Was habt ihr dazu erlebt?
 
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Strukturelle Gewalt muß nicht schlecht sein, denn wenn die Struktur einer Gesellschaft dazu benutzt werden kann, dass alles sehr reibungslos funktioniert und das Wohlsein aller geschützt und behütet ist, persönliches Wachstum möglich ist, dann haben wir alle die Möglichkeit, das Leben gewinnend zu leben.
Nun, wenn ich Dich richtig verstehe, wäre eine Übereinkunft in einer Gesellschaft die das tägliche Leben
des Kollektivs zu regeln versucht zwingend mit struktureller Gewalt verbunden, sofern nicht alle Individuen
in der Gesellschaft diesem Konsens zustimmen. Das würde ich allerdings dann Demokratie nennen ...
... die Herrschaft der Mehrheit unter Berücksichtigung aller Minderheiten.


Meine Ideen von einer "besseren Welt" werde ich nicht daran erproben, die vorhandene Struktur gewaltsam zu ändern, via Revolution, sonder via Begeisterung, Bewußtwerdung und die Nischen finden, wo Veränderung leichter möglich ist, als anderswo.
Das hast Du schön gesagt ...
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Strukturelle Gewalt ist ein Begriff von dem Sozialforscher Johan Galtung. Dieser hat auch ein gleichlautendes Buch veröffentlicht. Die Definition ist eine andere als deine, du meinst traditonelles Denken usw..
http://de.wikipedia.org/wiki/Johan_Galtung




? Wie ich lese, steht dort genau das, was ich meine definiert zu haben.
? Ich habe mich nicht mit der Diskussion auf Wikipedia beschäftigt.
? Falls Du das anders siehst, kannst Du das sicher ausführen.


Und danke für den Link!
 



? Wie ich lese, steht dort genau das, was ich meine definiert zu haben.
? Ich habe mich nicht mit der Diskussion auf Wikipedia beschäftigt.
? Falls Du das anders siehst, kannst Du das sicher ausführen.


Und danke für den Link!

Okay deine Definition war mir persönlich zu eng, aber ist schon okay, will das nicht dikutieren.
Ich wollte nur auf Galtung aufmerksam machen, weil der Begriff mit ihm verbunden ist.
 
Das was hier als "strukturelle Gewalt" definiert ist, ist eigentlich simple Gruppendynamik. Innerhalb einer Gruppe gibt es gewisse Regeln für das Zusammenleben, und wer gegen diese Regel verstößt wird sanktioniert. Das ist in Gruppen ein unweigerlicher Prozess. Und gerade in Konkurrenz mit anderen Gruppen entstehen oft ganz spezielle Werte um sich als Gruppe gegenüber Anderen als "besser" oder "anders" darzustellen.
 
Unter Neoliberalismus wird die Austauschbarkeit der Arbeiterin zum Normalfall. Unter despotischen Bedingungen arbeiten Menschen rund um die Welt: Lange Tage, schlechtes Essen, überfüllte Nachlager, sadistische Chefs, welche die Arbeiterinnen schlagen und sexuell belästigen, schlechte und verspätete Bezahlungen oder gar keine.
Zwei junge Frauen, die für Singapore-based Levi-Strauss arbeiten dokumentieren:

"We are regularly insulted, as a matter of course. When the boss gets angry
he calls the women dogs, pigs, sluts, all of which we have to endure
patiently without reacting. We work officially from seven in the morning
until three (salary less than $2 a day), but there is often compulsory
overtime, sometimes––especially if there is an urgent order to be
delivered––until nine. However tired we are, we are not allowed to go
home. We may get an extra 200 rupiah (10 US cents) . . . We go on foot to
the factory from where we live. Inside it is very hot. The building has a
metal roof, and there is not much space for all the workers. It is very
cramped. There are over 200 people working there, mostly women, but
there is only one toilet for the whole factory . . . when we come home
from work, we have no energy left to do anything but eat and sleep . . ."

David Harvey, a brief history of neoliberalism....
 
Es gibt keine gute strukturelle Gewalt (ich schreib's, weil es im Eingangspost anklang und mir das v.a. in Erinnerung geblieben ist). Gewalt ist immer schlecht, egal von wem oder was sie ausgeht.

Strukturelle Gewalt geht von schädigenden Rahmenbedingungen und Organisationsformen aus. Wenn ich z.B. in ein Altenheim ziehe und um 19 Uhr ins Bett gelegt werde, weil ja bis zum Ende des Spätdienstes alle im Bett sein müssen, dann ist das deshalb strukturelle Gewalt, weil ich dann häufig 12-13 Stunden im Bett liegen bleiben muß. Das ist fraglos weder dem Körper noch dem Geist zuträglich, im Gegenteil schadet es nachgewiesenermassen erheblich und schränkt meine Lebensqualität ein. Die strukturelle Gewalt wirkt in diesem Falle auf den Mitarbeiter, dem bewusst ist, daß es schädlich ist, alte Menschen schon um 19 Uhr reihenweise in das Bett zu legen. Und durch den Mitarbeiter wirkt die strukturelle Gewalt dann auch auf den Heimbewohner. Demjenigen Mitarbeiter, dem das nicht bewusst ist, daß es schädigend ist, was er tut, der erlebt auch die strukturelle Gewalt nicht - ich dann ggf. schon, wenn es mir als Kunden denn bewusst ist.

Bei Gewalt geht es generell um Handlung oder Unterlassung. Beides kann für Personen Gewalt bedeuten. Durch Strukturen können zum Beispiel Handlungen verunmöglicht werden: wenn ich kein Bidet habe, dann kann ich mich ggf. nicht meinen religiösen Notwendigkeiten entsprechend reinigen. Dann übt mein Badezimmer eine Form von struktureller Gewalt auf mich aus - aber nur, wenn ich das auch empfinde. Wenn ich mir nichts draus mache und mich eben stattdessen am Waschbecken gut reinige und das ausreichend finde, dann empfinde ich keine Gewalt und sie wirkt daher auch nicht auf mich und wird auch vom Badezimmer nicht ausgeübt. Das gleiche gilt prinzipiell für personelle Gewalt: wer sich dann sicherer fühlt, wird es begrüssen, wenn seine Zimmertüre abgeschlossen ist, wer sich dann eingeschlossen fühlt, wird eine Freiheitsberaubung beklagen und den Zuschliessenden anklagen.

Gewalt ist also generell nicht per se, sondern muß erkannt und empfunden werden. Zum Beispiel war bei ungeheuren Gewaltverbrechen der NS-Gesellschaft an der behinderten und kranken Bevölkerung den handelnden Ärzten und Schwestern nicht bewusst, daß sie ihre Opfer gerade ermorden. Sondern die Denke war die, daß das lebensunwerte arme Leben mildtätig erlöst wird, durch die hilfreiche Medizin. Aus unserer heutigen Sicht waren es Gewaltverbrecher, aus ihrer damaligen Sicht waren sie gute Erlöser armer Menschen.

Was Gewalt ist, ist also zunächst mal vor allem davon abhängig, was als Richtig und Falsch, als wünschenswert und vermeidenswert erkannt wird. Und das ist, wenn man es mal durch die Jahrhunderte und Völker hindurch berachtet, ziemlich beliebig. Wenn nicht gar zu 100% beliebig. Das ist das Problem mit der Gewalt: sie ist schwer zu erkennen.

Worin liegt denn aber nun der Unterschied, woran kann man erkennen, ob etwas Gewalt ist oder nicht? Nun, das ist ganz einfach: es liegt in der Unterscheidung von Macht und Ohnmacht. Löst Handlung oder Unterlassung Ohnmacht aus, dann erlebt man Gewalt. Läßt eine Handlung oder Unterlassung die eigene Macht (z.B. Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmung, Würde etc.) unangetastet oder fördert sie sogar, dann war es auch keine Gewalt.

lg
 
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Es gibt keine gute strukturelle Gewalt (ich schreib's, weil es im Eingangspost anklang und mir das v.a. in Erinnerung geblieben ist). Gewalt ist immer schlecht, egal von wem oder was sie ausgeht.
...

Gewalt ist nicht per se schlecht.
Auch strukturelle Gewalt ist nicht per se schlecht.


Mehr ein ander Mal.
 
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