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Solche Shitstorms sind bislang zwar heftig, aber meist nur kurzlebig, und wenige Tage/Wochen später kräht meist kein Hahn mehr danach. Kaum jemand denkt noch an Jana aus Kassel. Ich fand den Shitstorm, den sie geerntet hat, verdient, aber jetzt wird sie (hoffentlich etwas klüger) ihr Leben fortführen können - zumindest hoffentlich, denn das gönne ich ihr auch. Ebenso kräht kaum jemand mehr nach #AllesDichtMachen - insbesondere nach Jan Josef Liefers. Auch hier fand ich den Shitstorm sehr verdient. Und auch hier gönne ich den Beteiligten - insbesondere jan Josef Liefers, den ich gerne mag, weil er mir vorher einige Male positiv aufgefallen ist - wenn sie nun ihr Leben fast unbehelligt weiterführen können.
Ich finde Shitstorms eigentlich nur sehr selten wirklich verdient und noch seltener irgendwie positiv. Denn fast immer sind auch die zu oberflächlich und von Natur aus zu extrem. Sicher, da wird niemand gesteinigt oder ins Gefängnis geworfen. Aber ein echter Shitstorm ist eine große Macht, psychologisch fliegen da sehr viele Steine. Ich bin immer dafür, dass Menschen Fehler machen dürfen und das sie damit konfrontiert werden, aber das man ihnen auch Raum lässt. Ein Problem ist ja auch: Das Internet vergisst nicht. Stell Dir einen jungen Menschen vor der irgendeinen Blödsinn sagt oder postet und auf einmal liegt der Fokus eines großen Kollektivs darauf das nicht nur den Blödsinn bloß legt sondern vor allem die Person thematisiert. Wir sprechen nicht mehr von Jana aus Kassel oder wem auch immer. Die werden sich aber lange nicht davon erholen. Bei Liefers sehe ich es etwas anders, denn deren Aktion war ja auf Aufmerksamkeit angelegt und das sind Medien-Profis und werden sicherlich damit klar kommen.
Am 10. November 1988 hat der damalige Bundestagspräsident Phillipp Jenninger eine Rede zum 50. Jahrestag der Novemberprogrome vor dem Bundestag gehalten. Er bediente sich dabei dem Stilmittel sich rhetorisch-fragend in die Täter hineinzuversetzen. DAS ging ordentlich nach hinten los: Durch diese Rhetorik gepaart mit ungeschickter Betonung, Körpersprache o.ä. kam das für viele so rüber, als wolle er die Täter (also Nazi-Deutschland) verteidigen und den Opfern (Juden) eine Schuld in die Schuhe schieben. Geschickte Redner, die Rhetorik etc. gut beherrschen, hätten die selbe Rede halten können, wahrscheinlich ohne, dass es so verstanden worden wäre. Schlussendlich erntete Jenninger auch viel Kritik, weswegen er schlussendlich zurücktreten musste. Er ist sicher kein böser Mensch und kein Antisemit o.ä. Dennoch denke ich, dass auch hier dieser Shitsotorm (in der damaligen Form) gerechtfertigt war. Er hat sich mit der Rede und den gewählten Stilmitteln stark übernommen. Und wer entweder rhetorisch derart ungeschickt ist bzw. seine rhetorischen Fähigkeiten derart schlecht einschätzen kann, hat in dem Posten nicht viel zu suchen.
Den Fall kenne ich nicht. Aber sicher, auch früher schon gab es "Shitstorms", wobei die Anlässe dafür dann zumindest signifkanter waren.
Da habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt: Tatsächlich glaube ich, dass es früher mehr möglich war - also besser - dass Politiker Partei-übergreifend respektvoll, ja beinahe freundschaftlich, miteinander umgehen. Darum erwähnte ich das Beispiel Schmidt vs. Strauß, die sich einen sehr "brutalen" Wahlkampf lieferten, und trotzdem konnte Schmidt sich Jahre später positiv (wen nauch sehr vorsichtig positiv) über Strauß äußern. Auch hier gibt es ein Foto, was die beiden gut gelaunt zusammen einander zugewand zeigt, Schmidt deutet auf irgendetwas, und beide amüsieren sich zusammen scheinbar köstlich über das, was Schmidt da zeigte/sagte.
Darum fragte ich mich, ob solche Äußerungen/Szenen auch in den Paarungen Merkel vs Schulz oder Scholz vs. Laschet möglich sind. Es würde mich positiv überraschen. Und darum schrieb ich, dass ich mich heutzutage sehr freue, wenn ich Fotos sehe, die Merkel und Roth zusammen gut gelaunt redend zeigen o.ä.
Ach so... ich glaube ehrlich gesagt, dass die Politiker heute genau so gut miteinander klar kommen. Es gibt auch immer mal wieder Meldungen dass sich zwei aus total gegensätzlichen Parteien und "Denkrichtungen" persönlich ziemlich gut verstehen. Und nur den wenigsten würde ich unterstellen dass sie so unprofessionell sind, dass sie nicht zumindest eine professionelle Ebene finden.
Interessant fand ich Griechenland nach deren Krise, damals als die Tsipras-Regierung gebildet wurde. Eine linke Partei hat mit einer rechten Partei koaliert. Unter diesen Extrem-Umständen war sogar das möglich und hat zumindest insofern funktioniert, als dass die ja ne ganze Zeit miteinander klar kamen.
Jain. Ich stimme zu, dass diese Parteien sich einander annäherten. Die Grünen machten ggü. ihren Anfängen einen deutlichen Ruck in rechte Richtung, weil sie auch den Flügel haben, die "Realpolitik" machen in der Hoffnung damit mehr zu erreichen als wenn sie mit "Fundamentalpolitik" schlussendlich gar nichts erreichen (ich bin btw. mehr ein Freund der "Realos" dabei). Die CDU wurde unter Merkel etwas "linker", und die SPD ruckte auch ein klein wenig nach rechts.
Aber die großen Unterschiede finden sich durchaus - zumindest, wenn man Partei-Teile oder die sog. Flügel betrachtet. Fast alle große Parteien (außer der AfD, die den menschengemachten Klimawandel im Programm leugnet) haben Klimaschutz im Programm (wobei nur die Ansätze der Grünen und der Linken zumindest halbwegs das zeug haben, etwas zu bewirken, aber das ist ein anderes Thema). So weit sind die Partei-Linien, die sich im Programm zeigen, tatsächlich so nahe, wie Du beschreibst, und die Unterschiede betreffen eben nur die Herangehensweise, wie dem Klimawandel zu begegnen ist. Aber z.B. in den Unionsparteien gibt es die sog. Werteunion, die ebenfalls den menschengemachten Klimawandel leugnet, und von der Parteilinie in diesem und anderen Punkten stark abweicht. Und bei den Grünen gibt es wie gesagt die "Realos" und die "Fundis", und das Parteiprogramm versucht beidem einigermaßen gerecht zu werden, so dass letztendlich beide Flügel vom Programm jeweils in die andere Richtung abweichen.
Man könnte es vielleicht so beschreiben: Die Parteien bilden ja in der großen Landschaft der Meinungen - um nicht nur eindimensional in links-recht zu denken - nicht nur das Parteiprogramm dar (jeweils ein Punkt in besagter Landschaft), sondern bilden große Bereiche um diese Punkte herum. Mit der Zeit haben die Mittelpunkte der Parteibereiche sich angenähert, und der Überlapp zwischen den Parteien ist größer geworden. Ich hoffe, diese bildliche Beschreibung war verständlich. Würdest Du dem so zustimmen?
Ja, ich sehe das ziemlich genauso. Die Mehrheiten der jeweiligen Parteien liegen oft recht nahe beieinander, aber natürlich haben die in aller Regel auch irgendwelche "Flügel" die mal mehr und mal weniger deutlich von der Partei-Linie abweichen. Die "Werte-Union" ist ein gutes Beispiel, denn die sind der AfD ja eigentlich näher als der Merkel-CDU. Sie selbst sehen sich vermutlich eher in einer Art CSU-Strauss-Tradition. Und in der SPD gibt es einen linken Flügel der eigentlich sogar eher zur Linken gehören könnte als zur derzeitigen SPD etc. Auch die AfD hat ja Flügel. Die Gemäßigten dort sind eigentlich eher CSU. Die Extremen wiederum sind dann aber schon NPD.
Insofern... ja, es gibt beides. Jede Menge Überlappungen und dann auch die Extreme die sich voneinander abheben. Echte Polit-Profis (super interessiert und informiert) sind sicherlich in der Lage mit diesen Machtverhältnissen zu denken, also nicht nur oberflächlich "Partei x will dies und Partei y das" sondern "der linke Flügel der SPD ist so stark dass ... etc.). Hört man ja manchmal.
Hier glaube ich, dass die Komplexität nicht zugenommen hat, sondern, dass wir erst lernen bzw. erkennen mussten, dass die Dinge eben so komplex sind. Ökonomie war nie einfach, aber früher konnte man einfacher behaupten - bzw. sich selbst auch vortäuschen - man würde sie vollständig verstehen. Synergie- und Rückkopplungseffekte etc., die solche Systeme extrem komplex und beinahe unverstehbar bzw. unvorhersehbar machen, gab es auch da schon immer, nur heutzutage haben Experten sie auch mehr auf dem Schirm.
Einerseits ja, andererseits nein. Du hast sicherlich Recht das Ökonomie nie einfach war, was m.A.n. daran liegt das Ökonomie im Grunde kollektive Psychologie ist und wir Menschen ziemlich komplexe Wesen sind. Es geht ja um Anreizsysteme des Menschen als Kollektiv. Warum ich aber dennoch glaube, dass die früher simpler waren:
1) Die waren nicht sofort international, ganz früher sogar ziemlich regional.
2) Die Dynamik war wesentlich langsamer, schon weil alle möglichen Transaktionen langsam abliefen
3) Viele heutige Instrumente, wie Spekulation auf Finanzprodukte die sich irgendwelche Mathematiker ausgedacht haben und wo kaum jemand genau weiß was eigentlich drin steckt, gab es in der Form nicht.
Die Zusammenhänge waren verständlich. Auch die Krisen waren irgendwo nachvollziehbar. Die Finanzkrise von 2008 hingegen, obwohl nicht mal übermäßig kompliziert wenn man sich damit befasst, ist einem totalen Laien der davon nichts weiß (etwa weil noch jung) gar nicht mal so einfach zu erklären.
Gleichzeitig muss man aber natürlich bedenken, dass die Menschen heute gebildeter sind oder es zumindest wesentlich leichter fällt, Informationen zu bekommen um ein Thema zu verstehen. Zudem haben wir als Kollektiv sehr viel aus den Erfahrungen gelernt. Das Schöne am Internet und der heutigen Zeit ist ja, dass jemand, sobald interessiert und fleißig genug, viele Themen mittels "Selbststudium" sehr tief verstehen kann wenn genug Energie hineingesteckt wird.