Eine ganz wunderbare erklärung.
Und erinnert mich sehr an diskussionen im muf.
Ja... da musste ich auch dran denken. Früher war das der Ort im Forum wo man über sowas geredet hat.
Wobei ich nicht mal weiß ob es nicht heute auch noch ein Ort dafür ist. Mir fällt auf das ich schon ne ganze Weile nicht mehr da war.
Stell dir einen boxer vor, der eigentlich immer zu den gewinnern gehört, der gelobt und gefeiert wird. Boxen ist seine leidenschaft. Nun ist da ein spiel, das er zwar auch gewinnt, wo man aber im nachhinein einzelne seiner schläge kritisiert. Das bringt ihn ins grübeln, sein selbstbewusstsein erhält auf diese wenigen, unbedeutenden worte hin, einen schweren schlag. Er beherrscht den boxring, es fällt ihm leicht. Warum sind wenige worte u.u. so folgenschwer? Warum können sie an seiner identifikation rütteln?
Vorab: Mit "Spiel" meinst Du nen Boxkampf oder? Hab das so interpretiert weil Du danach das Wort "Schläge" benutzt... falls Du es so meinst: Benutz NIE das Wort "Spiel" synonym mit "Kampf" wenn Du mal nen Boxer vor Dir stehen hast.
Aber... zum Thema...
Da gibt es jede Menge Möglichkeiten. Eine Frage ist auch: Was gibt ihm das Boxen? Vielleicht ist es einfach eine Fähigkeit, die zu dem führt was er wünscht, in anderen Bereichen aber so nie bekommen würde.... möglicherweise Bewunderung, Anerkennung. Wenn er zwar dominant ist, trotzdem aber kritisiert wird, wird ihm die Bewunderung und Anerkennung ja ein Stück weit trotzdem entzogen. Übrigens gibts dafür einige Beispiele. Wladimir Klitschko hat zum Beispiel schon daran zu knacken, dass er seit Jahren das Schwergewicht dominiert, die Kritiker ihn aber trotzdem nicht als Super-Boxer feiern. Das liegt daran, dass fast nach (und auch vor) jedem Kampf gesagt wird, dass sein Gegner zu deutlich unter seinem Niveau ist. Das stimmt in der Regel auch, aber Klitschko kann ja nix dafür das es momentan kaum Gegner gibt die auf seinem Niveau sind. Er wird daher oft mit Boxern aus früheren Zeiten verglichen und dann wird z.B. gesagt: In den 90ern hätte Klitschko keine Chance gehabt... Tyson hätte ihn geschlagen, Lewis hätte ihn geschlagen etc. Daher bekommt er teilweise nicht die Anerkennung die er sich wünscht.
Es geht vermutlich nur sehr selten ausschließlich um den Boxring... nicht nur um das Ziel einen Kampf, der jetzt stattfindet, so gut wie möglich zu machen. Es geht auch nicht nur ums Geld... Es geht eben auch um Anerkennung. Und in Deinem Beispiel wird dem Boxer die Anerkennung zumindest teilweise versagt.
Was ich mich frage ist: Gibt es überhaupt Menschen die komplett darüber stehen was andere von ihnen denken? In Teilbereichen ist das ja nicht so schwer. Aber irgendwo und vom irgendwen ist da vermutlich jeder angreifbar.
Übrigens: Das ist auch ein sehr bedeutender Faktor hier im Forum. Vieles was in Threads stattfindet würde per PN gar nicht laufen. Da würde einfach einer sagen: "Sorry... ist mir zu blöd, kriegst keine Antwort mehr". Dann bekäme er vielleicht ne Antwort im Sinne von "Du Feigling gibst auf" (etwas subtiler vielleicht), aber darüber lächelt er nur milde weil ihm egal ist was diese eine andere Person denkt oder versucht. In einem Thread gehts aber nie nur um die eine Person, sondern auch um die Mitleser. Es ist oft erkennbar, das jemand v.a. deshalb noch antwortet weil er vermeiden will das ein falscher Eindruck entsteht.
Das ist in der tat eine sehr gute frage. Ich nehme an, es liegt daran, wie wichtig uns eine bestimmte thematik ist. Vielleicht erhofft man sich rettung vor etwas, Vielleicht hat man sich auch einfach in ein thema verliebt.
Da ist vieles denkbar aber immer noch tiefer hinterfragbar. Ich würde es umdrehen. Wie sehen unsere Grundbedürfnisse aus? Ich glaube, dass wir in physischer Hinsicht nach Sicherheit suchen. In psychologischer Hinsicht danach "angenommen zu werden wie man ist". Oder umgedreht: Man will sich physisch nicht unsicher fühlen und man will nicht abgelehnt werden. Aus diesen zwei Grundbedürfnissen (sollten es nur die zwei sein) entwickeln sich dann schon komplexe Überzeugungsmuster. Was braucht man um sich physisch sicher zu fühlen? Zuerst mal körperliche Unversehrtheit... Gesundheit, ein Umfeld das nicht bedrohlich ist oder so wirkt. Für uns Westler bedeutet das dann schon etwas ganz anderes als für einen brasilianischen Ureinwohner im Regenwald. Bei uns gehört dann Beruf, Erfolg, Geld dazu. Und da gibts eben wieder unglaublich viele Vorbedingungen... wie Intelligenz, Bildung, Fleiß etc. Das sind ja alles nur Überschriften. Würde man alleine untereinanderschreiben welche Überzeugungen und Wertungen man zum Thema "Fleiß" hat, wäre das wohl schon verdammt viel. Zu Geld sowieso. Zu all diesen Themen hat jeder jede Menge Konzepte entwickelt.
Psychisch braucht man, wie schon gesagt, ein Gefühl das man angenommen und nicht abgelehnt wird. Und darüber gibts dann wohl noch mehr Konzepte, da es sich nur ansatzweise objektivieren lässt. Wie behandelt man Menschen damit sie einem positiv begegnen und wie nicht. Wie unterschiedlich ist das... was hat man da von Eltern und Umfeld gelernt usw. Und dann gibts natürlich auch viele Schnittpunkte mit "physisch". Geld scheint attraktiv zu machen. Krankheit eher unattraktiv. Unter einer Brücke zu leben führt oft auch in gesellschaftliche Isolation, oft auch zu einem Gefühl von Scham weil "man" sich als gescheitert empfindet usw.
Da entstehen komplexe Strukturen aus Überzeugungen, die man auch deshalb kaum ablegen kann, weil sie einem ja auch ständig gespiegelt werden. Und in irgendeinem dieser Bereiche empfindet man selbst vielleicht einen deutlichen Mangel... und dann ist der Vergleich zwischen Soll- und Ist-Zustand unterm Strich negativ, worunter das Selbstbewusstsein leidet was wiederum die Energie nimmt, möglicherweise zu Blockaden führt die wieder Erfahrungen des Scheiterns zur Folge haben. Profanes Beispiel: Diäten... Millionen von Menschen versuchen abzunehmen um attraktiver zu werden, um im besten Fall einem Schönheitsideal zu genügen das von Photoshop vorgegeben wird. Einerseits so ein, in rationaler Hinsicht, bedeutungsloses Thema. Andererseits beschäftigt es eben sehr viele Menschen Tag und Nacht. Entweder haben sie Hunger und sind mies gelaunt oder sie sündigen und sind mies gelaunt. So profan das Thema auch ist: Der Hintergrund ist ja definitiv psychologischer Natur. Die Formel um Gewicht zu verlieren ist ja nicht schwer verständlich... weniger Energie aufnehmen als man verbraucht. Was macht es für die meisten die es wollen so schwer? Die komplexe psychologische Struktur im Hintergrund... Essen hat für viele eine ganz andere Funktion als den Körper zu versorgen. Oft geht es um Kompensation anderer Bedürfnisse die nicht befriedigt werden können oder nicht so leicht etc. Will sagen: Ein vermeintlich oberflächliches Thema kann schon eine hochkomplexe Angelegenheit sein wenn man es auf der Ebene der Identifikationen, Überzeugungen usw. betrachtet.
Und diese Ebene bestimmt auch, ob einem ein Thema wichtig ist. Und ja, wie Du schon sagst, geht es sehr oft um "Rettung". Genauer: Es geht um das Auflösen von Mangel. Und das macht man mit den Strategien von denen man am ehesten überzeugt ist. Manche nehmen z.B. Koks um Unsicherheit zu bekämpfen. Andere lesen Selbsthilfe-Bücher und machen Autogenes Training, wieder andere fliehen sehr konkret aus Situationen die verunsichern. Aber: Wir alle sind laufend auf der Flucht. Das kann man schon daran erkennen wieviel Zeit wir damit zubringen uns irgendwie abzulenken. TV-Formate wie "Ich bin ein Star..." funktionieren ja auch deshalb so gut, weil sie erstens unterhaltsame Ablenkung sind, aber zudem noch komplexe psychologische Trigger setzen. Kurz und ungenau: Wir können da Menschen beobachten die sich oft genug selbst als Gescheiterte empfinden und für Geld und Aufmerksamkeit das Publikum beobachten lassen wie sie gedemütigt werden. Zuschauer werden damit in einen höheren Zustand gebracht. Nicht unbedingt höheres Bewusstsein, vielleicht eher im Gegenteil, aber einfach durch den Vergleich... man darf sich klüger fühlen, man darf sich sagen "So nen armes Schwein bin ich zum Glück doch nicht das ich mir sowas antun muss." Und ich glaube, dass es da letztlich um ne Art "Auszeit-Funktion" geht. Man befasst sich mit etwas, das einen aus dem langweiligen oder sogar problemgeprägten Alltag rauszieht und einen Vergleich bietet der positiv ausfällt. Das Forum hier kann eine ähnliche Funktion haben. Man könnte das vielleicht "kompensative Ablenkung" nennen oder sowas. Das kann man sogar mit hochintellektuellen Büchern hinkriegen. Man verschafft sich die Überzeugung etwas bedeutendes zu lernen, in Wirklichkeit liest man v.a. deshalb weil man die Probleme nicht direkt anpacken will. Man hofft maximal auf irgendeine Info oder Methode/Strategie die einem einen leichteren Weg zeigt.
Ist aber natürlich individuell... und ich meine das nicht mal kritisch, weil ich glaube, dass all das zum Weg dazugehört.
Konditionierungen, die einem zunächst vollständig unbewusst sind, die aber genau deshalb das potenzial haben, eine vormachtsstellung zu bekommen?
Ja... ich glaube das es so ist. Ich weiß nicht mal ob einzelne Konditionierungen komplett unbewusst sind. Eher ist das Geflecht das daraus entsteht und die Dynamik die dann wiederum daraus entsteht nicht wirklich klar. Nimm das Beispiel Wikipedia: Du hast präzisen Zugriff auf jeden möglichen Begriff. Du kannst Dir blitzschnell Biografien zu sehr vielen Menschen anzeigen lassen, Erklärungen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, Politik, Berichte über Kriege usw. Der Witz ist aber: Das ist ja alles miteinander verbunden. Von Albert Einstein kommst Du direkt zu politischen Haltungen, zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, die wiederum vielseitig genutzt wurden, auch kriegerisch usw. Und jeder Link führt zu weiteren langen Texten die wiederum jede Menge Links beinhalten und irgendwann bist Du vielleicht bei irgendeiner Beschreibung über den Film "Das letzte Einhorn" und Du fragst Dich was Dich von Einstein dorthin geführt hat.
Will sagen: Man hat einzeln auf alles Zugriff, aber man hat nicht den Überblick über den gesamten Komplex und die Dynamiken die sich daraus ergeben. Insofern glaube ich, das zwei Faktoren entscheidend sind. Einmal die emotionale Intensität und andererseits die Komplexität der Struktur, in wieviele bedeutende Bereiche sie zugreift. Möglicherweise ist das aber auch ein Kreislauf, so dass die Komplexität zu Intensität führt. Emotionale Intensität führt zumindest auf jeden Fall zu gesteigerter Überzeugungskraft. Wenn Du Dir jetzt rein metal vorstellst, die Tür könnte aufgehen und der Geist von Jack the Ripper stattet Dir einen Besuch ab ist das absolut nicht überzeugend. Wenn Du Dich ein bisschen hineinvertiefst und Dir vorstellst, was Du fühlen würdest wenn es denn so wäre.. wird das minimal überzeugender, aber es reicht noch immer nicht. Wenn Du aber nen Kontext herstellst, der in Deine persönliche Überzeugungsstruktur passt, kann selbst die irrationalste Vorstellung zu einer Möglichkeit werden. Für einige würde es z.B. reichen wenn sie sich in einen Kontext begeben der zur Story passt... sagen wir in nen altes und düsteres Haus in London ziehen das im Viertel steht wo die Morde geschahen, Bilder seiner Opfer an die Wand hängen und sich vorstellen dass Jack da eh schon rumspukt. Hört sich witzig an, ist es irgendwie auch weil es ein Extrem-Beispiel ist. Aber: Je stärker der äußere Kontext mit inneren (individuellen) Vorstellungen korrespondiert, desto überzeugender wird eine neue Information die man dann noch oben drauf setzt (Jetzt kommt bestimmt gleich der Geist von Jack).
Und wenn man das nicht ganz so extrem macht, sondern mit etwas bei dem der Verstand nicht "Irrationaler Blödsinn" ruft, kann auf so eine Art eine sehr starke Überzeugung erzeugt werden. Und das zeigt auch ein bisschen den Weg hinaus... denn die Intensität des Kontext wird dabei oft komplett übersehen oder als eher unbedeutend betrachtet. Überzeugungen und Identifikationen loszuwerden, während man sich in einem äußeren Kontext befindet (das kann z.B. ein Ort sein, oder auch eine Situation) der wie ein äußeres Abbild des inneren Überzeugungskontextes wirkt, ist vielleicht sogar unmöglich. Deshalb sind übrigens auch Elternsprechtage für Problemschüler oft komplett bescheuert wenn sie auch noch mitgeschleppt werden. In einem Umfeld, das sie mit Scheitern verbinden und in Anwesenheit eines Lehrers von dem sie sich gedemütigt fühlen, kann man kaum einem Kind erklären dass es mehr kann.
Und so geht es uns in vielen Lebensbereichen. Wir versuchen irgendwelche Überzeugungen und Identifikationen abzulegen, während der gesamte Kontext diese Überzeugungen und Identifikationen zu bestätigen scheint. Gleichzeitig haben wir oft gar keine andere Wahl, können ja nicht eben mal auf ne paradiesische Insel verschwinden. Worum es mir damit eigentlich nur geht: Der Kontext muss beachtet werden und der ist teilweise sehr komplex und der ist es auch der offensichtliche Überzeugungen die wir lange erkannt haben am Leben erhält. Wir fragen uns, wo zum Teufel wir eigentlich etwas übersehen... wir haben doch die destruktive Überzeugung direkt vor Augen, warum glauben wir trotzdem so stark daran? Weil der Kontext diese Überzeugung laufend bestätigt. Und den übersehen wir oft. Und dieser Kontext besteht in psychologischer Sicht zwar ebenfalls aus Überzeugungen, sehr oft gestützt auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber er ist eben in der Regel auch in der gegenwärtigen Situation im Äußeren erkennbar. Frag Dich mal was Du mit profanen Gegenständen in Deinem Umfeld verbindest. Ich kann z.B. meine E-Gitarre angucken und das ist einfach nur ne E-Gitarre. Aber das Ding erinnert mich auch an Zeiten die erst super angefangen aber übel geendet haben. Sie erinnert mich auch daran das ich früher mal sehr gut spielte, gerne wieder so spielen würde, sie aber viel zu selten anfasse... Oder meine Kaffeemaschine... gekauft, Bedienungsanleitung nie gelesen, mittlerweile nicht mehr auffindbar und das Ding verkalkt jeden Tag mehr. Ein Teil in mir sagt: Scheiß drauf... kaufste eben ne Neue. Ist nicht gerade nen Luxusmodell. Aber das steht echt in Konflikt mit den Werten die ich aus meinem Elternhaus mitbekommen habe. Da werden solche Geräte so gepflegt, dass sie noch vererbt werden können wenn Kaffeebohnen ausgestorben sind.
Es geht hier also um Kleinigkeiten. Nix davon würde ich als Problem betrachten. Aber fast alles ist von mir und der Art geprägt wie ich bin, und dann natürlich auch immer mal so wie es mir eher nicht gefällt. Und das geht jedem so. In allem steckt Bedeutung und für einen selbst auch Aussagekraft. Für andere hingegen gehts um ne schicke E-Gitarre die mich cool wirken lässt und ne schnöde Kaffeemaschine die trotzdem noch zuverlässig Kaffe ausspuckt.