Ausschnitt aus Manuskript

A

AphroditeTerra

Guest
„Die Taça Guanabara!“, dachte Diogo. Jetzt geht es um den Pokal! Schweigend ging er neben seinen Kameraden durch den Tunnel. Der Gesang und die Böllerschüsse im Maracanã kamen näher und näher. Hinauf ins Licht. Hinauf auf die Bühne. Sie wollen Karneval. Sie wollen Kampf und wir werden ihn liefern. Dazu wurde ich geboren und von Xangô ausgesucht!
Ich bin erstaunt, welche Ruhe ich in mir trage, doch in mir wartet eine geballte Kraft, die sich entladen wird gegen Fluminense. Eine geballte Kraft die sich entladen muss!
Der Anpfiff erklang schrill. Ich bin bereit, dachte er. Endlich geht es los.
Diogo begann zusammen mit seinen Kameraden das gefährliche Duell Fla x Flu. Er wusste was dies zu bedeuten hatte: Romário, Edmundo und Roger waren erbitterte Gegner, die man nicht einfach mal so austricksen konnte, das hatte er bei anderen Spielen zu spüren bekommen.
Das Stadium erbebte unter dem Jubelgeschrei einer tobenden Masse. Doch Diogo nahm nur noch den Ball wahr. Der Ball und die Gegner. Das andere verschwand in einer Art Nebel, der alles verschluckte. Den ohrenbetäubenden Krach, die Explosionen der Feuerwerkskörper und der Gesang beider Clubs, die sich gegenseitig zu übertönen versuchten.
Fluminense begann sofort offensiv, verschob sich weiter und weiter nach vorne. Roger versuchte seine erste Chance zu nutzen, aber Zéquinha, der Torwart vom Flamengo, konnte den Ball halten.
Flamengo blieb wie immer cool und souverän, um dann die Chancen zu nutzen. Aber die Zeit verstrich und die Chancen kamen nicht. Romário, die Lichtgestalt des Fluminense schoss in der zweiundvierzigsten Minute das Tor. Fluminse führte 1 zu 0. Die erste Halbzeit endete mit einer Enttäuschung für Flamengo.

In den Umkleideräumen war es so still dass man geradezu die nervliche Anspannung fühlen konnte. Paqutá blickte seine Jungs ernst an, aber dann rief er zum Sieg auf. „Wir haben sechs Mal den Pokal gewonnen. Fluminense erst zwei Mal. Wir sind die bessere Mannschaft! Lasst euch nicht unterkriegen!“
„Wir werden siegen!“, rief Diogo als erster. „Ich weiβ es!“ Ich glaube es nicht, ich weiβ es, dachte Diogo. Er hielt die rechte Hand auf sein Herz. Ein geschlossener Chor sang triumphierend: „Mengão tá no nosso coração!“
Diogo kam ein Gedanke: das Herz! Nur weil ich in der Liebe enttäuscht wurde, darf ich nicht mein Herz verschlieβen. Ich muss mit dem Herzen spielen. Es ist nicht nur der Wille, es ist auch das Herz, und in meinem Herzen ist Mengão!

Voller Entschlossenheit kamen die Spieler vom Flamengo aus ihrer Kabine. Ihr Gesang hallte durch die Katakomben des Maracanã. Dann hinauf auf den geheiligten Rasen des Tempels. Wir sind Götter, dachte Diogo. Götter die mit einem Ball spielen. Wir gewinnen heute, komme was da kommen wolle!
Aber es folgten für Diogo die schwersten Minuten seines bisherigen Lebens. Romário und die Stürmer vom Fluminense, drängten immer weiter nach vorne, zwangen das Mittelfeld des Flamengo sich nach hinten zu platzieren. Diogo jedoch war ununterbrochen unterwegs, bewegte sich instinktiv genau in die richtige Position. Dann in der achtzigsten Minute kam die Chance. Diogo blickte zu Zinho und sah den Ball auf sich zufliegen.
Ich habe das schon mal erlebt, dachte er für den Bruchteil von einer Sekunde als er den Ball aus zweiunddreiβig Meter Entfernung mit einem Volleyschuss ins Tor schoss. So schnell, dass Flávio, der Torwart vom Fluminense überrascht wurde, und nicht reagieren konnte.
Das Maracanã tobte. Kurz lieβ Diogo den Jubel seiner Fans durch die Nebelwand zu sich herein. Ausgelassen warf er sich auf Zinho und Marcelo. Aber das Spiel war noch nicht zu Ende. Jetzt galt es auf defensiv umzuschalten und die aggressiven Versuche von Romário und Edmundo zu kontern. Die letzten zehn Minuten zogen sich hin, Ein schonungsloser Kampf tobte über den Rasen, bis endlich der Schlusspfiff erklang. Kurze Pause und dann nochmals Kampf. Nochmals alles geben in der Verlängerung. Diogo spielte den besten Offensivfuβball, aber vergeblich. Nicht vergeblich! Denn Fluminense konnte dadurch kein Tor landen und es kam wie es kommen musste: zum Elfmeterschieβen!
Jetzt wird es sich zeigen, dachte Diogo. Ob sich die vielen einsamen Stunden vor dem Tor bewähren werden. Alle waren sie nach Hause gegangen, und ich blieb allein zurück. Ich mit meinem Ball und das Tor. Stundenlanges Üben und nochmals Üben. Solange, bis ich den Ball blind in alle Ecken hineinschieβen konnte.

Diogo wartete mit seinen Kameraden umarmt in einer Reihe. Er sollte als fünfter drankommen und beobachtete Romário, vom Fluminense, wie er vor dem Ball stand und sich konzentrierte. Romário traf in die linke Ecke. Darauf folgte Marcelo. Er schafft es, dachte Diogo. Ein Schuss direkt in die Mitte des Tores. Flávio der Torwart des Fluminense hatte sich täuschen lassen. Diogo und die anderen Spieler vom Flamengo atmeten auf. Edmundo zögerte kurz und wechselte die Position. Dann schoss er, Zequinha warf sich auf den Ball und konnte ihn halten. Verhaltene Freude beim Flamengo. Whelliton zielte und traf. Jubel beim Flamengo, der vorerst führte und die Führung beibehalten konnte, denn Rogers Ball konnte Zéquinha halten.

Paquetá wusste, jetzt kommt die Entscheidung. Es war eine Nerven anspannende Situation. Er wusste, jetzt kam alles auf Diogo an.

Ich habe ein merkwürdiges Gefühl im Magen, ist es Angst?, fragte sich Diogo, als er den Ball in Position legte. Alles was ich bisher in meinem Leben getan habe, vereinigt sich hier in diesem Augenblick mit diesem Ball und den elf Metern. Diogo blendete alles um sich aus: die anderen Spieler, seine Gegner, den Schiedsrichter, seine Angst und das Maracanã mit den Hunderttausend Zuschauern.
Ich bin ruhig! Er atmete nochmals tief durch. Ich bin allein auf dieser Welt, zusammen mit meinem Ball, gegen Flávio. Du bist ein guter Torwart, Flávio, aber für mich nicht gut genug! Ich werde den Ball schieβen. Jetzt! Der Ball flog ins Tor und nichts und niemand konnte ihn aufhalten.
„Gol!“ Hörte Diogo, wie aus weiter Ferne. „Goooooooooooooool!“ Langsam drangen der tosende Beifall und die Freude der Spieler zu ihm durch die Nebelwand durch. „Gol!“, schrie Diogo und rannte wie ein Wilder zusammen mit seinen Kameraden über den Rasen. Dann warf er seine Arme zum Himmel empor. Oben auf den Tribünen die tosende Menge und die rot schwarzen Fahnen des Flamengo. „Danke Xangô!“ , rief er laut. Der Lärm übertönte seine Worte. Doch Xangô wird sie sicher vernommen haben…

Text von A. 2007

 
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Es war am frühen Morgen, als die Forstpolizei, zusammen mit einer Einheit von hundert Militärpolizisten den Berg oberhalb von Vidigal eingenommen hatte. Armando und Bruno waren umzingelt. Es begann zu dämmern und die Spürhunde der Forstpolizei kamen näher und näher.
Armando blickte auf die Uhr, es war zehn vor sieben. Er wusste es längst, sie saβen in der Falle. Da gab es kein Entkommen mehr, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die Hunde sie erreichten.
„Merda! Puta de merda!“, murmelte Armando und zündete sich eine Zigarette an. “Das Gebell macht mich nervös!“ Er sah Bruno an. „Es ist vorbei, amigo. Es ist aus mit uns. Puta do caralho!“
Bruno sprang auf. „Wir sollten es trotzdem versuchen, hier auszubrechen. Ich habe keine Lust nach Bangú zu kommen!“
Armando schüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier, alles andere ist Selbstmord, cara!“
Bruno rannte los. Das Bellen war verdammt nahe, aber er wollte es riskieren und hechtete keuchend durch den Urwald. Auf einmal standen mehrere Polizisten vor ihm. Er zielte mit seinem Revolver und schoss. Ein Polizist fiel zu Boden, und für kurze Zeit triumphierte Bruno. Für ganz kurze Zeit, dann detonierten Schüsse aus allen Richtungen.
Bruno fiel zu Boden und blickte hinauf in den Himmel. Da oben öffneten sich die Wolken und er sah sich mit Maysa, wie sie als Kinder von der Schule heimkehrten. Maysa lachte und nahm ihn an der Hand. Dann wurde der Himmel ganz dunkel und er sah die ersten Sterne und den Cruzeiro do Sul. Das Kreuz des Südens kannte er gut, oft hatte er als Kind mit Maysa auf dem Dacht seines Hauses gesessen und in den dunklen Himmel geblickt.
Dieses Sternzeichen war leicht zu erkennen, denn es ging immer rechts über dem Meer auf, die fünf hell leuchtenden Sterne hatten für ihn die Form eines Drachen, die er als Kind aufsteigen lieβ um Armando vor der anrückenden Polizei zu warnen. Das Kreuz des Südens war auch auf der Fahne von Brasilien abgebildet, und das lernte er in der Schule. Bruno lehnte sich mit Maysa zurück, sie hielten sich an den Händen und redeten über ihre gemeinsame Zukunft, und ihren Hoffnungen und Träumen, die sich nicht verwirklichen werden. Es gingen immer mehr Sterne auf, sie strahlten heute besonders hell und es wurden mehr und mehr.


A. 2007

 
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