strawberryfire
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- 15. Februar 2008
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Ich hab schon ganz oft hier im Forum mitgelesen, aber nie selbst einen Eintrag verfasst. Das letzte Jahr war sehr hart für mich und ich weiß bis zum heutigen Zeitpunkt nicht, wie ich das alles durchstehen konnte und wie sich mein Leben jetzt weiter gestalten soll.
Am 06.07.07 ist mein Papa gestorben. Im Schlaf. Er hat sich schlafen gelegt und ist nie wieder aufgewacht.
Alles nahm im Jänner 2007 seinen Anfang, als unser Hausarzt uns mitteilte, dass Papas Tumormarkerwerte erschreckend hoch sind. Er wusste schon im Dezember davon, wollte uns aber nicht die Feiertage verderben. Laut Arzt deutete alles auf eine Veränderung des Gewebes im Magen-Darm-Bereich hin. Zahllose ergebnislose Untersuchungen waren die Folge. Es gab keine Geschwüre, keine Geschwulst, keinen Tumor im Magen-Darm-Trakt. Alles schien in bester Ordnung zu sein.
Im Februar klagte Papa oft über Rückenschmerzen. Dabei hat sich wohl keiner was gedacht. Dass man mit 63 Jahren ab und zu Rückenschmerzen hat, ist doch normal. Die Schmerzen wurden aber nicht besser. Ein Krankenhausaufenthalt jagte den nächsten. Die Schmerzen wurden unerträglich. Es gab Tage an denen konnte er nicht mal aus dem Bett aufstehen.
Bald stand fest, dass es sich doch um Krebs handelt. Die Metastasen hatten ein Loch in die Wirbelsäule gefressen. Daher die Schmerzen. Den Tumor konnten die Ärzte aber lange Zeit nicht finden. Nach zwei Lungenspiegelungen, gab es noch immer kein Ergebnis, obwohl sich die Ärzte nun sicher waren, dass es Lungenkrebs sein musste. Schließlich war ein Lungenflügel von Metastasen zerfressen. Bei der zweiten Spiegelung kollabierte Papas "gesunder" Lungenflügel. Danach ging es stetig bergab. Er bekam sehr schlecht Luft und konnte nur mehr am Stock gehen.
Drei Wochen vor seinem Tod wurde der Tumor entdeckt. Er hatte die Größe eines Stecknadelkopfes, saß im rechten Lungenflügel und hatte genügend Zeit in der Lunge und den Knochen zu metastasieren.
Trotz allem waren die Ärzte zuversichtlich. Papa war an und für sich in guter Verfassung. Mit einer Chemo sollte der Krebs gestoppt werden.
So viel zu den medizinischen Fakten. Die psychischen Folgen waren verheerend. Papa war verzweifelt, hat einige Male darum gebettelt, man solle ihm einfach eine Spritze geben um sein Leiden zu verkürzen. Er konnte vor lauter Schmerz kaum denken, geschweige denn sich bewegen. An manchen Tagen war er zu schwach um zu sprechen, an anderen war er fröhlich. Besonders in den letzten beiden Wochen seines Lebens ging es ihm gut. Er kam in ein tolles Krankenhaus und bekam Schmerztherapie. Natürlich Morphium. Er hatte riesige Angst vor der Chemo, aber er war zum Ende hin sehr zuversichtlich, dass doch noch alles einen guten Ausgang nehmen könnte.
Ich war wie in Trance. Ich bin so gut wie jeden Tag bei ihm im Krankenhaus gewesen. Wenn er mal nach hause durfte habe ich ihn vom Spital abgeholt und in dann wieder zurück begleitet. In dieser Zeit habe ich alles vernachlässigt. Vor allem mein Studium. Dabei war es sein größter Wunsch meine Promotion mitzuerleben. Das hat er öfters geäußert. Und ich? Ich habe auf voller Länge versagt. Ich habe seinen letzten Wunsch nicht erfüllt. Ich wollte meine Zeit mit ihm verbringen und nicht vor den Büchern. Jetzt schreibe ich zwar an meiner Arbeit und werde auch heuer noch meinen Abschluss machen, aber er wird nicht dabei sein. Ich habe ihn zu Lebzeiten enttäuscht. Das tut mir schrecklich weh.
Ich mache mir auch furchtbare Vorwürfe, dass ich am letzten Tag seines Lebens nicht bei ihm war. Ich war "Verhindert", weil ich Konzertkarten hatte! Da ich in der Nähe des Krankenhauses arbeite, wollte ich am nächsten Tag um 12 Schluss machen um den ganzen Freitag nachmittag und dann noch das ganze Wochenende bei ihm sein zu können. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich Mittwoch bei einer Veranstaltung von meiner Firma war und am Donnerstag auf diesem Konzert und daher schon zwei Tage lang nicht auf Besuch kommen konnte. Ich wollte das ganze Wochenende bei ihm sein, doch dann läutet am Freitag um halb 6 Uhr morgens das Telefon. Ich kann es nicht beschreiben, aber als ich das Läuten wahrnahm, wusste ich dass es eine Todesnachricht sein würde.
Mit diesen Gewissensbissen lebe ich seit 7 Monaten. Nicht nur, dass ich Papa nicht stolz machen konnte, ich habe auf Zeit mit ihm verzichtet, weil ich mich amüsieren wollte. Ich weiß, dass die Vorwürfe nichts bringen, dass man ja nicht wissen konnte, dass er sterben wird. Nicht mal die Ärzte haben damit gerechnet. Als ich dann am Montag auf der Station war seine Sachen holen und den Papierkram erledigen, waren alle total entgeistert. Vor allem die Schwestern, zu denen er ein enges Verhältnis aufgebaut hatte. Niemand hatte damit gerechnet. Sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen.
Wir hatten eine sehr innige Beziehung. Ich war Papas Mädchen und wir haben alles zusammen gemacht. Meine Mutter war oft eifersüchtig auf uns. Als Kind dachte ich immer "die Mama macht nur Spaß". Aber das war kein Spaß. Und ich verstehe ihre Gefühle. Papa war nun mal mein ein und alles. Mit ihm konnte ich über alles reden und auch er hat sich mir anvertraut. Wir hatten die selben Interessen und sind oft bis spät in die Nacht aufgeblieben um über Gott und die Welt zu diskutieren. Mit meiner Mutter konnte ich das nicht. Wahrscheinlich weil wir uns so ähnlich sind. Wahrscheinlich haben wir uns deshalb immer gestritten. Mit Papa gab es nie wirklich Streit.
Nach seinem Tod war ich diejenige, die alles zu erledigen hatte. Meine Mutter konnte einfach nicht. Alles blieb an mir hängen. Und niemand hat sich für mich Zeit genommen. Alle Beileidswünsche an mich waren unweigerlich mit der Frage verbunden: "Und wie geht es deiner Mutter? Die Arme ist ja jetzt ganz alleine. Dein Leben geht ja weiter. Du bist noch jung." Von den Kondolenzschreiben, die in unseren Briefkasten geflattert sind, war kein einziges an mich adressiert. Auch bei der Beerdigung waren alle nur darauf fixiert Mama Halt zu geben. Ich kam mir richtig fehl am Platz vor.
Sie hat es mir auch nicht einfach gemacht. Anstatt mich mal in den Arm zu nehmen oder sich bei mir zu bedanken, habe ich nur ihren Groll abbekommen. Meine Mutter versteht bis heute nicht, dass auch ich zu leiden habe. Wenn ich sage mit geht es schlecht, lacht sie hämisch und fragt mich, wie es mir denn bloß schlecht gehen kann. Ich bin dann wie gelähmt und kann ihr keine Antwort geben.
Ich besuche sie mindestens drei mal die Woche. Ich rufe sie jeden Tag an. Ich weiß, dass sie alleine ist, dass sie ihren Mann und auch ein bisschen ihr einziges Kind verloren hat. Ich bin einige Monate vor Papas Tod ausgezogen. Das ist alles schwer für sie und ich versuche verständnisvoll zu sein. Aber ich habe auch das Gefühl keine Familie mehr zu haben. Familie bedeutet füreinander da sein. Ich bin für sie da. Aber wer ist für mich da?
Auch von meinen "Freunden" kam keine Hilfe. Meine beste Freundin ist lieber auf Urlaub gefahren, als zum Begräbnis zu kommen. Das war ein schwerer Schlag. Sieben Monate sind vergangen und keiner von diesen "Freunden" hat mich auch nur ein einziges Mal gefragt, wie ich die Sache verkrafte oder ob ich mal ins Kino gehen will. Ich weiß, dass viele sich nicht trauen, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen, aber einen Freund im Stich zu lassen ist sicher schlimmer, als sich mal im Wortlaut zu vergreifen. Vielleicht bin ich auch selber schuld daran. Vielleicht hätte ich den Kontakt aufrecht erhalten sollen?
Mein Partner hat Gott sei Dank großes Verständnis für mich. Wenn ich ihn nicht hätte ... keine Ahnung, wo ich da jetzt wäre!
Es tut mir leid, dass der Eintrag so unerträglich lang geworden ist, aber vielleicht kann mir ja jemand von euch ein bisschen helfen. Ich bin am Ende meiner Kräfte, geplagt von Angstzuständen und Depressionen. Ich will einen Weg raus finden, aber ich habe Angst mich jemandem anzuvertrauen. Angst, dass man mich wieder alleine lässt.
Alles Liebe,
strawberryfire
Am 06.07.07 ist mein Papa gestorben. Im Schlaf. Er hat sich schlafen gelegt und ist nie wieder aufgewacht.
Alles nahm im Jänner 2007 seinen Anfang, als unser Hausarzt uns mitteilte, dass Papas Tumormarkerwerte erschreckend hoch sind. Er wusste schon im Dezember davon, wollte uns aber nicht die Feiertage verderben. Laut Arzt deutete alles auf eine Veränderung des Gewebes im Magen-Darm-Bereich hin. Zahllose ergebnislose Untersuchungen waren die Folge. Es gab keine Geschwüre, keine Geschwulst, keinen Tumor im Magen-Darm-Trakt. Alles schien in bester Ordnung zu sein.
Im Februar klagte Papa oft über Rückenschmerzen. Dabei hat sich wohl keiner was gedacht. Dass man mit 63 Jahren ab und zu Rückenschmerzen hat, ist doch normal. Die Schmerzen wurden aber nicht besser. Ein Krankenhausaufenthalt jagte den nächsten. Die Schmerzen wurden unerträglich. Es gab Tage an denen konnte er nicht mal aus dem Bett aufstehen.
Bald stand fest, dass es sich doch um Krebs handelt. Die Metastasen hatten ein Loch in die Wirbelsäule gefressen. Daher die Schmerzen. Den Tumor konnten die Ärzte aber lange Zeit nicht finden. Nach zwei Lungenspiegelungen, gab es noch immer kein Ergebnis, obwohl sich die Ärzte nun sicher waren, dass es Lungenkrebs sein musste. Schließlich war ein Lungenflügel von Metastasen zerfressen. Bei der zweiten Spiegelung kollabierte Papas "gesunder" Lungenflügel. Danach ging es stetig bergab. Er bekam sehr schlecht Luft und konnte nur mehr am Stock gehen.
Drei Wochen vor seinem Tod wurde der Tumor entdeckt. Er hatte die Größe eines Stecknadelkopfes, saß im rechten Lungenflügel und hatte genügend Zeit in der Lunge und den Knochen zu metastasieren.
Trotz allem waren die Ärzte zuversichtlich. Papa war an und für sich in guter Verfassung. Mit einer Chemo sollte der Krebs gestoppt werden.
So viel zu den medizinischen Fakten. Die psychischen Folgen waren verheerend. Papa war verzweifelt, hat einige Male darum gebettelt, man solle ihm einfach eine Spritze geben um sein Leiden zu verkürzen. Er konnte vor lauter Schmerz kaum denken, geschweige denn sich bewegen. An manchen Tagen war er zu schwach um zu sprechen, an anderen war er fröhlich. Besonders in den letzten beiden Wochen seines Lebens ging es ihm gut. Er kam in ein tolles Krankenhaus und bekam Schmerztherapie. Natürlich Morphium. Er hatte riesige Angst vor der Chemo, aber er war zum Ende hin sehr zuversichtlich, dass doch noch alles einen guten Ausgang nehmen könnte.
Ich war wie in Trance. Ich bin so gut wie jeden Tag bei ihm im Krankenhaus gewesen. Wenn er mal nach hause durfte habe ich ihn vom Spital abgeholt und in dann wieder zurück begleitet. In dieser Zeit habe ich alles vernachlässigt. Vor allem mein Studium. Dabei war es sein größter Wunsch meine Promotion mitzuerleben. Das hat er öfters geäußert. Und ich? Ich habe auf voller Länge versagt. Ich habe seinen letzten Wunsch nicht erfüllt. Ich wollte meine Zeit mit ihm verbringen und nicht vor den Büchern. Jetzt schreibe ich zwar an meiner Arbeit und werde auch heuer noch meinen Abschluss machen, aber er wird nicht dabei sein. Ich habe ihn zu Lebzeiten enttäuscht. Das tut mir schrecklich weh.
Ich mache mir auch furchtbare Vorwürfe, dass ich am letzten Tag seines Lebens nicht bei ihm war. Ich war "Verhindert", weil ich Konzertkarten hatte! Da ich in der Nähe des Krankenhauses arbeite, wollte ich am nächsten Tag um 12 Schluss machen um den ganzen Freitag nachmittag und dann noch das ganze Wochenende bei ihm sein zu können. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich Mittwoch bei einer Veranstaltung von meiner Firma war und am Donnerstag auf diesem Konzert und daher schon zwei Tage lang nicht auf Besuch kommen konnte. Ich wollte das ganze Wochenende bei ihm sein, doch dann läutet am Freitag um halb 6 Uhr morgens das Telefon. Ich kann es nicht beschreiben, aber als ich das Läuten wahrnahm, wusste ich dass es eine Todesnachricht sein würde.
Mit diesen Gewissensbissen lebe ich seit 7 Monaten. Nicht nur, dass ich Papa nicht stolz machen konnte, ich habe auf Zeit mit ihm verzichtet, weil ich mich amüsieren wollte. Ich weiß, dass die Vorwürfe nichts bringen, dass man ja nicht wissen konnte, dass er sterben wird. Nicht mal die Ärzte haben damit gerechnet. Als ich dann am Montag auf der Station war seine Sachen holen und den Papierkram erledigen, waren alle total entgeistert. Vor allem die Schwestern, zu denen er ein enges Verhältnis aufgebaut hatte. Niemand hatte damit gerechnet. Sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen.
Wir hatten eine sehr innige Beziehung. Ich war Papas Mädchen und wir haben alles zusammen gemacht. Meine Mutter war oft eifersüchtig auf uns. Als Kind dachte ich immer "die Mama macht nur Spaß". Aber das war kein Spaß. Und ich verstehe ihre Gefühle. Papa war nun mal mein ein und alles. Mit ihm konnte ich über alles reden und auch er hat sich mir anvertraut. Wir hatten die selben Interessen und sind oft bis spät in die Nacht aufgeblieben um über Gott und die Welt zu diskutieren. Mit meiner Mutter konnte ich das nicht. Wahrscheinlich weil wir uns so ähnlich sind. Wahrscheinlich haben wir uns deshalb immer gestritten. Mit Papa gab es nie wirklich Streit.
Nach seinem Tod war ich diejenige, die alles zu erledigen hatte. Meine Mutter konnte einfach nicht. Alles blieb an mir hängen. Und niemand hat sich für mich Zeit genommen. Alle Beileidswünsche an mich waren unweigerlich mit der Frage verbunden: "Und wie geht es deiner Mutter? Die Arme ist ja jetzt ganz alleine. Dein Leben geht ja weiter. Du bist noch jung." Von den Kondolenzschreiben, die in unseren Briefkasten geflattert sind, war kein einziges an mich adressiert. Auch bei der Beerdigung waren alle nur darauf fixiert Mama Halt zu geben. Ich kam mir richtig fehl am Platz vor.
Sie hat es mir auch nicht einfach gemacht. Anstatt mich mal in den Arm zu nehmen oder sich bei mir zu bedanken, habe ich nur ihren Groll abbekommen. Meine Mutter versteht bis heute nicht, dass auch ich zu leiden habe. Wenn ich sage mit geht es schlecht, lacht sie hämisch und fragt mich, wie es mir denn bloß schlecht gehen kann. Ich bin dann wie gelähmt und kann ihr keine Antwort geben.
Ich besuche sie mindestens drei mal die Woche. Ich rufe sie jeden Tag an. Ich weiß, dass sie alleine ist, dass sie ihren Mann und auch ein bisschen ihr einziges Kind verloren hat. Ich bin einige Monate vor Papas Tod ausgezogen. Das ist alles schwer für sie und ich versuche verständnisvoll zu sein. Aber ich habe auch das Gefühl keine Familie mehr zu haben. Familie bedeutet füreinander da sein. Ich bin für sie da. Aber wer ist für mich da?
Auch von meinen "Freunden" kam keine Hilfe. Meine beste Freundin ist lieber auf Urlaub gefahren, als zum Begräbnis zu kommen. Das war ein schwerer Schlag. Sieben Monate sind vergangen und keiner von diesen "Freunden" hat mich auch nur ein einziges Mal gefragt, wie ich die Sache verkrafte oder ob ich mal ins Kino gehen will. Ich weiß, dass viele sich nicht trauen, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen, aber einen Freund im Stich zu lassen ist sicher schlimmer, als sich mal im Wortlaut zu vergreifen. Vielleicht bin ich auch selber schuld daran. Vielleicht hätte ich den Kontakt aufrecht erhalten sollen?
Mein Partner hat Gott sei Dank großes Verständnis für mich. Wenn ich ihn nicht hätte ... keine Ahnung, wo ich da jetzt wäre!
Es tut mir leid, dass der Eintrag so unerträglich lang geworden ist, aber vielleicht kann mir ja jemand von euch ein bisschen helfen. Ich bin am Ende meiner Kräfte, geplagt von Angstzuständen und Depressionen. Ich will einen Weg raus finden, aber ich habe Angst mich jemandem anzuvertrauen. Angst, dass man mich wieder alleine lässt.
Alles Liebe,
strawberryfire