@haris
es würde mich trotzdem jetzt noch interessieren... wie du denn zum
freien willen stehst:
hast DU einen freien willen?
Lieber Esperanto,
jetzt haste mich aber zum hirnen gebracht! Danke dafür!
also ich will Dir ganz ehrlich antworten: nein, ich habe keinen freien Willen, aber auf der Leinwand in meinem Heimkino namens Verstand erscheint es manchmal so, als hätte ich einen.
Dazu erzähl ich Dir jetzt mal, wie ich grade über die Frage nachgedacht habe:
Ich las die Frage auf dem Bildschirm - sagen wir mal das ist der Ausgangspunkt - sie setzte ein freudiges Gefühl in mir frei - juhu, da fragt einer was - ich bin doch erst kurz hier in dem forum drin, da ist es sehr aufregend eine reaktion zu kriegen - super! - aber woher kommt dieses Gefühl. Wenn ich Erklärungen suche, und das mache ich schon fast übertrieben, stelle ich fest, daß sie irgendwie aus der Tiefe kommen, sie schwappen irgendwie aus der Tiefe in mein Bewusstsein hoch. Man könnts jetzt psychologisch erklären. Geschenkt, er erklärt nicht den Ursprung des Gefühls. Es schwappt einfach. Keine Ahnung woher.
Dann kriegte ich irgendwie den Impuls die Wohnung aufzuräumen - wir fahrn morgen in urlaub und hier siehts aus wie bei hempels unterm sofa - räum also auf - hm, woher kommt dieser impuls? Keine Ahnung, ich denke, die von mir als unaufgeräumt wahrgenommene Wohnung spricht irgendwie mit mir und in mir zig andere Stimmen, die alle miteinander den Impuls "räum endlich auf" loslösen. Frei ist da gar nichts, volle Abhänigkeit! Dann ruft meine Frau: Haris, kannst Du noch die Blumen gießen, dazwischen meine kleine Tochter: Papa, magst Du mit mir Kaufladen spielen, dann klingelt das Telefon und währenddessen hirne und hirne ich über meinen, persönlichen freien Willen, lege mir Worte für die Antwort auf Deine Frage zurecht. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen bedrohlichen Berg Wäsche auf dem Sofa, der ruft "bügel mich, bügel mich". Für einen kurzen Moment schwappt Wut und Überforderung hoch. Ich will jetzt meine Ruhe. Aha, da ist er, ich hab ihn erwischt, meinen privaten freien Willen, der nur aus mir selbst kommt! Ja, das bin doch ich, der da wütend wird, oder woher kommt jetzt das auf einmal? Oh, da gehts aber dann grad weiter: aus mir selbst? Selbst? Ich? wo was wer? Die Nachbarin klingelt: ob ihr kleiner Bub noch ein bissle mit unserer Tochter spielen dürfe. Wieder so ein Moment der Entscheidung. Ich sage spontan: ja, klar. Es ist jetzt ziemliches Chaos hier und irgendwie larviere ich mit meinen Impulsen in diesem total verworrenen, völlig abhängigen Bedingungen herum - irgendwie komme ich aus allem heil raus und finde mich schließlich am Bügelbrett beim Bügeln. Hach, das tut gut. Das wollt ich eigentlich von Anfang an, ein bißle Ruhe und Zufriedenheit. Aber das es so passiert hab ich nicht geplant, ja ich wusste anfangs gar nicht, das es vielleicht das sein könnte, was ich will. Weiß der Kuckuck, ich hab nicht geplant, daß ich heut bügeln will, um endlich zur Ruhe zu kommen, aber das liebe Leben hat es so gemacht, daß ich hier gelandet bin. Und jetzt im Moment mündet alles in das Schreiben dieser Mail. Jetzt frag mich nicht, wie ich vom Bügeln zum Email schreiben gekommen bin. Du hattest mir ne Frage gestellt und die lößt den Impuls aus, zu antworten.
Also nee, wirklich nicht: mindestens 95% des Geschehens ist nicht von meinem persönlichen "ich", frei und unabhängig von allem anderen entschieden worden. Gar nichts ist entschieden worden. Es blüht einfach alles vor sich hin.
Aber ich habe ein ganz anderes Problem: Wo bin eigentlich "ich" bei der ganzen Sache. Da gehts wieder von vorne los. Ich halte mich kurz an und forsche mit meinem Verstand nach der Substanz meines ichs: achja, klar, ich bin der Haris, ich bin der Papa von meiner TOchter, ich bin der der grad bügelt...alles klar. Aber wenn ich weiter frage wirds unendlich schwammig, die Grenzen verschwimmen total, ich kann mich wiedermal nicht mehr finden. Keine klare Umgrenzung, keine Unabhängigkeit,, kein Ursprung, keine Substanz, aber doch eine Präsenz. Ich komme bei meiner Forschung immer wieder zu demselben Punkt: ich ist irgendwas ganz tiefes, ein inneres Licht oder Energiequelle - nicht fassbar - kein Anfang und Ende da - leer, eigenschaftslos, unergründlich. Da lande ich jedesmal und es läßt mich jedes mal einfach nur staunen, diese tiefe leere mit Präsenz. - Früher hat mich das äusserst depressiv gemacht und ich hab alles mögliche gemacht, das leergepowerte "ich" aufzufüllen mit allem Möglichkeit, z.B. ganz stark mit "freier Wille" (meine Frau kann ein Lied darüber singen, was für ein Sturbock ich bin), jemand sein mit Profil usw.. Aber jetzt hilft mir eine neue Sicht, neue Worte und Begriffe, die mir mein Lehrer gibt, es anders zu versuchen - in der Leere zu bleiben, aushalten und beobachten,, was da kommt und geht. Es klappt teils teils, in der Meditation,ruhig alles Blühen nur zu sehen ohne meinen Verstand dadrin zu verheddern.
Jesses, Du hast so kurz gefragt und ich mach n Roman draus. War auch nicht so geplant... .
PS: und wie ist es denn mit Dir? Wer bist Du und wie frei ist Dein Wille?
ganz herzllich,
Haris