Komm ins Bett, sagte er und zog mich sanft mit sich. Morgen ist ein neuer Tag. Achmed atmete einmal tief ein und wieder aus. Ja, ich habe mich in dich verliebt, es geschah auf der Fahrt zwischen Paris und Marseille. Du schliefst und hattest den Kopf auf meinem Schoβ gelegt. Dein Gesicht, voller Unschuld. Später als du erwachtest, dein Auftreten und ich ahnte einem Rebell zu begegnen. Dein Lachen zeugte von einer unbeugsamen Kraft. Achmed küsste mich zart.
Und du kommst mich später entführen? Ich wusste, es würde nie eintreten. Ich wusste auch, ich war verwirrt. War es doch das Stockholmsyndrom? Die Würfel waren längst gefallen. Achmed antwortete nicht. Er antwortete mit der Sprache seines Körpers, an den ich mich klammerte, wie eine Ertrinkende.
Es war frühmorgens als ich plötzlich erwachte. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die noch fast Dunkelheit in meinem Raum. Ich hob leicht den Kopf und blickte um mich. Da gewahrte ich auf einmal die drei schwarz maskierten Männer mit Maschinenpistolen im Anschlag neben meinem Bett. Einer der Männer legte den Zeigefinger auf den Mund und bedeutete mir zu schweigen. Ich blickte neben mich zu Achmed, der weiterhin schlief. Es mussten Polizisten sein. Der Gleiche, der mir bedeute zu schweigen, machte mir mit lautlosen Zeichen verständlich, vorsichtig aus dem Bett zu steigen. Ich zitterte inzwischen am ganzen Körper, befolgte aber seine Anwesungen und schaffte es, ganz langsam und vorsichtig, ohne Geräusche zu verursachen, aus dem Bett heraus zu kommen. Genau in diesem Augenblick, erwachte Achmed. Er schien instinktiv zu spüren, dass irgendetwas nicht stimmte. Was jetzt folgte, geschah alles sehr schnell und simultan. Man könnte es als eine groβartige Choreografie von Ereignissen beschrieben. Wie in einem gut einstudierten Theaterstück, wusste jeder der Akteure ganz genau seinen Part zu spielen und handelte entsprechend sicher. Der Polizist hatte mich gepackt, drückte mich zu Boden und warf sich schützend auf mich. Achmed griff zu seiner Waffe, die er immer neben sich verwahrte und zielte auf einen der Männer. Ich blickte in das Mündungsfeuer der aufblitzenden Maschinenpistole und nahm wahr wie der Raum erfüllt war von den harten Detonationen der Schüsse. Der Raum war wie im Nebel beiβender Schiesspulverschwaden, die in der Luft hingen. Ich schluchzte auf und kämpfte mich frei. Achmed, war mein Gedanke. Der Polizist gab mich frei und ich stürzte zu Achmed. Blickte auf seinen leblosen Körper und warf mich weinend auf ihn.
Der Polizist hatte Verständnis mit meinem Schmerz und lieβ mich Abschied von Achmed nehmen. Achmed, den ich auf eine unbegreifliche Weise geliebt hatte.
Nach einer gebührenden Weile, trennte der Polizist mich sanft von Achmed und geleitete mich zu einem wartenden Polizeiauto.
und das ist die wirkliche Geschichte:
Der Tag in Paris verging wie im Flug. Mit meiner Metrotageskarte, konnte ich ein und aussteigen, wo ich wollte. Zuerst besuchte ich den Louvre und bewunderte die Bilder von Tizian und Leonardo da Vinci. Mittags in die Rue de lOpera. In der Nähe befand sich die Galerie Lafayette, wo ich mit meiner Mutter und Madame Friedlander, in der Cafeteria verabredet war. Das Gespräch verlief gut. Nach Abschuss der Modeschule in Düsseldorf, könnte ich bei Feraud anfangen. Einmal die Woche sollte ich auf den Laufsteg.
Ich schwebte glücklich aus der Galleries Lafayette hinaus und hätte am liebsten ganz Paris umarmt. Inzwischen war ich müde, also am besten noch eine Stadtrundfahrt. Im Bus durch Paris, vorbei an der Place Vendome, es regnete und Paris war mit grauen Regenschleiern verhangen, ich aber war glücklich und hätte am liebsten im Bus laut gesungen. Ein zweiter Besuch im Louvre, an diesem Tag stand an. Die Reiseführerin im Louvre: Folgen sie immer dem roten Schirm, den ich hochhalte! So stand ich ein zweites Mal vor dem Bild der Mona Lisa.
Es war am späten Nachmittag, als ich Achmed anrief. Er schien erfreut und bat mich, nach Saint Germain des Prés, zu kommen, in das Quartier Latin, wie das Studentenviertel, genannt wird. Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Ich nahm die Metro und fuhr auf die andere Seite der Seine. Das Cafe, in dem wir verabredet waren, fand ich schnell. Achmed war bereits da, nur war er nicht allein. Da saβ ein junger Mann neben ihm. Ich war überrascht und fand das seltsam, lieβ es mir aber nicht anmerken.
Ah, da bist du ja! Achmed stand auf und begrüβte mich. Das ist ein guter Freund von mir, stellte er mir den anderen vor. Wir wollen noch Freunde treffen und zusammen essen. Er lächelte mich an. Es wird dir sicher gefallen.- Sind alles Studenten.
Wir brachen bald auf und schlenderten zu einem nahe gelegenen Restaurant, in einer Seitenstrasse des Boulevard Saint Germain. Die Strassen waren voll gestopft mit Autos und überall Menschen die durch die Strassen bummelten. In den Bistros, saβen junge Leute drauβen auf der Terrasse und unterhielten sich in angeregter Stimmung.
Auch ich war in guter Stimmung und freute mich, diesen Abend zusammen mit Achmed zu verbringen.
Das Restaurant war rustikal, mit hellen Holztischen und Stühlen. Bastmatten als Tischsets und brennenden Kerzen. Wir näherten uns einem Tisch, wo bereits eine junge, blonde Frau und zwei Männer saβen. Die Frau war Französin, die beiden Männer wirkten eher arabisch. Es war eine ausgelassene Gesellschaft, die Anderen sprachen nur Französich, aber Achmed saβ neben mir, er schenkte mir seine ganze Aufmerksamkeit und sprach Deutsch. Er bestellte für uns alle Steak und Rotwein, dann wandte er sich mir erneut zu.
Wie war dein Tag in Paris?, wollte er wissen und prostete mir zu. Salut.
Paris ist eine phantastische Stadt. Ich prostete ihm auch zu. Und stell dir vor, in einem Jahr komme ich nach Paris. Das Gespräch mit Feraud war positiv.
Da kann ich ja gratulieren!, sagte Achmed und prostete mir erneut zu. Auf deinen Erfolg!
Das Essen schmeckte vortrefflich. Steak mit verschiedenen Gemüsen und Sauce Bearnaise.
Das schmeckt ja nicht, rief Achmed aus und salzte voller Übermut, mein Steak auch gleich nach. Ich musste lachen.
Und Pfeffer fehlt auch. Er verzog das Gesicht, nahm den Pfefferstreuer und gab sich ordentlich davon drauf, dann tat er das Gleiche mit meinem Steak. Ich ahnte nichts Böses, oder so langsam doch?
Seine Freunde unterhielten sich angeregt, aber Achmed war ganz für mich da. Mit halbem Ohr versuchte ich von der Unterhaltung seiner Freunde, etwas mitzubekommen, währenddessen ich so tat, als sei ich ganz vertieft in Achmeds Augen und seine Worte
Mir stockte der Atem, mein Herz begann wie wild zu pochen, von dem was ich da zuhören bekam. Es waren einige wenige Worte, die eine Panik in mir auslösten, als würde der Boden unter mir einstürzen. Eine Panik, von der ich mir nichts anmerken lassen durfte.
Nachher auf der Party machen wir sie betrunken und liefern sie dann ab. Dazwischen immer wieder arabische Wortfetzen und dann ging es in Französisch weiter über Preise.
Ich musste mich zusammen reiβen und versuchte weiter zu essen, so als habe ich nichts mitbekommen von ihren Plänen. Es war ungeheuerlich, ja es war fast unglaublich und ich fragte mich, ob ich mich verhört hätte. Immerhin war der Lärmpegel im Restaurant, sehr hoch, denn alle Tische waren besetzt.
Ich fragte mich, was ich tun soll. Meine Gedanken jagten durch meinen Kopf. So lächelte ich Achmed an und fragte: Was willst du mir nachher von Paris zeigen?
Zuallererst werde ich dich auf eine Party mitnehmen, da kommen ganz tolle Leute hin.
Ich wollte so gerne noch auf den Eifelturm, Paris bei Nacht von oben sehen.
Nach der Party. Er zwinkerte mir zu. Der Abend hat erst begonnen und in Paris sind die Nächte lang.
Nun war ich mir sicher, ich hatte mich nicht verhört und wusste, dass Achmed und seine Freunde, finstere Pläne hatten. Ich würgte das Essen bis zum letzten Bissen herunter.
Als der Kellner abräumte, bat ich Achmed, er solle mir unbedingt ein Mousse au Chocolat bestellen.
Ich kann Paris nicht verlassen, ohne ein Mousse au Chocolat gegessen zu haben. Und einen Kaffee. Ich lächelte Achmed an. Wegen der langen Nacht. Dann stand ich auf und täuschte einen Gang zur Toilette vor. Unbemerkt schaffte ich es, aus der Eingangstür zu entkommen und rannte so schnell ich konnte den Boulevard Saint Germain entlang, bis zur nächsten Metrostation. Ich wartete nervös auf den Zug und nahm den ersten Zug der einfuhr, schaute um mich, ob mir auch niemand gefolgt war, aber da waren keine Araber weit und breit. Langsam wurde ich etwas ruhiger und studierte den Metroplan von Paris. Ich brauchte nur einmal umsteigen. Dann fiel mir ein, dass ich Achmed von meiner Fahrt nach Strasbourg erzählt hatte.
Auf der Gare du Nord war kein Araber zu sehen. Ich konnte aufatmen und stieg in meinen Zug, der um Mitternacht losfuhr. Ich wählte ein Abteil aus, wo nur noch ein Platz frei war, um nicht allein zu sein, denn die Angst saβ noch immer tief in mir. So durchsuchte ich auch den ganzen Zug nach Achmed und seinen Freunden, nachdem der Zug aus dem Bahnhof von Paris herausfuhr. Da waren aber weder Achmed und einer seiner Freunde.
Erleichtert schloss ich die Augen. Ich war müde und schlief bis zum nächsten Morgen, als der Zug in Nancy hielt. Der Tag begann zu dämmern und drauβen erblickte ich den Marne-Rhein Kanal. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu jenem Erlebnis von gestern Abend zurück und mir schauderte immer noch, in welcher Gefahr ich gewesen war. Dann tauchten die ersten Vororte von Strasbourg auf
Ich freute mich auf Strasbourg und auf Denis. Ich schüttelte diese schrecklichen Gedanken ab und sah nach vorne.
Nach einem ausgiebigen Frühstück im Bahnhofsbistro, nahm ich ein Taxi und fuhr in die Rue Oberlin. Dann klingelte ich an Denis Tür.
Es war schön, einem alten Freund zu begegnen. Wir hatten uns viel zu erzählen, von meiner Begegnung mit Achmed berichtete ich nichts. Wir verbrachten den ganzen Vormittag damit, unsere Erlebnisse der letzten zwei Jahre auszutauschen. Mittags lud Denis mich in die Mensa von der Universität ein. Wir gingen die paar Schritte zu Fuβ, die Avenue des Vosges hinunter, dann nach rechts durch den Park, zur Universität.
Beim Mittagessen passierte es! Drei Tischreihen weiter, saβen zwei Freunde von Achmed.
Was ist mit dir?, fragte Denis besorgt. Du bist ganz blass, geht es dir nicht gut?
Drei Tische weiter sitzen zwei Araber, die gestern Abend mit mir in Paris in einem Restaurant saβen.
Ja, und?
Sie wollten mich entführen. Ich stand auf. Komm bitte, ich bleibe hier keine Minute länger. Ich war in Panik. Denis und ich verlieβen die Mensa. Die beiden Araber blickten mich mit unbeweglichem Gesicht an, als wir gingen, sie hatten mich wohl erkannt.
Auf dem Nachhauseweg erzählte ich Denis die ganze unglaubliche Geschichte. Er schüttelte den Kopf und meinte: Mein armes Vögelein.
Ich hatte sogar Zweifel, ob ich mir das nicht eingebildet habe, sagte ich, noch immer erregt. Aber jetzt habe ich die absolute Gewissheit.
Komm, mein liebes Vögelein, versuchte Denis mich zu beruhigen. Dir wird nichts passieren.
Bei ihm Zuhause, kochte er uns erst mal Kaffee und dann berieten wir, was zu tun sei.
Ich habe meinen Koffer im Schlieβfach am Bahnhof, sagte ich. Meine Stimme voller Angst.
Denis rief kurz entschlossen seine Freundin Michelle an. Michelle kam gleich mit ihren Deux Chevaeux und holte zusammen mit Denis, meinen Koffer am Bahnhof ab. Ich wartete im Auto. Dann brachten sie mich über die Grenze nach Deutschland, wo ich in Kehl in den Zug nach Stuttgart steigen wollte. Noch eine kurze Abschiedsumarmung mit den beiden, die mir so geholfen hatten.
Ich kam mir vor, wie in einem Film von der Mafia. Mein Haar hatte ich unter einem Kopftuch versteckt und dazu trug ich eine Sonnenbrille. Am Bahnsteig wendete ich mich sofort an den Schaffner und bat ihn, mich in seinem Abteil aufzunehmen. So saβ ich bis Stuttgart im Schaffnerabteil und erzählte dem Schaffner meine Geschichte.
Solche Geschichten passieren wirklich, meinte er darauf. Es wird auch immer wieder von der Polizei, gewarnt. Angeblich gibt es da einen Ring von arabischen Studenten, der Handel geht über Marseille. Er machte für uns beide einen Becher Kaffee und bot mir eine Zigarette an, nahm sich selbst auch eine. Mädchenhandel. Mit dem Schiff werden die Mädchen in den Nahen Osten geschmuggelt und dort landen sie in einem Harem. Ich nickte. Ich glaube, so was hatten die wohl mit mir vor.
Ja, schönes Mädchen, wohl noch mal Glück gehabt. Es wird gewarnt vor Bekanntschaften in den Zügen nach Paris.