[quelle:
www.dialog-im-dunkeln.de]
Nur wenige Menschen haben eine Vorstellung, wie es ist, blind zu sein. Unvorstellbar ist ein Leben ohne Licht, ausgegrenzt zu sein, von Farben und Formen. Bilder sind im Kopf, die Blinde als hilfsbedürftige Kriegsveteranen zeigen, hart vom Schicksal geschlagen und auf das Mitleid der anderen angewiesen. Menschen erleben vor allem visuelle Eindrücke.
Das Sehvermögen sichert scheinbar allein den Zugang zur Welt, flimmern und flackern doch allerorts die matten Scheiben und schnellen Schnitte. Bildschirme bilden ein visuelles Zeitalter, Buntheit regiert, wir denken, reden, träumen in Bildern, sind unersättlich im Sehen, sehen uns die Augen aus dem Kopf. Schön ist, was zu sehen ist. Wenn die Retina nicht reagiert, bleiben die Eindrücke blass, werden kaum eingebaut in unserer Konstruktion von Welt.
Auch sprachlich ist Blindheit vor allem negativ besetzt. "Blind" läuft man in die Katastrophe, in "blinder Wut" wird versucht, diese abzuwenden, ist "mit Blindheit geschlagen", wenn alles zu spät ist und hofft allenfalls, dass sich Alles nur als "blinder Alarm" herausstellt. Blindheit, so scheint es, wird als Synonym für Fehlerhaftigkeit, Orientierungslosigkeit und Ignoranz benutzt.
Ist man jedoch in seinem täglichen Umgang mit Blindheit konfrontiert und mit blinden Menschen in Kontakt, erscheint diese Grundhaltung vieler Menschen nicht mehr nachvollziehbar. Blindsein heisst sicherlich von vielem ausgeschlossen zu sein, muss bedeuten, sein Leben an eine absolut visuell ausgerichtete Gesellschaft anzupassen. Es bedeutet aber nicht Verzweiflung und Verlust jeglicher Lebensfreude, da an die Stelle des Nicht-Sehen ein anderes Sehen tritt. Der Alltag bekommt hierdurch eine andere, eine nicht visuelle Qualität. Dinge sind nicht nur schön, weil sie nett aussehen. Die nicht sichtbaren Komponenten werden interessant und bilden die Grundlage des Begreifens. Die Oberfläche einer Tasse, die Beschaffenheit eines Weges, der Lärm in der Kantine, die Windverhältnisse in den Städten, Dinge, die immer vorhanden sind, rücken in das Zentrum und bereichern die Wahrnehmung um ein Vielfaches. Welch Paradoxie, über das Nicht-Sehen, das Sehen neu zu lernen.
Aus diesem Spannungsverhältnis entstand DIALOG IM DUNKELN, eine Ausstellung, die versucht, die Vorstellungen und die nicht visuellen Wahrnehmungen blinder Menschen zum Ausgangspunkt zu nehmen, um das Unsichtbare in uns und um uns zu entdecken. DIALOG IM DUNKELN ist sicherlich keine "normale" Ausstellung. Es ist weit mehr eine Plattform zur Kommunikation und zum interessierten Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen, um einen Perspektivenwechsel zu wagen und um Erfahrungen zu machen, ohne belehrt zu werden.
Das Konzept von DIALOG IM DUNKELN wurde weltweit erfolgreich umgesetzt. Immer begleiten blinde Guides die Besucher/innen durch völlig abgedunkelte Räume, die szenisch gestaltet sind. Als Parklandschaft, als belebte Strassenkreuzung, Bootshaus oder Bar. Dies findet statt als dreistündiger Bestandteil von Managementtrainings für multinationale Konzerne oder als dreijährige Beschäftigungsmassnahme wie jetzt in der Speicherstadt in Hamburg.
Auch hier in Hamburg werden viele blinde und sehbehinderte Menschen dem Publikum im Dunkeln die Augen öffnen, um ihnen zu zeigen, dass ihre Welt nicht ärmer - aber anders ist.