Anselm wird 1033 in Norditalien geboren. Beide Eltern waren adliger Herkunft. Der Vater bringt das Vermögen durch, die Mutter stirbt früh. Anselm wollte Geistlicher werden, doch sein Vater wollte das nicht. So läuft Anselm von zu Hause weg und wurde Benediktiner, später Erzbischof von Canterbury. Als Anselm das Proslogion verfaßte, war er etwa 44 Jahre alt. Der ursprüngliche Titel des Proslogion hatte Fides quaerens intellectum (Glaube, der Einsicht sucht) gelautet. Thema ist Gott, der Grund des Glaubens. Die Form der Anrede ist in erster Linie das Gebet. Anselms Gebet lautet in etwa so:
»Wohlan denn, nun auch Du, Herr, mein Gott, lehre mein Herz, wo und wie es Dich suchen soll, wo und wie es Dich finden soll. Herr, wenn Du hier nicht bist, wo soll ich Dich, den Abwesenden, suchen? Wenn Du aber überall bist, warum sehe ich Dich , den Anwesenden nicht?« (S. 15)
Er fleht Gott an, ihm zu helfen. Er bittet darum, daß Gott ihm hilft, ihn finden zu können, was sich damals schon als recht schwierig erwies ) Wie will man Gott suchen? Wo beginnt man ihn zu suchen? Und angenommen Gott wäre überall, warum sieht man ihn dann nirgendwo? Wenn uns kein Mensch zeigen kann, wo wir Gott suchen können, noch wo wir ihn finden können, ist es doch naheliegend, Gott selbst darum zu bitten.
Darum fleht Anselm zu Gott:
» Lehre mich, dich zu suchen, und zeige Dich dem Suchenden, da ich Dich weder suchen kann, wenn Du es nicht lehrst, noch finden, wenn Du Dich nicht zeigst.« (S. 21)
Das Gebet ist also die Art und Weise, wie Anselm versucht Gott zu finden. Warum sucht Anselm Gott überhaupt? Warum suchen Menschen nach Gott? Heute suchen Menschen nach Gott, um glauben zu können. Heute meint man, daß man erst an Gott glauben könne, wenn man einen Beweis für sein Dasein hätte. Solange man keinen Beweis hat, lässt es sich schwer glauben. Anselm jedoch suchte Gott aus einem anderen Grund. Aus welchem Grund suchte Anselm, Gott zu finden, wenn nicht aus dem Grund, einen Beweis für sein Dasein zu erhalten?
»[ ] ein wenig will ich deine Wahrheit verstehen, die mein Herz glaubt [ ]. Ich suche ja auch nicht zu verstehen, um zu glauben, sondern glaube, um zu verstehen.« (S. 21)
Anselm sucht Gott nicht, weil er einen Beweis braucht, um an ihn glauben zu können. Sondern sein Glaube ist die Voraussetzung, um auf die Suche nach Gott zu gehen. Er will ihn suchen, um ihn verstehen zu können. Das ist wichtig. Anselm meint hier, sein Glaube an Gott ist so tief, daß er den brennenden Wunsch in sich verspürt, Gottes Wahrheit verstehen zu wollen. Darum sucht Anselm Gott; um ihn zu verstehen. Um das zu verstehen, woran sein Herz glaubt. Weiters geht Anselm davon aus, daß Gott und nur Gott diese Einsicht schenken kann.
»So denn, Herr, der Du die Einsicht in den Glauben schenkst, gib mir, soweit Du es für nützlich erachtest, daß ich verstehe, daß du bist, wie wir es glauben, und daß Du das bist, was wir glauben.« (S. 21)
Es geht ihm darum, einen Beweis zu finden. Er sucht nach einem Beweis dafür, daß Gott 1. wahrhaft ist; d.h. daß Gott so existiert, wie wir glauben, daß er existiert und 2. daß Gott das höchste Gut ist, das keines anderen bedarf, d.h. daß Gott das ist, was wir glauben, das er ist.
Was ist nun ein Beweis? Wie dürfen wir den Begriff Beweis verstehen? Unter einem juristischen Beweis verstehen wir beispielsweise: Ein Mittel um das Gericht von der Wahrheit einer Behauptung zu überzeugen. Als zulässige Beweismittel im Zivilprozess kommen Sachverständige, Augenschein, Parteivernehmung, Urkunden oder Zeugen in Frage. Wen oder was wollen wir als Beweismittel hernehmen, wenn es um Gott geht? Man kann annehmen, daß kein Mensch Gott je gesehen hat. Es gibt keine handschriftlichen Beweise, nichts, was Gott je persönlich aufgeschrieben hätte. Seine Stimme können wir weder im Radio, noch im Fernsehen hören. Es gestaltet sich somit schwierig, Beweismittel im juristischen Sinne für Gott zu finden. Was heißt das nun? Nun, das heißt, Beweis kann hier nicht als ein juristischer Beweis verstanden werden.
In Anselms Fall müssen wir Beweis so verstehen, daß er versucht eine vernünftige Vergewisserung der Existenz Gottes zu finden. Er versucht die Existenz Gottes durch Denken verständlich zu machen. Anselm sucht also nach einem Argument. Er sucht nicht nach irgendeinem Argument, sondern er sucht nach dem Argument. Nach welchem Argument sucht Anselm? Anselm sucht nach einem einzigen Argument. Er möchte ein einziges Argument finden, anhand dessen sich beweisen ließe, daß Gott wahrhaft ist und daß er das höchste Gut ist, und daß er das ist, was man von ihm glaubt, das er ist. Dieses eine Argument, das »unum argumentum« soll also gefunden werden. Anselm sucht nach dem einen Argument, auf dessen Grundlage das Sein sowie die Wesensbestimmungen Gottes als des höchsten Gutes ermittelt werden kann.
Doch bei diesem einen Argument, dem unum argumentum, gibt es eine Schwierigkeit, eine Hürde zu nehmen. Welche? Anselm sagt, daß das eine Argument nur für den Gläubigen völlig überzeugend sein wird. Nur für den Gläubigen! Das ist die Voraussetzung. Nur für den Gläubigen wird das unum argumentum überzeugend sein. Was aber ist mit den Ungläubigen? Was ist mit jenen, die nicht glauben? Wenn es Anselm gelänge, ein nämlich das Argument zu finden, welches hilft das zu verstehen, was man über und von Gott glaubt, warum hilft es dann nur dem Glaubenden und nicht dem Ungläubigen? Eines nach dem anderen. Welches Argument hat Anselm nun gefunden? Wie lautet dieses eine Argument? Anselm hat Gott gebeten, ihm dabei zu helfen, daß er verstehen kann. Was will er verstehen? Er will das verstehen, woran er glaubt. Woran glaubt er? An Gott. Er will verstehen, daß Gott so ist, wie er glaubt daß er ist und er will verstehen, daß Gott das ist, was er glaubt, das er ist. Ich habe schon angesprochen, daß Anselm den Glauben voraussetzt um zu der Erkenntnis Gottes zu kommen. Er will also nicht erkennen, um zu glauben, sondern glaubt und möchte verstehen, was er glaubt. Weiters glaubt er, daß:
»Wenn ich nicht glaube, werde ich nicht verstehen.« (S. 21)
Ohne Glauben also kein Verständnis. Wir wissen also nun, daß Anselm an Gott glaubt und diesen Glauben als Voraussetzung annimmt. Wie glaubt er nun, daß Gott ist? Er muß sich ja schließlich darüber im Klaren sein und wissen, was er glaubt. Was glaubt er nun, das Gott ist und was glaubt er, wie Gott ist? Seine Antwort lautet:
»Und zwar glauben wir, daß Du [damit meint er Gott] etwas bist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.« (S. 22/23)
Das unum argumentum Anselms also ist, daß Gott etwas ist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Nichts Größeres kann über Gott hinausgedacht werden, das ist sein Argument.
Nun gibt es jedoch den Ungläubigen, jenen, der nicht an Gott glaubt und Anselm bezieht sich auf Psalm 53 und fragt:
»Oder ist etwa ein solches Wesen [nämlich das, worüber nichts Größeres gedacht werden kann, also Gott] nicht, weil der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: Es ist kein Gott?« (S. 23)
In anderen Worten: gibt es kein göttliches Wesen, weil Menschen nicht an die Existenz eines solchen, eines Gottes, glauben?
Was macht Anselm? Er nimmt einen Begriff Gottes an. Er definiert Gott. Gott, sagt er, ist das worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das ist ein dynamischer Begriff. Ist Gott also unendlich? Gesetzt den Fall, man wüßte was das heißt, nein, es ist immer noch eins mehr. Egal wo man hingeht, es ist immer noch eines mehr. Es handelt sich hier um eine niemals erreichbare Lösung. So beginnt er.
Was macht jetzt der Tor? Was ist, wenn der Tor in seinem Herzen spricht, es gibt keinen Gott? Anselm sagt, es gibt nichts was dieser Definition entspricht. Anders gesagt, der Tor ist dumm, wenn er meint, es gäbe keinen Gott. Denn wenn der Tor verstanden hat, was es da nicht geben soll, dann hat er ja den Begriff im Denken. Also der Begriff, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, ist dann schon in seinem Denken.
Was heißt das dann, wenn der Begriff schon in seinem Denken ist? Wenn der Begriff in seinem Denken ist, kann er nicht schon in seinem Denken drin sein. Dieser Begriff muß also irgendwie in sein Denken hineingekommen sein, also muß dieser Begriff über das Denken hinaus gehen. Wenn aber das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann über das Denken hinausgeht, heißt das, es gibt das worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, nämlich außerhalb meines Denkens. Weil es über das Denken hinaus geht, weil es größer ist als das, was ich denken kann.
Der Tor hat in seinem Kopf etwas negiert, was er eigentlich nicht negieren kann, etwas, das über das hinaus geht, was er denken kann. Klar? Wenn der Tor das verneint, und das kann er natürlich nicht, denn er müßte eigentlich zugeben, daß das woran er gerade gedacht hat über das hinaus geht, was er denkt , hieße das am Ende, daß es das gibt, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Und nur der Tor behauptet, das gibt es nicht. Das ist ein Widerspruch für den Tor. Damit ist das Argument des Toren falsch.
Anselm:
»Und gewiß kann das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der Wirklichkeit, was größer ist.« (S. 23)
Anselm formuliert seinen Ansatz so, daß der Gesprächsgegner garantiert daran hängen bleibt, und sich in seinen eigenen Argumenten derart darin verstrickt, bis er zugeben muß, daß er Unrecht hatte.
Anselms Anliegen könnte man in einer Formel zusammenfassen: fides quaerens intellectum, der Glaube sucht nach vernünftiger Erklärung, also Glaube und Vernunft ist kein Gegensatz, sondern das eine ist mit dem anderen verschweißt, der Glaube selbst ist eine intellektuelle Erscheinung, denn man muß nicht glauben weil man dumm ist oder nichts weiß, sondern nur ein vernunftbegabtes Wesen kann überhaupt glauben, beides paßt nicht nur zusammen sondern ergänzt sich gegenseitig. Das ist die Botschaft Anselms. Die Eröffnung eines modernen Glaubens, weit entfernt von der bloßen Akzeptanz von der Übernahme von irgendwelchen Inhalten, die geoffenbart sind, die man aber nicht versteht. Das Licht der Vernunft kann nicht verschieden sein vom Licht des Glaubens. Das ist der erste große Start, den Anselm vorbereitet hat in die moderne des wissenschaftlichen Verhältnisses von Glauben und Vernunft.
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Quelle: Anselm; Theis, Robert: Proslogion. Anrede: lateinisch/deutsch. Stuttgart: Reclam (2005).
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Anselm ist einer der bedeutendsten Denker des frühen Mittelalters, dessen Scharfsinn die folgende Philosophiegeschichte durchzieht und prägt.
Nun ein paar Punkte, bevor hier scharfe Kritik geäußert wird:
»Wohlan denn, nun auch Du, Herr, mein Gott, lehre mein Herz, wo und wie es Dich suchen soll, wo und wie es Dich finden soll. Herr, wenn Du hier nicht bist, wo soll ich Dich, den Abwesenden, suchen? Wenn Du aber überall bist, warum sehe ich Dich , den Anwesenden nicht?« (S. 15)
Er fleht Gott an, ihm zu helfen. Er bittet darum, daß Gott ihm hilft, ihn finden zu können, was sich damals schon als recht schwierig erwies ) Wie will man Gott suchen? Wo beginnt man ihn zu suchen? Und angenommen Gott wäre überall, warum sieht man ihn dann nirgendwo? Wenn uns kein Mensch zeigen kann, wo wir Gott suchen können, noch wo wir ihn finden können, ist es doch naheliegend, Gott selbst darum zu bitten.
Darum fleht Anselm zu Gott:
» Lehre mich, dich zu suchen, und zeige Dich dem Suchenden, da ich Dich weder suchen kann, wenn Du es nicht lehrst, noch finden, wenn Du Dich nicht zeigst.« (S. 21)
Das Gebet ist also die Art und Weise, wie Anselm versucht Gott zu finden. Warum sucht Anselm Gott überhaupt? Warum suchen Menschen nach Gott? Heute suchen Menschen nach Gott, um glauben zu können. Heute meint man, daß man erst an Gott glauben könne, wenn man einen Beweis für sein Dasein hätte. Solange man keinen Beweis hat, lässt es sich schwer glauben. Anselm jedoch suchte Gott aus einem anderen Grund. Aus welchem Grund suchte Anselm, Gott zu finden, wenn nicht aus dem Grund, einen Beweis für sein Dasein zu erhalten?
»[ ] ein wenig will ich deine Wahrheit verstehen, die mein Herz glaubt [ ]. Ich suche ja auch nicht zu verstehen, um zu glauben, sondern glaube, um zu verstehen.« (S. 21)
Anselm sucht Gott nicht, weil er einen Beweis braucht, um an ihn glauben zu können. Sondern sein Glaube ist die Voraussetzung, um auf die Suche nach Gott zu gehen. Er will ihn suchen, um ihn verstehen zu können. Das ist wichtig. Anselm meint hier, sein Glaube an Gott ist so tief, daß er den brennenden Wunsch in sich verspürt, Gottes Wahrheit verstehen zu wollen. Darum sucht Anselm Gott; um ihn zu verstehen. Um das zu verstehen, woran sein Herz glaubt. Weiters geht Anselm davon aus, daß Gott und nur Gott diese Einsicht schenken kann.
»So denn, Herr, der Du die Einsicht in den Glauben schenkst, gib mir, soweit Du es für nützlich erachtest, daß ich verstehe, daß du bist, wie wir es glauben, und daß Du das bist, was wir glauben.« (S. 21)
Es geht ihm darum, einen Beweis zu finden. Er sucht nach einem Beweis dafür, daß Gott 1. wahrhaft ist; d.h. daß Gott so existiert, wie wir glauben, daß er existiert und 2. daß Gott das höchste Gut ist, das keines anderen bedarf, d.h. daß Gott das ist, was wir glauben, das er ist.
Was ist nun ein Beweis? Wie dürfen wir den Begriff Beweis verstehen? Unter einem juristischen Beweis verstehen wir beispielsweise: Ein Mittel um das Gericht von der Wahrheit einer Behauptung zu überzeugen. Als zulässige Beweismittel im Zivilprozess kommen Sachverständige, Augenschein, Parteivernehmung, Urkunden oder Zeugen in Frage. Wen oder was wollen wir als Beweismittel hernehmen, wenn es um Gott geht? Man kann annehmen, daß kein Mensch Gott je gesehen hat. Es gibt keine handschriftlichen Beweise, nichts, was Gott je persönlich aufgeschrieben hätte. Seine Stimme können wir weder im Radio, noch im Fernsehen hören. Es gestaltet sich somit schwierig, Beweismittel im juristischen Sinne für Gott zu finden. Was heißt das nun? Nun, das heißt, Beweis kann hier nicht als ein juristischer Beweis verstanden werden.
In Anselms Fall müssen wir Beweis so verstehen, daß er versucht eine vernünftige Vergewisserung der Existenz Gottes zu finden. Er versucht die Existenz Gottes durch Denken verständlich zu machen. Anselm sucht also nach einem Argument. Er sucht nicht nach irgendeinem Argument, sondern er sucht nach dem Argument. Nach welchem Argument sucht Anselm? Anselm sucht nach einem einzigen Argument. Er möchte ein einziges Argument finden, anhand dessen sich beweisen ließe, daß Gott wahrhaft ist und daß er das höchste Gut ist, und daß er das ist, was man von ihm glaubt, das er ist. Dieses eine Argument, das »unum argumentum« soll also gefunden werden. Anselm sucht nach dem einen Argument, auf dessen Grundlage das Sein sowie die Wesensbestimmungen Gottes als des höchsten Gutes ermittelt werden kann.
Doch bei diesem einen Argument, dem unum argumentum, gibt es eine Schwierigkeit, eine Hürde zu nehmen. Welche? Anselm sagt, daß das eine Argument nur für den Gläubigen völlig überzeugend sein wird. Nur für den Gläubigen! Das ist die Voraussetzung. Nur für den Gläubigen wird das unum argumentum überzeugend sein. Was aber ist mit den Ungläubigen? Was ist mit jenen, die nicht glauben? Wenn es Anselm gelänge, ein nämlich das Argument zu finden, welches hilft das zu verstehen, was man über und von Gott glaubt, warum hilft es dann nur dem Glaubenden und nicht dem Ungläubigen? Eines nach dem anderen. Welches Argument hat Anselm nun gefunden? Wie lautet dieses eine Argument? Anselm hat Gott gebeten, ihm dabei zu helfen, daß er verstehen kann. Was will er verstehen? Er will das verstehen, woran er glaubt. Woran glaubt er? An Gott. Er will verstehen, daß Gott so ist, wie er glaubt daß er ist und er will verstehen, daß Gott das ist, was er glaubt, das er ist. Ich habe schon angesprochen, daß Anselm den Glauben voraussetzt um zu der Erkenntnis Gottes zu kommen. Er will also nicht erkennen, um zu glauben, sondern glaubt und möchte verstehen, was er glaubt. Weiters glaubt er, daß:
»Wenn ich nicht glaube, werde ich nicht verstehen.« (S. 21)
Ohne Glauben also kein Verständnis. Wir wissen also nun, daß Anselm an Gott glaubt und diesen Glauben als Voraussetzung annimmt. Wie glaubt er nun, daß Gott ist? Er muß sich ja schließlich darüber im Klaren sein und wissen, was er glaubt. Was glaubt er nun, das Gott ist und was glaubt er, wie Gott ist? Seine Antwort lautet:
»Und zwar glauben wir, daß Du [damit meint er Gott] etwas bist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.« (S. 22/23)
Das unum argumentum Anselms also ist, daß Gott etwas ist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Nichts Größeres kann über Gott hinausgedacht werden, das ist sein Argument.
Nun gibt es jedoch den Ungläubigen, jenen, der nicht an Gott glaubt und Anselm bezieht sich auf Psalm 53 und fragt:
»Oder ist etwa ein solches Wesen [nämlich das, worüber nichts Größeres gedacht werden kann, also Gott] nicht, weil der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: Es ist kein Gott?« (S. 23)
In anderen Worten: gibt es kein göttliches Wesen, weil Menschen nicht an die Existenz eines solchen, eines Gottes, glauben?
Was macht Anselm? Er nimmt einen Begriff Gottes an. Er definiert Gott. Gott, sagt er, ist das worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das ist ein dynamischer Begriff. Ist Gott also unendlich? Gesetzt den Fall, man wüßte was das heißt, nein, es ist immer noch eins mehr. Egal wo man hingeht, es ist immer noch eines mehr. Es handelt sich hier um eine niemals erreichbare Lösung. So beginnt er.
Was macht jetzt der Tor? Was ist, wenn der Tor in seinem Herzen spricht, es gibt keinen Gott? Anselm sagt, es gibt nichts was dieser Definition entspricht. Anders gesagt, der Tor ist dumm, wenn er meint, es gäbe keinen Gott. Denn wenn der Tor verstanden hat, was es da nicht geben soll, dann hat er ja den Begriff im Denken. Also der Begriff, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, ist dann schon in seinem Denken.
Was heißt das dann, wenn der Begriff schon in seinem Denken ist? Wenn der Begriff in seinem Denken ist, kann er nicht schon in seinem Denken drin sein. Dieser Begriff muß also irgendwie in sein Denken hineingekommen sein, also muß dieser Begriff über das Denken hinaus gehen. Wenn aber das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann über das Denken hinausgeht, heißt das, es gibt das worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, nämlich außerhalb meines Denkens. Weil es über das Denken hinaus geht, weil es größer ist als das, was ich denken kann.
Der Tor hat in seinem Kopf etwas negiert, was er eigentlich nicht negieren kann, etwas, das über das hinaus geht, was er denken kann. Klar? Wenn der Tor das verneint, und das kann er natürlich nicht, denn er müßte eigentlich zugeben, daß das woran er gerade gedacht hat über das hinaus geht, was er denkt , hieße das am Ende, daß es das gibt, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Und nur der Tor behauptet, das gibt es nicht. Das ist ein Widerspruch für den Tor. Damit ist das Argument des Toren falsch.
Anselm:
»Und gewiß kann das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der Wirklichkeit, was größer ist.« (S. 23)
Anselm formuliert seinen Ansatz so, daß der Gesprächsgegner garantiert daran hängen bleibt, und sich in seinen eigenen Argumenten derart darin verstrickt, bis er zugeben muß, daß er Unrecht hatte.
Anselms Anliegen könnte man in einer Formel zusammenfassen: fides quaerens intellectum, der Glaube sucht nach vernünftiger Erklärung, also Glaube und Vernunft ist kein Gegensatz, sondern das eine ist mit dem anderen verschweißt, der Glaube selbst ist eine intellektuelle Erscheinung, denn man muß nicht glauben weil man dumm ist oder nichts weiß, sondern nur ein vernunftbegabtes Wesen kann überhaupt glauben, beides paßt nicht nur zusammen sondern ergänzt sich gegenseitig. Das ist die Botschaft Anselms. Die Eröffnung eines modernen Glaubens, weit entfernt von der bloßen Akzeptanz von der Übernahme von irgendwelchen Inhalten, die geoffenbart sind, die man aber nicht versteht. Das Licht der Vernunft kann nicht verschieden sein vom Licht des Glaubens. Das ist der erste große Start, den Anselm vorbereitet hat in die moderne des wissenschaftlichen Verhältnisses von Glauben und Vernunft.
copyright by © Anna Gartner
Quelle: Anselm; Theis, Robert: Proslogion. Anrede: lateinisch/deutsch. Stuttgart: Reclam (2005).
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Anselm ist einer der bedeutendsten Denker des frühen Mittelalters, dessen Scharfsinn die folgende Philosophiegeschichte durchzieht und prägt.
Nun ein paar Punkte, bevor hier scharfe Kritik geäußert wird:
- zuerst einmal verstehen, was gemeint ist
- nicht "nachplappern" was andere an Anselms Überlegungen bemängeln
- ein besseres Argument finden
- beherzigen, daß Anselm sagt, NUR für den Gläubigen wird dies ein Argument sein
- sich durch diese Überlegungen inspirieren lassen
- geistigen Errungenschaften Achtung und Respekt entgegen bringen