Liebe Nici,
jetzt möchte ich mich gerne für Deine lieben Worte am Vormittag "revancieren" und auch auf den von dir initiierten Thread antworten und Dir meine Erfahrungen schildern.Es tut mir so leid, was mit Deinem Vater geschehen ist und ich kann Deine Trauer, Dein Alleinsein, so sehr nachempfinden. Und auch, dass du fast wütend drüber bist, weil andere die Trauer anders ausleben (so wie das vermutlich bei meinem Opa der Fall ist, der mit meiner Omi fast 70 Jahre lang verheiratet war und sie kaum mehr erwähnt).
Es war so eine Gewohnheit, mit ihr zwei oder dreimal täglich zu telefonieren, was manchmal nervte, aber was ich jetzt fast am meisten vermisse. Genau - die Sachen, die mir am meisten auf die Nerven gegangen sind, vermisse ich jetzt am meisten. Da ich viel auf der ganzen Welt unterwegs bin und sie ständig Angst um mich hatte, weil ich meistens allein mit Rucksack gereist bin, "musste" ich sofort nach Ankunft an der Destination anrufen (was auch oft in Stress ausartete, weil nicht immer gleich ein Telefon zu finden war etc). Auch klingt mir noch ihr "Uschilein, wo bist du denn?" im Ohr, wenn ich von weit weg anrief und ich wusste, dass sie vor der Landkarte des betreffenden Landes sitzen und meine Location suchen würde.Ich machte ihr immer einen ungefähren Routenplan und das erste, was ich tat, wenn ich in Wien Schwechat ankam, war sie anzurufen und sie sass schon ungeduldig herumrutschend vorm Telefon und wartete auf das erste Lebenszeichen aus der Heimat - das Telefon hat nie öfter als einmal geläutet,bis sie abhob. Die ersten paar Male, als ich nach ihrem Tod nach Reisen wieder heim kam, hab ich bei der Landung bitterlich geweint, weil ich wusste, es erwartet mich niemand so sehnsüchtig (ausser meinen Katzen vielleicht, aber die sind mit dem Katzensitter auch ganz happy) und macht sich um mich Sorgen.
Aber Nici, Du hast Glück, Du hast eine Familie, die Du liebst und vice versa. Dein Vater war so ein wichtiger Bestandteil Deines Lebens und er hinterlässt sicher eine kaum zu füllende Lücke. Aber ich hoffe, Deine Beziehung zu Deinem Partner übersteht es.
Ich frage mich immer, was man leichter verkraftet: wenn der Tod eines geliebten Menschen plötzlich kommt so wie bei Dir oder wenn man Zeit hat, sich darauf vorzubereiten. Ich habe mich die ganzen letzten Jahre vor einem nächtlichen Anruf vom Pensionistenheim gefürchtet, in dem mir die Nachricht überbracht wird. Als dann das Feuer ausbrach und meine Omi einen Herzinfarkt erlitt, sagten sie mir im Spital, dass sie keine Chance hat, weil das Herz so erweitert war. Ich war total traurig, aber konnte es bis zu einem gewissen Grad akzeptieren. Dann plötzlich ruft mich die behandelnde Ärztin an und meinte, es gäbe doch noch Wunder, meine Omi wäre so weit, dass sie übermorgen entlassen werden würde. Ein Wechselbad der Gefühle. Und einen Tag später überwies man sie dann plötzlich nach Lainz und ein paar Stunden später war sie tot. In den ersten Tagen nach dem Feuer war sie vollkommen verwirrt, was sich erst in den letzten Tagen vor ihrem Tod wieder gab und ich ganz normal mit ihr reden konnte, so wie wir es immer getan haben. Das letzte Mal sah ich sie in der Intensivstation, im künstlichen Tiefschlaf, mit all den Röhreln und Maschinen um sie herum. Ich redete mit ihr, hoffte, dass sie mich noch hörte, drehte immer wieder nochmals um, weil ich nicht loslassen konnte..Die Heimfahrt von Lainz war eine der schmerzvollsten meines Lebens..
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war mein heissgeliebter Kater Gismo verschwunden. Er hatte sich selbst die Wohnungstür mit der Pfote geöffnet und war weg (nicht zum ersten Mal - diesem Treiben setze ich dann mit einer ein- und ausbruchssicheren Tür ein Ende) Kurz darauf bekam ich den Anruf, dass die Omi gestorben ist. Ich dachte mir, jetzt hat sie Gismo, auf den sie immer eifersüchtig war, mit sich genommen. Das kann kein Zufall sein. Nach stundenlangem Suchen fand ich ihn jedoch im Keller wieder...
War aber an diesem 1. Tag total im Schock und machte komplett irrationale Dinge. Ging zum Friseur, stornierte d. Storno einer Reise nach Madeira, die für den übernächsten Tag angesetzt war und ging dann am Nachmittag bis Mitternacht noch in die Arbeit, um kein vollkommenes Chaos zurückzulassen.
Ich glaube, man muss eine Balance zwischen Loslassen und Festhalten finden. Es ist seit ihrem Tod kein Tag vergangen, an dem ich nicht an sie gedacht habe - so viele Kleinigkeiten erinnern mich an sie. ich kann keine Tichy-Eismarillenknödel mehr essen, ohne an sie zu denken. Um unseren Chinesen mache ich einen Riesenbogen. Wenn ich eine Entscheidung treffe, zensuriere ich sie fast, wenn ich mir denke, was sie davon gehalten hätte.Einerseits wünsche ich mir so sehr, dass sie mich sieht und auf mich aufpasst - andrerseits will ich gar nicht, dass sie sieht, wie unglücklich ich zeitweise bin.
ABer so banal das auch klingen mag - das ist der Weltenlauf. Andrerseits denke ich mir, wenn jeder so ein Theater machen würde wie ich wärs eine Katastrophe. Aber ich will ganz einfach nicht gefasst sein, ich hasse das Argument "na, sie war 94, was erwartest du dir?"
So, da ich jetzt vor lauter Tränen nix mehr seh, werd ich das Posting mal beschliessen..
LG
Namikwa