"Der Vertrag von Lissabon reduziert die Demokratie auf Randrituale"
Der Jurist und frühere Europaparlamentarier Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg über seine Klage gegen das EU-Reformwerk
Am Dienstag und Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über mehrere Klagen gegen den EU-Reformvertrag von Lissabon, der bis Ende 2009 in Kraft treten soll. Zu den Klägern gehören neben dem CSU-Politiker Peter Gauweiler und der Linksfraktion auch Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg. Stauffenberg, Jurist und jüngster Sohn des Hitler-Attentäters, war von 1972 bis 1984 CSU-Mitglied des Bundestags, von 1984 bis 1992 Mitglied des Europäischen Parlaments, dort Vorsitzender des Rechtsausschusses.
Welt am Sonntag:
Graf Stauffenberg, warum halten Sie den Vertrag von Lissabon für verfassungswidrig?
Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg:
Mit anderen habe ich eine eigene Beschwerde eingereicht, weil wir meinen, dass alles, was bisher vorliegt, nicht den Kern des Problems trifft.
Was ist der Unterschied zur Klage von Peter Gauweiler?
Stauffenberg:
Gauweiler wendet sich in erster Linie gegen die grundgesetzwidrige Aushöhlung und Aufgabe der eigenstaatlichen Souveränität. Von dem, was Aufgabe eines souveränen Staates sein muss, blieben den Deutschen nur noch Reste übrig. Alles Wichtige aber werde auf ein undefinierbares neues Konstrukt übertragen.
Und Ihre Klage?
Stauffenberg:
Unsere Rechtsordnung ist nach dem Zweiten Weltkrieg aus den schrecklichen Erfahrungen mit dem Scheitern der Weimarer Republik geboren. Ihr Wesen ist, dass das Volk alles, was Staat und Obrigkeit tun, vorher legitimiert haben muss. Und dann gibt es zum Schutz der Bürger das unantastbare Prinzip der Gewaltenteilung. Beides würde Lissabon vollends beseitigen.
Aber die EU hat ein Parlament, eine Kommission und einen Gerichtshof.
Stauffenberg:
Aber es gibt keine demokratische Legitimation. In Brüssel gilt die Selbstermächtigung der Administratoren. Es gibt keine Kontrolle und auch keine Verantwortung der Hoheitswalter gegenüber den Bürgern. Gehen Sie mal nach Brüssel und bitten Sie, dass ein EU-Kommissar Ihnen Rechenschaft gibt. Das gibt er nicht. Er kann es nicht.
Das Europäische Parlament, dem Sie selbst früher angehörten, würde durch den Vertrag gestärkt.
Stauffenberg:
Ja, aber ungleich weniger als Kommission und Rat, und viel weniger als der Bundestag verliert. Das Gesamtkonglomerat der Brüsseler Machthaber würde also viel mehr Macht und Einfluss hinzugewinnen. Die Parlamentarier blieben zu Schulbuben degradiert, die ein bisschen mitspielen dürfen.
Sie halten das Europäische Parlament also nicht für ein demokratisches repräsentatives Gremium?
Stauffenberg:
Nein, weil ihm eine wesentliche Voraussetzung fehlt - das Prinzip der Repräsentation in Gleichheit. Ein Luxemburger oder Malteser hat bei der Wahl des Parlaments ungefähr zehnmal soviel Gewicht wie ein Deutscher. Von einer eigenständigen Repräsentation der Bürgerschaft Europas ist also keine Rede. Auch gibt es in Europa keine Gewaltenteilung, die den Bürger schützt vor Machtmissbrauch. Stattdessen macht das Parlament sich selbst zum Teil des anonymen Machtkartells. Deswegen hat Europa die Völker verloren.
Sie spielen auf das "Nein" der Iren zum Lissabon-Vertrag an?
Stauffenberg:
Schauen Sie auf die Reaktionen danach. Zuerst war es Schock, dann der Versuch, daraus ein irisches Problem zu machen. Meinungsumfragen in Irland vor, während und nach der Abstimmung haben gezeigt, dass die große Mehrheit der Iren für Europa ist. Sie wissen, dass sie Europa viel verdanken. Aber sie waren gegen Lissabon, weil sie nicht wussten, was es soll und was es bringt. Das ist kein irisches Problem. In Europa haben die Politiker versagt. Sie haben die versetzt, die sie legitimieren sollten.
Würden Sie jenen zustimmen, die den Vertrag von Lissabon ein "Ermächtigungsgesetz" nennen?
Stauffenberg:
Er ist ein Ermächtigungsgesetz, weil Verträge und Gesetze den Transfer von Hoheitsleistungen "Ermächtigung" nennen. Es reduziert Demokratie auf Randrituale. Mit 1933 hat dies nichts zu tun.
Befürworter von Lissabon argumentieren, mit dem Scheitern des Vertrags würde die EU geschwächt.
Stauffenberg:
Das ist falsch. Es würde ja zunächst weiterlaufen wie bisher. Aber jene, die momentan alles vorschreiben, wie es angeblich zu sein hat, müssten umdenken und umlenken, weg von der Ermächtigung der Amtlinge, hin in eine transparent funktionierende gewaltenteilige Demokratie, hin in den Dienst an den Menschen.
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