Dreifach Gespalten

Lieber Tucholsky

Gefällt mir, was du schreibst. Übrigens Jesus: Ist doch etwas drann, nicht wahr? Habe mir sehr viele und hoffentlich gute Gedanken zu und über Jesus gemacht.

Lieber Reinwiel,

ja, leider haben die Christen die verborgenen Bedeutungen in seinen Parabeln wohl nicht erkannt, und seine asozialen Äußerungen (wie z.B. 'Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam gefunden. Und wer einen Leichnam gefunden hat, dessen ist die Welt nicht würdig.') sind für sie tabu.

Dabei sind es die Asozialen, wie der Mann mit dem Hund, von welchen man etwas über die Psyche lernen kann, aber der Teil ist auch Tabu und wie Du es sagst:
reinwiel schrieb:
"Ist sicher kein Vergnügen und sicher ein Fall für die Psychiatrie oder einen Psychiater.
Aus meiner geistig orientierten Sicht könnte ich mir vorstellen, dass die schwache, durch den Tod des Kindes traumatisierte Persönlichkeit des Mannes den Weg für fremde Wesen öffnete. Völlig anderes Auftreten, völlig andere Stimme, völlig andere Gesichtszüge, völlig andere Bewegungen. Eine echte, vielfache Besessenheit, die den armen Menschen sicher immer mehr zerstört.

Keine Seele kann zerstört werden; zerstört werden kann nur das Fleisch, die Person. Das war bei Jesus nicht anders. Sicher lastet schweres Leid auf der Seele, wenn sie damit konfrontiert wird, durch Erlebnisse, welche der Verstand nicht fassen kann, weil er nicht das Ganze sehen kann. Jesus sah das Ganze, und kannte den Sinn des empfundenen Leides: "Selig ist der Mensch, der gelitten hat; er hat das Leben gefunden."

Verschieden von der Sichtweise eine Person wieder in die Gemeinschaft zu integrieren durch ein mehr oder weniger sanftes Sozialisieren, ist die spirituelle Sichtweise, in der das der sozialen Welt (s. Jesus) für die erwachende - verletzte - Seele unbedeutend wird.

Osho sagt: "Jeden Morgen und jeden Abend rannte ich fünf bis acht Meilen. Die Leute hielten mich für verrückt. Warum rannte ich soviel? Sechzehn Meilen am Tag! Ich tat es, um mich zu spüren, dass es mich noch gab, um nicht den Kontakt mit mir selbst zu verlieren. Es war die Wartezeit, in der sich meine Augen auf das neue, dass da geschah, einstellten. Und ich musste ganz nahe an mir bleiben. Ich sprach mit niemandem, weil alles so unberechenbar geworden war, dass es mir schwer fiel, auch nur einen Satz zu formulieren. Mitten im Satz vergaß ich, was ich sagen wollte. Mitten auf der Straße vergaß ich, wohin ich gehen wollte. Dann musste ich zurückgehen. Ich las ein Buch, und nach fünfzig Seiten merkte ich plötzlich: "Was lese ich da? Ich kann mich an nichts erinnern". Das war mein Zustand.

In der Praxis des Psychiaters sprang die Tür auf, und ein Mann stürmte herein: "Herr Doktor!" schrie er. "Sie müssen mir helfen! Ich verliere den Verstand. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was vor einem Jahr geschehen ist oder auch was gestern geschehen ist. Ich glaube ich werde verrückt!" "HM", meinte der Seelendoktor. "Wann ist ihnen dieses Problem zu ersten Mal bewusst geworden?" Der Mann blickte ihn erstaunt an: "Welches Problem?"

Das war mein Zustand! Auch nur einen Satz zu vollenden, fiel mir schwer. Ich musste mich in meinem Zimmer einschließen. Ich beschloss nicht zu reden, nichts mehr zu sagen, denn wenn ich etwas sagte, deutete das darauf hin, dass ich verrückt war. Dieser Zustand hielt ein Jahr lang an. Ich lag einfach auf dem Boden, starrte an die Decke und zählte von eins bis hundert, und dann rückwärts von hundert bis eins. Dass ich noch in der Lage war zu zählen, war wenigstens etwas. Immer wieder vergaß ich alles. Es dauerte ein Jahr, bis ich mich wieder auf etwas konzentrieren konnte, bis ich wieder eine Perspektive hatte.

Es geschah. Es war ein Wunder. Aber es war schwer. Es war niemand da, der mich unterstütze. Es war niemand da, der mir sagen konnte, wohin ich ging, was mit mir geschah. Eigentlich waren alle dagegen, meine Lehrer, meine Freunde, die Leute, die es gut mit mir meinten. Aber sie konnten nichts tun. Sie konnten es nur verurteilen und fragen, was ich da eigentlich machte. Ich machte gar nichts! Nun lag es nicht mehr in meiner Hand. Ich hatte etwas getan. Ohne etwas zu ahnen hatte ich an die Tür geklopft, und nun öffnete sich die Tür. Ich hatte viele Jahre meditiert, einfach still gesessen, ohne etwas zu tun, und allmählich begann ich in den Raum zu kommen, wo man nur ist, ohne etwas zu tun. Du bist nur da, du bist Präsenz, du bist Beobachter. Du bist eigentlich nicht einmal mehr Beobachter, weil du nichts beobachtest. Du bist einfach Dasein. Worte sind unzureichend, denn sobald ich ein Wort dafür benutze, scheint es, als würde etwas getan.

Nein, ich tat nichts. Ich lag, ich saß, ich ging, aber im Grunde war niemand da, der etwas tat. Ich hatte allen Ehrgeiz verloren. Es war kein Wunsch mehr da, irgend jemand zu sein, irgendetwas zu erreichen. Ich war einfach auf mich selbst zurückgeworfen. Es war eine Leere und leere macht einen verrückt. Doch die Leere ist die einzige Tür zu Gott. Das heißt: Nur wer bereit ist, verrückt zu werden kommt jemals an. Niemand sonst."

Rumi sagt: "Je mehr jemand erwacht in den weltlichen Dingen, je mehr schläft er in spirituellen 'Dingen'. Wenn unsere Seele Gott verschlafen hat, verschließt eine andere Wachsamkeit die Tür zur göttlichen Gunst." - "Der spirituelle Weg bringt den Körper zum Scheitern und danach lässt er ihn wieder gesunden. Er zerstört das Haus um irdischen Reichtum in nichtirdischen zu wandeln, und mit diesem Reichtum baut es sich besser als vorher." (Rumi)

Das Spirituelle (Die Würde') ist notwendig immer in Konflikt mit der Moral, dem (sozialen) Ethos. Jemand, dessen Bewusstsein nicht bei Verstand ist, braucht keinen Psychiater, sondern einen Diener oder 'Bruder'. Jesus: "Liebe deinen Bruder wie deine Seele, hüte ihn wie deinen Augapfel." Zum Psychiater mögen jene gehen, welche bei Verstand sind und diese Welt erhalten.

:)

love

T.
 
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Lieber Tuchi

Wenn du das alles, was Osho sagt, selbst erlebt und verarbeitet hast und zum Schluss selbst Rumi bist - ja dann bist du ein Eingeweihter.
Bist du aber nicht Osho und kein Rumi - dann bist du auf dem Weg dorthin.

Ich für meinen Teil bevorzuge nicht die Leere, mir ist Fülle im Bewusstsein lieber und die Fülle von Liebeskraft in meinem Herzen. Ich behaupte: Das hängt sehr mit Jesus zusammen.

Ganz liebe Grüße - reinwiel
 
Ich für meinen Teil ....

Lieber Reinwiel,

J. Krishnamurti says:

"When you call yourself an Indian or a Muslim or a Christian or a European, or anything else, you are being violent. Do you see why it is violent? Because you are separating yourself from the rest of mankind. When you separate yourself by belief, by nationality, by tradition, it breeds violence. So a man who is seeking to understand violence does not belong to any country, to any religion, to any political party or partial system; he is concerned with the total understanding of mankind."

Wenn man sich abteilt als 'Ich' vom Rest der Menschheit, erhält man die Spaltung der Welt aufrecht.


love

T.

PS. Gerne mehr in einem Forum für Religion & Spiritualität.
 
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Lieber Tuchi

Ich tu mir mit Englisch schwer, weil ich es nicht mehr so gut kann. Ist Deutsch für dich undeutlicher als Englisch mein lieber Pilger auf der Erde, wo wir doch gemeinsam alle Pilger sind?

Damit will ich damit nun einmal schnell das Gemeinsame aller Menschen betonen. Trotzdem tritt mit dem Ausdruck Pilger das einzelne Persönliche hervor, die Einztigartigkeit jedes Menschen. Wir sind nicht alle ein Eins, im Wesentlichen eines Wesens.

Ich weiß, dass der Grundsatz "Wir sind im Grunde alle das Gleiche, nur ein verschiedener Ausdruck von Gott" ein ganz hoher Gesichtspunkt östlicher Lehre und östlichen Erlebens ist. Also: Wenn ich alle meine Wünsche, alle meine Gedanken, Süchte und Bindungen gänzlich auflassen kann, die wirkliche Leere in mir habe - dann sehe und erfahre ich, was Gott ist. Ich gewahre nur dann das unendliche Sein, das über all diesen Dingen steht und zugleich in allem lebt. Folglich sind wir im Grunde alle Gott oder die Einheit Gottes, die sich nur in der gänzlichen Leere erschließt. Das ist die höchste Erfahrung, die der Mensch machen kann.

Man darf nich übersehen, dass Gott dabei ebenso indifferent leer ist. Und diese Leere bedeutet Auflösung des Ich - dem erlebten Aufgehen ins Nirvana hier auf der Erde. Natürlich mit allem Frieden, denn innerer Fiede ist innere Leere.

Da mögen die Belehrungen und Erfahrungen noch so schön, friedlich und eindringlich klingen - nein, dem steht die Fülle gegenüber, die der Mensch in seinem Bewusstsein aufbauen soll und kann. Gott ist Fülle, nicht Leere. Todeserfahrungen auf der ganzen Welt sind Zeugnis von einer ungeheuren Fülle. Die berühmte Leere tritt nicht ein, ebensowenig wie die Auflösung des persönlichen Bewusstseins, im Gegensatz zum Nirvana, in dem sich persönliches Bewusstsein auflösen soll im gänzlich stillen Bewusstsein.

Ich strebe hier lieber etwas ganz anderes an. Liebe Grüße - reinwiel
 
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