Aus dem Thomasevangelium:
Logion 2 – (1) Jesus spricht: „Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, bis er findet. (2) Und wenn er findet, wird er bestürzt sein. (3) Und wenn er bestürzt ist, wird er erstaunt sein. (4) Und er wird König sein über das All."
Dieser Spruch Jesu ist einem anderen Logion ähnlich:
Logion 84 – (1) Jesus spricht: „Wenn ihr euer Abbild seht, freut ihr euch. (2) Wenn ihr aber eure Bilder sehen werdet, die vor euch entstanden – weder sterben sie noch erscheinen sie – , wieviel werdet ihr ertragen?"
Was könnten diese Worte Jesu bedeuten?
Wer sucht, bis er findet, wird etwas finden, das ihn in höchstem Maß beunruhigen, ja erschrecken wird, und zwar: sich selbst. Wir wiegen uns nämlich in der Illusion, dass diese Welt die beste aller möglichen Welten ist (Leibniz), dass ein Leben ohne Gott schön und bedeutungsvoll sein kann.
Diese Welt ist aber nicht die Welt, aus der Jesus stammt (Joh 10,23: „ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt.“). Wenn die Welt des Vaters eine Welt des Lichts ist, muß unsere Welt eine Welt der Finsternis sein.
Die Wesen, die von der Welt des Vaters stammen, sind die schönsten Wesen, weil sie ein Ausdruck Seiner Liebe sind. Wer das Licht des Vaters nur rein äußerlich liebt und danach lebt, ist weniger schön. Wer das Licht nicht sieht oder überhaupt nicht kennt, ist dementsprechend hässlich und je böser und heuchlerischer ein Mensch ist, umso geistig hässlicher er ist. Geistig gesehen ist er eine Leiche.
Wenn wir den Mut aufbringen, nach unserer wahren Identität zu suchen, und die Augen aufzumachen, werden wir ein schreckliches Bild vor unseren geistigen Augen sehen. Wir werden nämlich feststellen, dass die ganze Welt hässlich ist, weil der Vater nicht in dieser Welt der Finsternis wohnt. Nach dem Tod wird sich uns ein noch schlimmeres Bild bieten: Eine Welt voller hässlicher Geister. Geister sind noch hässlicher als die Lebenden, weil ein Geist sein wahres Wesen nicht verbergen kann. Er ist sozusagen „nackt“.
Das ist der Grund, warum wer findet, bestürzt sein wird. Es handelt sich um einen unvermeidlichen Schock, der jedoch die Chance verbirgt, zu erwachen. Durch diese Erkenntnis wird der Suchende nach und nach verstehen, warum viele Dinge in seinem Leben und in dieser Welt nicht funktionieren. Er gewinnt immer tiefere Erkenntnisse über sich selbst und Gott und versteht, wie er sich von den Ereignissen nicht mehr steuern lassen kann. Das ist wahre Selbstfindung. Er wird der Herr in seinem Haus. So ein Mensch hat das Potenzial, ein König des Alls zu werden. Das war und ist immer noch die Botschaft Jesu.