Meiner Meinung nach kann Erleuchtung verschiedenes bedeuten:
1. "Erleuchtung existiert nicht."
2. "Alle(s) sind schon erleuchtet."
3. Erleuchtung ist ein (nicht endender und lebenslanger) (Lern-)
Prozess.
4. Erleuchtung ist ein Geistes- oder Bewusstseins
zustand.
5. Erleuchtung ist nur ein kurzer Moment, ein Aufblitzen der absoluten Wahrheit, sozusagen der Moment der Erkenntnis.
Je nachdem, auf was Wert gelegt wird oder worauf man hinauswill mit seiner Argumentation, stimmt der eine oder der andere Punkt. Das hat dann aber auch Konsequenzen, wenn's darum geht, ob es möglich ist, durch "regelmässiges Tun" (oder sagen wir mal: willentliche Anstrengung) Erleuchtung zu erlangen. Auch schliessen sich diese Punkte nicht alle gegenseitig aus, sondern es wären Kombinationen denkbar.
zu 1) In diesem Falle ist jede spirituelle Praxis nur ein Irrtum, und sie mag zwar irgendwohin führen, aber das Resultat ist mit Sicherheit keine Erleuchtung. Erleuchtung ist nur ein Hirngespinst einiger Ufo-Freaks, Eso-Fritzen und Buddha-Fans.
zu 2) In diesem Falle ist jede spirituelle Praxis überflüssig, denn Erleuchtung ist schon überall. Ich brauche mich gar nicht erst anzustrengen und schon gar nichts zu tun.
zu 3) In diesem Falle macht es Sinn, einer spirituellen Praxis zu folgen, wie z.B. Meditation zu üben und Exerzitien auszuführen. Allerdings gibt es keinen Endzustand. Somit ist Erleuchtung nur ein quantitatives Merkmal, nicht aber ein qualitatives. Man kann nur sagen: "Jener Mensch ist erleuchtet
er als ich", aber nicht, "Jener Mensch ist erleuchtet und ich nicht." Erleuchtung unterscheidet sich also nur graduell, aber nicht grundsätzlich.
zu 4) Wenn als Zustand des Geistes/Bewusstseins angesehen, dann stellt sich die Frage, inwiefern sich ein "erleuchteter Bewusstseinszustand" von einem "nicht erleuchteten Bewusstseinszustand" unterscheidet und auch, wie (und ob überhaupt!) dieser veränderte Zustand durch tätige Praxis hergestellt werden kann oder nicht. Erleuchtung wäre dann ein qualitatives, und nicht zwingend quantitatives Merkmal.
zu 5) In diesem Falle kann ein Mensch keine "Erleuchtung festhalten". Erleuchtung ist also nur in ein Vorher und Nachher einteilbar, hat aber selbst keine echte Dauer. Im Nachher weiss man, was Erleuchtung ist, weil sie wie ein Geistesblitz über einen kommt, im Vorher nicht. Erleuchtung ist nur spontan als Grenzerfahrung erfahrbar. Dann ist aber noch nichts ausgesagt, ob und wie eine spirituelle Praxis dieses "Aufblitzen" herbeiführen kann oder nicht.
Persönlich gebe ich, je nachdem wer fragt, eine andere Antwort...
Zusammenfassend ist meine Meinung ungefähr die: Am Anfang kommt irgendwann mal die dumme Idee, dass man gerne spirituell wachsen möchte. Man ist auf der Suche nach der Wahrheit, da ist eine Sehnsucht, ein innerer Drang (woher diese Sehnsucht kommt, das wäre ein anderes Thema). Man beginnt sich zu informieren und sieht, dass da manche spirituelle Praktiken ausüben. Dann denkt man: "Anscheinend ist das nötig, das muss ich also auch tun. Sicher ist Erleuchtung nur durch hartes Training und grosse Anstrengung zu erreichen, schliesslich ist das ja auch etwas besonderes! Es ist der Zustand absoluter Glückseligkeit, und wieviele Menschen kenne ich schon, die wirklich erleuchtet sind. Das liegt natürlich daran, dass die kaum was tun und nur so in den Tag hineinleben. Nein, Erleuchtung ist verbunden mit Entbehrung, Meditation und so. Buddha war erleuchtet, Jesus auch, ich aber nicht. Ich will das auch!" Diese Auffassung entspricht ungefähr Position 4.
Das Training beginnt. Und die Zeit verrinnt. Die spirituelle Praxis wird ausgeübt, man macht Fortschritte, hat vielleicht mystische Erfahrungen, aber erleuchtet fühlt man sich nicht. Noch immer die gleichen Ängste, keinerlei versprochene endlose Glückseligkeit, immer noch dasselbe Ego. Noch immer hängt man an Position 4. Diese Phase dauert manchmal jahrelang, bei manchen Menschen anscheinend auch lebenslang. Verzweifelt versucht man, das störende Ego loszuwerden, weil ja der Guru sagt, Erleuchtung könne nicht erlangt werden, so lange das Ego weiterbesteht. Natürlich weiss man, dass man das Ego nicht zerstören kann, so lange es das Ego ist, welches nach Erleuchtung strebt. Ein unlösbares Paradoxon...
Dann, nach ein paar Jährchen wird's einem zu bunt. Zu dumm. Zu TEUER, denn der Scheiss kostet viel Geld! Man sagt sich: "Hol sie alle der Teufel. Ich lass es sein. Ich kümmer mich ab sofort nicht mehr um Erleuchtung und so 'nen Schwachsinn. Erleuchtung, das ist offensichtlich nur Quatsch." Jetzt sind wir bei Position 1.
Man wird ruhig, weil man sich jetzt nicht mehr anstrengt um irgendwas sinnloses zu erreichen. Es vergehen ein paar Tage oder zwei - und dann passiert's. Man implodiert geistig. Alle Gedanken sterben ab, der Kopf ist komplett leer für eine Sekunde, die Welt zeigt ein Angesicht, wie noch nie zuvor. Man erkennt, ein Baum ist nicht die Bezeichnung "Baum", nicht der Gedanke "Baum", man hat das Leben lang den echten und gedanklich gar nicht fassbaren BAUM mit dem Gedanken eines Baumes verwechselt. Das ist Position 5.
Das geht aber nur ganz kurz, danach fühlt man sich glücklich, frei, leer. Das Glück hält einige Tage/Wochen an, man weiss zwar nicht genau, was passiert ist, aber man vermutet, man habe ein Satori gehabt - und das ausgerechnet dann, als man nicht mehr daran geglaubt hat, dass es sowas gibt! Jetzt sieht man zum ersten Mal die Welt ohne den Schleier der Gedanken, genau dieselbe Welt, einfach ohne, dass man die Dinge mit den Gedanken an die Dinge verwechselt. Man sieht, dass da nichts Neues kam, was nicht schon seit Ewigkeiten immer da war. Also kann man mit gutem Recht behaupten, alles sei schon immer erleuchtet. Überall um einen herum ist einfach nur DIES, also ist auch überall schon Erleuchtung. Das ist Position 2.
Doch dann hat einem der Alltag wieder. Erneut kommt die Angst, die Nervosität, die Wut, das Zweifeln. Man ist noch immer dieselbe Person wie zuvor. Man denkt: "Scheisse, war's das jetzt schon? Hat mir das Ganze was gebracht? Hat es mich verändert? Naja, in gewisser Weise schon, aus anderer Sicht allerdings nicht." Später kommt die Ausgeglichenheit wieder, noch später wieder die Unausgeglichenheit. So wechselt sich das ab, man erkennt wieder einen Irrtum: Nämlich die dumme Idee, dass Erleuchtung einem irgendwelche Probleme im Leben abnehmen könnte, dass nur noch Friede, Freude, Eierkuchen herrschen würde. Natürlich ist das nicht so, wie sollte es ja auch... Erneut setzt sich ein Lernprozess in Gang. Man versteht jetzt sich selbst aus einem neuen Licht. Man sieht, dass die eigene Lebensaufgabe NUR und wirklich NUR darin besteht, ganz Mensch zu werden. Die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, an Tiefe zu gewinnen, zu reifen, Ängste abzulegen und lieben zu lernen. Das ist Position 3.
Und man sieht auch plötzlich, wie die ganze Welt irgendwelchen Illusionen nachhängt, das hat man früher merkwürdigerweise gar nicht derart wahrgenommen. Alle hängen sich an irgendwas, WOLLEN irgendwas, SUCHEN irgendwas, TUN irgendwas, weil alle glauben, noch nicht bereits am Ziel zu sein. Naja, man selbst ist jetzt einigermassen von diesem Irrtum befreit, entidentifiziert, obwohl man dauernd wieder auf irgendwas hereinfällt. Glaubt, man müsse unbedingt eine neue Jacke besitzen, müsse unbedingt Frau/Mann XY zum Liebesobjekt machen, müsse unbedingt die ganze Welt überzeugen, dass die ganze Welt endlich aufhören sollte, etwas zu suchen, das es gar nicht gibt. Man sieht ein, dass man tatsächlich in gewisser Weise einen anderen Geisteszustand hat, als so vieles in der Welt. Das ist Position 4.
Greetz fckw