Lotusz
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Hallo
Der tibetische Buddhismus gilt im Westen als Vorbild für Friedfertigkeit, Tantra als Inbegriff von "Heiligem Sex". Ein völlig anderes Bild zeichnet das Buch Der Schatten des Dalai Lama von Victor und Victoria Trimondi. In einem Interview mit yabyum.ch erläuterten sie die wichtigsten Punkte ihrer Kritik: die militante Machtpolitik des Dalai Lama, Sexualmagie und Frauenverachtung.
Frage: Ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Dalai Lama, dem tibetischen Buddhismus und der damit verbundenen Politik füllt einen Wälzer von über 800 Seiten. Was war der Anlass, sich mit der Problematik in dieser Breite und Tiefe zu beschäftigen?
Antwort: Als wir vor fünf Jahren mit den Recherchen zu unserem Buch begannen, hatten wir durchaus ein positives Verhältnis zum tibetischen Buddhismus. Wie sehr viele Menschen glaubten wir, dass der Dalai Lama die sozialpolitischen und individuellen Werte, die auch uns am Herzen lagen, mit Mut und Überzeugung zum Ausdruck bringt: Friedfertigkeit, Mitgefühl mit allen leidenden Wesen, Überwindung der Klassen- und Rassenschranken, ökologisches Bewusstsein, Freiheit des Individuums, Transzendieren des Feindbilddenkens, Gemeinschaftssinn, soziales Engagement, interreligiöser Dialog, Begegnung der Kulturen und vieles mehr.
Insbesondere aber waren wir vom Tantrismus angezogen, dem eigentlichen Kern des tibetischen Buddhismus. Hier schien es endlich eine Religion zu geben, welche die Gleichberechtigung der Geschlechter ernst nahm und den Eros nicht aus dem sakralen Raum verbannte, sondern ihn geradezu in sein Zentrum stellte.
Aber nicht nur ideengeschichtlich waren wir mit dem XIV. Dalai Lama verbunden. Als Verleger habe ich Bücher von ihm publiziert, habe mehrere Symposien und Grossveranstaltungen für ihn organisiert. 1982 holte ich ihn mit einer kleinen Propellermaschine von Paris auf die Frankfurter Buchmesse. Das Flugzeug geriet in einen Sturm und schwankte abenteuerlich. Alle Insassen, einschliesslich des Dalai Lama wurden bleich. Solch extremen Momente im Leben schaffen Bindungen und es entwickelte sich eine, wenn auch lockere Freundschaft.
Uns gefiel ganz besonders die religiöse Toleranz »Seiner Heiligkeit«. Niemals fordert der XIV. Dalai Lama Menschen dazu auf, ihre angestammte Religion zu verlassen und sich dem Buddhismus anzuschliessen. Im Gegenteil, er warnt eindringlich vor einem Religionswechsel und betont immer wieder, es sei geradezu die Pflicht eines jeden, denjenigen Glauben, den er annehmen wolle, auf Herz und Nieren zu prüfen, ihm mit aller Skepsis und mit einem völlig kritischen Geist gegenüberzutreten und dann erst seine Entscheidung zu fällen.
Frage: Und das haben Sie gemacht?
Antwort: Das genau haben wir gemacht! In der Absicht, im tibetischen Buddhismus eine spirituelle Lehre zu entdecken, die Antwort weiss auf die Lösung unserer Weltprobleme, haben wir die Grundlagen des Buddhismus, die tantrischen Texte, die Geschichte des Tantrismus und die Biografien der frühen Tantriker studiert, ausserdem haben wir uns mit der Geschichte Tibets, der Dalai Lamas und der Politik der Exiltibeter auseinandergesetzt.
Das Ergebnis war mehr als ernüchternd und führte zu einer völligen Revision unserer bisherigen Sicht. Statt einer friedvollen und toleranten Kultur haben wir eine kriegerische und aggressive Kultur vorgefunden; statt Frauenfreundlichkeit und Geschlechterparität haben wir ein System kennen gelernt, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau durch sein Raffinement auf die Spitze treibt.
Unterdrückung Andersdenkender, Despotismus, Intoleranz, grenzenlose Machtbesessenheit, Dämonisierung und Angst als politisches Mittel, Verachtung alles Menschlichen, all das, was wir gerade nicht vermutet hatten, mussten wir in den Texten, den Ritualen und der Geschichte dieser Religion entdecken. Für uns war die Erkenntnis über die Schattenseiten des tibetischen Buddhismus zeitweise mit einer persönlichen Krise verbunden, denn es hiess Abschied nehmen von einer bisher von uns positiv besetzten Kultur und einem hochgeschätzten Menschen, einem spirituellen Vorbild und einem persönlichen Freund.
Frage: Wie sind Sie bei Ihren Ermittlungen vorgegangen?
Antwort: Mittlerweile liegt ein umfangreiches Quellenmaterial über den tibetischen Buddhismus in vielen europäischen Sprachen vor. Ein Grossteil der Höheren und Höchsten Tantras wurden weltweit von den qualifiziertesten Tibetologen übersetzt und in vielen Fällen durch Englisch sprechende Lamas abgesichert. Methodisch haben wir uns nicht auf eine klassische Textkritik beschränkt. Das war auch niemals unsere Absicht, da wir ein kulturkritisches und tiefenpsychologisches Werk und keine tibetologische Abhandlung verfassen wollten. Weil es sich im Falle des tibetischen Buddhismus was keineswegs allgemein bekannt ist, um ein mythologisches System handelt, genügt es nicht, dieses System einfach zu beschreiben.
Frage: Von Kritikern Ihres Buches wird geltend gemacht, dass tantrische Texte und Bilder symbolische Bedeutung hätten und keinesfalls als Anleitung zur Praxis missverstanden werden dürften. Nebenbei bemerkt würde das heissen, dass Vorstellungen und Übungen des New-Age-Tantra purer Unsinn wären. Worauf gründet sich Ihre Haltung in dieser Frage?
Antwort: Die buddhistische Diskussion über die »nur symbolische« oder »reale« Bedeutung der Tantra-Texte ist so alt wie diese selbst. Sie ist auch ganz verständlich, denn bei der Ausübung des Vajrayana-Tantra müssen fast alle ethischen Vorschriften der von Buddha verordneten Ordensregeln durchbrochen werden. Zu den geforderten Regelverletzungen zählen ja nicht nur der Sexualverkehr, der für einen buddhistischen Mönch grundsätzlich verboten ist. Die Tantras fordern auch andere, sehr aggressive Akte, die sogar einen Mord einschliessen können.
Dabei lässt sich unter dem Strich sagen, dass fast alle bedeutenden Lamas von einer realen Durchführung der Sexualpraktiken ausgehen, gleichgültig, ob sie diese selber praktiziert haben oder nicht. Tsongkapa, der Gründer des Gelbmützenordens, zum Beispiel hat eine sehr »tugendhaftes« Image und man erzählt, er habe niemals mit einer realen Sexualpartnerin praktiziert. Ob dies nun stimmt oder nicht, mag dahin gestellt bleiben, er ist auf jeden Fall der Verfasser bedeutender tantrischer, sexualmagischer, Kommentare und seine Aussagen zur Symboldebatte ist eindeutig: »Eine weibliche Partnerin gilt als Basis für die Vollendung der Befreiung.«
Wer sich mit der Materie intensiv beschäftigt, wird sehr schnell herausfinden, dass bei den höchsten Tantras reale Frauen bevorzugt werden oder sogar Vorschrift sind. Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und der inneren Logik der Tantra-Texte, wie wir das ausführlich in unserem Buch dargestellt haben.
Frage: Was für Konsequenzen ergeben sich für den Buddhismus als Philosophie oder Religion, der vielen Menschen im Westen als derzeit einzige, jedenfalls überaus attraktive spirituelle Lehre und Lebensweise erscheint?
Antwort: Diese Frage zu beantworten, würde Seiten füllen, denn sie verlangt eine sehr komplexe Antwort, insbesondere da es uns nicht darum geht, das ganze System in Frage zu stellen.
Erste Voraussetzung für eine Veränderung ist immer ein kritisches und offenes Bewusstsein. Wir zitieren in diesem Zusammenhang gerne den folgenden Spruch des historischen Buddha: »Deine Zweifel sind begründet, Sohn des Kesa. Höre meine Weisung: Glaube nichts auf blosses Hörensagen hin; glaube nicht an Überlieferungen (!), weil sie alt und durch viele Generationen bis auf uns gekommen sind; glaube nichts aufgrund von Gerüchten oder weil die Leute viel davon reden; glaube nicht, bloss weil man dir das geschriebene Zeugnis irgendeines alten Weisen vorlegt; glaube nie etwas, weil Mutmassungen dafür sprechen oder weil langjährige Gewohnheit dich verleitet, es für wahr zu halten; glaube nichts auf die blosse Autorität deiner Lehrer und Geistlichen hin. Was nach eigener Erfahrung und Untersuchung mit deiner Vernunft übereinstimmt und deinem Wohl und Heil wie dem aller anderen Wesen dient, das nimm als Wahrheit an und lebe danach.« (Anguttara Nikaya I, 174)
Zu dieser, von Buddha legitimierten und geforderten Kritik, zählt primär eine Auseinandersetzung mit den Mythen und traditionellen Dogmen sowie die Frage, ob diese heute immer noch mit den humanpolitischen Anforderungen unsere Zeit vereinbar sind. Wichtig in diesem Zusammenhang ist weiterhin ein kritischer Diskurs über die Geschichte des Buddhismus, über sein historisches Verhältnis zum Staat, zum Krieg, zur Geschlechterfrage usw. Keine Religion darf sich am Beginn des kommenden Jahrtausends einer solchen Befragung ihrer Geschichte entziehen. Ebenso notwendig ist die kritische Hinterfragung der Gegenwart, d. h. konkret die Auseinandersetzung mit den lebenden tibetischen Lehrern. Erst nachdem eine solche Kritik ehrlich durchgeführt wurde, sollte man sich für den tibetischen Buddhismus als Religion entscheiden oder es sein lassen.
aus: yabyum.ch
Alles Liebe. Gerrit
Der tibetische Buddhismus gilt im Westen als Vorbild für Friedfertigkeit, Tantra als Inbegriff von "Heiligem Sex". Ein völlig anderes Bild zeichnet das Buch Der Schatten des Dalai Lama von Victor und Victoria Trimondi. In einem Interview mit yabyum.ch erläuterten sie die wichtigsten Punkte ihrer Kritik: die militante Machtpolitik des Dalai Lama, Sexualmagie und Frauenverachtung.
Frage: Ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Dalai Lama, dem tibetischen Buddhismus und der damit verbundenen Politik füllt einen Wälzer von über 800 Seiten. Was war der Anlass, sich mit der Problematik in dieser Breite und Tiefe zu beschäftigen?
Antwort: Als wir vor fünf Jahren mit den Recherchen zu unserem Buch begannen, hatten wir durchaus ein positives Verhältnis zum tibetischen Buddhismus. Wie sehr viele Menschen glaubten wir, dass der Dalai Lama die sozialpolitischen und individuellen Werte, die auch uns am Herzen lagen, mit Mut und Überzeugung zum Ausdruck bringt: Friedfertigkeit, Mitgefühl mit allen leidenden Wesen, Überwindung der Klassen- und Rassenschranken, ökologisches Bewusstsein, Freiheit des Individuums, Transzendieren des Feindbilddenkens, Gemeinschaftssinn, soziales Engagement, interreligiöser Dialog, Begegnung der Kulturen und vieles mehr.
Insbesondere aber waren wir vom Tantrismus angezogen, dem eigentlichen Kern des tibetischen Buddhismus. Hier schien es endlich eine Religion zu geben, welche die Gleichberechtigung der Geschlechter ernst nahm und den Eros nicht aus dem sakralen Raum verbannte, sondern ihn geradezu in sein Zentrum stellte.
Aber nicht nur ideengeschichtlich waren wir mit dem XIV. Dalai Lama verbunden. Als Verleger habe ich Bücher von ihm publiziert, habe mehrere Symposien und Grossveranstaltungen für ihn organisiert. 1982 holte ich ihn mit einer kleinen Propellermaschine von Paris auf die Frankfurter Buchmesse. Das Flugzeug geriet in einen Sturm und schwankte abenteuerlich. Alle Insassen, einschliesslich des Dalai Lama wurden bleich. Solch extremen Momente im Leben schaffen Bindungen und es entwickelte sich eine, wenn auch lockere Freundschaft.
Uns gefiel ganz besonders die religiöse Toleranz »Seiner Heiligkeit«. Niemals fordert der XIV. Dalai Lama Menschen dazu auf, ihre angestammte Religion zu verlassen und sich dem Buddhismus anzuschliessen. Im Gegenteil, er warnt eindringlich vor einem Religionswechsel und betont immer wieder, es sei geradezu die Pflicht eines jeden, denjenigen Glauben, den er annehmen wolle, auf Herz und Nieren zu prüfen, ihm mit aller Skepsis und mit einem völlig kritischen Geist gegenüberzutreten und dann erst seine Entscheidung zu fällen.
Frage: Und das haben Sie gemacht?
Antwort: Das genau haben wir gemacht! In der Absicht, im tibetischen Buddhismus eine spirituelle Lehre zu entdecken, die Antwort weiss auf die Lösung unserer Weltprobleme, haben wir die Grundlagen des Buddhismus, die tantrischen Texte, die Geschichte des Tantrismus und die Biografien der frühen Tantriker studiert, ausserdem haben wir uns mit der Geschichte Tibets, der Dalai Lamas und der Politik der Exiltibeter auseinandergesetzt.
Das Ergebnis war mehr als ernüchternd und führte zu einer völligen Revision unserer bisherigen Sicht. Statt einer friedvollen und toleranten Kultur haben wir eine kriegerische und aggressive Kultur vorgefunden; statt Frauenfreundlichkeit und Geschlechterparität haben wir ein System kennen gelernt, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau durch sein Raffinement auf die Spitze treibt.
Unterdrückung Andersdenkender, Despotismus, Intoleranz, grenzenlose Machtbesessenheit, Dämonisierung und Angst als politisches Mittel, Verachtung alles Menschlichen, all das, was wir gerade nicht vermutet hatten, mussten wir in den Texten, den Ritualen und der Geschichte dieser Religion entdecken. Für uns war die Erkenntnis über die Schattenseiten des tibetischen Buddhismus zeitweise mit einer persönlichen Krise verbunden, denn es hiess Abschied nehmen von einer bisher von uns positiv besetzten Kultur und einem hochgeschätzten Menschen, einem spirituellen Vorbild und einem persönlichen Freund.
Frage: Wie sind Sie bei Ihren Ermittlungen vorgegangen?
Antwort: Mittlerweile liegt ein umfangreiches Quellenmaterial über den tibetischen Buddhismus in vielen europäischen Sprachen vor. Ein Grossteil der Höheren und Höchsten Tantras wurden weltweit von den qualifiziertesten Tibetologen übersetzt und in vielen Fällen durch Englisch sprechende Lamas abgesichert. Methodisch haben wir uns nicht auf eine klassische Textkritik beschränkt. Das war auch niemals unsere Absicht, da wir ein kulturkritisches und tiefenpsychologisches Werk und keine tibetologische Abhandlung verfassen wollten. Weil es sich im Falle des tibetischen Buddhismus was keineswegs allgemein bekannt ist, um ein mythologisches System handelt, genügt es nicht, dieses System einfach zu beschreiben.
Frage: Von Kritikern Ihres Buches wird geltend gemacht, dass tantrische Texte und Bilder symbolische Bedeutung hätten und keinesfalls als Anleitung zur Praxis missverstanden werden dürften. Nebenbei bemerkt würde das heissen, dass Vorstellungen und Übungen des New-Age-Tantra purer Unsinn wären. Worauf gründet sich Ihre Haltung in dieser Frage?
Antwort: Die buddhistische Diskussion über die »nur symbolische« oder »reale« Bedeutung der Tantra-Texte ist so alt wie diese selbst. Sie ist auch ganz verständlich, denn bei der Ausübung des Vajrayana-Tantra müssen fast alle ethischen Vorschriften der von Buddha verordneten Ordensregeln durchbrochen werden. Zu den geforderten Regelverletzungen zählen ja nicht nur der Sexualverkehr, der für einen buddhistischen Mönch grundsätzlich verboten ist. Die Tantras fordern auch andere, sehr aggressive Akte, die sogar einen Mord einschliessen können.
Dabei lässt sich unter dem Strich sagen, dass fast alle bedeutenden Lamas von einer realen Durchführung der Sexualpraktiken ausgehen, gleichgültig, ob sie diese selber praktiziert haben oder nicht. Tsongkapa, der Gründer des Gelbmützenordens, zum Beispiel hat eine sehr »tugendhaftes« Image und man erzählt, er habe niemals mit einer realen Sexualpartnerin praktiziert. Ob dies nun stimmt oder nicht, mag dahin gestellt bleiben, er ist auf jeden Fall der Verfasser bedeutender tantrischer, sexualmagischer, Kommentare und seine Aussagen zur Symboldebatte ist eindeutig: »Eine weibliche Partnerin gilt als Basis für die Vollendung der Befreiung.«
Wer sich mit der Materie intensiv beschäftigt, wird sehr schnell herausfinden, dass bei den höchsten Tantras reale Frauen bevorzugt werden oder sogar Vorschrift sind. Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und der inneren Logik der Tantra-Texte, wie wir das ausführlich in unserem Buch dargestellt haben.
Frage: Was für Konsequenzen ergeben sich für den Buddhismus als Philosophie oder Religion, der vielen Menschen im Westen als derzeit einzige, jedenfalls überaus attraktive spirituelle Lehre und Lebensweise erscheint?
Antwort: Diese Frage zu beantworten, würde Seiten füllen, denn sie verlangt eine sehr komplexe Antwort, insbesondere da es uns nicht darum geht, das ganze System in Frage zu stellen.
Erste Voraussetzung für eine Veränderung ist immer ein kritisches und offenes Bewusstsein. Wir zitieren in diesem Zusammenhang gerne den folgenden Spruch des historischen Buddha: »Deine Zweifel sind begründet, Sohn des Kesa. Höre meine Weisung: Glaube nichts auf blosses Hörensagen hin; glaube nicht an Überlieferungen (!), weil sie alt und durch viele Generationen bis auf uns gekommen sind; glaube nichts aufgrund von Gerüchten oder weil die Leute viel davon reden; glaube nicht, bloss weil man dir das geschriebene Zeugnis irgendeines alten Weisen vorlegt; glaube nie etwas, weil Mutmassungen dafür sprechen oder weil langjährige Gewohnheit dich verleitet, es für wahr zu halten; glaube nichts auf die blosse Autorität deiner Lehrer und Geistlichen hin. Was nach eigener Erfahrung und Untersuchung mit deiner Vernunft übereinstimmt und deinem Wohl und Heil wie dem aller anderen Wesen dient, das nimm als Wahrheit an und lebe danach.« (Anguttara Nikaya I, 174)
Zu dieser, von Buddha legitimierten und geforderten Kritik, zählt primär eine Auseinandersetzung mit den Mythen und traditionellen Dogmen sowie die Frage, ob diese heute immer noch mit den humanpolitischen Anforderungen unsere Zeit vereinbar sind. Wichtig in diesem Zusammenhang ist weiterhin ein kritischer Diskurs über die Geschichte des Buddhismus, über sein historisches Verhältnis zum Staat, zum Krieg, zur Geschlechterfrage usw. Keine Religion darf sich am Beginn des kommenden Jahrtausends einer solchen Befragung ihrer Geschichte entziehen. Ebenso notwendig ist die kritische Hinterfragung der Gegenwart, d. h. konkret die Auseinandersetzung mit den lebenden tibetischen Lehrern. Erst nachdem eine solche Kritik ehrlich durchgeführt wurde, sollte man sich für den tibetischen Buddhismus als Religion entscheiden oder es sein lassen.
aus: yabyum.ch
Alles Liebe. Gerrit