Esssucht

Bei mir war es die letzten Wochen auch ziemlich heftig. Was mich auch fertig macht, weil ich so schön abgenommen hatte und nu wieder ein paar Kilo zugelegt habe, aber ich hab's irgendwie nicht so wirklich in der Hand, so kommt es mir manchmal vor.
Ja, das kommt ja noch dazu. Es ist dann die Angst, wieder dicker zu werden (zusätzlicher Druck!) und das Wissen, dass man die nächsten Tage ja sowieso Diät halten muss. Aber wem erzähle ich das. Ich glaub, die Denkweisen ähneln sich ganz oft :umarmen:
 
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schneekönigin;3268496 schrieb:
Nein, es sind tatsächlich auch mal organisationsbedingte Probleme, die dazu führen, dass eine Therapie nicht in Angriff genommen werden kann. In Österreich kostet es Geld, in Deutschland gibt es z. B. die Wartezeit von 2 Jahren zwischen den Therapien. Hinzu kommt, dass es nicht so einfach ist zu "wechseln". Es gibt da schon ein paar Barrieren, die dem Hilfesuchenden eher im Wege stehen als diesen optimal bei der "Gesundung" zu unterstützen.

Hinzu kommt, dass auch nicht jeder Therapeut "gut" ist, da muss ich pluto zustimmen. Manchmal kann Therapie sogar tatsächlich mehr kaputt machen als helfen und das hat dann nichts damit zu tun, dass alte Verdrängungen bewusst werden. Es ist einfach deprimierend, wenn man sich öffnet und man fühlt sich nicht einmal von seinem eigenen Therapeuten verstanden (was ein weiteres Trauma auslösen kann!).

Ich weiß, dass Therapeuten selbst das oft nicht so sehen, aber ich selbst bin ein Fan der Psychologie, ich finde es genial, was es bewirken kann und ich selbst hab beruflich auch ein wenig mit diesem Fach zu tun, aber gerade deshalb finde ich auch, dass die Menschen dahinter so wichtig sind.

Sicherlich gibt es Hilfesuchende, die wirklich nicht therapierbar sind, aber man muss auch zugeben, dass Therapie (leider) nicht immer das Allheilmittel ist als das es angepriesen wird. Und u. a. ist ein wesentlicher Erfolg eben auch von der Person des Therapeuten abhängig.

kann ich dir zustimmen.wenn ein therapeut dann noch dauernd auf die uhr schaut,um zu sehen,ob die zeit bald herum ist ,fühlt man sich noch unwohler. therapeuten die über einen langen zeitraum arbeiten sind vielleicht auch selbst schon ausgebrannt und garnicht mehr in der lage, wirklich zu helfen.ausserdem gibt es viel zu wenig bei dem hohen bedarf heutzutage.findet man keinen passenden, lieber auf alternative
heilmethoden zurückgreifen,die auch viel tiefer wirken,als nur gespräche.
 
Hallo!



Ich bin zwar keine Heilpraktikerin, aber habe dennoch eine persönliche Ansicht dazu, die ich Dir gerne mitteile.

Ich bin der Meinung, dass eine Esssucht verschiedene psychologische Funktionen aufweisen kann. Einerseits halte ich es für möglich, dass Esssucht der Versuch ist, emotionalen Hunger (Liebesbedürftigkeit, Hunger nach Verständnis, Akzeptanz, Anerkennung) auf körperlicher Ebene zu stillen. In diesem Falle würde das exzessive Essverhalten also einen psychologischen Abwehrmechanismus von negativen Emotionen darstellen. Oftmals verleiben sich die Esssüchtigen ja extrem Süßes ein, was die Aufmerksamkeit voll und ganz auf die Mundregion fokussiert und damit vom Schmerzlichen (Trauer, Sehnsucht, Angst etc.) abzieht.

Esssucht hat die schlechte Eigenschaft, zum Übergewicht zu führen und die Gesundheit zu schädigen; auch schwindet im Allgemeinen die äußerliche Attraktivität mit einer enormen Gewichtszunahme. Aufgrund dieser destruktiven Konsequenzen der Esssucht gehe ich davon aus, dass esssüchtiges Verhalten auch eine Form der Autoaggressivität darstellen kann. Wenn ein Mensch mangels sozialer Kompetenzen, aufgrund von fehlendem Durchsetzungs- und Abgrenzungsvermögen usw. nicht in der Lage ist, Enttäuschungen, Kränkungen, Verletztheiten rechtzeitig und angemessen zu verbalisieren, tendiert er vielleicht dazu, die berechtigte Wut und Aggression an sich selber abzureagieren, um sie auf diese Weise abzuwehren. Dies kann im Gewand der schädlichen Esssucht geschehen.

Menschen, denen ein Sinn fürs Leben fehlt, denen Perspektive fehlt, denen einfach ein Lebensinhalt fehlt, haben aus meiner Sicht ebenfalls ein erhöhtes Risiko, einer Esssucht zum Opfer zu fallen, denn der alternative und (geschmacklich) reizvolle Sinn könnte in Zukunft daraus bestehen, bei einer emotionalen, inneren Leere zu den nächsten Süßigkeiten zu greifen, anstatt sein Dasein mit echtem Leben zu füllen. In diesem wäre das Süße Ersatz für ungelebtes Leben.

Wie man sich fühlt und wie man sein Leben aktiv gestaltet, hängt maßgeblich von seiner eigenen Identität und seinem Gefühl zu sich selber ab. Deshalb halte ich die Esssucht ganz allgemein gehalten für eine Identitätsproblematik.

Viele Grüße

Alice

hallo alice,

du hast das sehr gut erklärt.kannst du das auch für die magersucht mal deuten ?
 
schneekönigin;3263697 schrieb:
Hallo,
ich würde gerne wissen, auf welche Ursachen Esssucht zurückzuführen sein könnte?
Vielleicht sind hier ja auch ein paar Heilpraktiker, die sagen können, welche Bedeutung "Esssucht", also das unkontrollierte, maßlose Essen, an sich hat?

Ich würd mich freuen, wenn sich hier jemand meldet, der etwas dazu sagen kann.

Liebe Grüße
Sucht dient immer der Bedürfnisbefriedigung, allerdings falscher Bedürfnisse. (Im Gegensatz zu den "wahren" Bedürfnissen eines Menschen.)
Von daher würde ich mich informieren über Bedürfnisse und darüber, welche man als Mensch hat und wie man sie angemessen befriedigt.

Beispiel Essen: die normale biologische Funktion ist Folgende: Bewegung führt zu Hunger führt zu Appetit, welcher die Speisenwahl bestimmt. Durch das Essen entsteht dann Bedürfnisbefriedigung. (das lecker-satt-Gefühl, das man aus der Kindheit noch kennen könnte - falls man nicht von zu gut meinenden Eltern mit Essen vollgestopft wurde und es einem als Kind überhaupt gestattet war zu bemerken, wann man satt war und wenn man sagen durfte, was man mal wieder essen will. (Mitbestimmung bei der Speisenauswahl. Hatte man die Möglichkeit als Kind nicht, wird man sich auch später daran gewöhnt haben, zu essen, was man vorher in großen Mengen eingekauft hat.)

Die Alltagsfunktion, die Essüchtige dagegen mit dem Essen und Trinken oft verbinden ist: Schrank auf, Schrott raus, Tüte auf, rein. "Runter" wird schon gar nicht mehr bemerkt. Es existiert also im Grunde nur Handlung rund um das Essen, aber es besteht kein innerer Zugang dafür, kein Gefühl. So wenig körperbewußt sind die Meisten. Sie reden beim Essen, schwafeln, machen alles Mögliche, während sie essen. Sie essen also keinesfalls bewußt, sondern automatisch. Es sollte einem klar werden, daß so ein Eßverhalten niemals zur Bedürfnisbefriedigung führen wird. Sondern man wird nur fetter und fetter. Man kann natürlich auch immer dünner und dünner werden, wenn man nicht bewußt ißt.

Vor allem wird ja auch immer das Falsche zur falschen Zeit des Tages gegessen. Der Körper braucht abends keine Kohlenhydrate mehr und die Leute stopfen sich aber damit voll. Daß die Kohlenhydrate sich dann im Körper über Nacht in Fette umwandeln und man daher morgens vor dem Spiegel steht und die wachsenden Fettpolsterchen regelrecht sehen kann, ist den Leuten zwar bekannt, aber nicht bewußt. Würden sie die Kohlenhydrate in einer höherwertigen Form morgens essen und sich dann bewegen, würden sie auch nicht dick, sondern immer dünner.
Und Fette: braucht der Mensch rund um die Uhr. Auch ein Auto-Motor braucht rund um die Uhr Fette. Aber bitte nicht die Fette, die in Fertigprodukten stets stecken. Es darf durchaus das Fett einer Schokolade sein, aber wenn es die ganze Tafel sein muß, dann ist danach eine Stunde Schwitzen angesagt. So macht das sogar Sinn, denn der Körper lernt so wieder, daß er vorhandene Fette im Blut bitte sofort verbraucht und die Gewohnheit, das Fett abzulagern unterläßt.

Aber: ohne Bewegung kein gesundes Eßverhalten weil zu geringer Stoffwechsel, kein Hungergefühl und kein Appetit und keine Befriedigung durch Essen. Sondern stattdessen meldet der Körper, daß er nicht mehr weiß, was er ißt und wann er essen soll. Und exakt so, wie der Körper es aufgrund der Bewegungslosigkeit meldet, führt der Mensch es dann notwendigerweise aus. Denn der fette Mensch ist ja in seinem Körper gefangen, was die Beweglichkeit angeht. Ausnahmen bestätigen die Regel, die machen z.B. Bauchtanz. Die sind beweglich, aber dennoch fett. Die fragen sich aber auch nicht nach dem Thema Eßsucht, sondern sind selbstbewußt und können ihre Bedürfnisse schon befriedigen. Als Dicke.

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lg
 
Hallo!

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du hast das sehr gut erklärt.kannst du das auch für die magersucht mal deuten ?

Es freut mich, dass Dir meine Interpretation zuspricht. Es ist immer wieder angenehm zu erfahren, dass es Leute gibt, die ähnlich denken.

Ich glaube, dass der Magersucht vergleichbare psychische Konflikte zugrundeliegen können wie bei der Esssucht. Auch hier ist vermutlich in vielen Fällen eine enorme Selbstwertstörung oder ein gewaltiger Minderwertigkeitskomplex präsent, der die anorektische Symptomatik von Magersüchtigen auslöst. Aus meinem Freundeskreis kenne ich gleich zwei Mädels, die vor einiger Zeit sehr magersüchtig waren. Beide wurden in der Kieler Kinder- und Jugendpsychiatrie therapiert. Mir fiel bei ihnen auf, dass beide nur über ihre Nahrungsverweigerung bzw. -begrenzung, die übermäßige sportliche Aktivität und die damit verbundene Disziplin zu einer eigenen Selbstakzeptanz fanden. Nur in der Erfüllung dieses idealisierten Leistungsdenkens konnten sie sich selber wertschätzen, annehmen und gleichzeitig auch über andere Menschen erheben, die vermeintlich schwächer und weniger leistungsbereit sind. Auf diese Weise wird sowohl ein demolierter Selbstwert balsamiert als auch ein innewohnendes Minderwertigkeitsgefühl durch die Selbsterhebung kompensiert. Das halte ich für eine mögliche psychologische Ursache.

Ein anderer Ursprung kann ein Individuationskonflikt sein. Hierbei geht es für die Pubertierenden darum, erwachsen zu werden, neue seelische und reale Ufer zu betreten, sich vom Elternhaus abzulösen, seine Seiten als junge Frau oder junger Mann zu entdecken, Verantwortung fürs eigene Leben zu übernehmen. Manch einer fürchtet sich vor diesem mit vielen turbulenten Gefühlen einhergehenden Prozess. Einige Mädchen beginnen daher unbewusst, das Essen zu verweigern, weil sie ihrer Kindheit nicht entsprießen möchten. Schon bald merken einige, dass ihre Tage ausbleiben, was sie (vielleicht ebenfalls unbewusst) als Indiz dafür nehmen, dass ihr Erwachsenwerden tatsächlich gestoppt wird. Die Ablösung vom Elternhaus ist mit Ängsten, mit Trauer, mit Unsicherheit, mit Aggressivität verbunden. All diese als bedrohlich wahrgenommenen Emotionen werden in diesem Falle durch den Abwehrmechanismus der Magersucht neutralisiert. Ich glaube, dass sexuell missbrauchte Mädchen in höherem Maße von der Magersucht betroffen sein können, weil bei ihnen noch ein gravierender Ekel vor der eigenen Sexualität, die während der Adoleszenz entdeckt wird, hinzukommen kann.

Es gibt Leute, welche weibliche Seiten im Menschen geringschätzen. Dazu gehören beispielsweise Emotionalität, Empathie, Fruchtbarkeit, Fürsorge, Hingabe. Maskuline Aspekte werden dagegen gelobt: Leistungsdenken, Durchsetzungsvermögen, Härte, Kampfgeist. Im Zuge dieser Entwicklung kann es vielleicht kommen, dass das Mädchen ihre femininen Seiten nicht ausreichend entwickelt und sich daher auch nicht hinreichend mit ihnen identifizieren kann. So findet sie kaum eine Selbstachtung in ihrer Weiblichkeit. Mit der Negation oder Degradierung der weiblichen Persönlichkeitsanteile kommt es zugleich zu einer Verherrlichung männlicher Anteile, was sich auch im enormen intellektuellen Leistungsbestreben widerspiegelt. Magersüchtige Menschen sind häufig von einer disziplinarischen Mentalität durchzogen, die auch den kognitiven Bereich einbezieht. Sie begannen einst, sich und ihren Wert nur noch über Leistung zu definieren, weil sie andere wunderbare Facetten ihrer Identität - die oben genannten, positiven Eigenschaften - nicht als geschätzt und ehrbar erfahren.

Schlussendlich spielt unser perverses gesellschaftliches Wertesystem eine Rolle, in welcher Attraktivität, Schönheit, Intelligenz und Reichtum hoch im Ansehen stehen. Viele Eltern vermitteln ihren Kindern - sei es verbal oder nonverbal - bereits sehr früh, welche Werte in unserer Kultur von Bedeutung sind. Mit Stolz präsentieren Mütter ihre begabten oder hübschen Kinder. Die Reaktionen der Anderen sind dementsprechend. Doch für ein eher unattraktives, primitives Kind schämen sich einige. Es wird geringgeachtet und steht im Schatten der vermeintlich Besseren und Talentierteren. Wenn Menschen ohne stabiles Selbstbewusstsein und -wertgefühl dieses asoziale Wertessystem verinnerlichen, mögen sie dazu tendieren, sich ebenfalls über die durch das Hungern erreichte optische Schönheit wertvoll und (gesellschaftlich) anerkannt zu fühlen. Model-Castings wie Germanys next Topmodel näheren diese Einstellung.

Außerdem kann Magersucht sehr wohl eine weitere Form der Autoaggressivität sein, denn schließlich fügt man jedem menschlichen Organismus einen erheblichen Schaden zu, wenn man ihm die Nahrung zu lange und zu oft entzieht. Das eigene Selbst ist damit Projektionsfläche für den Hass und die Wut geworden, welche ursprünglich jemand anderem gelten (identitätsvernichtenden, vernachlässigenden oder missbrauchenden Elternfiguren z. B.).

So viel aus dem Stegreif.

Viele Grüße

Alice
 
... aber auch privat bezahlt werden müssen.
Und ob die "so tief" (und vor allem nachhaltig) wirken ist ein ganz andere Frage.

Mir ist bekannt, dass die Verhaltenstherapie immer am besten abschneiden in den Studien zur Wirksamkeit der verschiedenen Psychotherapien. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sich die verhaltenstherapeutischen Methoden direkt an den Erkenntnissen der psychologischen Wissenschaft orientieren. Sie setzen direkt am Verhalten an, welches einen Leidensdruck hervorruft und das Leben erschwert. Tiefenpsychologie und Psychoanalyse sind ohne Verhaltenstherapie wertlos aus meiner Sicht. Es sind tote, nichts bewegende Lehren und Modelle, die einen Wahrheitsgehalt enthalten können, aber keine aktive Veränderung erzielen. Psychoanalyse bedeutet ja übersetzt auch nichts anderes als Seelenuntersuchung, sie beinhaltet also im Grunde gar keine Therapie. Das wissen auch Psychoanalytiker.
 
... aber auch privat bezahlt werden müssen.
Und ob die "so tief" (und vor allem nachhaltig) wirken ist ein ganz andere Frage.

R.

ich kann da sicher nur aus eigener erfahrung sprechen.mir hat eine familienaufstellung sehr geholfen,was ich mit einer gesprächs,-oder verhaltenstherapie nie geschafft hätte.und wenn es dringend ist und ich weiss, ich müßte mehrere wochen,monate oder sogar jahre auf einen termin warten,wäre das eine alternative.
war mir neu,daß man in österreich selbst für die kosten aufkommen muß...:confused:
 
... aber auch privat bezahlt werden müssen.
Und ob die "so tief" (und vor allem nachhaltig) wirken ist ein ganz andere Frage.

R.
Ich hab mich ja am Anfang auch auf den Heilpraktiker eingeschossen, eben weil ich das "Ganzheitliche" so anziehend finde. Letztlich glaube ich aber, dass eine richtige Psychotherapie wesentlich hilfreicher sein kann, wenn man sie denn bei dem richtigen Therapeuten macht. Psychologische Konzepte sind naturgemäß wesentlich ausgefeilter als die Theorien des Heilpraktikers, die oft für mich nur an der alltagspsychologischen Oberfläche bleiben. Das heißt aber nicht, dass einzelne alternative Heilmethoden nicht auch hilfreich sein können.
 
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Es freut mich, dass Dir meine Interpretation zuspricht. Es ist immer wieder angenehm zu erfahren, dass es Leute gibt, die ähnlich denken.

Ich glaube, dass der Magersucht vergleichbare psychische Konflikte zugrundeliegen können wie bei der Esssucht. Auch hier ist vermutlich in vielen Fällen eine enorme Selbstwertstörung oder ein gewaltiger Minderwertigkeitskomplex präsent, der die anorektische Symptomatik von Magersüchtigen auslöst. Aus meinem Freundeskreis kenne ich gleich zwei Mädels, die vor einiger Zeit sehr magersüchtig waren. Beide wurden in der Kieler Kinder- und Jugendpsychiatrie therapiert. Mir fiel bei ihnen auf, dass beide nur über ihre Nahrungsverweigerung bzw. -begrenzung, die übermäßige sportliche Aktivität und die damit verbundene Disziplin zu einer eigenen Selbstakzeptanz fanden. Nur in der Erfüllung dieses idealisierten Leistungsdenkens konnten sie sich selber wertschätzen, annehmen und gleichzeitig auch über andere Menschen erheben, die vermeintlich schwächer und weniger leistungsbereit sind. Auf diese Weise wird sowohl ein demolierter Selbstwert balsamiert als auch ein innewohnendes Minderwertigkeitsgefühl durch die Selbsterhebung kompensiert. Das halte ich für eine mögliche psychologische Ursache.

Ein anderer Ursprung kann ein Individuationskonflikt sein. Hierbei geht es für die Pubertierenden darum, erwachsen zu werden, neue seelische und reale Ufer zu betreten, sich vom Elternhaus abzulösen, seine Seiten als junge Frau oder junger Mann zu entdecken, Verantwortung fürs eigene Leben zu übernehmen. Manch einer fürchtet sich vor diesem mit vielen turbulenten Gefühlen einhergehenden Prozess. Einige Mädchen beginnen daher unbewusst, das Essen zu verweigern, weil sie ihrer Kindheit nicht entsprießen möchten. Schon bald merken einige, dass ihre Tage ausbleiben, was sie (vielleicht ebenfalls unbewusst) als Indiz dafür nehmen, dass ihr Erwachsenwerden tatsächlich gestoppt wird. Die Ablösung vom Elternhaus ist mit Ängsten, mit Trauer, mit Unsicherheit, mit Aggressivität verbunden. All diese als bedrohlich wahrgenommenen Emotionen werden in diesem Falle durch den Abwehrmechanismus der Magersucht neutralisiert. Ich glaube, dass sexuell missbrauchte Mädchen in höherem Maße von der Magersucht betroffen sein können, weil bei ihnen noch ein gravierender Ekel vor der eigenen Sexualität, die während der Adoleszenz entdeckt wird, hinzukommen kann.

Es gibt Leute, welche weibliche Seiten im Menschen geringschätzen. Dazu gehören beispielsweise Emotionalität, Empathie, Fruchtbarkeit, Fürsorge, Hingabe. Maskuline Aspekte werden dagegen gelobt: Leistungsdenken, Durchsetzungsvermögen, Härte, Kampfgeist. Im Zuge dieser Entwicklung kann es vielleicht kommen, dass das Mädchen ihre femininen Seiten nicht ausreichend entwickelt und sich daher auch nicht hinreichend mit ihnen identifizieren kann. So findet sie kaum eine Selbstachtung in ihrer Weiblichkeit. Mit der Negation oder Degradierung der weiblichen Persönlichkeitsanteile kommt es zugleich zu einer Verherrlichung männlicher Anteile, was sich auch im enormen intellektuellen Leistungsbestreben widerspiegelt. Magersüchtige Menschen sind häufig von einer disziplinarischen Mentalität durchzogen, die auch den kognitiven Bereich einbezieht. Sie begannen einst, sich und ihren Wert nur noch über Leistung zu definieren, weil sie andere wunderbare Facetten ihrer Identität - die oben genannten, positiven Eigenschaften - nicht als geschätzt und ehrbar erfahren.

Schlussendlich spielt unser perverses gesellschaftliches Wertesystem eine Rolle, in welcher Attraktivität, Schönheit, Intelligenz und Reichtum hoch im Ansehen stehen. Viele Eltern vermitteln ihren Kindern - sei es verbal oder nonverbal - bereits sehr früh, welche Werte in unserer Kultur von Bedeutung sind. Mit Stolz präsentieren Mütter ihre begabten oder hübschen Kinder. Die Reaktionen der Anderen sind dementsprechend. Doch für ein eher unattraktives, primitives Kind schämen sich einige. Es wird geringgeachtet und steht im Schatten der vermeintlich Besseren und Talentierteren. Wenn Menschen ohne stabiles Selbstbewusstsein und -wertgefühl dieses asoziale Wertessystem verinnerlichen, mögen sie dazu tendieren, sich ebenfalls über die durch das Hungern erreichte optische Schönheit wertvoll und (gesellschaftlich) anerkannt zu fühlen. Model-Castings wie Germanys next Topmodel näheren diese Einstellung.

Außerdem kann Magersucht sehr wohl eine weitere Form der Autoaggressivität sein, denn schließlich fügt man jedem menschlichen Organismus einen erheblichen Schaden zu, wenn man ihm die Nahrung zu lange und zu oft entzieht. Das eigene Selbst ist damit Projektionsfläche für den Hass und die Wut geworden, welche ursprünglich jemand anderem gelten (identitätsvernichtenden, vernachlässigenden oder missbrauchenden Elternfiguren z. B.).

So viel aus dem Stegreif.

Viele Grüße

Alice

danke für deine interpration,so aus dem stehgreif..:)
 
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