Naja, Thelema ist an sich auch nicht so viel anders als katholische Kirche, wenn auch teilweise mit umgekehrten Vorzeichen und einem anderen Bezug zur "Vielgötterei".
Nennt sich ja teils sogar "katholisch".
Das Problem dieser "Kirche" oder "Glaubensgemeinschaft" ist, ähnlich wie bei Scientology auch (ja, ich weiß, dass es da auch durchaus direkte Verbindungen gibt etc.), dass nichtmal auf der Stifter-/Initiator-Ebene wirklich hochklassige Praktizierende gestanden haben.
Soll heißen, im Gegensatz zu einigen der "Weltreligionen" gab es hier nicht groß den Verfallsprozess von "Am Anfang viel Praxis und gute Ergebnisse" - "Zunahme von bloßem Studium des Schrifttums ohne viel und erfolgreiche eigene Praxis" - "Einstieg in die Politik und weltliche Prozesse" mit dem Ende, dass man den wirklichen Bezug oder Praxiswert irgendwann suchen muss wie die Nadel im Heuhaufen - mit einer gewissen Chance allerdings, diese noch zu finden, insbesondere wenn man selbst auf der Ebene das Eine oder Andere mitbringt.
Bei den modernen Sekten, bei deren Gründer die Siddhi sich gerade mal darauf beschränkt haben, mit Geistwesen zu kommunizieren (ohne weitergehende Fähigkeiten allerdings, diese bzgl. Level großartig voneinander zu unterscheiden) und/oder ab und an Wünsche zu manifestieren, während man allerdings zu den eigenen Begierden nie irgendwie einen gesunden Bezug entwickelt hat, wundert es nun wenig, wenn die Nadel nichtmal mehr DA ist.
An ihren Früchten erkennt man sie mitunter ganz gut, und da kann man Christentum, Islam etc. nun durchaus eine ganze Menge Negatives anrechnen - zumindest sind aber immer mal wieder Leute daraus hervorgegangen, die was draufhatten.
Bei Crowley und Co. gibt es die Leute, die wirklich viel draufhatten, mangels tieferen Wissens meist nichtmal an der Spitze, und gab sie dort auch nie - und WENN da jemand was erreicht hat, dann ggf. doch eher dadurch, sich auf den Bezug zur eigentlich geerbten "offiziellen" Religion zu besinnen, was man dann allerdings in dem Kontext wohl kaum eingestehen konnte oder durfte.
In dem Sinne - woher soll's kommen?
Nunja. So etwas ähnliches ist mir auch mal durch den Kopf gegangen - konkret, als ich eine Abfassung gelesen hab von den Tänzchen um diese Anna Sprengel und die sog. "Secret Chiefs".
Da hab ich mich gefragt, wieviel professionelle Qualität hat eigentlich diese ganze Übung, die da die moderne westliche Magietradition begründet hat?
Und ich hab mich gefragt, ob es sich bei der ganzen Operation vielleicht einfach um mehr oder weniger unerfahrene (wenngleich gutsituierte) Lausbuben handelte, die da durchaus an hochbedeutsame Qualitäten gelangt sind und auch entsprechende Erkenntnisse daraus geschöpft haben, aber davon m.o.w. selber überwältigt waren und durchaus nicht die Erfahrung hatten um vollumfänglich zu erkennen womit sie es eigentlich zu tun hatten.
Von daher wäre die ganze Party zwar bedeutsam gewesen insofern, als damit im modernen Europa erstmals weitgehend offen Magie betrieben wurde - aber ansonsten qualitativ wahrscheinlich gar nicht so sehr verschieden von den späteren Spassnummern mit zB den "Bischöfen", oder dem Chaosmagischen Pakt und dem Pleasure Dome, oder den "Einkörperungen", oder oder oder...
Man darf also amüsiert sein.
Nun ist das freilich z. Tl. mein eigener Fehler - von anfang an war ich instinktiv in der Auffassung verhaftet, dass jeder, der es tatsächlich wagt, sich mit Magie zu beschäftigen, von daher schon automatisch ein ethisch und charakterlich ausserordentlich hoch entwickelter Mensch sein, und jedenfalls noch weit über der Elite weltlich herausragender Persönlichkeiten rangieren müsste. (Das hat mir dann erst in Anbetracht der im internet sich zu praktizierenden Hexen erklärenden 14jährigen -und deren typischer Attitüden- erhebliches Kopfzerbrechen bereitet, und die Frage aufgeworfen was da eigentlich los ist - der Teufel, offenbar.)
Andererseits würde ich das ganze auch wieder nicht gar so hoch aufhängen, denn hauptsache die Leute haben dabei ihren Spass - Bierenst und Fanatismus hat es ja in den trad. Religionen genug.
Und dann wiederum haben gerade die Orienttempler, mal ganz unabhängig von der Verkirchung des Thelema betrachtet, eine ganze menge hochbrisanter inspirierter Texte in die Öffentlichkeit gebracht (diese Texte sind zugänglich, und sie beschreiben offenbar Grenzerfahrungen(*)), und ich wüsste nicht wo es sonst etwas vergleichbares gibt.
In den "offiziellen" Religionen wirst du zu diesen Dingen
gar nichts bekommen, ja du wirst zuallermeist noch nichtmal zu irgendeiner art Mystik irgendwas finden (ausser ggfs. Folter und Scheiterhaufen), sondern du kriegst einen sog. "Priester" oder Guru vorgesetzt, der bestimmt was du wissen darfst (und dass alles relevante dir vorenthalten wird, weil er ja schon selber nichts davon weiss), und dann besteht deine Aufgabe darin, vor diesem Guru zu knien und deinen Schädel auf den Boden zu schlagen bis das Blut runterläuft (das nennt man Niederwerfungen).
Und, wenn ich es richtig verstehe, dann suchen die meisten Leute tatsächlich "Erlösung" - was im grunde kaum etwas anderes ist als was hier "Heilung" genannt wird - und sind auch bereit dafür derartiges in kauf zu nehmen.
Diese Idee von einer Heilung oder einem Erlöser hat aber eine ganz grundlegende Implikation: dass man nämlich auf der Suche ist nach jemandem, der
mehr Plan hat als man selber - der möglichst sogar
sehr viel mehr Plan haben sollte als man selber.
Ich für meinen Teil musste in meiner Profession immer wieder die Erfahrung machen, wenn ich mich mit einer bestimmten speziellen Thematik beschäftigte, dass es dann irgendwann niemand mehr gab der sich damit besser auskannte. Und da musste ich lernen, auf mich und mein Gefundenes zu vertrauen (und auch gleichzeitig zu wissen dass ich mich durchaus auch irren kann), weil keine Autorität mehr da war die meine Ergebnisse hätte nachprüfen können oder wollen.
Ich halte das für sehr sinnvoll und nützlich; und ich halte es auch für sinnvoll und nützlich, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass eben niemand da ist der fähiger ist als man selbst; dass niemand da ist dem man die Rolle des Heilers oder Erlösers zuschanzen kann - sondern dass man froh sein kann wenn man überhaupt ein paar Gleichgesinnte findet, mit denen man dann im Team Forschung betreiben und so die eigenen Fähigkeiten erweitern kann.
Denn so hat es die Menschheit schon seit Anbeginn gemacht.
(*) Zum Beispiel, in dem sog. "Buch Thot", folgt nach der Beschreibung der Großen Arkana, und vor den Hofkarten, ein sog. "Appendix" mit irgendwelchen "Aufsätzen". Das ist abgefahrendes Zeug, teilweise völlig wirr, teilweise auf eine erschreckende Weise allzu vertraut.