als ich heute morgen mal auschau nach etwas anderem hielt,
bin ich " zufällig" auf eine stelle in einem vortrag rudof steiners gestossen,
wo er eine schöne anektode erzählt, bezüglich des " alten gesetzes"
und der aufhebung desselben durch das "evangelium" sozusagen.
gleichzeitig wird damit auch ein beleg für die frühe entstehungszeit der evangelien geliefert
ich will die stelle hier mal ausnahmsweise wörtlich zitieren und denke, dass sie für sich selbst spricht:
"...Nun möchte ich zunächst nur einiges anführen, was ich in früheren Jahren auch schon angeführt habe, einiges, was Ihnen zeigen kann, daß man manches auch rein äußerlich Historische doch falsch sieht,namentlich da, wo man von der Leben-Jesu-Forschung spricht in der allerletzten Zeit. Ich will sagen, man spricht davon, daß die Evangelien spät entstanden sind. Ja, sehen Sie, dem kann auch manches rein Historische entgegen gehalten werden. Dem kann zum Beispiel entgegen gehalten werden, daß der Rabbi Gamaliel II. im Jahre 70 des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung einen Prozeß hatte. Bei diesem Prozeß handelte es sich um folgendes. Der Rabbi Gamaliel II. war der Sohn des Rabbi Simeon, welcher der Sohn war des Gamaliel, desjenigen Gamaliel, dessen Schüler Paulus war; und jener Gamaliel II. hatte eineSchwester, und mit dieser Schwester kam er in einen Erbschaftsprozeß. Sie wurden vor den Richter geführt, und der Richter war ein dem Christentum geneigter Römer, vielleicht auch ein dem Christentum geneigter Jude, das ist schwer festzustellen. Nun machte Gamaliel geltend, daß er alleiniger Erbe sei, weil nach dem mosaischen Gesetze Töchter nicht erben können. Da wandte der Richter ein: Seit ihr Juden euer Land verloren habt, gilt nicht mehr die Thora Mosis, sondern es gilt das Evangelium und nach dem Evangelium muß auch die Schwester erben. - Da war zunächst nichts zu machen auf geradem Wege. Doch was geschah? Gamaliel II., der nicht nur erbschaftssüchtig, sondern auch schlau war - man würde heute sagen: er stellte den Antrag auf Vertagung des Prozesses. Und das kam auch zustande. Der Prozeß wurde zunächst vertagt, und Gamaliel II. bestach in der Zwischenzeit den Richter. Bei der zweiten Verhandlung stand er also vor dem bestochenen Richter, und der entschied nun anders und sagte: Ja, er habe sich beim ersten Prozeß geirrt. Es sei zwar das Evangelium auf solche Prozesse anzuwenden, aber im Evangelium stünde, daß nicht aufgehoben werden solle durch das Evangelium die Thora Mosis. Und dabei wird zur Bekräftigung zitiert der Vers, der heute bei Matthäus 5., Vers 17 steht vom Nicht aufheben des Gesetzes in der Fassung, die er auch heute hat, selbstverständlich mit den Abweichungen, die sich ergeben aus der griechischen Sprache und derjenigen Sprache, in der damals das Evangelium vorhanden war, als im Jahre 70 dieser Richterspruch gefällt wurde. Aber bei diesem Richterspruch wird einfach von dem Matthäus-Evangelium gesprochen, und der Talmud, der diese Dinge mitteilt, redet wie von etwas ganz Selbstverständlichem von diesem Matthäus-Evangelium. ..."
Berlin, 27. März 1917 ga 175