Ich denke, dass Sadhguru mit seinen Beispielen im Video weniger die Wut als "Befreiung" gemeint hat (wenngleich ich glaube, dass wenn man wirklich spirituell sehr, sehr weit ist und nur noch Liebe in sich trägt, auch diese Art Befreiung nicht mehr benötigt). Ich glaube, er meinte eher die alltägliche Wut oder auch die zerstörerische Wut.
Wenn sich jemand an der Kassa vordrängt, kann ich wütend werden oder diese Person liebevoll betrachten.
Wenn ich beim Haustor rausgehe und ein Vogel kackt mir auf den Kopf, kann ich wütend sein, oder es als Lapalie akzeptieren.
Wenn ich an ner Elite-Schule nicht aufgenommen werde, kann ich wütend sein, oder darauf vertrauen, dass das Leben womöglich schlicht Anderes für mich vorgesehen hat.
(Natürlich gibts auch andere positive Alternativen, je nachdem, woran man eben glaubt, etc.)
Also anders gesagt: Das Glas kann immer halbleer und halbvoll sein.
Und ich bin überzeugt davon, wenn jeder es schaffen würde, mehr Liebe (verbunden mit Nachsicht und Güte) und weniger Wut zu verbreiten, dann wäre schon sehr viel getan.
Ich gebe aber ebenso recht, dass Wut als Befreiung gut sein kann. Ich kenne das von mir - ein Angehöriger wurde mal von Ärzten verpfuscht und lag mit Koma im Krankenhaus. Mir gings dann kurzfristig selbst nicht gut, aber es war meine Wut gewesen, die mich trotzdem ins Krankenhaus geführt hat; das war eine innere Kraft. Allerdings hab ich dieser Wut dann im KH selbst nicht freien Lauf gelassen, sonst hätte ich dem Arzt (der mich dann dort noch mal von Angesicht zu Angesicht veräppelt hat) wahrscheinlich eine reingehauen. Bringt ja aber nichts, schon gar nicht dem Betroffenen, da wäre Wut eher schädlich gewesen, und in so einem Fall finde ichs dann besser, sich wieder auf die Liebe (dem Betroffenen gegenüber) zu konzentrieren.
Mit anderen Worten: Wut finde ich schon hilfreich, wenn man sie als Energie sinnvoll einsetzt. Sie kann aber auch tatsächlich blind machen und zerstörerisch wirken. Und man kann sich auch bewusst machen, dass Wut und Angst/Machtlosigkeit oft nahe beieinander liegen, v.a. auch aus psychoanalytischer Sicht. Löst man das Eine auf, löst man auch häufig das Andere auf.
Ich glaube, keine Wut mehr zu empfinden und nur noch Liebe zu empfinden und zu verbreiten ist eine "Königsdisziplin", vor allem, wenn man seine Wut eben nicht nur krampfhaft zurückhält, sondern es tatsächlich schafft, sie aufzulösen.
Aber ich glaube wirklich, dass das der Welt gut täte, daher kann ich Sadhguru hier nachvollziehen; zumal, so westlich er seine Lehren auch verpackt, er noch immer aus einem anderen Kulturkreis stammt.
LG
Mina