Bhagavad Gita

Lotusz schrieb:
Auf der Seite der Religionskritik habe ich tatsächlich so einen Fall entdeckt.

Joachim Kahl wurde durch sein Theologiestudium, welches er bereits als Ungläubiger, mit der Promotion zum Dr. theol. abschloss, zum Atheisten. Unmittelbar danach trat er aus Vernunft- und Gewissensgründen aus der evangelischen Kirche aus.
*grins* Das Studium der Theologie macht oft auch den letzten Zweifler noch zum Atheisten - oder den letzten Gläubigen nur umso heftiger zu einem Verteidiger seines Glaubens gegen die (oft latent humanistisch-agnostische) Professorenschaft.

Bloss löst auch ein Kirchenaustritt oder die Zuwendung zum Atheismus das Problem noch nicht wirklich. Um leben, agieren, denken zu können benötigt der Mensch irgendeinen Kompromiss, wenn es um "die höchsten Werte/Wahrheiten" (also um Gott) geht. Er muss sich auf irgendein Vokabular mit andern Menschen einigen, alleine schon um gesprächsfähig zu bleiben. Wie soll sonst jemals eine halbwegs vernünftige Diskussion zustandekommen?
Das heisst natürlich nicht, dass er erneut wieder ein Götzenbild in Form seiner früheren, anthropomorphen Gottesvorstellung aufbaut - er hat sich ja erst soeben von dieser Vorstellung endlich freigemacht! -, sondern das heisst nur, dass er zugibt, dass er einfach nicht darum herum kommt, willkürlich ein paar Annahmen zu treffen, damit er aktionsfähig bleibt. Das ist nicht dasselbe, wie die Gottesvorstellungen, die er vorher hatte, es ist lediglich ein fauler, geistiger Kompromiss, und der Mensch weiss das, aber er kann gar nicht anders, als einen faulen Kompromiss einzugehen.

Vorher glaubte er noch an die Echtheit seiner Vorstellung, dann erkannte er, dass diese Vorstellung nur in seinem Geist existierte und er dekonstruierte die Vorstellung. Doch dann merkte er, dass er jetzt nicht mehr mit andern Menschen über das Thema sprechen konnte, und widerwillig stellte er ein paar Annahmen in den Raum, auf deren Basis er dann wenigstens ein Gespräch führen konnte.
 
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Hallo fckw,

Ist es wirklich nötig irgendwelche Annahmen über "Gott" zu treffen um gesprächsfähig zu bleiben? Warum nicht einfach zugeben dass man es nicht eindeutig weiss? Was ist so schlimm oder falsch daran?

Liebe Grüße, Paul
 
Paul schrieb:
Ist es wirklich nötig irgendwelche Annahmen über "Gott" zu treffen um gesprächsfähig zu bleiben? Warum nicht einfach zugeben dass man es nicht eindeutig weiss? Was ist so schlimm oder falsch daran?
"Gott" ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich gilt das, was ich oben versucht habe aufzuzeigen, für ALLE metaphysischen Themen, für eine Unzahl von höchst alltäglichen Themen! Selbst die Vorstellung des "Ich" unterliegt bei näherem Hinsehen genau dieser Problematik (Advaita lässt grüssen...), und wenn das Ich dieser Problematik unterliegt, dann auch alles, was damit zusammenhängt: Unsere Beziehungen, unsere Lebenseinstellungen usw.
 
Hallo fckw

Um leben, agieren, denken zu können benötigt der Mensch irgendeinen Kompromiss, wenn es um "die höchsten Werte/Wahrheiten" (also um Gott) geht. Er muss sich auf irgendein Vokabular mit andern Menschen einigen, alleine schon um gesprächsfähig zu bleiben. Wie soll sonst jemals eine halbwegs vernünftige Diskussion zustandekommen?

Warum brauchst Du unbedingt eine Gottesvorstellung? Wenn man ohne Gottesvorstellung lebt, dann heisst das ja nicht, dass man ohne Ethik, Moral und Verantwortung lebt. Wenn man Gott durch die Vorstellung des Humanismus ersetzt, dann kann man doch eigentlich auch recht gut damit leben.

Alles Liebe. Gerrit
 
Lotusz schrieb:
Warum brauchst Du unbedingt eine Gottesvorstellung? Wenn man ohne Gottesvorstellung lebt, dann heisst das ja nicht, dass man ohne Ethik, Moral und Verantwortung lebt. Wenn man Gott durch die Vorstellung des Humanismus ersetzt, dann kann man doch eigentlich auch recht gut damit leben.
Hi Lotusz,
darin geben ich dir völlig recht. Es ging mir eigentlich um etwas anderes. Dieser "Kompromiss", von welchem ich spreche, betrifft alle, egal ob sie Anhänger einer Religion oder Atheisten sind. Es ist nur dies: Wir (die Menschen) sind in einer Position des kompletten Unwissens gegenüber den höchsten Wahrheiten. Weil dieses Unwissen so komplett ist, müssten wir eigentlich wahnsinnig werden, wenn wir konsequent wären. Denn dann hätten wir buchstäblich gar keine einzige Sicherheit in unserem Leben, wir wüssten nicht einmal, ob wir nicht in der nächsten Minute sterben würden oder nicht. Auf diese Weise wäre ein Leben unmöglich. Darum, und nur darum, benötigen wir eine Art "geistige Sicherheit". Obwohl wir wissen, dass wir die höchsten Wahrheiten niemals erfassen werden können, müssen wir eine ganze Reihe von Grundannahmen treffen, ganz einfach um eben nicht wahnsinnig zu werden. Wir müssen beispielsweise annehmen, dass es ein morgen gibt, dass jeder Mensch sterblich ist, wir müssen annehmen, dass es sowas wie eine Moral gibt, und letztlich müssen wir uns in Folge zumindest damit auch auseinandersetzen, dass es einen Gott gibt (bzw. geben könnte) - über den wir aber trotzdem, wie mehrmals von mir betont, überhaupt rein gar nichts wissen können!

Hm, ich weiss nicht, ob das jetzt halbwegs verständlich ist. Ich glaub, ich höre jetzt auf, das noch mehr erklären zu wollen, ich habe das Gefühl, es wird dadurch auch nicht gerade verständlicher.
 
Hallo

So langsam wollte ich mich wieder der Gita zuwenden. Wenn wir in letzter Zeit etwas vom Thema abgewichen sind, so finde ich das gar nicht so schlimm. Vielleicht braucht man die Zeit, um einige Grundsatzfragen zu klären und sich ein wenig kennen zu lernen.

Wenn wir weiter über die Gita diskutieren, so sollte also mittlerweile klargeworden sein, dass wir sie aus sehr unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Da gibt es einerseits sehr religiös geprägte Einstellungen, andererseits atheistische oder agnostische. Warum sollte uns das daran hindern, über die Gita zu diskutieren? Vielleicht nähern sich unsere Standpunkte im Laufe der Diskussion ja immer mehr an, vielleicht verändert der eine oder andere auch seine Sichtweise.

Für mich selber ergibt sich aus der vorherigen Diskussion eine grundsätzliche Überlegung. Da mir die Begriffe "Gott" und "Reinkarnation" immer weniger zusagen, suchte ich nach Werten, die ich als gleichwertig für diese beiden Begriffe ansetzen kann. Statt des Begriffes "Gott" würde ich in Zukunft lieber die Begriffe Gewissen oder Bewusstsein setzen.

Da ich die Reinkarnation ebenfalls nicht so vorbehaltlos akzeptiere, ergibt sich daraus natürlich die eine oder andere Konsequenz. Wenn die Gita z.B. sagt, der Körper wird geboren und hat das Schicksal, heute oder morgen zu vergehen, deshalb ist der Körper nicht so wichtig wie die Seele, dann kann ich das natürlich so nicht akzeptieren. Die Seele deutet auf eine Gottesvorstellung und auf eine Wiedergeburt hin. Wenn ich die Seele aber ebenfalls als Gewissen oder Bewusstsein interpretiere, dann nähern sich unsere Standpunkte schon etwas mehr an. Das Bewusstsein würde ich dann allerdings nicht unbedingt religiös interpretieren, sondern als eine intellektuell-emotionale Auseinandersetzung, um ethische und moralische Werte zu schaffen, die mir die Vorstellung der Religion ersetzen.

@fckw

Du hast es klasse formuliert. In einem meiner Beiträge bin ich schon einmal auf die gleiche Thematik eingegangen. Sonntag Abend sah ich das Philosophische Quartett (ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Sendung wirklich so hiess) dort zitierte einer der Teilnehmer jemanden, der die gleiche Behauptung aufstellte wie Du, nämlich, dass derjenige gesagt hätte, dass er verrückt werden würde, wenn er die Vorstellung einer höheren Intelligenz nicht hätte. Ich selber empfinde es nicht so. Aber ich selber bin auch sehr zwiegespalten in meinem Verhalten. Auf der intellektuellen Ebene sage ich mir, ich weiss nicht ob es eine höhere Intelligenz gibt. Andererseits stelle ich mir manchmal in der Meditation vor, wie ich mich mit Gott vereine. Ich bin wohl doch so etwas, wie ein spiritueller Atheist.

Die Schwierigkeiten, die ich habe, kommen wohl daher, dass ich mich weder als religiös noch als atheistisch betrachten möchten, sondern dass ich die Frage nach Gott offenlasse, mir aber sage, es könnte ja doch so etwas wie eine höhere Intelligenz existieren, auch wenn ich sie nicht verstehen kann. Damit hänge ich natürlich zwischen allen Seilen. Ausserdem glaube ich, dass es in Wirklichkeit vielleicht gar keine vollkommen unreligiösen Menschen gibt, jedenfalls nicht unter denen, die sich über solche Fragen Gedanken machen.

Ein weiterer Aspekt, der für mich auch sehr wichtig ist, ist meine Ansicht, dass die Frage nach Gott vielleicht gar nicht so wichtig ist, jedenfalls nicht für mich. Für mich ist das Ziel wichtig. Und mein Ziel heisst Heilung.

Andererseits wiederum glaube ich, dass man der Religiösität gar nicht entgehen kann, denn ich bin davon überzeugt, dass man um so religiöser wird, um so näher man dieser Heilung kommt. Hat man das Ziel Heilung erreicht, dann empfindet man einfach so viel innere Freude und Zufriedenheit, dass man irgendjemandem seinen Dank dafür aussprechen möchte. Und was tut man dann? Man betet, man bedankt sich bei Gott, auch wenn man Atheist ist und man fühlt sich mit Gott vereint, obwohl mir diese religiöse Einstellung im Moment schon wieder etwas wiederstrebt. Aber ich glaube, genau so ist es.

Alles Liebe. Gerrit
 
Hallo

Vers12 (Zusammenfassung): Niemals gab es eine Zeit, als ich oder Du oder all die Könige nicht existierten, noch wird in der Zukunft einer von uns aufhören zu sein.

Erläuterung durch Swami Praphupada: Es ist nicht so, dass die individuelle Personen nicht auch in der Vergangenheit als Individuen existiert haben, und es ist nicht so, dass sie nicht ewige Personen bleiben werden. Ihre Individualität existierte in der Vergangenheit, und ihre Individualität wird in der Zukunft ohne Unterbrechung weiterbestehen.

Die Erklärung Krishnas ist massgebend, denn Krishna kann nicht der Illusion unterliegen. Wenn Individualität keine Tatsache wäre, hätte Krishna sie nicht so sehr betont, sogar für die Zukunft.

Sri Krishna Caitanya hat den Krishna-Anhängern verboten, Kommentare der Atheisten, die Gottes individuelle Existenz leugnen, zu lesen, und er weist darauf hin, dass derjenige, der sich der Philosophie der Atheisten zuwendet, jede Fähigkeit verliere, das eigentliche Geheimnis der Gita zu verstehen.

Persönliche Stellungnahme: Gestern war mir noch nicht vollkommen klar, was meine Entscheidung, die Wiedergeburt als Tatsache abzulehnen, für Konsequenzen haben würde. Das änderte sich allerdings sehr schnell, als ich den obigen Vers in der Gita las. Krishna ermuntert Arjuna in den Krieg zu ziehen und begründet dies mit der Tatsache, dass die individuelle Seele unsterblich sei, dass sie bereits in der Vergangenheit existierte und ebenso in der Zukunft existieren wird.

Erkennt man die Wiedergeburt allerdings nicht an, so stellt sich die Aufforderung Krishnas in den Krieg zu ziehen, in einem ganz neuen Licht dar. Zunächst aber möchte ich einmal die Frage stellen, warum die Anhänger Krishnas so kritiklos die Wiedergeburt akzeptieren? Ich glaube, dass sie diese Behauptung übernommen haben, ohne sie jemals zu hinterfragen.

Existiert die Wiedergeburt allerdings nicht, so ist die Aufforderung Krishnas in den Krieg zu ziehen, nichts anderes als eine Aufforderung zum Töten. Das erinnert mich ein bischen an die Diskussion um die Behauptung "Soldaten sind Mörder", die es in Deutschland in den neunziger Jahren gab. Einerseits mag die Aufstellung einer Armee berechtigt sein, andererseits aber entbindet es auch den Soldaten nicht, im individuellen Fall einer Kriegserklärung sein Gewissen zu befragen, ob er dieser Kriegserklärung mit reinem Gewissen folgen kann.

Ich empfinde es auch als eine sonderbare Behauptung, wenn die Gita Krishnas Worte als absolute Wahrheit postuliert und behauptet, dass jeder der die Behauptung Krishnas nicht akzeptiert, die Wahrheit nicht erfassen kann. Das empfinde ich als eine sehr autoritäre Einstellung, die jede Diskussion im Keim ersticken möchte. Dazu passt auch das Verbot Sri Krishna Caitanyas, den Krishna-Anhängern das Lesen der Schriften der Atheisten zu verbieten.

Steht hinter diesem Absolutheitsanspruch der Gita nicht auch eine ganze Menge Machtbestreben? Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich in der Geschichte gerade die Religionen durchsetzen konnten, die die Behauptung aufstellten, die absolute Wahrheit zu besitzen und die die vollkommene Anpassung und Unterordnung ihrer Anhänger forderten. Dieses Verhalten wird auch von den politisch Mächtigen gerne gesehen. Darum gehen schon seit allen Zeiten, die Mächtigen und Religionen eine unheilige Allianz ein, die die jeweils bestehende Gesellschaftsordnung im Sinne der weltlichen und kirchlichen Würdenträger aufrechterhalten möchte. Und schon seit ewigen Zeiten wird versucht, die Kritiker dieser unheiligen Allianz zum Schweigen zu bringen.

Alles Liebe. Gerrit.
 
Hallo

Vers 13 (Zusammenfassung): So wie die verkörperte Seele in diesem Körper fortgesetzt von Knabenzeit zu Jugend und zu Alter wandert, so geht die Seele beim Tod in ähnlicher Weise in einen anderen Körper ein. Die selbstverwirklichte Seele ist durch solch einen Wechsel nicht beirrt.

Übersetzung von Swami Prabhupada: Da jedes Lebewesen eine individuelle Seele ist, wechselt es seinen Körper in jedem Augenblick und manifestiert sich so manchmal als Kind, manchmal als Jugendlicher und manchmal als alter Mann. Diese individuelle Seele wechselt den Körper zum Zeitpunkt des Todes endgültig und geht in einen anderen Körper ein. Dieser Körper kann materiell (Wiedergeburt) oder spirituell (Erleuchtung) sein.

Die höchste Seele entspricht der Gottheit Krishna. Die höchste Seele kann in fragmentarische Teile zerlegt werden. Sie entsprechen den individuellen Seelen. Diese fragmentarischen Teile sind ewig, und selbst nach ihrer Befreiung (Erleuchtung) bleibt die individuelle Seele der gleiche fragmentarische Teil. Aber einmal befreit, lebt sie zusammen mit dem Herrn, der Persönlichkeit Gottes, ein ewiges Leben in Glückseligkeit und Wissen.

Meine Meinung: Diese Einstellung erinnert mich sehr an die Dogmen der christlichen Kirche. Auch dort wird den Menschen die Seligkeit im Jenseits versprochen, wenn sie sich an die 10 Gebote halten. Andernfalls droht ihnen die Verbannung in die Hölle bzw. ins Fegefeuer. Im Hinduismus dagegen droht den Gläubigen die Wiedergeburt, wenn sie sich nicht an die religiösen Gebote halten.

Haben sich die Vorstellungen von Himmel und Hölle und von der Wiedergeburt aber nicht nur durchgesetzt, weil man die Menschen davon abhalten wollte, das Glück im Hier und Jetzt zu suchen und weil sie den Herrschenden so schön in den Kram passten und ein gutes Mittel waren, das Volk besser zu unterdrücken, um es besser ausbeuten zu können?

Alles Liebe. Gerrit
 
...aber auch die Dogmen der christlichen Kirche sind bei entsprechender Betrachtung völlig korrekt wenn man das Jenseits als "Hier und Jetzt" deutet. Es ist reine Interpretation. Was sehr verwirrend sein mag, ist die Personifizierung des Atman als Gott. Viele stellen sich dann den guten Mann mit dem weissen Rauschebart vor und alle verstandesmässigen Gottesbilder trennen mehr von Gott als dass sie verbinden. Wie nannte es Buddha ? Das Unerschaffene.... aber auch Jesus sprach irgendwo von "jemand" der nie erschaffen wurde..... und wenn ihr jenem begegnet, der nie erschaffen wurde, so werft Euch nieder, denn das ist Euer "Licht" Aber was Jesus im Detail wirklich sagte, weiss wohl niemand :)

Herzlichst

Niemand
 
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Hallo Niemand


...aber auch die Dogmen der christlichen Kirche sind bei entsprechender Betrachtung völlig korrekt wenn man das Jenseits als "Hier und Jetzt" deutet.

Du findest es also als völlig in Ordnung, dass die christlichen Kirche Jesus als den Sohn Gottes betrachtet? Oben hast Du noch gesagt, dass die Vorstellung einer Personifizierung eines Gottes sehr verwirrend ist.

Jesus war sicherlich eine sehr bemerkendwerte Persönlichkeit. Aber die Behauptung, Jesus sei der Sohn Gottes, ist schlicht und einfach eine Lüge! Und auf dieser Lüge baut die ganze christliche Religion auf.

Und wenn es tatsächlich so etwas wie eine höhere Intelligenz gibt, dann sollten wir nicht unbedingt davon ausgehen, dass sie menschliche Eigenschaften besitzt.

Alles Liebe. Gerrit
 
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