Es ist für uns schwierig, sich in die Gedankenwelt der damaligen Menschen hineinzuversetzen. Wunder und Götter waren allgegenwärtig, so dass man sich eher gewundert hätte, wenn sie nicht geschehen wären. So war das auch mit den Geschichten aus der Bibel, kein Mensch wäre auf den Gedanken gekommen an Adam, Eva, Moses oder den Propheten zu zweifeln. Wie viele andere jener Zeit hatte sich auch Jesus von der Botschaft des charismatischen Täufers Johannes erfüllen lassen.
Jesus war jedenfalls ein tiefgläubiger Jude und da könnte ich mir schon vorstellen, dass er sich nach der Gefangennahme des Täufers in dessen Rolle gesehen hatte. Diese Band als ein Jünger des Täufers lässt sich auch in den Evangelien erkennen. Der Tod des Täufers dürfte nach meiner Auffassung eine entscheidende Wende im Leben Jesus gewesen sein.
Ob er seinen Tod gewollt herbeigeführt hatte ist schwer zu sagen, zumindest war ihm aber die Gefahr seiner Mission bewusst. Gerade in der Passionsgeschichte werden zwar viele Fäden zu den Propheten des Alten Testaments geknüpft, aber einiger dieser Fäden kann er auch selbst mit ins Spiel gebracht haben. Gerade die Geschichte von der Tempelreinigung würde dazu und zu seinem Naturell gut passen.
Ich denke schon, dass er sich zu diesem Zeitpunkt als Mahner und Knecht Gottes verstanden hat, zumindest die Verhältnisse in der jüdischen Welt der Levante zu verändern. Es war sicherlich sein Gottvertrauen, das in bewog, trotz der Mahnungen zum Passahfest nach Jerusalem zu pilgern. Es war ja ein ungeschriebenes Gesetz, dass zumindest der Familienvorstand zum Passahfest reisen sollte, um dort im Tempel ein Opfer darzubringen.
In den vier Evangelien wird von Markus bis zu Johannes auch der Wandel von dem Menschen Jesus zu Christus nach seinem Tod sehr deutlich. Nach meinem Verständnis ist das jedoch kein Makel an der Geschichte, sondern eine logische Folge. Solche Verklärungen nach dem Tod kann man auch bei anderen Persönlichkeiten der Geschichte finden. Es ist einfach das Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität, das damit ausgelebt werden kann.
Obwohl ich nicht so gerne von einer Wahrheit sprechen möchte, so kann es bei der Geschichte von Jesus zwei unterschiedliche, aber sich nicht widersprechende Wahrheiten geben. Ich sehe ihn jedenfalls immer gerne, wenn er auf den See Genezareth blickt.
Merlin