Zölibat und Tradition - Ein kurzer Rückblick
In fast jedem Zeitalter genoß das Zölibat, als ein erhabenes Ideal gegenüber der Ehe, hohes Ansehen. Wenn der Sex als tierische Leidenschaft beschrieben wird, dann bedeutet dies nicht, dass wir so häufig Sex haben, wie die Tiere, da diese nicht so oft Sex haben. Vielmehr bedeutet es, dass wir anstatt unseren Intellekt zu entwickeln, unsere Sinne befriedigen. Dadurch nehmen wir uns selbst die Möglichkeit, etwas über uns selbst oder die Welt zu erfahren. Sinnliches Vergnügen stumpft den Geist ab, anstatt ihn zu schärfen. Die Menschen des Altertums wussten, je mehr Zeit wir uns für das Studium, die Kontemplation, das Lesen und Lernen nehmen, desto weniger Zeit und Energie haben wir für den Sex.
Heutzutage wird die Idee, dass die Menschen besser und kreativer werden, wenn sie sich von der Sinneslust befreien, belächelt und verspottet. Man wird beschuldigt, unrealistisch zu sein und den Kopf in den Wolken zu tragen. Einer der Gründe dafür, dass dies so ist, da bin ich mir ziemlich sicher, sind die religiösen Ratgeber, Priester, Vikare, Rabbiner, die uns kein gutes Beispiel geben, wie man leben sollte. Die Vikare der Kirche von England haben Geliebte, werden geschieden, verfolgen Chorknaben und führen ein Leben, das weit entfernt vom Zölibat ist. Viele katholische Priester haben ihr Amt verlassen, um zu heiraten oder eine Beziehung mit einer Frau einzugehen, in die sie sich verliebt haben. Wenn die angeblich religiösen Menschen das Zölibat nicht einmal einhalten, besteht dann eine reale Chanche, dass wir es ebenfalls versuchen?
Wenn das Zölibat heutzutage als eine wertvolle Idee angesehen werden soll, muss sie von der Religion getrennt werden. Ich bevorzuge es, das Zölibat unter dem Gesichtspunkt der Selbstverwirklichung, als einen individuellen Weg zu betrachten, um persönliche Macht, nicht Macht über andere Menschen, sondern Macht über sich selbst, zu gewinnen, sich als jemand zu beweisen, der "Herr über seine Leidenschaften" ist, wie eine alte Hymne (Kirchenlied) es beschreibt. Wenn das Zölibat aus den rechten Gründen praktiziert wird, dann überträgt es persönliche Kraft, Anmut, Autonomie und Unabhängigkeit. Wenn es lediglich als eine Übung zur Entsagung und Selbstbeherrschung und als ein Zurückziehen von der menschlichen Gesellschaft angesehen wird, dann kann das ein negativer Zustand sein. Wenn man versucht, die fleischliche Lust zu überwinden, dabei aber Fehler macht, dann sollte man sich nicht selber verachten und als schlecht betrachten. Auch sollte man sich nicht von anderen Menschen vom eigenen Vorhaben abbringen lassen. In den Beschreibungen der Qualen, die die frühen christlichen Heiligen ertragen haben, als sie versuchten, die körperlichen Leidenschaften zu überwinden, finden wir viele Antworten.
Sex ist keine Pflicht I - Vorwort I
Sex ist keine Pflicht II - Vorwort II
Sex ist keine Pflicht III - Vorwort III
Sex ist keine Pflicht IV - Gibt es wirklich sexuelle Wünsche? I
Sex ist keine Pflicht V - Gibt es wirklich sexuelle Wünsche? II
Sex ist keine Pflicht VI - Gibt es wirklich sexuelle Wünsche? III
Auszüge aus dem Buch "Sex is not compulsory" von
Liz Hodgkinson