Ich habe die Threadfrage gar nicht beantwortet und meine: nein, Weinen ist keine Angewohnheit. Sondern ein natürlicher Reflex.
Noch mal an Loop: Du legst in meine Worte eine Bedeutung, die ich so nicht aufgeschrieben habe! Ich schrieb, daß das Gefühl selber nicht das Weinen sei. Daraufhin schriebst Du, daß man nicht jede Gefühlsregung unterdrücken solle. Wo liegt da der Sinn in dieser Einlassung, wenn sie sich auf meine Worte beziehen wollen?!
Ich persönlich bin ja auch nah am Wasser gebaut. Beim Fernsehen zum Beispiel bin ich häufig gerührt, und Rührung führt bei mir zur Ausschüttung von Tränen. Unterdrücke ich jetzt aber die Tränen, unterdrücke ich ja nicht auch gleichzeitig die Wahrnehmung der Rührung. Sondern ich bescheide mich nur im Ausdruck dieses Gefühls.
Oder nehmen wir zum Beispiel auch das Sterben. Ich war nun schon früh im Leben als Kind davon betroffen, und in unserer Familie wurde sicherlich nicht richtig getrauert - geweint aber durchaus. Ich weinte zum Beispiel abends in meinem Zimmer. Heute sehe ich es so, daß ich weinen mußte, weil mir niemand das Gefühl bzw. den Gefühlsprozess der Trauer gezeigt hat. Es wurde mir nicht vorgelebt, was es bedeutet, einen Menschen zu verlieren, sondern ich nahm nur daran teil. Und daher habe ich mein eigentliches Gefühl, welches das Weinen auslöste, gar nicht wirklich erreicht. Es kam erst über 20 Jahre später, daß ich den Zugang zum Gefühl der Traurigkeit in mir erkannt hatte. Ich weinte dann eine Weile und dann war das Weinen aber auch vorbei. Traurig bin ich, wenn ich es zulasse, aber immer noch. Selbstverständlich bin ich traurig darüber, daß mein Vater damals verstorben ist, das Traurigsein gelingt aber m.E. sogar besser ohne Weinen, weil man dabei bewusst bleibt. Und heute, wenn jemand stirbt, bewundere ich stets das heulende Elend um mich herum bei den Trauernden, entschliesse mich stets, daß ich Trauer lieber bewusst und z.B. die Beerdigung lieber mit wachem Gefühl als betrübt erleben will und tröste lieber, als selber getröstet werden zu müssen. Weinen kann ich dann, wenn es nötig ist, besser zuhause.
Oder auch Freude: meiner Natur gemäss schüttelt es mich immer am ganzen Körper, wenn ich mich sehr freue. Ich hüpfe und tanze und springe dann, das war schon als Kind so, und ich fuchtele mit den Armen wild herum. Das wäre auch heute noch so, wenn ich nicht gelernt hätte, das Gefühl der Freude zwar zu haben wie früher, aber den körperlichen Gefühlsausdruck zurück zu halten. Ich würde vermutlich sonst in der Psychiatrie landen, sobald ich mich mal richtig freue und jemand dabei ist.
Und daher bleibe ich dabei: das Erlernen des bewussten Gestaltens des Gefühlsausdrucks ist nicht das Zurückhalten der Gefühlsregung oder des Gefühls an sich. Sondern es geht hier nur um die Kontrolle eines körperlichen Reflexes. Und daran kann nichts Schlimmes sein.
P.s.: Abgesehen davon ist Weinen natürlich auch etwas sehr Schönes, Befreiendes. Aber ich nehme an, daß es dem Threadersteller eher um ungewolltes Weinen geht. Und ich möchte ihn gerne darin bestärken, daß es wirklich nicht nötig ist, als Heilsuse durch die Gegend zu rennen und daß Tränen etwas Besonderes im Leben sein dürfen. Heulsusen können nämlich so richtig nerven und man könnte ihnen unterstellen, daß sie das Weinen als Mittel zum Zweck einsetzen und daß sie es so erlernt hätten.