Frauen und das Zölibat VIII
Roxana war dreimal verheiratet, zum erstanmal mit 20 Jahren. Sie hat eine Tochter und ist seit 12 Jahren geschieden. Wie sie sagt, hatte sie in ihrem Leben sieben ernsthafte Verhältnisse, aber nur eins seit ihrer letzten Scheidung.
Daß ich enthaltsam lebe, ist bei jedem Mann, den ich kennenlerne, eine neue Wahl. Ich kann einfach nicht so ins Bett hüpfen, denn ich bin sehr wählerisch. Ich bin durchaus für Sexualität, doch muß sie Teil eines größeren Ganzen sein. Sex allein bedeutet nicht viel. Die Bindung muß eine gewisse Grundlage haben. Seit meiner letzten Scheidung, vor 12 Jahren, hatte ich ein sexuelles Verhältnis. Ich dachte, es wäre gut für mich, das sagt jeder. Aber es hatte keinen Zweck. Ich brauche diese tiefe Bindung. Deshalb enthalte ich mich sexuell. Offenbar unterscheide ich mich von anderen Frauen, vor allem von den jüngeren, die dazu neigen, den Sex beiläufiger und um seiner selbst willen zu betreiben. Die Enthaltsamkeit verkörpert, glaube ich, zum Teil meine Selbsteinschätzung. Ich lebe ehelos, weil ich mehr als Sex möchte und keine Kompromisse schließen möchte. Ich glaube, ich bin stärker geworden.
Ich habe den Sex immer sehr genossen. Er bereitete mir große Lust. Ich besitze auch sehr viel sexuelle Energie. Daher habe ich gelernt, sie auf nichtsexuelle Art zu nutzen. Anstatt mir Sorgen darüber zu machen, was ich tun soll, weil ich sexuelle Empfindungen habe, setze ich meine sexuelle Energie ein, damit etwas geschieht. Ich betrachte sie als einen nützlichen Kraftstrom, der ganz mir zur Verfügung steht. Ich kann ihn zu jedem Körperteil dirigieren. Ich gebrauche ihn in den Armen und Beinen zum Heben oder Laufen. Ich lenke ihn zum Kopf, wenn ich spreche und lerne. Für mich bedeutet daher die sexuelle Enthaltsamkeit nicht eine Blockade meiner Sexualität. Ich benutze sie und sie hält mich stark, dynamisch, jugendlich. Ich glaube, der Sex hält den Menschen jung, aber man muß seine Sexualität nicht auf nur eine Art ausdrücken. Man kann ihn gebrauchen, wie man will. Viele Frauen in meinem Alter interessieren sich nicht sonderlich für Sex, vor allem nicht in der Ehe. Er hat seinen Reiz verloren. Aber sie sind der Meinung, sie sollten sexuell aktiv sein, und so fühlen sie sich schuldig, wenn sie nicht mitmachen. Sie sind sexuell aktiv, können ihrer Sexualität aber keine Freude abgewinnen. Sie erbringen eine Leistung, sind aber gehemmt. Ich lebe enthaltsam und gebrauche und genieße meine Sexualität, ohne gehemmt zu sein. Es ist ein lustiges Paradoxon.
Ich bin Künstlerin, und meine schöpferische Entfaltung ist für mich von großer Bedeutung. Ich habe festgestellt, daß die Perioden stärkster Entfaltung jeweils in die Zeit meiner sexuellen Enthaltsamkeit gefallen sind. Es ist eine sehr direkte Entfaltung, die mein Alltagsleben beeinflusst. Als alleinstehende Frau komme ich für meine Bedürfnisse selbst auf. Liebe und Zuneigung muß ich aus vielen Quellen schöpfen. Wenn ich nicht ernsthaft gebunden bin, empfinde ich Liebe durch die Musik, durch die bildenden Künste, das habe ich gelernt. Ich lebe auf durch die Lektüre eines Buches, durch den Gedankenaustausch. Offenbar habe ich mit zunehmendem Alter eine Ebene hohen Bewusstseins und tiefer Liebe erreicht, die angeregt werden muß, damit ich mich weiter entfalten kann. Wenn ein Verhältnis mich nicht wirklich berührt, befriedigt es mich weniger als ein Buch, das mich sehr anspricht. Ich lebe sexuell enthaltsam, weil ich nach
dieser Ebene in einem Verhältnis suche.
Roxanne: 54 Jahre, Mode-Koordinatorin
Frauen und das Zölibat I
Frauen und das Zölibat II
Frauen und das Zölibat III
Frauen und das Zölibat IV
Frauen und das Zölibat V
Frauen und das Zölibat VI
Frauen und das Zölibat VII
Zölibat und Bewusstsein I
Zölibat und Bewusstsein II
Das alte Zölibat
Das neue Zölibat I
Das neue Zölibat II
Das neue Zölibat III
Das neue Zölibat IV
Das neue Zölibat V
Das neue Zölibat VI
Quelle:
The new celebacy - Deutsch:
Liebe ohne Sex