1. Mein Gott, was war ich wütend - auf alle. Nicht nur auf die, die mir etwas antaten, sondern auch auf all die, die anderen Menschen etwas antaten. Natürlich war das kein angenehmer Gemütszustand für mich.
2. Wut und innerer Friede schliessen einander nämlich aus- wo das eine ist, kann das andere nicht sein.
3. Wie kommt man in den Gemütszustand des inneren Friedens? Nicht, indem man sich die Wut verkneift und die Augen verschliesst, sondern indem man untersucht, wie Wut überhaupt entsteht. Denn schliesslich war es meine Wut, mein Ärger. Bei dieser Untersuchung meiner selbst bin ich auf meine Schuldgefühle gestossen. Wo kamen die her? Wieso fühlte ich mich schuldig, obwohl ich doch das Opfer war? Vergebung ist das tiefe Verstehen des eigenen Schuldgefühls. Ich erkannte, wie es entstanden war und warum- und dadurch vergab ich mir selbst.
Vorweg : wenn DIR Vergebung gut getan hat, fein ! Problematisch wird es erst, wenn Du Dein Erleben verallgemeinerst und Deine Lösung als DIE Patentlösung allen überzustülpen versuchst.
1. Das ist etwas anderes, als gesunde Wut, die aus der Situation entsteht und hilft, die Situation zu bewältigen.
2. Das stimmt so einfach nicht. Zu innerem Frieden gehört das GESAMTE Gefühlsspektrum. Wenn man anfängt, Gefühle einzuteilen in "gute" und "schlechte", wenn man das Gefühlsspektrum zu amputieren anfängt, DANN beschädigt man psychische Gesundheit und damit auch den inneren Frieden.
3. "Ich bitte um Vergebung" sagt man, wenn man etwas Falsches gemacht hat. Vergebung braucht es dort, wo Schuld ist. Insoferne verstehe ich es nicht, was genau Du Dir vergeben hast. Wenn Du draufkommst, dass Deine Schuldgefühle unbegründet waren, dass Du nichts Falsches getan hast - dann kommst Du auch drauf, dass es gar nichts zu Vergeben gibt ?
Und Wut entsteht bei Gott nicht immer aus Schuldgefühlen. Man kann wütend werden, wenn Menschen ungerecht behandelt werden und verletzt werden, wenn man betrogen wird etc. etc. Du dürftest echte und situationsadäquate Wut mit einem festgefahrenen Gefühlsmuster des permanenten Wütend-Seins verwechseln.
Offensichtlich verwendest Du das Wort "Vergebung" für etwas ganz anderes, als was es im üblichen Sprachgebrauch bedeutet. Man kann natürlich alles für sich umbenennen : Zum Tisch "Sessel" sagen und zum Sessel "Tisch" - "Ich sitze am Tisch und esse vom Sessel". Nur - dann darf man sich nicht wundern, wenn es laufend zu Missverständnissen im Gespräch kommt.
Wenn ich Dich recht verstehe, hast Du Dich ursprünglich schuldig gefühlt und es war für Dich befreiend zu erkennen, dass Du nicht schuldig bist. Was ich nicht verstehe, wofür Du dann noch "Vergebung" brauchst, wenn Du eh nicht schuld bist ?
Aber - wie schon gesagt, das wäre ein eigener Thread. Bei vielen Wörtern, die mit "ver-" anfangen, ist ein Hund drinnen (ver-laufen, ver-sprechen, ver-tun, ver-spielen, ver-hören, ver-lieben etc.) - aber das hat speziell mit der Missbrauchsthematik nichts zu tun, sondern ist ein allgemeines Thema.
LG, Reinhard