Elli schrieb:
Dann erklär mir doch bitte, wie du die Welt organisieren würdest! Oder wärs ok, wenn grenzenlos gemordet, vergewaltigt, geprügelt, gestohlen, etc. würde?
Woraus schliesst Du, dass in einer Welt mit einem anderen Gesellschaftssystem grenzenlos gemordet, vergewaltigt, geprügelt, gestohlen usw, würde ? Vielmehr wird in unserem System grenzenlos gemordet, vergewaltigt, geprügelt, gestohlen, betrogen - das haben wir also schon. Wo also greift unser System ??
Derzeit ist alles auf einen schlichten Nenner zu bringen, je mehr Kapital einer hat, desto "gerechter" läuft sein Leben ab. Alle Institutionen inklusive jene für Gesundheit und Justiz sind industriealisiert und haben eine Eigendynamik entwickelt - ebenso wie Recht und individuelle Gerechtigkeit gekauft werden kann, kann Gesundheit oder Bildung oder was auch immer gekauft werden.
Ich bin kein Sozialist oder Kommunist - aber diese Art von Kapitalismus ist viel tragweiter und schlimmer als das meist wahrgenommen wird.
Unsere Justiz bestraft in der Regel z. B. nicht den Betrüger (da müssten ja sofort alle Politiker oder Bankdirektoren oder Telefongesellschaftsverantwortlichen..... eingelocht werden), sondern nur jenen, welcher mangels Erfolg zuwenig Kapital für eine Brachialverteidigung aufbringt. Der (Kapital-)Schwache ist es, der wie seit der Steinzeit aufs Dach bekommt und die Industrieländerbevölkerung ist schon lange zum Sklaven der Wirtschaft degradiert und merkt es nicht einmal.
Elli schrieb:
Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass alle Menschen so nett sind, sich anständig zu benehmen?
Nein, das glaube ich nicht aber glaubst Du nicht, dass Du Ursache und Wirkung verwechselst ?
Es gibt in der Sozialanthropologie zahlreiche Beispiele, was passiert, wenn das System völlig anders funktioniert:
So schildert Bronislaw Malinowski etwa, dass Eifersucht bei den Trobriandern in der Südsee eine kaum feststellbare Rolle spielt .
Sieht man bei diesem Volk etwas genauer hin, wird man ein paar typische Unterschiede zu unserer Moral und Wertordnung finden: Privateigentum spielt eine untergeordnete Rolle. Kindersexualität wird von den Erwachsenen akzeptiert, die Kinder entwickeln eine ganze Reihe phantasievoller Sexualspiele. Die Trobriander werden als ein glückliches, lebensfrohes und friedliches Volk bezeichnet. Sie kennen keine Gewalt, keinen Krieg und haben für Diebstahl in ihrer Sprache kein Wort.
Kinder erfahren von den Erwachsenen sehr viel Fürsorge, Zuwendung und keinerlei Trieb- und Leibfeindlichkeit.
Die Murias in Indien bilden dazu eine interessante und aufschlussreiche Variante. Kinder ab drei Jahren und Jugendliche leben in einem Ghotul. Dies ist ein Kinderhaus, eine Kinderrepublik, wo sie nach eigenen Gesetzen in sexueller Freiheit leben. Erwachsene haben dort keinen Zutritt. Das Ghotul organisiert die Ernte, die Jagd, Hochzeiten und Begräbnisse.
Von der indischen Regierung wurden die Murias oft als das glücklichste Volk der Erde bezeichnet. Sie kennen bei Kindern und Jugendlichen keine Eifersucht und keine Kriminalität, kein Rowdytum und kein Rockergebaren, keine Prostitution und keine Homosexualität.
Eifersucht und Gewalt stehen in enger Beziehung zu Privatbesitz, Patriarchat und sexueller Unterdrückung.
Auch der bekannte Polarforscher Fridtjof Nansen trägt dazu einen Beleg bei. Er schreibt von den Inuit (Eskimos), bevor sie missioniert wurden, dass sie Gewalt nicht kannten und für Mord in ihrer Sprache kein Wort hatten. Kinder zu schlagen war bei ihnen eine schwere Verfehlung.
Als sie einmal zwei Matrosen erlebten, die sich prügelten, standen sie staunend daneben und konnten sich dies nur damit erklären, dass die beiden sich irrtümlich nicht für Menschen hielten. Es fällt auf, dass auch bei den Inuit erstaunlich freie Sexualnormen herrschten.
(Quelle: Bronislaw Malinowski, Geschlecht und Verdrängung in primitiven Gesellschaften)
Ortega y Gasset hat die abendländische Kultur des 20. Jahrhunderts als die Kultur des Massenmenschen beschrieben und diesen als einen "zivilisierten Wilden" scharf gekennzeichnet.
Zum Wesen des Massenmenschen gehört indessen, das er auswechselbar ist und sich als jederzeit ersetzbar empfindet. Das gilt für die berufliche Stellung wie für die private Rolle. Eifersucht, wie immer sie aus dem Triebschicksal des Einzelnen sich herleitet, ist die fast bewusst gewordene Angst, von einem anderen verdrängt und ersetzt zu werden.
Blicken wir aufs Ganze unserer hochkomplizierten Massengesellschaft, so erscheint unsere Kultur schon von ihren sozialen, juristischen und verwaltungstechnischen Organisationen her als hochentwickelt.
Und doch ist die Planung, Steuerung und Weiterentwicklung dieses hochentwickelten Systems nur eine Sache weniger Experten in Politik, Justiz, Verwaltung, Wirtschaft und Technik.
Der sogenannte Mann auf der Straße überblickt das nicht; ahnt kaum, was er über seinen Kopf hinweg geplant wird.
Unsere Hochkultur ist allem Vertrauen in die Lebensform der Demokratie zum Trotz die Kultur einer Elite. Die schöpferischen Kräfte des durchschnittlichen Bürgers liegen brach. Während die "primitive" Eskimofrau noch alle Kleidung ihrer Familie vom Schuhwerk bis zu den Pelzmützen selber herstellte und kunstvoll verzierte, kauft der "Normalmensch" unserer "Hochkultur" nahezu alles von der Stange.
Der Einwand, Primitivkulturen könnten uns Bürger einer Hochkultur über gar nichts belehren, ist mit Vorsicht zu nehmen, wenn man nicht weiß, was eine "Hochkultur" sein soll. Weitgehend eifersuchtfreie und aggressionsfreie Kulturen mit geringem technischem Status zeigen nicht mehr und nicht weniger als eine anthropologische Möglichkeit auf.
Sie zeigen, was bei Menschen überhaupt durch eine nichtfrustrierende Erziehung sich ausbilden kann, ein hautnahes, friedliches Miteinadersein, das niemanden böse ausspielt oder mit Hass verfolgen lässt.
Wenn der technische Stand einer Kultur und ihre gelebte Moral nicht in enger Verzahnung sich wandeln, dann ist nicht einzusehen, weshalb eine technische Hochkultur, um sich zu erhalten und fortzuentwickeln, auf sexuelle Engherzigkeit angewiesen sein soll.
Es kommt auch niemand auf den Gedanken zu fordern, unsere Techniker und Ingenieure hätten besonders sittsam zu leben.
Wir brauchen nicht das elektrische Licht abzuschaffen, um einander duldsamer zu begegnen.
(Quelle: "Eifersucht Ein Lesebuch für Erwachsene", Heinz Körner)
und
http://matriarchat.info/index.php?option=com_content&task=view&id=34&Itemid=262
Elli schrieb:
Ich weiss selbst aus bester und persönlicher Erfahrung mehrfach, dass das System nicht perfekt ist. Aber Menschen, die zusammenleben, erstellen automatisch Gesetze. Das beginnt bei den Höflichkeitsregeln und sozialen Verhaltensweisen und gipfelt dann in Gruppenentscheidungen zu verschiedenen Themen.
Das ist, mit Verlaub, schlichtweg falsch. Das erkannte schon vor tausenden Jahren LaoTse: "Wo Gesetzmässigkeiten verlassen, werden Gesetze verhängt!" Das System ist nicht unperfekt sondern unmenschlich und automatische Gesetze gibt es nicht: Gesetze werden von Mächtigen
gegen die Bevölkerung (Schwachen) eingesetzt, meist zum Erhalt ihrer Macht und meist ohne Gültigkeit für die Starken - wie es immer schon war. Soziale Verhaltensweisen sind ein völlig anderes Kapitel (siehe oben) und Gruppenentscheidungen wären, wenn denn vorhanden, ein Ansatz zu Demokratie. Apropos Demokratie, das wäre ein eigenes langes Thema - denn was wir haben ist keine Demokratie, auch wenn es uns immer vorgegauckelt wird.
Elli schrieb:
Also bitte, würd mich echt interessieren, ... Was für eine Sorte System könnte das aktuelle Rechtssystem ablösen? Was wäre besser? Gerechter? Erfolgsversprechender?
Und vergiss beim Bau des Systems bitte nicht die menschlichen Eigenschaften wie Hass, Gier, Neid, Missgunst, etc. ... und vor allem vergiss nicht, die menschliche Neigung, ständig zu klassifizieren und zu urteilen!
Wenn du mir ein System vorstellst, das besser funktioniert, bin ich sofort auf deiner Seite. Versprochen
Hier halte ich mich besser zurück, denn jede Anarchie kann nur besser sein, als das, was wir haben. Hass, Gier, Neid, Missgunst, etc. halte ich nicht für menschliche Eigenschaften, sondern eher für unmenschliche - DURCH DAS SYSTEM erst produzierte Eigenschaften und das Gleiche gilt für klassifizieren und (ver-) urteilen. Zudem wären da auch noch die Religionen zu erwähnen, welche ja massgeblich am Scheitern unseres Zusammenlebens beteiligt sind und waren.
Etwas hilfloser bin ich dann aber auch, wenn es darum ginge, dieses System zu ändern. Das könnte wohl nur mittels einer gewaltigen "Revolution" geschehen und wer diese verursachen könnte, kann ich nicht erkennen. Ein guter Anfang wäre jedenfalls, etwa alle Gesetzbücher ausser Kraft zu setzen und mit einem philosophischen Weisenrat ein paar Dutzend Grundregeln erstellen, die eigentlich ausreichen würden, ein friedliches Zusammensein zu garantieren. Wenn dann vielleicht der zivilisierte Mensch sich auch noch seiner Menschlichkeit besinnen würde, wäre schon viel geschehen und verändert.
In diesem Sinne auch noch eine Frage zur Causa Kindermord: Wo sind hier die Nachbarn, Freunde, Verwandten, Lehrer, Kindergartentanten......usw. geblieben ?
ElkeB schrieb:
Ein Heilmittel für diese Situation, die seit Menschengedenken so ist, habe ich auch nicht, weil gerade die von Dir zitierten Charaktereigenschaften, wie Neid, Habsucht etc. immer wieder zu eben diesem System führen.
ElkeB, ich glaube es ist die Resignation, welche uns glauben macht, das sei immer schon so gewesen und unabdingbar ? (siehe oben)
L. G.
Ramar