wie erklärt man einem misshandelten Kind, dass es durch sein Leid Erfahrungen sammelt und wächst? Oder einer Frau, welche überfallen wurde? Wenn es etwas „Gutes“ als Quelle für ALLES gibt… wie erklärt sich dann das alles? Fürs Wachstum für meine potentiell nächsten Leben, an welche ich mich nicht erinnern kann?
Uaaaah, das ist ein echt heikles und unfassbar schweres Problem.
Da hat mir eine junge Frau geholfen, die mir vor ca. 20 Jahren begegnet ist. Was diese Frau als Kind in einer satanischen Sekte alles erleiden musste, ist so unfassbar, dass ich wirklich Mühe hatte, ihren Erzählungen zu lauschen ohne mich übergeben zu müssen. Aber es war total wichtig für sie, darüber sprechen zu können - vor allem ohne dass ihr Gegenüber seinem Entsetzen freien Lauf gelassen hat.
Als ich sie traf, war sie noch heroinabhängig, weil sie mit 5 Jahren "angefixt" worden war, damit sie nicht so schrie - ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Aber ich bin wirklich glücklich, dass ich ihr helfen konnte. Zum einen, weil ich ihre einzelnen Persönlichkeiten ziemlich gut unterscheiden konnte (sie war zu einer multiplen Persönlichkeit "konditioniert" worden) und natürlich auch, weil ich ihr helfen konnte, einen Arzt zu finden, der sie in ein Substituionsprogramm nahm, um aus ihrer Sucht zu kommen. Sie hat das auch bravourös gemeistert, sie war wirklich ein Wunder von einem Menschlein.
Bei einem ihrer Besuche hab ich bis zum frühen Morgen mit Laura (eine ihrer erwachsenen Persönlichkeiten) geredet, dann ist sie kurz eingeschlafen, hat sich gedreht, geräkelt und ist als 6-jähriger Junge aufgewacht, der seinerseits von schlimmen Erfahrungen erzählte. Mit einer total anderen Stimme.
Eine ihrer Persönlichkeit konnte hervorragend Cello spielen, eine hatte eine glockenklare Singstimme, ein 14-jähriger Junge war leidenschaftlicher Gamer und konnte überhaupt nicht singen - sie war wirklich eine Wundertüte voller Menschleins, von denen ihre Hauptpersönlichkeit lange Jahre gar nichts wusste.
Was mich am meisten an ihr beeindruckte war, dass sie keinerlei Groll gegenüber ihren Peinigern hegte. Ich habe auch andere kennen gelernt, die verständlicherweise voller Groll waren, aber sie nicht. Und mir ist auch oft der Hut hochgegangen, aber ich wusste, dass sie dann nicht mehr offen hätte reden können und das war nunmal superwichtig für sie.
Im Laufe der Jahre und Therapien (vor allem mit Hilfe ihrer zweiten Therapeutin) lernte sie ihre Persönlichkeiten kennen und hat es irgendwie geschafft, "zusammenzuwachsen". Ich habe niemals einen Menschen so sehr bewundert wie sie. Sie hat sogar geheiratet und eine Familie gegründet und als endlich alles gut schien, ist sie an Krebs erkrankt und gestorben. Ich gestehe, dass ich noch immer erschüttert bin, aber ich bin unendlich froh und dankbar, dass ich sie kennengelernt habe und sie begleiten durfte.
Und wenn ich eines gelernt hatte war es: Wenn dieses Menschlein es schaffte, ihre Peiniger nicht zu verurteilen, dann konnte ich es auch schaffen. Aber ich gestehe, ich habe echt lange gebraucht und auch heute habe ich noch immer echte Probleme damit. Das gilt übrigens auch für Tierquäler - wirklich, dann könnte ich mich durch die Tischplatte beißen. Aber immer dann habe ich sie vor meinem inneren Auge und dann nehme ich mir sie als Vorbild. Und das hilft mir dann wirklich, ich habs noch immer geschafft, meinen in solchen Fällen aufkommenden Hass auf diese Gewalttäter zu besänftigen. Aber leicht ist anders.