Frauen und das Zölibat VII
Ich lebe seit 4 Jahren enthaltsam. Als ich zum erstenmal an ein zölibatäres Leben dachte, wußte ich nicht einmal, was der Ausdruck Zölibat bedeutet. Ich bin vorher viel ausgegangen, war sexuell aktiv, kam mir ausgelaugt, verbraucht, wirr vor, so als würde ich mich verzetteln. Die Geschlechtsakte selbst waren gut, befriedigten mich, aber die Erlebnisse erfüllten mich kaum mit neuer Kraft. Ich war zweimal verheiratet und bin vor fünf Jahren von meinem zweiten Mann geschieden worden. Unser Sexualleben war relativ gut, aber wenn der Orgasmus vorüber war, hatte ich immer das Gefühl, nicht ganz zu sein. Mein mangelndes Interesse am Sex war einer der strittigsten Punkte in unserer Ehe. Zur Zeit der Scheidung hatte diese Frage größere Bedeutung erlangt, aber ich glaube, daß die wirklichen Probleme unserer Ehe durch den Sex nur zugedeckt wurden. Ich halte den Sex weder für gut noch für schlecht. Sex war noch nie im meinem Leben das, was mich am meisten fesselte. Allerdings hatte die Sexualität immer einen herausragenden Platz in meinem Bewusstsein. Meine sexuelle Chronologie beginnt früh. Mit acht Jahren bekam ich die Regel. Körperlich bin ich seit der fünften Klasse kaum noch gewachsen. Meinen ersten Sex mit Jungen hatte ich, als ich in die High-School kam. Aber in den sechs Jahren davor war ich in der sexuellen Entwicklung ziemlich auf mich allein gestellt und züchtete hinsichtlich des Sex eine Menge Erwartungen und Wunschbilder. Ich beobachtete, wie sich mein Körper und meine Empfindungen veränderten. Es überrascht nicht, dass meine ersten sexuellen Erlebnisse ziemlich enttäuschend waren. Doch sie wurden besser, und ich habe ein sehr befriedigendes Sexualleben geführt. Aber heute komme ich mir vor, als hätte ich den ganzen Kreislauf der Sexualität schon hinter mir. Und ich spüre deutlich, dass es eine große Belastung für mein weiteres Leben wäre, mein Sexualleben bis in die Sechziger- oder Siebzigerjahre weiter zu führen.
Seitdem ich enthaltsam lebe, bewahre ich meine sexuellen Empfindungen, anstatt sie zu verschenken. Ich beobachte die Empfindungen, lebe mit ihnen. Ich liebe es auf diese Stille Art zu fühlen. Ich versuche nicht, sexuellen Gefühlen auszuweichen, ich spiele vielmehr mit ihnen. Aber ich lasse nicht zu, dass sie mich beherrschen. Ich mag überhaupt nicht, von irgendetwas getrieben zu werden, schon gar nicht von körperlichen Gefühlen. Den meisten Leuten geht es ebenso. Doch wenn sie sexuell erregt sind, überlassen sie sich dem Gefühl bis zu dem Punkt, an dem sie den sexuellen Höhepunkt erleben. Wo viele, durch ihre sexuelle Aktivität, vor ihren sexuellen Gefühlen davonzulaufen scheinen, spüre ich meine sexuellen Gefühle, ohne dass ich bestrebt bin, sie zu reduzieren, indem ich mich sexuell betätige. Ich habe die sexuelle Aktivität manchmal als ein Leck in meiner Energieleitung betrachtet. Dichtet man es ab, fließt die Energie gleichmäßig und verliert sich nicht in einem verschwenderischen Strom. Aus diesem Grunde onaniere ich auch nicht, weil mir meine Energie zu kostbar ist. Ich bin der Meinung, daß jemand keine Angst vor seiner Sexualität haben sollte, bevor er sich für die Enthaltsamkeit entscheidet. Andernfalls fühlt der oder die Betreffende sich vielleicht gespalten. Ich habe eine Freundin, die ebenfalls sexuell enthaltsam lebt, die ich in ihrem Vorhaben bekräftige.
Ich habe aus der Enthaltsamkeit so manchen bemerkenswerten Nutzen gezogen. In den ersten sechs Monaten habe ich 40 Pfund abgenommen. Als ich noch sexuell aktiv war, kam ich mir rundlich vor. Ständig hielt ich Ausschau nach Bemutterung durch Sex. Als ich dann enthaltsam lebte, konzentrierte ich mich auf mich selber, mein Körper wurde immer stärker und aufrechter. Das Gewicht fiel einfach ab. Weiter habe ich erlebt, dass ich jetzt imstande bin, körperlich mit anderen zusammenzusein. Ich bin sehr viel gegenwärtiger in meinen Erlebnissen und warte nicht mehr auf den nächsten Schritt. Ich fühle mich nicht mehr so beengt, so bedroht, ungezwungener. Ich fühle mich reiner, vollständiger, ehrlicher mir selbst gegenüber und weit fähiger zu tiefer Liebe. Meine sexuelle Kraft strömt offenbar ohne weiteres über in meine Liebesempfindungen. Ich gebe gerne, denn anders als beim Sex gibt es kein Ende, und es ist nicht notwendig, gegeneinander aufzurechnen. Sexuell und sozial habe ich mich bisher mit meiner Energie nach außen gewandt. Jetzt wende ich mich nach innen, und daher kommt es, dass sich meine Fähigkeit zu lieben, erhöht hat.
Enthaltsam zu leben, heißt nicht, nicht mehr mit Männern zusammen zu sein. Ganz im Gegenteil. Ich treffe zwar kaum Verabredungen, habe aber sehr viele Freunde, darunter einen besonders guten. Kürzlich brachte er mich nach einem gemeinsamen Kinobesuch nach Hause, ging mit mir nach oben, zog mich aus und massierte meinen ganzen Körper. Danach sagte er: Jetzt fühle ich mich dir näher, als wenn wir zusammen geschlafen hätten. Für uns beide war das eine sehr innige Liebesbeziehung. Fast alle die ich kenne, orientieren sich an der Sexualität, doch die meisten Männer respektieren offenbar meinen Wunsch, mich sexuell zu enthalten. Im allgemeinen sage ich es ihnen, wenn sie mich einladen. Entweder macht es ihnen nichts aus, sie sind verwirrt oder fühlen sich herausgefordert. Ist letzteres der Fall, geht jeder seine Wege. Das negativste Echo zum Thema Zölibat kommt offenbar von anderen Frauen. Ich habe den Eindruck, dass jede Frau von Zeit zu Zeit sexuell enthaltsam leben möchte, daß aber nur wenige stark genug sind, dem gesellschaftlichem Druck zu widerstehen. Aus eben diesem Grund besteht viel Abneigung gegen die Enthaltsamkeit. Ich glaube, man muss bereit sein zum Zölibat, wie man bereit sein muß zur Sexualität. Doch muß man in der Lage sein, eine eigene Wahl treffen zu können, der die eigenen Bedürfnisse zugrunde liegen. ich kann das Zölibat nicht jedem empfehlen.
Alexandra 42 Jahre, Beraterin
Frauen und das Zölibat I
Frauen und das Zölibat II
Frauen und das Zölibat III
Frauen und das Zölibat IV
Frauen und das Zölibat V
Frauen und das Zölibat VI
Zölibat und Bewusstsein I
Zölibat und Bewusstsein II
Das alte Zölibat
Das neue Zölibat I
Das neue Zölibat II
Das neue Zölibat III
Das neue Zölibat IV
Das neue Zölibat V
Das neue Zölibat VI
Quelle:
The new celebacy - Deutsch:
Liebe ohne Sex