Sternenkind08
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Kameltreiber Ali beim Psychiater V
Halt! Um Himmels Willen, Frau Lieschen Müller, so reiten sie doch nicht so schnell! rief Dr. Shrenk in flehendem Ton. Ali war mit ihrem Kamel Akhbar bereits auf der Kuppe der nächsten, vorderen Sanddüne angelangt. Dr. Shrenk hatte alle Mühe, da noch mit zu kommen.
Ali stoppte ihr Kamel und drehte sich kopfschüttelnd nach ihrem Psychiater um. Was für ein Experiment, dachte Ali. Ich hätte den Shrenk nicht mitnehmen sollen, das was wir hier machen, grenzt ja schon an Wahnsinn, aber der Doktor wollte unbedingt mit mir durch die Rub-Al-Khali reiten, und jetzt haben wir den Schlamassel!
Akhbar, der es inzwischen schon gewohnt war, denn heute war dies nicht das erste, und auch nicht das zweite Mal, dass der seltsame Dr. Shrenk zurückblieb und dann in diesem jämmerlichen Tonfall bat, anzuhalten, also Akhbar schnaubte nur verächtlich.
Dr. Shernk, jetzt reiβen sie sich mal zusammen. Noch eine Stunde und wir haben die Oase Al-Taif erreicht. So kommen sie schon!
An mir soll es nicht liegen, rief der Doktor mit schwacher Stimme. Es liegt an dem Kamel, dieses Kamel will einfach nicht weiter reiten
Dr. Shrenk gab Miriam mit seinen Füssen Zeichen damit sie weiter reite, aber vergeblich. Miriam wollte nämlich nicht zu Akhbar. Ja, Miriam hatte es satt, immer hinter Akhbar herzu reiten. Und so machte Miriam einfach kehrt und ritt in die entgegen gesetzte Richtung, worauf Dr. Shrenk erst in wildes Fluchen verfiel, als das aber nichts half, nun versuchte, Miriam mit lieben Worten zu beruhigen: Werte Miriam, sie sind eine so wunderbare Kameldame, wie ich sie selten zu Gesicht bisher bekam. Ihre Augen haben so einen wunderschönen Glanz und ihre Öhrchen sind einfach lieblich und zart.
Miriam legte die Ohren an und überlegte angestrengt, ob das, was der Doktor ihr da erzählte, auch wahr sei. Von Akhbar hatte sie etwas noch nie zu hören bekommen. So grunzte sie und blieb erst einmal zögernd stehen.
Oh, Dr. Shrenk, so werden wir heute Al- Taif nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ali hatte inzwischen Dr. Shrenk erreicht. Ich werde nun Miriam an meinem Akhbar festbinden, damit wir nicht noch mal so eine Panne haben. Kaum hatte sie beide Kamele mit einem Seil verbunden, gab es einen Aufstand. Miriam begann zu wiehern und zu spucken. Akhbar knurrte und versuchte, Miriam in den Hals zu beiβen
Ali hieb auf Akhbar ein, der sich dann begann, einigermaβen zu beruhigen. Aber Miriam hatte den Doktor abgeworfen, wälzte sich am Boden, stieβ alle vier Beine von sich und wirbelte den Sand auf.
Ich sehe da ein psychisches Problem, bei ihren beiden Kamelen, verkündete Dr. Shrenk und rieb sich die linke Hüfte. Miriam will mit Akbar nichts zu tun haben. Das ist offensichtlich!
Ali sah den Shrenk verdutzt an. Jedoch sein Anblick, konnte in ihr nur tiefstes Mitgefühl auslösen: völlig verschwitzt, der Turban saβ ihm schief auf dem Kopf, seine Brille war ganz vorne auf die Nasenspitze gerutscht, und er selbst nachdenklich seinen Schnurrbart zwirbelnd.
Akhbar ist rücksichtslos zu Miriam!, rief Dr.Shrenk aus. Er bewundert Miriam nicht! Miriam fühlt sich vernachlässigt in ihren Grundbedürfnissen als Frau. Ähm ja, als Kamelfrau, hm Stute
Akhbar stampfte unruhig mit den Hufen auf und bähte.
Sehen sie, Frau Lieschen Müller
Können sie mich nicht einfach Ali nennen? Wir sind hier mitten in der Rub-Al-Khali, da können wir auf solche Höflichkeitsfloskeln grundsätzlich verzichten, meinen sie nicht Dr. Shrenk?
In Ordnung, liebe Ali. Der Doktor versuchte sich ein wenig Luft zu zufächeln. Das ist ja eine mörderische Hitze, wie halten sie das nur aus, Gnädigste?
Wir sind in der Rub-Al-Kahli. Die Rub-Al-Kahli ist die größte und unwirtlichste Wüste der Welt.
Wirklich?
Sie ist furchtbarer als die Sahara.
Jetzt übertreiben sie aber, Ali!
Nein, keinesfalls. DieseWüste erstreckt sich über die gesamte Arabische Halbinsel. Man kann sich nur in den Wintermonaten hineinwagen, denn im Sommer steigen die Temperaturen auf über sechzig Grad. Dann ist kaum noch Leben möglich. Deshalb nennen wir sie das leere Viertel.
Der Doktor seufzte laut vernehmlich. Er hatte sich Miriam genähert und streichelte ihr über das Fell. So ein entzückendes Tier! rief er. Akhbar, wie kannst du nur so gleichgültig gegenüber Miriam sein?
Ach Dr. Shrenk, machen sie sich nicht so viele Gedanken um Akhbar, der ist ein komischer Kauz und braucht immer mal solche Phasen, wo er mit sich alleine ist.
Ich sehe da eher einen Machtkomplex
Ali nahm ihren ledernen Wasserbehälter und trank einen kräftigen Schluck daraus. Machen sie sich nicht so viele Gedanken. Sie müssen wissen, dassMiriam intensiv meditiert und nicht etwa unglücklich ist.
Ein meditierendes Kamel?
Sie programmiert sozusagen ihr Gehirn um.
Ach wirklich? Dr. Shrenk richtete seinen Turban und begann erneut seinen Schnurrbart emsig zu zwirbeln.
Meine Kamele leben ja schon eine lange Zeit mit mir zusammen und da ich meditiere, haben sie das ganz von selbst übernommen.
Ach ja?
Sie haben da übrigens einen Kollegen ihres Faches, im Vorstand des Mind & Life Institute, der Neurobiologe Richard Davidson, der hat Mönche des Dalai Lama untersucht und nicht nur kurzfristige Auswirkungen von Meditation auf das Gehirn und das Immunsystem festgestellt, sondern eine langfristige Umprogrammierung des Gehirns. Die Areale, die für positive Empfindungen und Empathie zuständig sind, waren dauerhaft vergrößert.
Und sie glauben tatsächlich, dass man sich mit Meditation neu programmieren kann?
Oh ja, Dr. Shrenk .Ich weiβ auch, dass Meditation zur Stressreduzierung und zur Stärkung des Immunsystems beitragen kann. Ali half Dr. Shrenk erneut auf Miriam aufzusitzen, Miriam, die sich inzwischen beruhigt hatte, da der Doktor sie so liebevoll ansah und bewunderte.
Eigentlich geht es in der buddhistischen Meditation aber nicht um Selbstverbesserung, oder? Sondern um die Auflösung des Egos. Ist das nicht ein Widerspruch?
Akhbar hatte sich langsam erneut in Bewegung versetzt und Ali tätschelte ihn dankbar hinter dem Kopf. Gut so, Akhbar, sei nicht immer so stur mit Miriam, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Oh, die Frage ist, welche positiven Qualitäten in Körper und Geist will ich kultivieren? antwortete ihm Ali. Meditation basiert auf ethischen Prinzipien. Wir halten unser Ich in der Regel für unabhängig, einzigartig und dauerhaft. Durch buddhistische Meditation stellt man fest: Dies ist eine Illusion. Wir kultivieren also nicht das Ego, sondern Achtsamkeit und Weisheit.
Die beiden Kamele schritten nun gemächlich nebeneinander her, es war bereits später Nachmittag. Die Sonne stand ganz im Westen und die Dünnen bekamen scharfe, lange Schatten. Es begann endlich merklich abzukühlen. Weit und breit waren Ali und der Doktor die einzigen Menschen und es war sehr still. Da tauchten weit in der Ferne die Palmenwipfel der Oase Al-Taif auf.
Dieser Anblick ist ungemein beruhigend, sagte Dr. Shrenk voller Dankbarkeit. Ich werde ernsthaft darüber nachdenken, ob ich nicht auch meditieren werde. Immerhin haben wir in Deutschland den Neurophysiologe Wolf Singer, ein Erforscher des Gehirns und Direktor des Max-Planck Instituts, Frankfurt, der sich lange mit dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard, über Meditation unterhalten hat. Aus diesen Dialogen ist ein Buch entstanden, es heiβt Hirnforschung und Meditation.
Den Rolf Singer kenne ich nicht, dafür aber Matthieu Ricard. Er ist Dolmetscher des Dalai Lama und ich begegnete ihm in Bodh Gaya, wo er uns Buddhismus unterrichtete, ein auβergewöhnlicher Mensch, voller Humor, der einen immer zum lachen brachte und ein sagenhaftes Glücksgefühl ausstrahlte. Ali lächelte. Das Buch mag ja einiges beleuchten, ich habe Matthieu persönlich kennen lernen dürfen, und das, was er ausstrahlte, hat mich sofort überzeugt. Wir sind hier in der Wüste, da brauchen wir auch keine Wissenschaftler und geschweige Bücher.
Rolf Singer, meine Werteste, ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Hirnforschung. Er befasst sich mit Phänomenen wie neuronale Synchronizität und Hirnaktivierung im so genannten Gamma-Frequenzbereich. Unter normalen Bedingungen treten sie vor allem dann auf, wenn man sich auf einen bestimmten Wahrnehmungskanal konzentriert, und beschränken sich zum Beispiel auf die Sehrinde. Doch bei Meditierenden fanden die Forscher solche Aktivierungen auch im EEG des Frontalhirns ein mögliches Zeichen der extremen Fokussierung.
Was bedeutete das denn genau, Dr. Shrenk?
Bei Messungen im Magnetresonanztomografen
Was für ein Ding?
Ähm ja, dem Magnetresonanztomografen, hat Wolf Singer vor 15 Jahren ein auffälliges Signal entdeckt: hochsynchrone Schwingungen im 40- bis 50-Hertz-Bereich, die sogenannten Gammawellen.
Ich kenne nur Alphawellen, und darunter eben Theta und Delta. Alles was über 20 Herz ist, soll hohe Aufregung sein, bis hin zur Epilepsie
Inzwischen denkt man da ganz anders. So ist Entspanntheit eine Frequenz von 10 Hertz. Wer aber meditierenden Mönchen bei der Arbeit zusieht, stellt fest, dass diese hellwach und konzentriert sind und im 40-50 Herz Bereich arbeiten.
Sie hatten die ersten Dattelpalmen der Oase erreicht und wurden von einem Schwarm schreiender Kinder umringt.
Ja, Ali, seufzte der Doktor. Was glauben sie wohl, warum ich mit ihnen in die Wüste mitzog?
Weil sie dringend einen Urlaub brauchten und völlig überarbeitet waren.
Auch, aber es ist die Meditation und die Stille der Wüste, von der sie mir so viel erzählten. Diese Stille, die wollte ich einmal kennen lernen.
Wussten sie auch, dass man in der Meditation emotionale Zustände wie Schmerz, Ekel, Mitgefühl und Freude bewusst herstellen kann? Einmal visualisierte ich mich inmitten von Würmern um den Ekel herzustellen und dann zu diskreieren. Aber Freude zum Beispiel, vermag ich inzwischen regelrecht leicht herzustellen. Das ist der Weg des Königs, Dr. Shrenk. Der König hat keinen Vorgesetzten, er ist sein eigener Meister und Vorgesetzter. Der königliche Weg führt aus der Dualität heraus. Es ist der Weg der Nicht-Methode. Ali lächelte Dr. Shrenk verschmitzt an. Aber zu ihnen in die Praxis komme ich natürlich gerne weiterhin, weil es so abenteuerlich ist.
Wir sind da. Yussufs Zelt ist dort vorne. Ali deutete nach rechts, wo ein gröβeres Zelt aufgebaut war und auf sie wartete. Weitere drei Kamele ästen dort friedlich. Morgen werden sie auf Suleika reiten, um so nicht unter den ewigen Querelen von Akhbar und Miriam zu leiden. Ali lachte. Aber dank der Meditation wird auch das vorbeigehen. So wie alles vorbeigeht, wie die Wolken, sie wandern durch den Himmel und haben keine Heimat. Wir werden ein wenig ausruhen, dann später, wenn die Sonne untergegangen ist, werde ich ihnen das Meditieren beibringen.
Ali