Maracanã

II

Bruno war sofort zum Treffpunkt mit Armando geeilt. Hier oben, weit über der Favela von Vidigal, wucherte der Urwald, da waren sie ungestört.

Armando sah ihn kommen und pfiff durch die Zähne. „Ich bekam eben einen Anruf von Costa-Mar aus dem Gefängnis von Bangu1!“ Seine Stimme klang heiser.

Bruno hörte ihm zu, blickte aufmerksam in Armandos Gesicht, welches heute aufgedunsen war vom vielen Schnaps. Das, was ihm Armando berichtete, war ungeheuerlich genug.

„Es ist alles unter Kontrolle, alles unter Kontrolle!“ „Das sprach Costa-Mar gerade triumphierend ins Handy.“

„Und?“ Bruno steckte sich eine Zigarette an und erfuhr von Armando die ganze Geschichte über den gefährlichsten Gefängnisinsassen vom Hochsicherheitstrakt Bangu1, über den mächtigen Drogenboss des Comando Vermelho, Serginho Costa-Mar und über die Rebellion, die er angeordnet hatte. „Zwanzig Stunden lang kochte Bangu, aber kein Soldat oder Polizist wagte sich da hinein!“

„Zwanzig Stunden? Und das Fernsehen hat nichts berichtet?“

„Das ging die ganze Nacht und bis heute Mittag“ berichtete Armando grinsend. "Genau wie in Carandiru damals 1992 haben die Häftlinge Matratzen angezündet und aus den Fenstern geworfen und für genug Chaos gesorgt. Erst als es vorbei war, rückten die von der TV Globo an.“ Armando fuhr fort zu berichten: „Serginho gab die Anweisung, und die wurde befolgt!“ Er lachte höhnisch auf. „Die Polizei ist inzwischen machtlos gegen uns, Bruno!“

„Dies ist ein klarer Befehl! Niemand kommt herein, solange die Arbeit nicht erledigt ist, das war die Warnung von Serginho Costa-Mar.“ Er füllte für sich und Bruno nochmals die Gläser mit Pitú und nahm einen groβen Schluck. „Darauf müssen wir einen trinken“, meinte er aufgeregt. „Auβerhalb der Gefängnismauern warteten 300 Soldaten der Militärpolizei, sowie Polizisten der Spezialeinheiten BOB in einem Umzingelungsring, derweil Serginhos

Leute seelenruhig die Gefängniswärter an Propangasflaschen anketteten.“

„Und weiter?“

„Wie mir Rodrigues gerade eben mitteilte, diente der Aufstand in Bangu1 nur als Tarnung.“

„Tarnung?“

„Genau! In Wahrheit war es ein perfekt getarntes Massaker, so erklärte mir Rodrigues die Exekution. Serginho Costa-Mars Männer haben Carlos Roberto vor einer Stunde hingerichtet! Sie haben ihn vor seiner Hinrichtung noch gefoltert.“ Er gluckste und zündete sich eine Zigarette an. “Die haben Carlos Alberto mit Messerstichen gequält. Stell dir vor, Bruno. Es war ein Racheakt, denn genau vor einer Woche plante Carlos Roberto ein Attentat auf Serginho Costa-Mar…“

„Was?“

„Na ja, er war Serginhos gröβter Rivale! Filho da puta! Wie schnell er vergessen hat, dass es Serginho war, der in Kolumbien Kontakt mit dem Medellin Kartell aufnahm. Diese gierigen Ratten vergessen schnell und wollen den ganzen Kuchen! Wir bekommen 500 Kilo Stoff die Woche von Serginho geliefert, während Carlos Roberto vom Dritten Kommando nur 300 Kilo erhält. Einer von Amigos dos Amigos, hat gequatscht, ha, ha…“



Bruno blickte hinunter auf die Wellblechhütten und beobachtete abwesend die spielenden Kinder, die versuchten ein Huhn einzufangen. Das Geschrei der Kinder und das aufgeregte Gegacker des Huhnes war bis hier oben zu hören. Bruno trank sein Glas leer und schenkte sich nach.

„Es war eine regelrechte Exekution“, hörte er Armando wiederholen. „Sie haben auch die drei wichtigsten Männer von Carlos Roberto erschossen!“


Die Kinder hatten das Huhn endlich eingefangen. Bruno sah, wie Paulinho mit einem groβen

Messer dem Huhn die Kehle durchschnitt, und vernahm die verendenden Laute des Tieres, dazu das Lachen der Kinder.


„ Und jetzt kommt das Beste, Bruno!“ Armando schwieg.

„Was kommt jetzt?“ Bruno drehte sich zu ihm.

„Bei dem ganzen Durcheinander in Bangu1 ist Bubu geflohen…“

Das wütende Gehupe der Autos unten von der Avenida Niemayer, klang um so durchdringender herauf in die Stille die folgte.

„Bubu kommt zurück!“ Bruno zuckte mit den Schultern. „Das war zu erwarten!

„Aber ich habe noch was anderes, der wahre Grund, warum ich dich hier oben sprechen wollte…“

Armando deutete den Berg hinauf. „Der nächste Überfall auf Pica-Pau wird durch den Urwald geführt. Wir werden Rocinha von oben angreifen!“ Er sah Bruno triumphierend an. „Das gab es noch nie! Und es wird völlig unerwartet für Pica-Paus Leute sein!“

„Was ist mit dem mobilen Kommando der Militärpolizei in der Rocinha?“ Bruno rieb sich nachdenklich das Kinn. „Es sind immerhin 1200 Mann!“

„Die ziehen, wenn es ruhig bleibt, wieder ab. Ich warte erst einmal auf Bubu. Und er kommt, darauf wette ich mit dir jede Menge Geld.“

Bruno lachte. Wenigstens hast du nicht wieder um einen Haufen Scheiβe gewettet. Geld haben wir doch genug.“ Er lachte. „Durch den Urwald ist genial!“

„Aber, zu niemand ein Wort! Es soll ein Überraschungsangriff werden.“ Armando rülpste und warf die leere Schnapsflasche in die Büsche. „Du weißt nie, wem du wirklich trauen kannst.“
 
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III


Angela lag träge in der Hängematte unter den Palmen und blickte hinaus auf die Lagune.

Es ist dieser Augenblick, dachte sie. Dieser Augenblick, kurz bevor die Sonne untergeht und das Meer Perlmutt färbt, bevor die Nacht kommt. Der Wind, der am späten Nachmittag von Norden weht und sanft in den Palmen rauscht. Dieser Platz strahlt solch einen Frieden aus,

wie ich ihn sonst noch nirgendwo erlebt habe. Seit einer Woche faulenze ich vor mich hin und beobachte, wie Mariazinha irgendwelche geheimnisvollen Rituale mit Didi macht. Meistens ist sie schweigsam, aber ich mag sie, ich mag ihre Augen und ihr Lächeln.


Diogo war unbemerkt gekommen und hatte sich neben sie gesetzt. Die Dunkelheit breitete sich nach und nach über ihnen aus und warf lange Schatten auf den sandigen Boden.

Lange Zeit schwiegen beide und schauten hinaus über die Lagune und das Meer, welches grenzenlos schien. Das Wasser war so ruhig, dass sich darin das Sternenlicht spiegelte.


Da fielen Angela die Spaziergänge mit ihrer Mutter ein, abends auf dem Weg zum nahen Wald. Es war dunkel, und anfangs hatte sie ein wenig Angst, aber dann zeigte ihre Mutter auf die Sterne und gab ihnen Namen und erzählte ihr Geschichten über die Sternbilder, sie musste damals sechs gewesen sein.

“Lebt deine Groβmutter schon lange alleine hier?“

„Schon lange, ja.“ Diogo atmete einmal tief ein und aus. „Einmal, nach einem Sturm auf dem Meer, kam mein Groβvater mit seinem Fischerboot nicht mehr heim. Damals beschloss mein Vater nach Rio zu ziehen, um sein Glück dort zu versuchen, meine Groβmutter wollte hier bleiben. Es war meine Groβmutter, die meinen Vater wegschickte. Sie prophezeite ihm einen besonderen Sohn.“ Diogo lachte leise. „Sie sagte, er würde dort auf die Welt kommen. Wir zogen zu einem Onkel, der in Nilópolis wohnte. Mein Onkel war früher mal Fuβballspieler“


Mariazinha erschien vor der Tür und rief zum Abendessen. Es gab ximxim de galinha. Dafür hatte die Alte ein Huhn geschlachtet und daraus ein Gericht mit getrockneten Krabben und Erdnüssen gekocht. Geschmort in Palmöl und Kokosmilch, scharf gewürzt mit roten Pfefferschoten.

Sie hockten schweigsam am Boden vor der Hütte und aβen. Angela trank viel Wasser, anders konnte sie scharfe Speisen nicht hinunterbringen. Das Essen stand in einem groβen Topf vor ihnen und jeder nahm sich. Die Erde, auf der sie saβen, war noch immer warm, aber die Luft hatte sich merklich abgekühlt.

Weit in der Ferne begann eine Ziehharmonika eine schwermütige Melodie zu spielen, begleitet von Gitarren und Gesang.


Avó?“, begann Diogo, er sah seine Groβmutter an und schwieg zögernd. „Avó?“ Diogo hatte sich ein zweites Mal den Teller vollgeladen und sah sie an. „Was macht man mit seinen Feinden, avó?“

„Ein Feind ist immer ernst zu nehmen. Du musst deine Feinde kennen, aber du sollst dich vor ihnen nicht fürchten!“ Sie schien nachzudenken. „Wenn du deinen Feind kennst und dich magisch schützt, bist du unbesiegbar.“ Diogo nickte.

„Übermorgen werden wir das Fest von Yemanjá feiern“, fuhr die Alte fort. Ihr Blick wanderte abwechselnd von einem zum anderen.

„Ich brauche Heilpflanzen für deinen Fuβ, Diogo.“ Sie sah Angela an. „Morgen in aller Frühe müssen wir los, noch bevor die Sonne aufgeht. Chico wird uns abholen und in den Urwald begleiten.“

„Ich kann nicht so weit mit meinem Fuβ wandern, avó!“

Die Alte schüttelte unwillig den Kopf. „Du bleibst hier, ich gehe mit Angela. Chico kommt mit.“

„Ist es nicht gefährlich, avó?“

„Nicht mit mir und Chico.“ Dabei schaute sie Angela fragend an. „Und? Traust du dich, uns zu begleiten?“

Angela brauchte nicht weiter zu überlegen. „Natürlich.“

Die Alte nickte und schien zufrieden.

Die Musik in der Ferne war nicht mehr zu hören. Die traurigen Lieder von Liebe und Sehnsucht, sie waren verstummt. Man hörte nur das Rauschen des Windes und der Brandung drauβen auf dem Riff. Es war die Musik der Ewigkeit, die man hörte.

Diogos Groβmutter erhob sich ein wenig schwerfällig. „Lasst uns schlafen gehen, morgen ist ein langer Tag.“

IV

Heinz Bachmann erfuhr im Flamengo Club von Diogos Unfall und war erst überrascht und dann enttäuscht.

„Diogo wird am 5. Januar zurück erwartet“, informierte ihn Paquetá und sah Heinzi an, so als könne er irgendwas im Gesicht von ihm herauslesen. „Um was geht es denn? Kann ich Diogo was ausrichten?“

„Das ist eine rein persönliche Angelegenheit zwischen Diogo und mir.“ Heinzi verriet mit keiner Miene, dass er enttäuscht war. „Am 5. Januar ist er wieder da?“ Heinzi fasste sich kurz ans Kinn. „Hm. Ich melde mich dann wieder. Danke erst mal, Senhor Paquetá!“



V


Die Sambatruppe gastierte bereits seit einigen Tagen in Genua. Genua, das war einmal Fábios Heimatstadt gewesen, bevor seine Eltern nach Brasilien auswanderten.

Er erinnerte sich kaum noch an diese Zeit. Damals war er ein fünfjähriger Junge, der an der Hand seiner Mutter mit pochendem Herzen die Gangway zu einem groβen Schiff hinaufstieg. Dann stand er zusammen mit seinen Eltern und den anderen Passagieren an der Reling und winkte hinunter zu den vielen Menschen. Das Schiff entfernte sich langsam von der Kaimauer, zuerst kaum bemerkbar, dann aber wurde der Abstand gröβer und gröβer, und die Menschen am Kai wurden immer kleiner, bis sie irgendwann verschwanden.

Hier in Genua wohnten zahlreiche Verwandte von Fábio, darunter war auch eine weitläufig verwandte Cousine: Silvana. Silvana war mit ihren Eltern voriges Jahr nach Brasilien gekommen und Fábio hatte den Führer für Silvana durch Rio gemacht und war nett zu ihr gewesen. Daraus wurde eine flüchtige Romanze, aber seither schrieben sie sich und er besuchte sie immer wieder mal in Genua. Ja, sie mag mich, und sie ist aus gutem Haus. Er seufzte. Und Silvana ist intelligent, eine angehende Juristin, und sogar ganz hübsch. Gestern hatte Silvana seinen Antrag angenommen. Seit Bari telefonierten sie täglich miteinander. Die Verlobungsfeier stand kurz bevor.

„Ist alles in Ordnung, Fábio?“ Maysa sah ihn besorgt von der Seite an. „Du hast gerade einen schweren Seufzer ausgestoβen, so als ob dich was bedrückt.“

„Nein, nein. Es sind die verdammten Autos dieser Stadt“, antwortete Fábio. „Das zerrt an meiner Geduld, sonst ist alles bestens.“


Während er seinen Wagen durch den verstopften Straβenverkehr lenkte und Maysa Genua zeigte, dachte Fábio an die letzten Wochen mit ihr zurück. Sie ist meine Geliebte geworden, und es war leicht sie zu erobern. Es war an unserem freien Tag, da fuhren wir nach Taranto und übernachteten in einem kleinen Hotel. Fábio lenkte den Wagen gerade die Via Corsica in Richtung Piazzalle San Francesco hinunter und dachte an ihre erste Liebesnacht. Maysa hatte für ihn etwas von einer Raubkatze, nichts Ungewöhnliches bei Mulattinnen. Er zündete sich eine Zigarette an. Auf irgendeine Weise sind sie alle gleich. Hocherotisch, wild und zügellos. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo es beginnt, mich kalt zu lassen. Sex ist wie eine Droge, man braucht mehr und mehr. Er trommelte auf das Lenkrad. Vor drei Wochen in Taranto war unsere Beziehung noch mit dem Glanz des Neuen behaftet. Er fuhr in Richtung Leuchtturm und hatte seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt. Die Sonne blendete ihn und das nervte. Sie aber schien glücklich zu sein und lachte endlich wieder. Nach der Rio Geschichte hatte er sie anfangs nur ernst erlebt, jetzt musste er sich langsam etwas einfallen lassen, um sie los zu werden…

„Wir können beim Leuchtturm Fisch essen und dazu eine Flasche Wein“, schlug Fábio vor und sah zu ihr.

„Ja, Fábio. Einverstanden.“


Er atmete den Fahrtwind ein und dachte: Ein paar Jahre kann sie die Tournee noch mitmachen. Oder sie heiratet, wenn sie Glück hat, einen Europäer.

Eigentlich komme ich mir schäbig vor. Es ist vorbei - und ich weiβ es. Ich werde sie im Februar mit nach Rio mitnehmen. Das wird ihr meinen Abgang versüβen, denn ich werde sie verlassen! Heute muss ich mit ihr reden. Ich werde ihr ganz einfach die Wahrheit sagen, dass ich mich verloben werde.
 
VI


Angela war in einer wehmütigen Stimmung. Vielleicht war es ein wenig Abschiedsschmerz, denn heute war der letzte Tag in Canavieras, der letzte Tag in diesem unberührten Paradies. Und es war auch der letzte Tag des Jahres.

Von der Hütte drangen die Trommeln, die congas herüber. Der Trommelschlag war ganz langsam, so wie der Rhythmus der Wellen, Die Nachbarn hatten sich bereits bei der Hütte eingefunden, man hörte ihr fröhliches Lachen und Tratschen.

Angela dachte an den gestrigen Tag zurück, wie sie sich zusammen mit Diogos Groβmutter und Pedro auf den Weg gemacht hatten:

Langsam begann es zu dämmern. Die Alte schritt rüstig voran. Zuerst wanderten sie durch das hügelige Land der Kakaopflanzungen, schwer behangen waren die Bäumchen mit reifen Kakaofrüchten, die golden in der Morgensonne glänzten. Als die Sonne höher und höher am Horizont aufstieg, näherten sie sich dem Urwald. Chico holte seine Manchete hervor und bildete die Vorhut. Wieder und wieder schlug er mit seinem Buschmesser den Trampelpfad frei, der in undurchdringliches Dickicht des Dschungels hineinführte.


Angela blickte hinauf zu den Baumkronen, die so dicht waren, dass man weder die Sonne noch den Himmel sah. Es ist, als wenn die Zeit ihre festen Konturen verloren hat, dachte sie. Ich weiβ nicht, wie lange ich schon hinter den beiden in diesem Urwald hergehe. Die Luft riecht nach süßlich duftenden Blüten, dazu der Lärm der vielen Vögel und Insekten und das Gekreische der Affen! Meine Kleider sind durchnässt vom Schweiβ und meine Schuhe voll gesogen von Wasser.


Endlich erreichten sie eine Hütte an einem kleinen Fluss, davor war ein freier Platz aus lehmigen, festgestampften Boden, wo Hühner und Ziegen herum liefen.

„Gregório!“, rief die Alte. Sie eilte zu einem Schwarzen, der mindestens genauso alt wie sie selbst war. Er erhob sich und begrüβte alle, dann bedeutete er ihnen Platz zu nehmen.

„Ich lebe hier mit den Tieren und lausche dem Fluss. Manchmal besucht mich Mariazinha und holt die Heilpflanzen, die sie braucht, so wie heute.“ Er lachte auf. „Ich träumte letzte Nach, davon, dass sie kommt. Dein Freund wird wieder gesund“, sagte Gregório. "Er wird ein berühmter Fuβballer sein und unermesslich reich werden. Seine Aufgabe aber ist es, die Kinder zu unterstützen. Die Kinder von den Straβen zu holen.“ Er seufzte leise und murmelte: " Die Kinder des Lichts, die jetzt überall geboren werden in unsere Welt, rein und heilig…heilig sind sie.“

Angela war sprachlos. Wie konnte der Alte überhaupt von Diogo wissen?

Es folgte langes Schweigen, nur die kreischenden Papageien blieben völlig unbeeindruckt von Gregórios Zukunftsvisionen, auch die Äffchen und die Grillen und Zikaden, die zu einem lauten Konzert ansetzten.


„Heute ist der groβe Tag des Festes für Yemanjá, die Königin des Meeres“, sagte Diogo und holte sie zurück in die Gegenwart. „Gleich wird es dunkel. Dann wird der Ziegenbock geopfert.“ Angela sah ihn an, sagte aber nichts.

„Das gehört zu dem Ritual. Nachher essen wir alle von seinem Fleisch. Wir machen ein groβes Feuer am Strand und braten ihn.“

„Ist schon in Ordnung!“

„Meine Groβmutter und die anderen Frauen haben einen manjar mit Fischen und Palmenöl gekocht, welche wir später als Opfergaben ins Meer bringen. „Manjar?“

„Das ist ein Brei aus Maniokwurzel, Yemanjás Lieblingsspeise.“ Diogo erhob sich. „Lass uns zu den anderen gehen, es ist soweit.“



Singend machten sich Angela und Diogo mit der Groβmutter und den Menschen aus der Nachbarschaft zum Strand auf, alle trugen weiβe Kleidung und hatten Sträuβe aus weiβen Blumen mitgebracht.

„Saravá, saravá Yemanjá”, sangen alle im Chor.

Hunderte weiβer Kerzen hatte man entzündet. Flackerndes Licht beleuchtete die tanzenden Menschen am Strand, die ins seichte Wasser stiegen und Blumen hineinwarfen.

„Es heiβt, dass wir uns etwas wünschen dürfen“, erklärte Diogo. „Yemanjá erhört den Wunsch, wenn die Blumen nicht von den Wellen zurückgespült werden.“

Dann saβen sie um das Feuer und verzehrten gemeinsam das Fleisch, sangen und tranken und lachten ausgelassen, und es war, als kannten sie sich alle schon immer. Die Musiker nahmen ihre Gitarren und die Ziehharmonikas spielten zum Rhythmus der Trommeln. Es war Mitternacht. So begrüβten sie singend das Neue Jahr. Champagnerkorken knallten und Feuerwerkskörper erhellten den Nachthimmel.


Was wird das neue Jahr bringen?, fragte sich Angela. So viel ist in diesen letzten Monaten geschehen, seit Torsten starb. Mitten in meiner Trauer kam Didi in mein Leben. Didi mit seinem riesigen Herzen und seinem unverbesserlichen Optimismus. Didi, der genaue Vorstellungen von seiner Zukunft hat.


Die Musik wiegte Angela in eine seltsame Stimmung. Sie begann sich wie die anderen auch zu drehen. Langsam und rhythmisch, immer im Kreis. Auf einmal hatte sie das Gefühl, ihr Hinterkopf habe eine Öffnung. Wie eine Tür, die sich geöffnet hatte und hinaus in die Weite des Meeres führte. Es war das groβe Meer der Zeit, wo Vergangenheit und Zukunft sich mischten. Dieses Meer war aufgewühlt und zog Angela hinaus, hinaus in die Weite des Ozeans.

Erschrocken taumelte Angela zurück, aber wieder wurde sie hinausgezogen, hörte das Rollen der Brandung und das wilde Rauschen des Wassers. Da erblickte sie plötzlich Yemanjá auf den Wellen. Kühl und distanziert war die Göttin des Wassers und von ungeheurer Schönheit. Langsam kam die Göttin auf sie zu und strich ihr beruhigend über die Stirn. Angela tat es ihr nach, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, schwankte vor und zurück, eine Bewegung wie vom Strom der Gezeiten, der sie wie Ebbe und Flut hin und her bewegte. Vor und wieder zurück. Vor und zurück… Irgendwann lieβ sie sich erschöpft zu Boden fallen und schlief ein, bis am frühen Morgen das Wasser kam und sie weckte.




Axé:blume:
 
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VII



Marco Rabino wischte sich den Schweiβ von der Stirn und schob seinen Kofferwagen durch das Gedränge des Flughafens zum Taxistand. Die Luftfeuchtigkeit in dieser Stadt bringt einen noch um, dachte er und lieβ sich ins Taxi fallen. „Nach Copacabana“, schnaubte er den Fahrer an. „Hotel Luxor Regente.“


Im Rückfenster des Wagens verschwanden die Gebäude des Galeão Flughafen. Rabino nahm sein Telefon und wählte die Nummer von Bruno. Das Telefon läutete, Marco Rabin blickte zerstreut auf die Hütten der Armen drauβen und wartete. Da erklang die automatische Durchsage: „Hier ist der Anschluss von Bruno Santos, ich bin zur Zeit nicht zu erreichen. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signal.“


„Dieser Parasit“, brummte Rabino. Als er das Telefon zurück in die Tasche stecken wollte, klingelte es. Rabino sah auf die Uhr. Es war neun Uhr morgens, eine Uhrzeit, wo normale Bürger auf den Beinen sind. Aber dieser Nichtsnutz liegt im Bett und schnarcht. „Si“, meldete er sich.

„Senhor Rabino, hier spricht Alvarez aus Mexico City.“

„Senhor Alvarez! Ich freue mich, von Ihnen zu hören“, säuselte er freundlich in den Apparat.

„Si, Senhor Rabino.“ Kurze Pause. Das hört sich seltsam an, dachte Marco Rabino alarmiert. „Der Transfer mit Carlos Mendoza wird nicht stattfinden, Senhor Rabino. – Carlos Mendoza hat gestern den Vertrag mit Club America nochmals um fünf Jahre verlängert.“

„Carlos wollte doch unbedingt nach Valencia“, antwortete Rabino lahm. Er wusste genau, die Sache war verloren.

„Carlos hat sich für uns entschieden, es tut uns leid. „Auf Wiedersehen, Senhor Rabino.“

In Rabino krampfte sich alles zusammen. Er versuchte sich zu entspannen und rhythmisch zu atmen, währenddessen er den Fahrer beobachtete, der sich in den dichten Verkehr der Avenida do Brasil einordnete. Geschickt schlängelte er sich zwischen den vielen Lastwagen und Bussen vorbei. Rabino kannte Rio, ihm konnte diese verdammte Stadt keine Angst mehr machen, auch nicht die Lastwagen und Busse, die rechts und links auf den Fahrbahnen in hohem Tempo vorbei rauschten. Aber den Transfer mit Carlos Mendoza, den konnte er abhaken. Die ganze Reise nach Mexico war umsonst gewesen. Diese miesen Schweine. Allein schon der Empfang dort sprach für sich. Eine ganze Kompanie erwartete mich dort, keiner traut dem anderen über den Weg, und jeder will genau erfahren, wie groβ die Ablösesumme ist.

Ich werde Bruno später anrufen. Erst einmal ins Hotel und unter die Dusche, beschloss er gähnend. Mein Treffen mit dem Präsidenten des Flamengo ist für ein Uhr angesagt. Ein unkompliziertes Mittagessen im Restaurant des Flamengo Club, wo ich erst mal

vorsichtig meine Fühler ausstrecken will. Rabino war enttäuscht und müde. Ja, er war müde. Seit fünf Uhr war er auf den Beinen.

Das Taxi fuhr in den Rebouças Tunnel hinein und lieβ endlich die Elendsviertel der Nordzone hinter sich. Rabino beobachtete das immer kleiner werdende Loch des Tunnels im Rückspiegel, wie es langsam verschwand. Dann lenkte er seine Gedanken zu dem neuen brasilianischen Fuβballspieler, aber er war nicht richtig bei der Sache.

Diogo heiβt er. Ist egal, wie er heiβt, Hauptsache er ist gut. Und ich will ihn beim Spielen sehen. Wenn er wirklich das verspricht, wie man mir beteuerte, kann ich eine Menge verdienen.

Ich mag keine Tunnel! Sie erinnern mich an den Tod. Ich weiβ auch nicht, warum. Das weiβe Loch im Rückspiegel war verschwunden und da war nur noch vor ihm und hinter ihm ein schwarzer Schlund. Er öffnete das Fenster, aber die Luft war stickig und es war laut. Dieser Tunnel, glaube ich, ist sieben Kilometer lang. Er nahm ein Papiertaschentuch, wischte sich den Schweiβ von der Stirn und schloss das Fenster. Plötzlich trat der Taxifahrer auf die Bremse.

„Ein Unfall“, kommentierte er und schlängelte sich auf die linke Fahrspur. „Diese Idioten, warum müssen die immer so schnell fahren?“ Er überholte langsam einen stehenden Bus. Menschen standen auf der linken Ausweichbahn. Am Boden zersplittertes Glas.

„Jetzt brauche ich erst mal eine Zigarette“, sagte Rabino.

Weiter vorne stand der Lastwagen, in den der Bus aufgefahren war. Langsam überholten sie die Unfallstelle, während Rabin sich mit zitternden Händen eine Zigarette anzündete.

Der Taxifahrer sah in den Rückspiegel. „Keine Bange, wir sind gleich drauβen.“

Rabino fühlte plötzlich ein Stechen in der Brust. Dios, ich soll mich nicht aufregen. Er griff in die Tasche seines Sakkos und steckte sich die Kapsel mit dem Herzmittel unter die Zunge.

Vorne an der Windschutzscheibe näherte sich langsam aber beständig ein kleiner Lichtpunkt, wurde gröβer und gröβer. Endlich erreichten sie den Ausgang.

Die Lagoa Rodrigo de Freitas nahm Marco Rabino nicht mehr wahr. Das Stechen in seiner Brust war so unerträglich, dass er aufstöhnte.

Der Taxifahrer drehte sich erschrocken um und fuhr sofort zum nächsten Krankenhaus.


Fünftes Buch

Rio


I


Rio de Janeiro, a cidade maravilhosa, die Wunderschöne, wie sie genant wird, nahm Angela und Diogo erneut in ihre Arme auf. In dieser Stadt wird geliebt, gekämpft und gearbeitet und Fuβball gespielt. Spielerisch wird das Leben angegangen. Die cariocas, welche die Leichtigkeit des Seins wie sonst niemand besser beherrschen… in Brasilien tanzen die Gene der Menschen im Blut.


Angela war wieder voll im Einsatz im Hotel Sheraton. In ihrer Freizeit besuchte sie zusammen mit Claudia die Yoga Stunde in Leblon. Frühmorgens, wenn Claudia nicht gerade unterwegs zum Flughafen wegen eines Transfers war, joggten sie neuerdings morgens am Strand von Leblon.


„Wie geht es Diogo?“, wollte Claudia wissen. Sie war inzwischen schweiβgebadet.

„Es geht ihm viel besser! Er arbeitet jeden Morgen mit seinem Physiotherapeuten und macht Fortschritte. Didi hat letzte Woche wieder mit Joggen angefangen, um sich für die Spiele fit zu machen.“

„Wann geht es los?“

„Der Pokal beginnt in zwei Wochen.“ Angela schnaufte hörbar.

„Oh!“

„An manchen Tagen wacht Didi mit dem Gefühl auf, es zu schaffen. An anderen Tagen überkommt ihn ein Bangen, so als liefe ihm die Zeit bis zum Pokal davon.“

„Diogo schafft das!“

„Ich glaube auch.“


Das Meer war ruhig und es war Ebbe, sie joggten barfuss am Wasser. Angela blickte auf die Uhr, es war kurz nach acht. Bis auf die Surfer im Wasser und ein paar Gymnastikfreaks war der Strand noch leer.


„Vor allem, wenn du Diogo so unterstützt. - Du gibst ihm Kraft.“

„Immerhin war er erstmals wieder in der Lage, den verletzten Fuβ zu belasten. Er übte tagelang auf dem Trampolin, um wieder mit einem Bein das Gleichgewicht halten zu können. Er musste auf einem Bein stehen und balancieren, während ihm ein Ball zugeworfen wurde. Dann auf das andere Bein wechseln. Verstehst du?“ Angela blickte zu Claudia. Sie nickte. „Das sah lustig aus! Ich bin manchmal beim Training dabei.“

„Aha.“

„Er braucht mich, glaube mir.“ Sie machte eine Verschnaufpause. Dann fuhr sie fort. „Die nächste Phase bestand darin, den Ball zurückzuschlagen, statt ihn nur zu fangen.“

„Und? Schafft Diogo das schon?“

„Ja. Super! Am Abend hat er dann Gespräche mit dem Physio und dem Co-Trainer über die Fortschritte. Oft ist es ein langer Tag im Flamengo, und es bleibt für uns immer weniger Zeit“

„Hm.“

„Am Wochenende bin ich mit ihm in Nilópolis.“ Angela lachte auf.“ Da trainieren wir für den Karneval. Drei Stunden Samba total jeden Samstagabend!“

„Olelê…olalá!“

„Genau! Willst du nicht mal mitkommen?“

„Nein, lieber nicht. Da bin ich völlig unbegabt. Auβerdem bin ich über den Karneval voll beschäftigt. Meine Agentur hat mich ganz in Beschlag genommen.“ Sie seufzte. „Ich habe mehrere Schiffe, die wollen alle zum Umzug. Da darf ich wieder die ganze Nacht auf der Zuschauertribüne am Sambódromo sitzen.“

„Na ja, dann siehst du mich unten mit der Beija Flôr vorbeiziehen.“

„Noch drei Wochen bis zum Karneval!“

„Und zwei Wochen bis zum Pokal.“ Angelas Atem ging schwer. „Wollen wir aufhören und langsam zurückgehen? Ich pack es heute nicht!“

„Ich auch nicht“, meinte Claudia erleichtert. „Übrigens habe ich ein traumhaftes Apartment in Ipanema gefunden“. Beide schwiegen, schlenderten langsam den Leblon-Strand in Richtung Vidigal. Nachdenklich blickte Angela hinauf zu den beiden hohen Granitfelsen, den Dois Irmões und der Pedra da Gávea, diese sagenhafte Kulisse vom Ipanema – Leblon - Strand, die sich dunkelblau über dem aufsteigenden Morgendunst erhoben. „Ich freue mich, Claudia!“, sagte sie dann schlieβlich. Sie war nicht überrascht, denn die Trennung zwischen Claudia und Andreas schien endgültig.

„Andreas hat sich mit mir ausgesprochen, er wird die Kosten dafür voll übernehmen.“

„ Da bin ich aber froh, Claudia.“

„Falls du doch nicht mit Didi bleibst und nach Europa zurückgehst, du kannst mich immer besuchen, denn ich habe ein Gästezimmer.“

„Abgemacht! Und jetzt wollen wir ins Sheraton zum Frühstücken, wir haben allen Grund zum Feiern!“
 
II


Fábio war erleichtert über das Gespräch mit Maysa, es war ganz einfach verlaufen.

Wer kennt sich mit den Frauen schon aus, überlegte er. Aber egal, er hatte es hinter sich und Maysa beglückwünschte ihn zur kommenden Verlobung. Das Restaurant am Leuchtturm war nur schwach besetzt gewesen. Sie hatten einen Tisch am Fenster und blickten hinaus auf das Meer. Fábio hatte Bedenken wegen eines Gefühlsausbruchs, aber Maysa nahm ihr Weinglas und stieβ mit ihm an.

„Auf eure Verlobung“, sprach sie. „Und nächste Woche fliegen wir nach Rio? Oh, ich freue mich schon so! Danke, Fábio! Du bist ein Schatz!“

„Wirst du in Europa weitermachen, oder willst du lieber in Rio bleiben?“

„Das weiβ Gott alleine!“ entgegnete Maysa. Fábio ging das alles zu glatt. Es schien ihm, als verbarg sich da noch etwas ganz anderes hinter diesem freundlichen Gesicht, aber das war ihm egal. Ihm jedenfalls konnte sie nichts anhaben.

„Du solltest nach dem Karneval zurück nach Europa, Maysa.“ Sie nickte. „Vielleicht, ich habe ja noch ein paar Tage zum Überlegen.“




III


Marco Rabino saβ auf der Zuschauertribüne des Flamengo und konzentrierte sich auf Diogos Spielzüge. Es war zwölf Uhr vormittags, die Hitze lag brütend über Rio. Marco Rabino lief der Schweiβ am Rücken entlang. Aber das, was ihm hier geboten wurde, entschädigte ihn für alles, sogar für seinen Aufenthalt in der Herzklinik. Sie behielten ihn dort ein nur ein paar Stunden zur Beobachtung, jetzt endlich konnte er sich vom Talent des Gottverdammten Fuβballspielers in dieser Gottverdammten Stadt mit seinen Banditen, überzeugen.

Gebannt beobachtete er Diogos Geschwindigkeit. Ja, dieser Junge konnte wahrhaftig spielen! Er besaβ jene Gabe, eine Fraktion von Sekunden dem Gegner voraus zu sein. Das wurde ihm in mehrmals wiederkehrenden Situationen deutlich klar. Auch schoss Diogo mit beiden Beinen gleich gut. In Marco Rabins Hirn begann es wie wild zu arbeiten. Ich muss ihm noch heute ein Angebot machen, schoss es ihm durch den Kopf. So wie Diogo auf dem Feld da unten Tore schoss, waren es seine Neuronen, die durch seinen Kopf schossen. Mentale Tore schieβen, nannte er das. Sie hatten Marco Rabin so zum erfolgreichsten Spielerberater Südamerikas gemacht.

Der Abpfiff zur Pause riss ihn aus seinen Überlegungen. Er wandte sich an den Trainer, der neben ihm saβ: „Senhor Marco César, ich möchte gerne mit Diogo reden.“



IV


Ich glaube, jetzt geht es endgültig aufwärts, dachte Diogo eines Morgens. Mein Arzt war zufrieden und gab grünes Licht. Ich fühle die alte Leichtigkeit in mir und kann endlich richtig locker Bälle schieβen. Diogo lächelte zufrieden. So hat das Fitmach-Programm wenigstens Erfolg gebracht. Alleine die vielen Stunden Krafttraining, Massagen und Behandlungen in den letzten Wochen.

Alô Didi“, begrüβte ihn Marcelo beim Joggen und blieb wie immer an seiner Seite. „Du läufst mir ja davon heute!“, meinte er lachend, während sie ihre Runden durch den Club drehten.

„Ich habe die Krise überwunden, jetzt bin ich wieder der Alte.“

„Du bist für São Paulo fest eingeplant. Paquetá rechnet mit dir…“

„Das ist kurz vor dem Karneval! – Claro mano, da muss ich mit.“

„Whelliton und Zinho sind diesmal mit dabei! Aber was ist mit Ibson?“

„Ibson bleibt auf der Reservebank“, antwortete Diogo leise. Er drehte sich vorsichtshalber um, ob keiner der Spieler in der Nähe war. „Paulinho auch.“

„Was für einen Eindruck hattest du von dem Argentinier, der vorige Woche mit mir gesprochen hat?“

„Der Dicke mit Glatzkopf?“ Marcelo zog eine Grimasse.

„Sag mal, ganz im Ernst.“

Marcelo schwieg, schien zu überlegen. „Ich halte, wie die meisten Menschen in unserem Land, nicht viel von den Argentiniern.“

Inzwischen hatten sie ihre Runden beendet und liefen langsam aus.

„Ich habe ein Angebot für Moskau von ihm.“

„Was?“

Diogo nickte. „Ende der Woche wird der Club endgültig darüber entscheiden. Wenn ich einwillige, kommt er von Buenos Aires her, damit ich unterschreibe.“

„Und der Flamengo?“

„Der bekommt eine saftige Ablösung.“ Er atmete hörbar aus und sah Marcelo an. „Ich sollte glücklich sein, aber ich habe so ein komisches Gefühl…“

„Ehrlich gesagt“, Marcelo kratzte sich am Kopf. „Mir war der Glatzkopf nicht sympathisch. Ich erzählte dir ja bereits, Zico kommt morgen aus Japan. Warum sprichst du nicht mit ihm?

„Zico?“ Diogos Stimme wurde weich.

„Komm“, meinte Marcelo. „Wir müssen weitermachen, sonst wird Carlos ärgerlich!“ Beide joggten in Richtung Fuβballfeld.

„Ist heute nur der Techniker da? Wo ist Paquetá?“

„Der hat wegen Zico zu tun“, meinte Marcelo. „Empfangsfeierlichkeiten und so, verstehst du?“ Diogo nickte.

„Zico holt sich Airton nach Japan…“

„Wer hat dir das zugeflüstert?“, grinste Diogo.

„Wie du weiβt, ist Zico seit Jahren ein guter Freund von mir. Airton wird als Japaner eingebürgert, der hat japanische Vorfahren und wird dort die Nationalmannschaft aufheizen.“ Marcelo strahlte. „Wegen dem Argentinier solltest du besser mit Zico sprechen. Ich arrangiere das.“

„Danke!“

„Ist schon in Ordnung, mano. - Und was sagt deine deutsche Freundin?“

„Ich habe ihr bisher noch nichts verraten.“

„Wie lange bleibt sie noch in Rio“

„Im Juli endet ihr Vertrag.“

„Und dann?“

Deus é que sabe“, lächelte Diogo verschmitzt und deutete zum Himmel hinauf.
 
V
Bruno saβ vor dem Fernseher. Vor sich hatte er ein Sandwich mit Schinken und Käse stehen und leerte gerade die zweite Flasche Bier. Da pochte es an die Tür.

Alô? Ist da jemand?“, hörte er eine Frauenstimme.

Bruno ging zur Tür und machte auf. „Maysa!“, rief er freudig. Sein Blick wanderte rasch an ihr von oben nach unten. Dann umarmte Bruno Maysa und hob sie hoch. Lachend drehte er sich mit ihr einmal im Kreis herum und setzte sie schwungvoll wieder am Boden ab. „Komm herein, meu amor.“ Wie elegant sie aussieht in diesem weiβen Kostüm, sie ist noch hübscher geworden, dachte er, als er hinter ihr ins Haus ging.

„Na, du bist genau der Gleiche geblieben, malandro!“ Maysa setzte sich sichtlich zufrieden auf das Sofa.

„Was kann ich dir anbieten?“ Bruno grinste. „Auch ein Bier oder gleich Stoff?“

Da saβ sie, seine groβe Liebe, die Frau, die er immer begehrt hatte und nie wirklich bekam. Er konnte es gar nicht fassen. Bruno holte seine Zigaretten aus der Tasche und bot sie Maysa an. Als er sich zu ihr herunter beugte und ihr Feuer gab, nahm er ihr verdammt verführerisches Parfüm wahr.

Maysa inhalierte tief den Rauch ihrer Zigarette und blies ihn nach oben.

„Bitte ein Glas Wasser.“

Bruno ging zum Eisschrank und brachte es ihr.


„Danke, meu amor!“ Sie trank durstig. „Ich bin die Hitze nicht mehr gewöhnt.“ Sie seufzte und zog sich die Jacke ihres Kostüms aus.

Bruno lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete ungeniert ihr knapp sitzendes Top und die Wölbungen ihrer Brüste. Sein Atem ging schneller. Bevor es mit uns begann, war Maysa weg, dachte er. Aber jetzt sitzt sie leibhaftig vor mir.

„Wie lange bleibst du?“

„Bruno, ich werde vielleicht in Rio bleiben“, begann sie. „Auf jeden Fall über den Karneval.“ Sie lächelte ein wenig wehmütig. „Ich musste in Europa viel an dich denken.“


Bruno war glücklich, das erste Mal war er richtig glücklich. Maysa kam wegen ihm und so, wie sie ihn ansah, schien doch die Liebe zu ihm gesiegt zu haben. Die Liebe zu ihr, die er in sich hatte und die alles überdauert hatte, sie hatte gesiegt. Bruno liebte Maysa, eine Liebe, die stärker war als Hass. Diese Liebe wischte endlich die bösen Schatten der Vergangenheit weg, denn jetzt hatte Maysa sich endgültig für ihn entschieden.



VI

„Zico, das ist mein Freund Didi“, begann Marcelo. Es war Mittwochvormittag, nach dem Training.

Zico klopfte Diogo auf die Schuler. „Dass du ein guter Torschütze bist, ist bis zu mir nach Japan gedrungen“, grinste er.

„Oh!“ Diogo fasste sich an die Nasenspitze und blickte zu Boden.

„Wollen wir einen Kaffee zusammen trinken?“, fragte Zico freundlich. „Dann können wir in Ruhe sprechen.“


Das ist der Augenblick in meinem Leben, den ich mir so gewünscht hatte, dachte Diogo, auf dem Weg zur Cafeteria. Ich trage dieses Bild seit vielen Jahren in mir, es hat mir die Kraft für alle meine Anstrengungen gegeben. Zico! Er hat sich kaum verändert, bis auf die Haare, sie sind leicht ergraut. Und jetzt geht er neben mir her, als sei es die normalste Sache der Welt, und will sogar mit mir reden…


„Dann erzähl mir, was du auf dem Herzen hast“, forderte Zico Diogo auf. Der Kellner brachte den Kaffee.

„Senhor Zico…“

„Du kannst mich ruhig Zico nennen.“ Er trank von seinem Kaffee. „Ich war auch einmal einer von euch.“

„Die Nummer Zehn von der Gavéa“, summte Marcelo anerkennend.

Zico blicke Diogo an. „Also?“

„Ich habe ein Angebot von Marco Rabino für Moskau“, begann Diogo. „Kennen Sie Marco Rabino?“

„Wer kennt ihn nicht?“ Zico legte grübelnd seine Stirn in Falten. „Wurde schon über Geld geredet?“

„Nein, noch nicht so direkt.“

„Wie - noch nicht so direkt?“

„Na ja, Marco Rabino hat wohl mit dem Präsidenten wegen der Ablösungssumme geredet“, meinte Diogo vorsichtig. „Es ist bereits alles geklärt“, so sagte Marco Rabino zu mir. Ich muss mich bis Ende dieser Woche entscheiden.“

„Ja, so kennen wir Marco Rabino!“ Zico blickte zu Marcelo. „Dein Freund braucht dringend eine Vertrauensperson, sonst wird man ihn übervorteilen.“

Marcelo kratzte sich am Hinterkopf. „Einen Berater, um mit einem Fuβballimpresario zurechtzukommen.“

„Genau.“ Zico blickte zu Diogo. „Marcelo ist zwei Jahre älter, er hat schon ein wenig Erfahrung. Marcelo, wer ist dein Berater?“

„Mein Berater? Ein Onkel von mir, er hat studiert und kennt sich mit Zahlen und den ganzen Vertragsangelegenheiten aus. – Wir haben bereits mit meinem Onkel darüber gesprochen.“

„Marcelo kannst du vertrauen, Diogo!“ Zico sah auf die Uhr. „Ich muss los. In zehn Minuten habe ich eine Besprechung mit Paquetá und dem Präsidenten.“ Er stand auf. „Lass dich nicht unter Zeitdruck stellen. Das ist primitive Überrumpelungstaktik. Und hinter einem Angebot von Moskau kann manchmal ein besseres Angebot versteckt sein. Ich werde mit Paquetá sprechen. Du bist zu gut, mein Junge, als dass du verheizt wirst. Und Paquetá wird den Präsidenten gewiss davon überzeugen können, dass es sich bei dir durchaus lohnt, noch ein wenig zu warten.“ Er lachte. “Dann wird die Ablösungssumme um so höher für den Flamengo werden.“



VII


Es war fünf Uhr am Nachmittag, die Hitze lag brütend über Rio und lieβ die Menschen an die Strände flüchten, wo ein leichter Wind aufkam. Angela und Diogo saβen am Arpoador und beobachteten die Surfer drauβen auf dem Wasser.

„Das sind heute meterhohe Wellen!“, Diogo hatte den Arm um Angela gelegt und deutete auf einen der Surfer. „Schau mal, wie er es schafft, im tubo zu bleiben, in diesem Tunnel, der sich vor dem Brechen der Welle bildet!“

Dann kam eine besonders lange Welle. Die aufgeregten Rufe der Jungs auf dem Wasser drangen bis zu ihnen, während die Welle sich mehr und mehr auftürmte, dann kippte sie und begann, wie in Zeitlupe, langsam zu brechen. „Angela!“ Diogo stand auf, um besser sehen zu können.

Ein paar Surfer nahmen die Welle bis fast vorne zum Sand und ernteten Beifallsgeklatsche.


Angela war nachdenklich. Didi hat ein Angebot für Moskau, aber er versicherte mir, dass noch etwas Besseres nachkommt. Was wird aus meinem Leben werden? Langsam muss ich mich entscheiden, ach, ich habe mich längst entschieden. Angela dachte an das Gespräch gestern, auf der Terrasse vom Sheraton mit Claudia:

„Wenn du einmal heiratest, wird es temperamentvoll zugehen! - Das prophezeit dir deine erfahrene Freundin!“

„Temperamentvoll? Wie meinst du das?“

„Es wird behauptet, dass man sich selbst nicht richtig kennt. Im Gegensatz zu den Menschen, die einem umgeben.“

„Und? Auf was willst du hinaus?“

„Du machst erst mal einen coolen Eindruck, Angela. Aber da ist ein ziemlich heiβer Kern!“

„Aha. Und das beurteilst du aufgrund meiner Angewohnheit, den Kaffee zu schnell umzurühren?“

„Vielleicht?“ Claudia blickte in die Ferne und entdeckte auf dem Meer ein kleines Fischerboot. „Du bist stürmisch, Angela. Das macht dich lebendig und verleiht dir jene Ausstrahlung, der Torsten erlag und der auch Diogo nicht widerstehen konnte."

„Und in den letzten Monaten habe ich den Kaffee einige Male zu schnell…“

„Hör auf!“, warnte Claudia lachend. „Ich weiβ, wovon ich rede. Du hast ein starkes Potenzial in dir, und das bereits in deinem Alter.“

Angela atmete schwer aus und fragte sich, ob die Beziehung mit Didi auch in Moskau standhalten würde. Das habe ich jetzt von meinem stürmischen Temperament. Ich habe mich mit meiner Abenteuerlust in diese Beziehung mit Didi hineingewagt und mich über alle Konventionen hinweggesetzt. Jetzt muss ich mich entscheiden…

„Was ist, meu amor?“

„Nichts, Didi.“

„Ist es wegen São Paulo? - Bist du traurig?“

„Nein, nein, Didi…“

„Ich fliege am Samstag und bin am selben Tag zurück“, versuchte er sie zu beruhigen. „Taça São Paulo, wir spielen gegen Corinthians.- Das Spiel werden wir gewinnen. Und dann ab ins Flugzeug zu dir.“ Sie schwieg. „Willst du mitkommen?“

„Nein, Didi.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Spezial-Transfer. Der Einkaufschef meiner Firma ist in unserem Hotel und fliegt Samstag zurück.“

„Komm, lass uns gehen“, schlug er vor. Er bemerkte eine Traurigkeit in ihr, aber er fühlte auch, sie wollte nicht darüber reden.

„Mach dir keine Sorgen wegen Moskau. – Ich werde nicht nach Moskau verkauft, Zico wird mit dem Präsidenten des Flamengo und Paquetá sprechen.“ Diogo stieβ seinen Atem heftig aus. „Die Woche ist noch nicht um, Angela. – Was mich viel mehr beunruhigt, sind die ständigen Überfälle. Dein Hotel ist verdammt nah an der Favela. Vorigen Sonntag erst war ein arrastão am helllichten Tag am Strand von Leblon. Diese bewaffneten Massenüberfälle, ähnlich dem Prinzip, ein Fischernetz auszuwerfen, um es dann zusammenzuziehen, kommen jetzt immer häufiger vor. Ich wollte, ich bekäme bald ein Angebot von einem guten Club in Europa.“

„Das Sheraton verfügt über genügend Sicherheitskräfte, mach dir keine Sorgen.“ Sie blickte nach rechts, wo in weiter Ferne ihr Hotel an der Steilküste stand, und dahinter an den Bergen klebten tausende Wellblechhütten, das war Vidigal.

„Erinnerst du dich vor zwei Monaten an den Überfall? Ein Hochhaus in Ipanema. – Fünfzehn schwer bewaffnete Banditen, mit Schnellfeuergewehren und Handgranaten. Sie haben alle siebzehn Stockwerke ausgeplündert. Die Millionäre wurden um ihre gesamten Schätze und Juwelen gebracht. Und die Polizei kam viel zu spät…“

„Unser Hotel wird solch einen Überfall nicht erleben!“ Angela schnaubte verächtlich. „Die Banditen machen sich doch vor allem über die Wehrlosen her. Wie viel Sicherheitskräfte stehen vor solch einem Hochhaus? Zwei, drei? – Mein Hotel ist sicher, darauf kannst du dich verlassen!“

Er sah sie an. „Würdest du mit mir kommen?“

„Wer weiβ, ich glaube, ja. – Wir haben noch Zeit, mein Vertrag endet erst im Juli.
 
VIII


Heinz Bachmann bemühte sich, gelangweilt zu wirken. Es war drei Uhr nachmittags. Er saβ zusammen mit Diogo in der Cafeteria des Flamengo und trank Kaffee.

„Und Ihrem Bein geht es inzwischen wieder gut?“, erkundigte er sich höflich.

„Es war nicht das Bein, es war der Fuβ.“ Diogo lächelte. „Die Ärzte haben nichts Besonderes finden können. Es handelte sich um eine Entzündung.“

Heinzi bestellte noch Kaffe beim Kellner und wendete sich erneut Diogo zu.

„Ich komme im Auftrag eines Fuβballklubs aus Deutschland“, begann er. Diogo sagte nichts darauf, so fuhr Heinzi fort: „Ist alles noch geheim.“

Diogos erster Gedanke war: „Jetzt kommen zwei Einladungen auf einmal…“

„Man hat mich beauftragt, mit Ihnen zu sprechen, Diogo.“ Heinzi blickte ihn prüfend von der Seite an. „Wenn Sie interessiert sind, kommt jemand aus Deutschland nächste Woche rüber.“ Pause. Diogo schwieg und wartete ab. „Ein Video über Ihre Spielweise habe ich bereits dort hin gesendet. Aber man möchte Sie gerne vor Ort spielen sehen Es könnten dann die klärenden Gespräche stattfinden…“

„Ich muss mich bis zum Ende dieser Woche entscheiden. Denn ich bekam ein Angebot.“ Diogo atmete tief ein und aus.“ Jedoch für ein Land, an dem ich nicht besonders interessiert bin.“ Er blickte auf seinen Kaffee.

„Hm.“ Heinzi überlegte kurz, bemühte sich weiterhin gelangweilt drein zu blicken. „Was soll ich Deutschland sagen?“

„Wenn ich weiβ, um welchen Verein es sich handelt“, gab Diogo vorsichtig zurück, „fiele mir meine Entscheidung wesentlich leichter, Senhor Heinzi.“

„Ich bin bereit, es Ihnen anzuvertrauen.“ Heinzi sah Diogo fest an. „Wenn dies streng vertraulich behandelt wird, verstehen Sie?“

Diogo nickte.

„Gut! Aber Sie dürfen es auch nicht Ihrem besten Freund sagen“, meinte Heinzi und grinste. „Der sagt es nämlich dann wiederum seinem besten Freund…“ Beide lachten. Diogo wusste, dass seine Sternstunde nahte. Jetzt, in diesem Augenblick, wurde entschieden, wie sein Schicksal verlaufen würde. Dass er gut spielte, davon war er schon immer überzeugt.

„Der Verein heiβt Bayern München“, hörte er Heinzi wie aus weiter Ferne sagen…



IX


Bruno hatte bereits vor zwei Wochen den Tisch im Hotel Meridien reserviert. Es sollte ein besonderer Abend werden, das Restaurant Le Saint Honoré gehört zu den besten von Brasilien. Es hatte ihn eine Menge Trinkgeld gekostet, aber jetzt saβ er zusammen mit Maysa hier oben im siebenunddreiβigsten Stock und blickte durch die groβen Fenster über die gesamte Copacabana-Bucht. Das begeistert sogar mich, dachte Bruno und lächelte Maysa zu. Heute Abend bin ich der König von Rio und Maysa meine Königin. Nein, sie ist eine Göttin in diesem weiβen Kleid aus hauchdünnem Stoff. Ich verstehe nicht viel von Kleidern und von Luxus, aber was sie anhat, sieht verdammt teuer aus! Auch die Halskette und die Ohrringe scheinen echte Brillianten zu sein. Genau passend zu dem ganzen Luxus in dem Laden hier, aber ich lasse mich davon nicht einschüchtern. Heute bin ich Doktor Bruno Santos!

„Du siehst phantastisch aus, Maysa!“ Sie schenkte ihm ein verliebtes Lächeln.

„Gefalle ich dir?“

„Du bist so schön, dass alle Männer immer wieder herüberblicken.“

„Das Kleid ist von Valentino, ich habe es in Rom gekauft. In der Via Condotti, Roms bester Einkaufsstraße.“ Ich muss ihm ja nicht erzählen, dass es ein Geschenk von Fábio war, dachte sie.

„Valentino?“ Sie nickte.

„Und der Brillantschmuck? – Es sind doch Brillianten?“

„Oh“, Maysa errötete. „Das war ein Abschiedsgeschenk von Fábio.“

„Von Fábio?“ Sie nickte.

Der Kellner kam und verbeugte sich diskret.

„Bringen Sie eine Flasche Champagner.“

„Wir haben verschiedene Marken“, begann der Kellner.

„Eine Flasche Dom Perignon!“

„Bruno, du gefällst mir auch“, versuchte Maysa geschickt das Gespräch umzulenken. „Ich habe dich noch nie in einem Smoking gesehen““

„Kleider machen Leute!“ Bruno strahlte. „Es werden bald nicht nur die Kleider sein, glaub mir!“

„Bruno?“ Maysa sah ihn neugierig an. „Das klingt ja richtig geheimnisvoll:“

Inzwischen wurde der Champagner serviert. Bruno prostete Maysa zu. „Auf unsere Zukunft, meu amor!“ Während sie die Speisekarte studierten, fuhr Bruno in seinem Gespräch fort. „Ich habe genug Geld und werde mir ein Haus in Vidigal bauen. Mit mindestens zehn Zimmern, Swimming-Pool und Sauna.“

Als der Kellner kam, bestellte Bruno als Hauptgang Tournedos und vorher Platten mit Hummern und Shrimps, Austern und Salat mit Spargelspitzen und Langustenmedaillons. „Ich hätte gerne zum Fleisch einen Château Margaux, Jahrgang 1999“, sagte Bruno. Er hatte sich vorher bestens über die Weine informiert. Der Sommelier nickte und entfernte sich.

„Willst du dann zu mir kommen?“ Bruno sah sie erwartungsvoll an. „Du sollst meine Frau werden.“ Er holte zögernd ein kleines Päckchen aus der Tasche seiner Smokingjacke und reichte es ihr über den Tisch. Maysa packte es aus. Es war ein wunderschöner Diamantring, bestehend aus einem groβen Diamanten mit acht kleinen Brillianten herum eingearbeitet.

„Oh, Bruno! Er ist wunderschön!“

„Willst du meine Frau werden?“, fragte Bruno abermals. Maysa nickte. „Ich bin so gerührt, Bruno.“

„Steck ihn an deinen Finger, ich möchte wissen, ob er dir passt.“ Maysa steckte den Ring an. „Ja!“ Sie hielt ihm stolz ihre Hand hin. „Wie konntest du das so genau wissen?“


Die Platten mit dem Hummer, Austern, den Shrimps und Langusten wurden serviert. Als die Kellner sich diskret entfernt hatten, blickte Bruno unschlüssig auf das viele Besteck vor sich.

„Du nimmst immer das Besteck, welches ganz auβen liegt“, raunte Maysa ihm zu und kicherte.


„Ja, Bruno. Ich will gerne deine Frau werden. – Aber vorher sollst du mir noch einen kleinen Gefallen tun.“ Sie seufzte. „Didi hat mich verlassen wegen dieser ausländischen Nutte! Ich hasse Didi und das Mädchen auch.“

„Meinst du das blonde Mädchen aus dem Sheraton? Sie kommt aus Deutschland.“

„Ja! – Ich habe Didi aus Europa geschrieben, aber er hat nie geantwortet…“

„Ich verstehe.“

„Didi interessiert mich nicht mehr!“ Maysa verzog verächtlich den Mund. „Aber das Mädchen hat ihn mir weggeschnappt!“ Maysa nahm sich von dem Langustenmedaillons. „Wenn wir uns an ihr rächen, treffen wir auch Didi!“

„Und wie stellst du dir das vor ?“ Bruno sah sie ausdruckslos an.

„Ah!“ Maysa lachte auf. „Nimm sie dir, Bruno. Es wird ja wohl nicht schwierig sein, sie zu dir nach Hause zu locken. – Sie kennt dich und vertraut dir. Also, lass dir was einfallen.“
 
Sechstes Buch



Der Tod tanzt Samba



I


„Komm, amigo, darauf trinken wir noch einen“, rief Armando zufrieden aus. Die Bar do Zéquinha war überfüllt und die Musik dröhnte so laut, dass man kaum ein Wort verstehen konnte. Armando nahm die Flasche mit der Pinga und schenkte sich und Bruno die Gläser nochmals randvoll.

„Die Rechnung von Serginho Costa-Mar, ist voll aufgegangen!“ Bruno trank sein Glas aus und rülpste. „Der Totentanz hat gestern Abend begonnen…unsere Männer laufen schieβend durch Rio und zünden Omnibusse an.“

„Der Karneval kann beginnen. Und die Polizei ist machtlos. Der wahre Herrscher über Rio ist Serginho Costa-Mar! – Auch wenn er im Gefängnis sitzt, wir führen seine Kommandos aus!“

„Dieses Jahr wird ein besonderer Karneval sein! Es wird unser Karneval sein.“

In diesem Augenblick erschienen Jorge und Marinho und kamen auf Armandos Tisch zu.

Oi amigo!“ Jorge grinste breit und setzte sich an den Tisch von Armando.

„Wie ist es gelaufen?“, wollte Armando ohne Umschweife wissen. „Das ist mir zu laut hier!“ Armando gab kurz entschlossen mit seinem Revolver einen Schuss zur Decke ab. Sofort verstummte der Lärm.

„Wir haben einige Boutiquen in Ipanema geplündert und den Supermarkt an der Praça General do Osório überfallen.“ Marinho kratzte sich hinterm Ohr. „Sind so an die hunderttausend Reais…“ Er legte ein dickes Bündel Banknoten auf den Tisch, schob sich einen weiteren Stuhl heran und setzte sich. Es war totenstill in der Kneipe.

„Gut gemacht, firmeza! Und eure Jungs?“

„Die sind nach Hause und kommen später her.“ Armando blickte in die Runde. „Wer will als Nächster gehen?“, fragte er, während er Jorge und Mario die Gläser mit Pinga füllte. Er spuckte verächtlich aus. „Es geht um Angst und Terror! – Wir werden denen zeigen, wer diese Stadt regiert!“ Armando stand auf und erhob die Hand mit dem V Zeichen. „Viva o comando vermelho! Viva o Carnaval!“

O Carnaval é nosso!“, brüllten alle in der Kneipe. Wieder und wieder schrien sie diesen Satz. Armando bedeutete den anderen zu schweigen.

„Der Tod tanzt an diesem Karneval Samba!“, sprach er in eine Stille hinein, die geladen war von Aggression und Gewalt.



II


Es war am Samstag spätnachmittags. Angela hatte gerade ein ausgiebiges Bad genommen und wollte sich anziehen, da klingelte das Telefon.

„Hallo?“, meldete sie sich und stellte den Fernseher leise.

„Alô? Hier ist Bruno. Ich rufe wegen Didi an.“ Pause.

„Was ist mit Didi? Ich dachte, er ist in São Paulo zum Spiel.“

„Didi ist schon zurück. Er hat sich beim Training verletzt. Der Ärmste liegt bei uns zuhause und will dich unbedingt sehen.“

„Was?“

„Ja. Ich bin bereits auf dem Weg zu dir, Angela.“

„Ja, sicher, Bruno.“

„Ich warte unten am Eingang.“

„Ja. Bis gleich.“


Angela zog sich schnell ein Kleid über und bürstete ihr Haar. Prüfend betrachte sie sich im Spiegel. Womöglich ist es wieder Didis alte Verletzung, überlegte sie, während sie Lippenstift auftrug. Dann nahm sie ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zum Lift.

Armer Didi, dachte sie. Ihre Gedanken kreisten um ihn, und ihre Sorge um ihn war groβ. Unten durchquerte sie die Lobby und eilte nach drauβen zu den Eingangstüren. Bruno wartete bereits, er begrüβte sie mit einem schwachen Lächeln.

„Ist seine Verletzung schlimm?“, platzte es aus ihr heraus.

„Nein, nein“, beruhigte Bruno sie. „Es wird schon nichts Ernstes sein, wahrscheinlich die alte Verletzung. Am Montag wird er geröntgt, und man wird noch weitere Untersuchungen an ihm vornehmen, sagte Didi.“


Es war inzwischen dunkel geworden. Bruno ging voraus. Schweigend eilten sie die vielen Stufen zu Brunos Häuschen hinauf.


Endlich erreichten sie die Hütte. Angela war ganz auβer Atem, als Bruno die Tür öffnete. In der Wohnküche brannte Licht. Angela stürmte dort hin, wo sie Didi vermutete. „Didi?“, sie blickte zu Bruno.

„Wo ist er?“, fragte sie erstaunt.

Bruno zuckte mit den Schultern. „Ich weiβ es auch nicht.“

„Aber er ist doch verletzt, da kann er doch gar nicht gehen.“ Sie rief nochmals: „Didi?“ Aber da antwortete niemand.

Bruno hatte sich inzwischen ein Bier aus dem Eisschrank geholt. „Willst du auch ein Bier?“

Angela schüttelte den Kopf. Langsam wurde es ihr unheimlich. „Ich möchte wieder zurück ins Sheraton, Bruno.“

„Jetzt setz dich erst mal und beruhige dich.“

„Nein! Ich möchte gehen!“ Angela wandte sich zur Tür und drückte die Klinke herunter.

„Das wirst du nicht“, hörte sie Bruno lachend sagen.

Da bemerkte sie, dass die Tür verschlossen war. Panik ergriff sie. Was sollte sie machen? Aber da war Bruno schon hinter ihr und hielt den Lauf seines Revolvers an ihren Kopf. „So, meine Süβe. Não há crise!“ Er lachte wieder. „Ich habe nicht vor, dich abzuknallen, wenn du lieb zu mir bist.“


Bruno lehnte sich schwer an sie, drückte sie an die Tür.
In diesem Augenblick ertönte ein ungeheurer Krach. Es war, als detonierte nebenan eine Bombe. Das Poltern auf dem Dach und die Maschinengewehrsalven übertönten sogar die Funk-Musik. Dann erloschen alle Lampen. Die Musik verstummte. Bruno sprang auf, griff zu seinem Revolver und stürmte nach drauβen.



III


Nach dem Ausgleich wusste Diogo, dass sie das Spiel gegen Corinthians gewinnen können. Das ist die Chance, schoss es ihm durch den Kopf. Marcelo hat endlich den Ball! In Sekundenschnelle hatte er seine Bewacher Julio und André abgeschüttelt, und genau in diesem Augenblick kam der Ball angeflogen. Diogo zielte in die rechte Ecke ins Tor. Der Ball war drinnen! Jubelgeschrei brach bei den Spielern des Flamengo aus.


Heute war ich nicht so richtig bei der Sache, dachte Diogo. Schon im Bus, auf dem Weg ins Stadion, beschlich mich ein beklemmendes Gefühl. Ich muss mich diese letzten sieben Minuten zusammenreiβen! Hinten stehen wir gestaffelt, da kommt keiner mehr rein. Absolute Kontrolle…dann endlich der Schlusspfiff und Erleichterung. Sie hatten gegen Corinthians zwei zu eins gewonnen.


Das Flugzeug der Tam landete um 21 Uhr auf dem Flughafen Santos Dumont. Diogo nahm sein Telefon und wählte Angelas Nummer. Umsonst, sie meldete sich nicht. Kopfschüttelnd stieg er mit den anderen in den Bus.

„Endlich wieder daheim!“, rief Diogo seinem Kumpel Marcelo zu, um den ausgelassenen Lärm seiner Spielkameraden zu übertönen. Während der Bus an der Botafogo-Bucht entlang fuhr, sangen alle und machten Späβe. So hörte niemand den Sprecher im Radio, der von dem Überfall auf die Favela Vidigal berichtete. Erst, als Diogo im Flamengo eintraf, erfuhr er die Nachricht: Avenida Niemayer gesperrt. Vidigal ohne Licht.

Diogo wählte nochmals Angelas Nummer. „Warum meldet sie sich nicht?“, fragte er besorgt seinen Freund Marcelo.

„Ruf doch im Sheraton an. – Hast du die Nummer?“ Diogo nickte und wählte die Nummer vom Sheraton. „Alô? – Verbinden Sie mich bitte mit dem Apartment 1755!“

Diogo hörte das Läuten, aber niemand nahm ab.

„Tut mir leid, da meldet sich niemand“, erklang die Stimme der Telefonistin.

„Danke“ Diogo legte auf. „Was soll ich tun?“, fragte er seinen Freund.

„Mach dir nicht unnötig Sorgen.“

„Wenn Angela im Apartment in Ipanema wäre, hätte ich sie über ihr Handy erreicht! – Marcelo, ich mache mir Sorgen!“
 
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IV


„Wo warst du denn?“, schrie Armando aufgebracht. Bruno lachte. „Ich war gerade…“ Er machte eine eindeutige Fingerbewegung.

Merda! Bubu ist mit seinen Leuten da und hat uns überrascht. Wir müssen uns nach oben in Sicherheit bringen!“

Beide hetzten sie zwischen den Hütten den Berg hinauf. „Jetzt ist keine Zeit mehr für Späβe. Die Truppen der Militärpolizei rücken an! Und Bubu und an die hundert seiner Hurensöhne greifen uns an!“, erzählte er Bruno, während sie schnaufend und fluchend hoch flüchteten. „Bubus Hurensöhne haben als Erstes unten an der Avenida Niemayer das Transformatorenhaus beschossen, damit wir kein Licht haben.“ Keine zwei Meter entfernt schlugen Schüsse eines Schnellfeuergewehrs ein. Instinktiv lieβen sie sich fallen und rollten sich zur Seite, sprangen wieder auf und stürzten weiter den Berg hinauf. Die Nacht war erfüllt von Todesschreien und beiβendem Rauch, der überall in der Luft hing.

„Bis hinauf zum Urwald traut sich keiner“, keuchte Armando. Sie nahmen, so schnell sie konnten, den schmalen Trampelpfad hinauf. Erneute Schüsse detonierten ganz in ihrer Nähe.

Puta merda!“, schrie Armando, während er durch Gebüsch hetzte. „Die haben uns im Visier!“ Dann erhellten mehrere Leuchtraketen plötzlich die Nacht.

„Runter!“, warnte Armando und warf sich zu Boden. Sie robbten zu dichterem Buschwerk.

Merda!“, schnaufte Bruno. „Das stinkt gewaltig nach Umzingelung! – Wir verstecken uns besser in der Höhle! Wenn wir uns nicht beeilen, erreichen wir die Höhle nicht mehr rechtzeitig…“

„Erst wenn die verdammten Leuchtraketen ausgebrannt sind!“ Armando nahm sein Telefon und wählte die Nummer von Jorge.

Alô? Jorge, wie sieht es aus?“ Armando versuchte, die Stimme von Jorge zu verstehen.

„Wir können die Stellung nicht mehr lange halten!“, schrie Jorge ins Telefon, begleitet von ohrenbetäubenden Gewehrdetonationen im Hintergrund. „Das 23. Bataillon mit Hunderten von Männern ist angerückt!“

Merda!“

„Da kommt ein Wagen des Anti-Bomben Kommandos…“

„Halt durch, Jorge!“ Armando legte auf.

„Sie holen sich Bubu! – Diesen verdammten Dreckshurensohn können sie sich ruhig holen!“



V


Ich weiβ nicht, was ich machen soll. Diogo saβ auf dem Bett von Marcelo und grübelte vor sich hin. Es war sechs Uhr am Sonntagmorgen.

Nichts habe ich gestern Abend erreichen können. Alles vergeblich. Angela war weder im Sheraton noch im Apartment. Von ihr keine Spur.

Diogo hatte das Angebot von Marcelo angenommen und bei ihm übernachtet, er fühlte sich verloren. So seltsam verloren.

„Du kannst jetzt nur abwarten“, hörte er Marcelo. „Komm, Didi. Leg dich wieder hin und ruhe dich aus. Heute kommen die von Bayern München, da musst du topfit sein! Es nützt alles nichts. Angela wird sich melden.“ Beruhigend legte Marcelo seinen Arm um Didis Schulter.

Angela wird sich melden, dachte Diogo. Dann fiel er nochmals in einen unruhigen

Schlaf.


Um halb acht klingelte Diogos Handy. „Alô“, meldete er sich sofort hellwach.

„Didi?“ Es war Diogos Tante und ihre Stimme klang bedrückt.

„Ja, tia?“

„Ich bin gerade nach Hause gekommen.“ Pause. „Tia? Bist du noch dran?“

„Ja.“ Sie räusperte sich. Vidigal blieb die ganze Nacht durch die Polizei gesperrt. Aber die Kämpfe da oben im Urwald gehen weiter. Die Forstpolizei ist mit Spürhunden auf der Suche nach den Banditen. Bubu wurde erschossen!“ Sie stockte und räusperte sich nochmals. „Angela ist hier, sie möchte mit dir reden…“

„Was?“

„Kannst du her kommen?“

„Ja, sicher. Warum gibst du sie mir nicht?“

„Sie ist in keiner guten Verfassung. Besser, du kommst so schnell wie möglich.“

„Ich komme, tia. Ich komme!“



VI


Es war am frühen Morgen, als die Forstpolizei, zusammen mit einer Einheit von hundert Militärpolizisten den Berg oberhalb von Vidigal eingenommen hatte. Armando und Bruno waren umzingelt. Es begann zu dämmern, und die Spürhunde der Forstpolizei kamen näher und näher.

Armando blickte auf die Uhr, es war zehn vor sieben. Er wusste es längst, sie saβen in der Falle. Da gab es kein Entkommen mehr, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die Hunde sie erreichten.

Merda! Puta de merda!“, murmelte Armando und zündete sich eine Zigarette an. “Das Gebell macht mich nervös!“ Er sah Bruno an. „Es ist vorbei, amigo. Es ist aus mit uns. Puta do caralho!“

Bruno sprang auf. „Wir sollten es trotzdem versuchen, hier auszubrechen. Ich habe keine Lust nach Bangú zu kommen!“

Armando schüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier, alles andere ist Selbstmord, cara!“

Bruno rannte los. Das Bellen war verdammt nahe, aber er wollte es riskieren und hechtete keuchend durch den Urwald. Auf einmal standen mehrere Polizisten vor ihm. Er zielte mit seinem Revolver und schoss. Ein Polizist fiel zu Boden, und für kurze Zeit triumphierte Bruno. Für ganz kurze Zeit, dann detonierten Schüsse aus allen Richtungen.

Bruno fiel zu Boden und blickte hinauf in den Himmel. Da oben öffneten sich die Wolken und er sah sich mit Maysa, wie sie als Kinder von der Schule heimkehrten. Maysa lachte und nahm ihn an der Hand. Dann wurde der Himmel ganz dunkel und er sah die ersten Sterne und den Cruzeiro do sul . Das Kreuz des Südens kannte er gut, oft hatte er als Kind mit Maysa auf dem Dach seines Hauses gesessen und in den dunklen Himmel geblickt.

Dieses Sternzeichen war leicht zu erkennen, denn es ging immer rechts über dem Meer auf, die fünf hell leuchtenden Sterne hatten für ihn die Form eines Drachen, die er als Kind aufsteigen lieβ, um Armando vor der anrückenden Polizei zu warnen. Das Kreuz des Südens war auch auf der Fahne von Brasilien abgebildet, und das lernte er in der Schule. Bruno lehnte sich mit Maysa zurück, sie hielten sich an den Händen und redeten über ihre gemeinsame Zukunft und ihre Hoffnungen und Träume, ob sie sich je verwirklichen würden. Es gingen immer mehr Sterne auf, sie strahlten heute besonders hell und es wurden mehr und mehr…



VII


Diogo nahm sich ein Taxi und fuhr nach Vidigal. Der Taxifahrer fuhr mürrisch los. „Ich bring dich bis zum Hotel Sheraton, aber kein Stück weiter.“

Diogo nickte nur. Er war in Panik und musste den Grund herausfinden, warum Angela bei seiner Tante war. Er atmete die Luft einmal tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Ich werde es gleich erfahren, dachte er. Aber das beunruhigende Gefühl, das er seit gestern Abend hatte, wollte nicht weichen. Im Gegenteil, es wurde noch eindringlicher. Angela war am Leben, das wusste er, aber warum war sie bei seiner Tante? Warum in Vidigal, wo vorige Nacht Drogenkrieg war. Immer und immer wieder fragte er sich, was sie dort zu suchen hatte, und er quälte sich, aber er fand keine Antwort.


Zwanzig Minuten später hielt das Taxi an der Avenida Presidente João Goulart. Diogo eilte zwischen den vielen Polizeiautos hindurch. Da standen auch mehrere Sonderwagen der BOB neben dem Treppenaufgang nach Vidigal.

„Halt!“, riefen ihn zwei Polizisten an.

Diogo blieb stehen. „Ich wohne hier bei meiner Tante.“

„Zeig deinen Ausweis!“ Diogo griff in seine Hosentasche und holte seinen Ausweis heraus. Der Polizist zwinkerte ihm zu. „Bei euch im Viertel ist es ruhig, aber oben im mato finden immer noch Kämpfe statt. Pass auf dich auf , Fuβballspieler!“

Diogo winkte dem Polizisten zu. Bei jeder Treppenstufe, die er hinaufeilte, versuchte er sich zu beruhigen. Sie ist am Leben. Angela ist nicht tot, dachte er.
 
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