Hi Opti,
zwei Punkte wollte ich noch kurz ansprechen, bzw. Deine Meinung dazu hören:
1) Beinhaltet Deine Enthaltsamkeitsempfehlung für Männer auch, dass diese sich auch der Selbstbefriedigung zu enthalten haben?
2) Ein Cousin von mir, der mit mir auch offen über dieses Thema spricht, ist, bzw. war auch so ein "Sexsüchtiger". Er lebt gezwungenermaßen seit längerer Zeit enthaltsam, weil sein Weib nicht mehr mitmacht. Er steht dennoch zu ihr und dieser Beziehung und sucht auch nicht den Kontakt zu anderen Frauen. Er beschreibt es so, dass er am Anfang sehr gelitten habe, weil er nicht wußte, wohin er mit dieser nach Entladung suchenden Energie hin sollte. Dann habe er sich einfach noch mehr in seine Arbeit gestürzt und so mit der Zeit das sexuelle Drängen in ihm verdrängt. Jetzt habe er da kaum noch Zugang zu, dafür sei er nun ein echter workaholic.
Wie ist das bei Dir? Kannst Du bei Dir auch derartige Kompensationsmechanismen feststellen? Und wenn ja, wie gehst Du damit um? Alles, was man irgendwie zwanghaft tut, steht ja wohl der "permanenten Seligkeit", die Du anstrebst entgegen, oder?
Katarina
Katarina, du zäumst das Pferd von der falschen Seite auf. Du urteilst aus deinem Verständnis über Sexualität heraus. Das ist vollkommen normal, denn so würden wir uns eigentlich alle verhalten. Dadurch aber bleiben dir andere Einstellungen verschlossen. Möchtest du aber andere Einstellungen verstehen, dann musst du dich von deinen eigenen Vorstellungen lösen. Sicherlich bist du davon überzeugt, dass allein deine Einstellung richtig ist. So urteilen wir letzten Endes alle. Das Maß nach dem wir urteilen, sind unsere eigenen Erfahrungen. Aber es gibt vielleicht Erfahrungen, die dir bisher verschlossen waren und die du deshalb nicht mit in deine Überlegungen einbeziehst, nicht einbeziehen möchtest oder nicht einbeziehen kannst. Hättest du diese Erfahrungen, dann würdest du womöglich zu einem ganz anderem Urteil kommen. Beginnen wir bei deiner Vorstellung der Zwanghaftigkeit, die ich einmal mit Unterdrückung gleichsetzen möchte. Sexuelle Enthaltsamkeit geschieht aber nicht zwanghaftig, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie du es wahrscheinlich verstehen würdest, wie es die Allgemeinheit versteht, und sie ist auch keine Unterdrückung. Um dieses zunächst einmal zu verstehen, wiederhole ich ein paar Worte Swami Chidanandas:
Bedeutet Brahmacharya Unterdrückung der Sexualität?
Brahmacharya, oder Zölibat, ist ein rationaler Vorgang zur Bewahrung und Erhaltung wertvoller Energie, damit diese für andere sehr wesentliche und unerläßliche Funktionen zur Verfügung stehen kann. Und wenn sie auf diese Weise bewahrt wird, kann sie umgeformt werden. Brahmacharya bedeutet weder Unterdrücken noch Verdrängen von Sexualität. Die Sexualität wird umgangen - und dieses sexuelle Potential wird für etwas verwendet, das zehnmal, hundertmal großartiger ist. Deshalb ist es ein Missverständnis, von Unterdrückung oder Verdrängung zu sprechen. Das liegt an einem mangelnden Verständnis dafür, was es mit der wirklichen spirituellen Suche auf sich hat. Wenn man es richtig versteht, wird man nicht so darüber sprechen. Wir sind nicht einfach Menschen, wir sind mehr als Menschen. Unsere Erscheinungsform als Menschen ist nur ein schwacher Widerschein dessen, was wir in Wahrheit sind. Der einzige Grund, warum unsere Erscheinungsform als Menschen von Bedeutung und Wichtigkeit ist, besteht darin, dass sie uns, wenn sie richtig verwendet wird, erhebt und dahin bringt, wohin wir eigentlich gehören, in das Königreich - auf das wir ein Geburtsrecht haben.
Doch ist die Vorstellung im Westen, dass Brahmacharya Unterdrückung ist, zumindest in einer Hinsicht nicht ganz abwegig. Wenn ein natürliches Potential unterdrückt oder verdrängt wird, kann das unerwünschte Veränderungen in der Persönlichkeit hervorrufen. Wenn Brahmacharya einem Menschen gegen seinen Willen und gegen seine Überzeugung aufgezwungen wird, können daraus natürlich abnorme Zustände resultieren, weil der Mensch dazu veranlasst wird, etwas zu tun, was er oder sie tief im Inneren nicht tun will - gezwungen von anderen, von sozialen Zwängen oder durch das Ablegen von Gelübden, die er oder sie nicht hätte ablegen sollen, ohne vorher genau und gut überlegt zu haben, was damit verbunden ist.
Wenn aber ein intelligenter Mensch die gesamte Situation des Lebens gut durchdacht hat, sich sagt: "Wenn ich etwas Großes und Mächtiges erreichen will, kann ich es mir nicht leisten, die mir zur Verfügung stehenden Energien zu verschwenden. Je mehr ich sie bewahre, desto mehr kann ich sie für diese Absicht einsetzen, und desto besser sind die Chancen auf Erfolg."
Wenn der Mensch so denkt und die rationale Seite dessen verstanden hat, und wenn die höchste Errungenschaft, zu der er strebt, ihm das wert ist, wenn er oder sie aus freiem Willen, mit voller Absicht und großer Begeisterung zum Zölibat schreitet, wo ist dann Unterdrückung? Ganz im Gegenteil, das, was als Selbstverleugnung erscheint, gibt effektiv einer höheren Dimension unseres Wesens Ausdruck, in die man sich jetzt begeben hat. Also weit davon entfernt, darauf zu verzichten, sich selbst Ausdruck zu verleihen, gibt es dem Menschen seinen vollen Ausdruck, da er sich nicht länger mit dem geringeren Aspekt seiner Gesamtpersönlichkeit identifiziert. Er identifiziert sich mit dem höheren Aspekt. Es ist eine Art Befreiung und Entwicklung hin zu einem höheren Niveau. Es ist etwas Positives, Kreatives und nicht etwas Negatives. Es ist kein Verneinen, sondern effektiv ein Ausdruck seiner selbst.
Wenn das so gesehen wird, irren Freud und die anderen. Sie haben eine solche Situation oder Möglichkeit nie erwogen. Und es ist nicht nur eine Möglichkeit, es ist eine Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Tradition - für jemanden, der bereit ist, alles zu tun, alles zu geben und jeden Preis dafür zu bezahlen, um das Höchste zu erlangen.
Swami Chidananda:
Das göttliche Leben
Wenn wir schon von Zwanghaftigkeit sprechen, dann könnte man ebenso das permanente sexuelle Begehren als zwanghaft betrachten.
Brahmacharya bedeutet, dass man sich jeglicher Sexualität enthält. Ich finde es eigentlich schade, dass dein Cousin den Charakter der Sexualität nicht durchschaut hat. Im Grunde genommen hat sich seine Sexsucht nur verlagert. Er ist dem Problem nicht wirklich auf den Grund gegangen. Es ist der Weg von einer Sucht in eine andere, von der Sexsucht in die Arbeitssucht. Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass dadurch die Sexsucht völlig verschwunden ist. Aber vielleicht gelingt es manchen Menschen sogar tatsächlich, ihre sexuellen Begierden zu verdrängen, sie zu ignorieren. Das kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Im Prinzip müsste er sich nun aber eigentlich mit seinem Workoholic auseinander setzen.
Nun zur zweiten Frage, nach dem Kompensationsmechanismus. Auch dies ist ein Urteil, das meinem Empfinden auf Unkenntnis beruht. Hinter Kompensationsmechanismus versteckt sich meiner Ansicht nach ein wenig die Idee, dass es vorher etwas Gesundes gab, das man abgelegt hat und das nun auf irgendeine Weise kompensiert werden muss. Aber es gab vorher nichts Gesundes. Was es gab, war eine sexuelle Sucht, die über viele Jahre weder erkannt, noch hinterfragt wurde, die erst durch das Verhalten der Ehefrau, durch ihre Weigerung, diese Sucht weiterhin zu befriedigen, bzw. sich für diese Befriedigung benutzen zu lassen (viele Frauen sprechen in diesem Zusammenhang, weil sie die Wahrheit nicht sehen wollen, gerne von Liebe) ans Tageslicht gezerrt wurde.
Ich könnte dir das, was du als Kompensationsmechanismus beschreibst, natürlich sehr detailliert beschreiben. Aber das hätte wenig Sinn, weil es nicht das Problem ist, das die Menschen bewegt. Die Menschen bewegen sich im allgemeinen auf einer der unteren spirituellen Ebenen. Und deshalb macht es wenig Sinn, ihnen etwas von den höheren spirituellen Ebenen zu erzählen. Das wird ihnen nicht weiterhelfen. Was den Menschen im allgemeinen weiterhilft, ist der Schritt von der spirituellen Ebene, auf der sie sich momentan befinden, auf die nächst höhere spirituelle Ebene. Und allein dieser Schritt ist so schwer und anstrengend, dass die damit wahrlich genug zu tun hätten, wenn sie überhaupt den Mut und die Kraft hätten, diesen Weg zu beschreiten. Allein dieser Weg ist so tiefgründig, weil dazu normalerweise ein jahrelanger Bewusstseinsprozess erforderlich ist, um sehr viele Dinge zu erkennen und zu verstehen.
Erst nachdem dieser Prozess gelaufen ist, nachdem man begonnen hat, sich selber zu analysieren, nachdem man begonnen hat, sich mit all seinen Ängsten und psychosomatischen Beschwerden auseinander zu setzen, beginnt man den ersten Schritt auf seinem individuellen spirituellen Weg. Vielleicht beginnt auch erst jetzt die erste theoretische Auseinandersetzung mit der Spiritualität, z.B. in Form von Yoga. Ich selber habe z.B. etwa allein etwa 10 Jahre gebraucht, um die Yogaphilosophie einigermaßen zu verstehen. Ich hatte allerdings den kleinen Vorteil, dass ich vorher tiefgehende spirituelle Erfahrungen besass. Dieses ist also auch möglich. Es ist also möglich, tiefe spirituelle Erfahrungen zu machen, ohne vorher auch nur das geringste spirituelle Wissen zu besitzen. Es sollte aber am besten beides Hand in Hand gehen, sowohl die praktischen Erfahrungen, als auch die theoretischen Erfahrungen, damit man wirklich weiß, was da eigentlich abläuft.
Ein wichtiger Faktor in diesem ganzen Zusammenhang ist auch das Alter. Junge Menschen werden in der Regel wesentlich schnellere spirituelle Fortschritte machen. Mit jung meine ich Menschen, die unter 30 Jahren sind. Leider sind aber die meisten jungen Menschen viel zu oberflächlich, so dass sie sich kaum mit spirituellen Fragen, bzw. mit ihrer Sexualität auseinander setzen.
Noch einmal zurück zum Kompensationsmechanismus. Es geht in erster Linie darum, sich von seiner sexuellen Sucht zu befreien. Dazu sind in erster Linie zwei Dinge erforderlich: 1. Enthaltsamkeit und 2. Kontemplation (Meditation, Autogenes Training, Beten, Zen, u.a. andere kontemplative Techniken). Beide müssen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit betrieben werden. Dann wird irgendwann die sexuelle Sucht verschwinden und es können sich andere Dinge entfalten. Ich würde also viel lieber von einem Entfaltungsmechanismus sprechen, als von einem Kompensationsmechanismus. Aber dazu muss man natürlich wissen, was sich entfaltet. Ich möchte darauf auch gar nicht weiter eingehen. Derjenige, der solch einen spirituellen Weg beschreitet, wird es eines Tages selber merken was sich entfaltet. (Nebenbei gesagt, lebt derjenige Mann der enthaltsam lebt, nicht ohne Sexualität. Aber das möchte ich hier auch nicht weiter vertiefen. Es ist ohnehin nur für die interessant, die wirklich enthaltsam leben möchten, also für eine ganz kleine Minderheit unter den Männern (und Frauen). Und die werden sich hoffentlich die Mühe machen, die entsprechende Literatur zu lesen. z.B. Brahmacharya - Link siehe unten)
Ich ende erst einmal hier.