Bitte entschuldige, aber irgendwie sieht das so aus, als würden manche Menschen die Verantwortung für ihre Einstellungen vollständig an etwas anderes abgeben.
Dann hast Du leider bisher noch nicht alles verstanden von dem, was ich Dir sagen möchte.
Ja - wir alle sind Opfer. Ja - unsere Umwelt hat uns stark geprägt. Ja - wir sind ständig am reagieren. Ja, ja, ja. Doch wo bleibt man selbst ? Was ist mit der eigenen Haltung ? Dem Teil aus einem selbst, der auch mit Ursache für eine Einstellung ist ? Gibt es den nicht auch ?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich habe auch keine Ahnung, was Du eigentlich erwartest. Für mich sind diese Erkenntnisse alle noch recht neu. Es brach erst vor ein paar Wochen auf. Ich glaube in dieser Phase ist man erstmal damit beschäftigt, all das zu verarbeiten, was da auf einen einstürzt.
Klingt das auch wieder nach: ich will mich wieder rausreden?
Ich glaube nicht. Wenn Du nach einem Unfall zu Dir kommst und die Schmerzen spürst, denkst Du in diesem Moment auch nicht daran, daß Du selbst für Deine Gesundung verantwortlich bist. Dann sind da erstmal nur Schmerzen, die irgendwie bewältigt werden müssen. Hat man das unter Kontrolle und wieder einigermaßen Kraft, dann kann man weiter sehen.
Es geht dabei nicht um Stagnation sondern um eine extreme, selbstzerstörerische Hoffnungslosigkeit ...
Was habe ich geschrieben, daß Dich so denken läßt? Kannst Du es mir zitieren?
Wenn es so wäre würde ich kaum die Lust haben hier zu schreiben. stattdessen würde ich vielleicht apatisch im Bett liegen und das Leben verweigern. Tue ich aber nicht. Ich gehe weiter arbeiten, kümmere mich um mein Leben und auch um mich. Das ist das, was ich momentan tun kann. So hoffnungslos wirkt das auf mich ehrlich gesagt nicht. Wenn da ab und an auch mal selbstzerstörische Tendenzen hochkommen, so gehört das einfach dazu, irgendwie. Es ist scheinbar eine Berg- und Talfahrt. mal voller Zuversicht, dann wieder am Boden zerstört.
Hat ein Mensch denn überhaupt keinen Einfluss auf das, was in ihm vorgeht ? Was er fühlt und denkt ?
Glaube mir, machmal hat er es scheinbar nicht. Nicht umsonst füllen sich die Psychatrien, wo die Personen erstmal vor sich selbst geschützt werden.
Wie wäre es, wenn ein Mensch sich einfach "davonstiehlt" und sich so einfach allem anderen überlässt ? Ist das nicht auch eine Form von "Handeln" ? Trägt man da nicht auch mitschuld an seinem Zustand ? Wenn man eine Sache zulässt - sind da nur die anderen Schuld ? Kann man nicht auch gegen so etwas ankämpfen ?
Worauf willst Du hier hinaus?
Nun, das wäre es für mich nicht. Ein Kind ist auf eine Art sicher unschuldig und unbelastet. Doch reif oder weit entwickelt ist es garantiert nicht.
Dann lies noch mal, was ich schrieb. Ich habe nicht geschrieben, daß die Reife des Kindes gestört und wiedererlangt werden soll, sondern das Vertrauen. Etwas ganz wichtiges, wovon später sehr viel abhängen wird.
Wer in dieser Welt nicht aus seinen Fehlern lernt und sein Verhalten ständig anpasst --- der ist einfach zurückgeblieben und wird immer wieder leiden, immer wieder die selben Fehler erleben --- Entwicklung bedeutet auch Veränderung.
Was ist dann für Dich "normal"? Denn diese ganze Diskusion wurde ausgelöst, weil Du an die "vollkommene Heilung" glaubst und daran, das die Opfer wieder "normal" werden können. Weiterentwickeln werden sie sich wie jeder andere auch. Auf ihre Weise. Glücklich werden sie sein können. Aber auf ihre Weise. Die sich vielleicht von den anderen unterscheiden wird. Vielleicht auch nicht.
Und Du schreibst immer von Fehlern. Ein Kind welches mißbraucht wird hat aber keinen Fehler gemacht, aus dem es lernen kann. Jemand der im Park überfallen wird, schlußfolgert: aha, werde ich in Zukunft vermeiden (wenn gleich ich auch nicht den fehler darin sehe, daß jemand zu "falschen" Zeit am rechten Ort gewesen ist. Das ist kein Fehler, daß ist Zufall oder Schicksal oder Tragik).
Ein Kind was vom Vater mißbraucht worden ist, müßte also schlußfolgern; aha, werde ich in zukunft vermeiden. Erkläre mir mal bitte, wie das Kind hier aus seinen "Fehlern" lernen soll.
Es wird dieser Situation versuchen aus dem weg zu gehen. So wie der Mensch im Park aus diesem Erlebnis lernt, wird auch das Kind "lernen". Nur das es eben ein Kind ist und eine Wiederholung der Tat nicht immer vermeiden kann. Darum wird es geistig flüchten und Verhaltensmuster entwickeln, die es schützen. Denn körperlich kann es sich kaum wehren. So wie der Erwachsene es auch macht, der im Park überfallen wurde, mit dem Unterschied, daß der Erwachsene erwachsen ist und diesen Überfall ganz anders versteht, als ein Kind, welches gar nicht weiß, was da eigentlich mit ihm geschieht.
Bei dem Erwachsenen ist es nun also scheinbar "schlau", Wachsamkeit, Veränderung, Anpassung seiner Verhaltensweisen usw. Und bei dem Kind, welches durchaus auch sein Verhalten seinen Erlebnissen anpaßt, ist es dann "unnormal" und muß geheilt werden?! Das Kind paßt sich doch an, damit es überlebt und weiterlebt und nicht zerbricht. Es verändert sich, es entwickelt sich doch. Aber auf eine Weise, die vom Rest der Gesellschaft als "unnormal" oder "krankhaft" bezeichnet wird. Für das Opfer ist es aber in erster Linie gar nicht unnormal. Das fällt eben erst dann auf, wenn die anderen damit ein Problem haben und logischerweise das Opfer selbst dann auch.
Das brauche ich mir nicht vorstellen, das kann man überall sehen, dass das so ist. Es ist zudem verständlich und ich habe niemals etwas anderes behauptet. Mir geht es immer nur darum, daran zu glauben, DASS eine Heilung möglich ist, und sich nicht daran aufzuhängen, dass es immer einen "Brocken" geben wird, egal wie sehr man sich bemüht. Oder daran, immer "anders" zu sein, unverstanden zu sein - in dem Sinne, dass man den anderen so ihre Möglichkeit abspricht, zu helfen und sich einen Grund schafft, sich weiter abzugrenzen. Und so weiter, wie schon geschildert.
Nicht immer grenzt man sich selber aus. Das ist vollkommen falsch. Klar hat man Verhaltensweisen, die andere abschrecken. Doch es sind dann oft meist die anderen die davonlaufen und sich distanzieren und den Kontakt für immer oder vorrübergehend auf Eis legen. Die meisten Opfer leiden ja irgendwann. Sie wollen sich schützen, sie wollen aber nicht die Umwelt vergraulen. Sie wollen sicher auch Hilfe (sofern sie soweit sind und verstanden haben, daß etwas nicht stimmt), doch drücken es mitunter vielleicht auf seltsame Weise aus, so daß es nicht verstanden wird.
Es ist bestimt nicht das Kind, welches sagt: Ich bin anders. Es sind die anderen Kinder denen dies auffällt und sich dann auch noch entsprechend verhalten. Irgendwann glaubt man dann selbst, daß man anders ist - weil man stets von den anderen ausgegrenzt wurde. Weil bestimmte Verhaltensweisen dazu führten, daß andere nichts mit einem anfangen konnten. Irgendwann ist der Zug dann abgefahren. Man will selbst auch nicht mehr. Weil man sich in der tat unverstanden fühlt und auch gar nicht weiß, was die anderen haben, was man selbst nicht hat. Weil einem die Welt einst genau das zeigte: Dich verstehen wir nicht, du bist komisch, anders, paßt nicht.
Weil jedesmal, wenn man versuchte, Kontakte zu knüpfen, es in die Hose ging. Dann gibt man auf. Und dann braucht es in der Tat Glück, bis etwas geschieht, was einen erwachen läßt. Sei es eine Person die die Verhaltensweisen endlich mal durchschaut oder ein Therapeut den man aufsucht, da ständig was schief läuft im Leben.
Das mit dem Brocken ist schwer. Denn sobald irgendwas geschieht, was der helfenden Person z.B. aufstößt, wird der Helfer das Handtuch werfen (vielleicht) und das Opfer wird den Brocken erneut wieder zu spüren bekommen. Dann hat es "wieder nicht geklappt", hat man wieder einmal die Bestätigung: ich bin anders, ich stoße die Leute ab. Und die Wut ist wieder spürbar.
Oder anders ausgedrückt: wenn Du wirklich helfen willst, ich glaube dann sollte es geschehen, weil Du helfen möchtest. Und nicht weil Du irgendwelche persönlichen Erwartungen an den Menschen stellst, dem Du helfen willst. Z.B. Du möchtest einer Person helfen die Dir sehr nahe steht und Dir viel bedeutet, weil Du eine glückliche Beziehung mit ihr haben möchtest. Das ist an sich nicht verkehrt, denke ich, wenn auch schwierig, da Emotionen eine Rolle spielen (die ein Therapeut dem Patienten gegenüber nicht hat, weshalb er das ganze mit einem gewissen Abstand betrachten kann).
Allerdings wird das nie klappen, wenn Du die Person nicht verstehen (oder nachvollziehen) kannst oder willst und sie dann Dinge tut, die an Deinem Ego kratzen, weil Du sie auf Dich beziehst. Oder weil es nicht in Dein Weltbild oder Deine Vorstellung einer Beziehung paßt. Und es wird nie funktionieren, wenn Du diese Person drängst (wie z.B. Du mußt doch an Heilung glauben, Du mußt, Du mußt...), weil Du Dir ausgemalt hast, innerhalb eines Jahres sollte es sich erledigt haben, denn dann willst Du eine Familie gründen. Auch Deine Vorstellungen wie eine Heilung auszusehen hat, kannst Du wahrscheinlich getrost auf den Müll werfen - denn das "Opfer" hat seine eigenen Vorstellungen. Und auch handlungsweisen die das "Opfer" mitbringt, kannst Du nicht einfach blockieren. (z.B. das Opfer hört eine bestimmte Art der Musik, von der Du meinst, die zieht nur runter und die schlimmsten Dämonen an. Bestimmte Freunde des Opfers, gegen die Du vielleicht eine Abneigung hast, weil Du eigene Traumatas evtl. doch nicht aufgelöst hast.) Denn alles was diese Person tut, KANN einen bestimmten Grund haben oder einen bestimmten halt darstellen oder etwas bestimmtes ausdrücken oder bestimmte Empfindungen auslösen - all das kann total unverständlich für Dich sein, und ja, vielleicht auch abstoßend. Doch dieser Mensch braucht es vielleicht vorübergehend.
So wie ich es bisher mitbekomme bei psychisch "kranken" Menschen, geht es erstmal um diese selbst. Diese werden vom Therapeuten stabilisiert. Diese sollen sich durchsetzen und auf jeden Fall "ihr Ding" machen, egal, was die anderen denken. Ich erlebe es grad mit, auch wenn es sich nicht um ein Mißbrauchsopfer handelt. Da erlebt man mitunter die erstaunlichsten Dinge, wo andere sagen würden (und ich dachte es auch, bis mir erklärt wurde, warum sich die Person jetzt grade so verhält): wie egoistisch. Das ist es aber nicht. Das ist dann die Heilung, wo etwas "fremdes" (Ansichten, Vorstellungen wie etwas zu sein hat) ganz einfach nichts zu suchen haben.