Hallo
Noch ein Artikel zum Nachdenken:
Knapp 15 Jahre hat es von der Idee, alle Gene des Menschen zu entschlüsseln, bis zur (Fast-)Vollendung gedauert, und da ist immerhin die Neugierde gewachsen, einen Blick in die 3,2 Milliarden Buchstaben zu werfen, die in jeder Zelle des menschlichen Körpers lagern. Was aus den Artikeln durch technische Details hindurchschimmert, zeigt, dass sich Mühe und Kosten sicherlich gelohnt haben.
Wer sich das Erbgut als leicht lesbares Buch des Lebens, als Blaupause oder Bauplan des Menschen vorgestellt hat, wird enttäuscht sein. Schätzungsweise 3,2 Milliarden Buchstaben enthält das in jeder Zelle des Menschen lagernde Erbgut. Gene sind in der Buchstabenwüste aber noch seltener, als man bislang angenommen hat: Weniger als zwei Hundertstel dessen, was Eltern an ihre Kinder vererben, sind Gene, die in Proteine übersetzt werden. Im Wurm-Erbgut liegen die Gene um den Faktor 20 dichter. Der Rest des Erbguts besteht zum Großteil aus fast endlosen Wiederholungen einiger weniger Buchstabenfolgen, deren Aufgabe man noch nicht kennt. Zudem sind die Gene des Menschen im Vergleich zu denen von Wurm oder Fliege fast bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt so als würde ein Spielfilm nach jedem kurzen Dialog von stundenlangen Werbepausen unterbrochen.
Diese Zerstückelung sorgt auch dafür, dass beide Forschergruppen für das oberste Ziel ihrer Projekte, nämlich die Komplettierung einer Liste aller menschlichen Gene, vermutlich noch einige Jahre brauchen werden. Klar ist, dass bisherige Schätzungen von 100 000 menschlichen Genen deutlich zu hoch lagen. Die Computerprogramme des Genom-Konsortiums haben bislang 22 000 Kandidaten identifiziert, es rechnet mit insgesamt etwa 32 000 Genen. Celeras Software findet knapp 27 000 Kandidaten, und Venter schätzt die Gesamtzahl auf 39 000 Gene.
Beide Zahlen sind noch mit Vorsicht zu genießen. Wer den Menschen wegen der Zahl seiner Gene für eine Besonderheit der Schöpfung gehalten hat, dem geben die Zahlen auf jeden Fall Stoff zum Grübeln. Fliegen haben 13 000 Gene, Würmer 18 000, und im Genom einer Pflanze sind es 26 000. Wir glauben, wir sind höhere Wesen, sagt Mani Subramanian von Celera, dabei haben wir etwa dieselbe Zahl an Genen wie eine Pflanze. Einfacher wird es dadurch für die Forscher, die etwa mit Hilfe des Genoms neue Therapien zu entdecken hoffen, aber nicht: Nach den bisherigen Analysen unterscheidet sich der Mensch von Wurm und Fliege dadurch, dass aus den meisten seiner Gene drei oder mehr verschiedene Protein-Versionen entstehen können. Wir haben vielleicht weniger Gene als gedacht, dafür haben die einzelnen Gene offenbar mehrere Funktionen, sagt Ropers.
Die spannendsten Schlussfolgerungen aus dem menschlichen Erbgut werden in den nächsten Jahren ohnehin nicht aus der Medizin kommen, sondern aus der Evolutionsforschung. Die Wissenschaft, die nach der Abstammung des Menschen, nach seiner Ausbreitung über die Erde fragt, wird die Menschheit zwingen, den Gedanken zu Ende zu denken, den Charles Darwin bereits vor 150 Jahren formuliert hat: Alles Leben hat einen gemeinsamen Ursprung. Und der ist am Genom ablesbar. Celera hat seit Sommer bereits eine erste Version des Maus-Erbguts entschlüsselt, weitere Gruppen wollen in den nächsten Jahren unter anderem das Erbgut von Ratte, Fischen und Menschenaffen entschlüsseln auch Schimpansen, die nächsten Verwandten des Menschen, gehören dazu. Forscher wie Svante Pääbo ahnen bereits, was das Ergebnis sein wird: nämlich dass Zahl und Art der Gene im Schimpansen-Erbgut fast völlig mit der des Menschen identisch sein werden.
Das wäre das Ende des Mythos, dass der schlichte Besitz eines Gens zum Maßstab dafür gemacht werden kann, was den Menschen vom Tier trennt. Doch wenn die Anwesenheit einzelner Gene schon nicht taugt, um den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu erklären, umwie viel schwieriger wird es dann sein, die Unterschiede zwischen zwei Menschen durch Gene zu erklären?
Quelle:
Ein Mensch - Drei Fliegen
Alles Liebe. Gerrit