Ich oute mich mal als Ex-Betroffene.
Bei mir war es ähnlich wie eine Sucht. Ich MUSSTE dann und wann Essen in mich stopfen, kam gar nicht dran vorbei. Der Kuchen lockte, die Schokolade... Dann das schlechte Gewissen danach, sich eklig fühlen - also alles wieder raus. Ja nicht zunehmen wollen, aber auch nicht verzichten können...
Gab es gemeinsames essen, gar eine Einladung ins Restaurant, immer die leichte Panik: wie werde ich das wieder los? Schuldgefühle waren also auch dabei. Jemand kocht, oder lädt einen ein - und man selbst?! Klar, das man das möglichst verheimlichen möchte. Was aber nur ein Grund von vielen anderen ist, dies geheim zu halten. Denn wie ein Drogensüchtiger freiwillig nicht verzichten kann/will, so ähnlich war es auch. Ich brauchte das, wollte es mir in gewisser Weise nicht nehmen lassen. Hatte auch kein Interesse an Moralpredigten.
Problem war irgendwann, daß man sich des Essens nicht mehr so leicht entledigen konnte. Also rein körperlich. Der Reiz im Hals war nicht mehr gegeben - war dann mitunter recht qualvoll.
Ich las dann auch von den Folgen, was mich schon schockierte. Dauerte zwar dennoch, davon los zu kommen, da der Drang eben größer war, aber ich schaffte es irgendwann. Die Abstände wurden größer, ich versuchte es mit Sport usw. Desweiteren kam mein Partner dahinter, und war nicht sehr begeistert. Um nicht zu sagen, er war regelrecht sauer. Er paßte dann auch besser auf - klar, rund um die Uhr eben auch nicht, und ich hatte meine Methoden, wann ich es doch tun konnte. Aber das schlechte Gewissen wurde auch größer, hatte jedesmal das gefühl, ihn zu betrügen...
Ich weiß noch, wie mich meine einstige "Schwiegermutter" darauf ansprach. Und ich ihr versprach, ja , ich werde es nicht mehr tun. Und im gleichen Moment dachte: wenn ich erst zu Hause bin, werde ich ihr Essen doch wieder loswerden... (je länger ich keine Möglichkeit dazu hatte, um so unruhiger wurde ich. Jede Minute die verstrich, bedeute ja, es setzt an... Also machte ich dann extremen Sport, wenn es anders nicht mehr möglich war).
Auf Arbeit wurde ich auch angesprochen, da ich doch abgenommen hatte (gab Phasen, da machte ich zusätzlich extrem viel Sport oder das Ganze kippte in die Magersüchtigkeit um und ich aß gar nichts mehr. Saß frierend und entkräftigt vor der Heizung rum..., grad noch fähig, ein Buch zu halten). Und ich dachte mir immer: ja, ich muß damit aufhören... Bewußt war es mir also. Ich fühlte mich ja auch nicht wirklich gut, im Gegenteil. So manches mal "danach" war mir schwindlig und ich brauchte eine Weile, um mich zu erholen. Aß dann doch wieder etwas, aber eben "normal", damit ich nicht total abklappe.
Mittlerweile habe ich ein normales Gewicht, keinesfalls mager. Und fühle mich damit gut. Wünsche mir die Zeit nicht wieder zurück, und hoffe, daß es nie einen Rückfall mehr geben wird (denn die gab es auch genügend).
Weiß nun nicht, ob ihr damit was anfangen könnt, denn wie ihr wirklich an die Betroffenen ran kommen könnt - ich weiß es nicht.
Kaji