Hallo a418
> wobei ich Standardwerk für dieses Buch nicht gelten lassen kann;
> das meiste ist doch eine pers. Interpretation Benedikts
Da es in dieser Hinsicht keine offizielle Lehrinstanz gibt, wird man vermutlich immer nur persönliche Interpretationen finden. ;-)
> Hat es Dich nicht stutzig gemacht, dass in diesem Bild Schechinah jenseits
> von Kether steht, ist doch Schechinah etwas, das eigentlich in Malkuth ist?
Das macht mich im konkreten Fall gar nicht stutzig.
Das ergibt sich aus dem Prinzip der rekursiven Selbstähnlichkeit. In diesem Sinne ist auch der Tempel Salomons ein ähnliches Ebenbild der Schöpfung.
Im großen Lebensbaum, der die gesamte Schöpfung umfasst (inkl. der höheren Sphären), kann man natürlich die materielle Welt als die Wohnstatt Gottes bezeichnen. In Salomons Tempel, der ein verkleinertes Abbild der Schöpfung ist, wird jedoch diese Wohnstatt Gottes durch eine Position versinnbildlicht, die hinter dem Vorhang verborgen ist.
Das Göttliche offenbart sich in der materiellen Welt aber innerhalb der materiellen Welt offenbart es sich in verhüllter Form.
Man kann die Schöpfung vereinfacht in zwei Teile unterteilen:
1. der Teil, der außerhalb unserer Wahrnehmung liegt
2. der Teil, den wir wahrnehmen können
In ähnlicher Weisen können wir den zweiten Teil wiederum unterteilen.
2.1 der Teil, den wir nicht erkennen
2.2 der Teil, den wir erkennen
Das, was sich im wahrnehmbaren Bereich offenbart, was wir aber nicht erkennen können, das liegt im Gesamtschema im unteren Bereich. Aber innerhalb von diesem Bereich liegt es wiederum im oberen Teil-Bereich.
> Ich stelle nicht Dein Ergebnis des Dreifachkreuzes in Frage, ich stelle nur in Frage,
> was es bedeuten soll. Mich interessiert die Methodik.
Um weitere Missverständnisse zu vermeiden, ist es vermutlich wirklich das Beste, wenn ich mal etwas auf meine Herangehensweise eingehe.
Ich betrachte die (mittelalterliche) Kabbala nicht als die gottgegebene Grundlage meines Weltbildes, sondern als das Resultat eines esoterisch-philosophischen Entwicklungsprozesses, der auf älteren Weltbildern und Lehren aufbaut.
Es gibt viele Prozesse, die man sehr gut in eine Richtung durchführen kann, aber nur sehr schwer in die Gegenrichtung. Man kann z.B. ganz einfach von einer Rechnung auf das Resultat schlussfolgern, aber es ist nahezu unmöglich, vom Resultat auf die entsprechende Rechnung zurückzuschließen.
Ganz ähnlich ist es mit dem Lebensbaum und dem von mir rekonstruierten Dreifachkreuz (aus der Genesis). Man kann sehr leicht von diesem Dreifachkreuz auf den Lebensbaum schließen, aber es ist nahezu unmöglich, vom Lebensbaum auf dieses Dreifachkreuz zu kommen. (Da Du von der Seite der Kabbala kommst, ist es also ganz normal, dass dieser Rückschluss für Dich nicht so offensichtlich ist. Das Dreifachkreuz wird Dir sicherlich vorkommen wie ein vollkommen falsch verstandener Lebensbaum.)
Ich habe mal überlegt, welche Transformation notwendig sind, um vom Dreifachkreuz zum kabbalistischen Lebensbaum zu kommen. Und in diesem Zusammenhang spielt tatsächlich der Vorhang eine ganz entscheidende Rolle. Es werden nämlich zwei Dreiecke des Dreifachkreuzes über den Vorhang hinweg zusammengeschoben, so dass sie sich anschließend in der Form eines David-Sterns überlappen. Vermutlich soll auf diese Weise die Überwindung der Trennung versinnbildlicht werden.
Wenn man beide Strukturen kennt, dann ist der Transformationsprozess ziemlich eindeutig. Aber es ist vollkommen unmöglich, vom Lebensbaum auf das Dreifachkreuz und auf diesen Transformationsprozess zu schließen.
Das Interessante an diesem Dreifachkreuz ist nun, dass man von dieser Seite ausgehend auf ganz viele Traditionen schließen kann. Die Kabbala ist in diesem Fall nur eine Richtung unter vielen. Ich kann die gleichen Konzepte auch im Höhlengleichnis von Platon wiederfinden. Dort gibt es z.B. eine Barriere, hinter der die Dinge umhergetragen werden, deren Schatten auf die Höhlenwand geworfen werden (das wäre das Equivalent zum Vorhang).
Der historische Zusammenhang zwischen Platon und dem biblischen Schöpfungsbericht ist übrigens sehr viel näher, als es zunächst erscheint. Das hängt mit Pythagoras zusammen. Dieser lebte etwa in der Zeit des babylonischen Exils, in der auch die Tora überarbeitet wurde. Pythagoras war sogar auf seinen Forschungsreisen zeitweise in Babylon. Platon war wiederum zeitweise bei den Pythagoräern. Pythagoras ist also ein mögliches Verbindungsstück zwischen dem Umfeld, in dem die Tora entstand und Platon.
Die starken Ähnlichkeiten zwischen der griechischen Philosophie und der jüdischen Theologie sind auch schon in der Antike vielen Philosophen und Theologen aufgefallen (z.B. Aristobulos oder Philon von Alexandria). Daneben gab es natürlich auch einen starken Einfluss der griechischen Philosophie auf das hellenistische Judentum in Ägypten (wodurch wiederum die Grundlagen für das spätere Christentum gelegt wurden).
Der direkte Vergleich zwischen griechischer Philosophie und Mythologie auf der einen Seite und jüdischer Theologie auf der anderen Seite zeigt uns viele Konzepte, die sehr ähnlich sind (und zum Teil sogar identisch):
- der allegorische Schriftsinn
- die Vier-Elemente-Lehre
- das Drei-Ebenen-Schema
- das Planetensphärenmodell
- diverse Baumstrukturen
- die Pythagoreische Zahlensymbolik
- die Platonische Ideenlehre
- ein Zahlensystem basierend auf dem Alphabet
Eine Auswahl aus diesen Grundkonzepten findet man in ganz vielen antiken Einweihungskulten (z.B. auch im römischen Mithraskult). Und auch in der jüdischen Kabbala findet man genau diese Konzepte wieder. Das Besondere der Kabbala liegt darin, dass all diese Konzepte miteinander zu einem Gesamtkonzept verschmolzen sind.
So, wie man in der Physik die einheitliche Feldtheorie sucht, so haben die Esoteriker des Mittelalters auch das eine Prinzip gesucht, das möglichst allen esoterischen Konzepten zugrunde liegt. Und dadurch entstanden solche Hybrid-Modelle, die möglichst viele Prinzipien enthielten. Die Monade von John Dee wäre ein anderes Beispiel für so ein allumfassendes Kombi-Symbol.
http://www-user.uni-bremen.de/~semiotik/dee.html (Übrigens: Das Dreifachkreuz hat für mich auch diese Funktion eines Universalsymbols, das möglichst viele Konzepte in sich vereinigt.)
Ich freue mich übrigens, dass es die Kabbala gibt denn in der Kabbala sind viele dieser alten Grundkonzepte erhalten geblieben (deutlich mehr als in vielen anderen esoterischen und religiösen Lehren). Aber ich sehe die Kabbala auch mit einem sehr kritischen Blick, weil sie inzwischen in einer fast dogmatischen Weise erstarrt ist. So, wie viele bibeltreue Christen die Bibel wortwörtlich für Gottes Wort halten, so wird der kabbalistische Lebensbaum inzwischen von manchen Esoterikern zum Bauplan Gottes hochstilisiert. Die vielen Querbeziehungen im Lebensbaum haben zu dieser Erstarrung beigetragen. Eine solche Transformation, wie ich sie oben beschrieben habe (vom Dreifachkreuz zum Lebensbaum) ist mit dem heutigen Lebensbaum gar nicht mehr möglich, weil viel zu viele Querverstrebungen im Weg sind. Wenn man da an einer Stelle zu stark wackelt, dann reißen alle Querverstrebungen ab.
Der Wert des kabbalistischen Lebensbaums liegt für mich nicht darin, dass er irgendeine Wahrheit über die Schöpfung enthielte, sondern er liegt für mich einzig und alleine darin, dass er uns für einige Prinzipien sensibilisieren kann und dass er uns einige Denkmodelle vermitteln kann (etwa die Liste, die ich oben dargestellt habe). Auf diese Weise kann er uns helfen, dass wir einige Strukturen und Sinnzusammenhänge erkennen, die uns andernfalls verborgen blieben.
Viele Grüße
Elias