Frauen und das Zölibat II
Als die Frauen die überfällige Bildung nachholten, erweiterte sich ihr Wissen auf allen Gebieten des Lebens einschliesslich dem der eigenen Sexualität. Aber als die Sexualität der Frau in England und Amerika schliesslich vor einem Jahrhundert anerkannt wurde, gab es gleichzeitig Bestrebungen, die Frau auch weiterhin von der Sexualität fernzuhalten. Das
viktorianische Zeitalter (Zeitabschnitt der Regierung Königin Victorias von England, in England beginnt, mit all seinen Vor- und Nachteilen, das Zeitalter der Industriealisierung, 1837 bis 1901) wurde so zu einem Synonym der sexuellen Unterdrückung. Es war eine Zeit, in der die sexuelle Einfalt (Begrenztheit des Verstandes) dem sexuellen Wissen wich, aber in der Folge wurde sowohl die Einfalt als auch das Wissen verfälscht. In dem Bemühen, das, was man für die schockierende Wirklichkeit hielt, zu leugnen, brachte die viktorianische Gesellschaft einige erstaunliche Einstellungen hervor. Der Mann, so hieße es, habe tierische Sexualbedürfnisse, und die Frau müsse vor ihm geschützt werden. Tatsächlich wiegten sich viele viktorianische Frauen in dem Glauben, den Männern moralisch überlegen zu sein, weil sie bei der Liebe weniger Lust empfanden. Man glaubte, die Frauen seien den eigenen Gefühlen gegenüber völlig blind und übergingen alle Anzeichen einer eventuellen Willfährigkeit (Unter willfährig versteht man, fremdem, anderen Willen gehorchen und gefügig sein.) ihrerseits.
Dieses extreme Sichverschließen ging soweit, dass eine anständige Frau nicht einmal die eigenen organischen Gegebenheiten (Sexualorgane) akzeptieren konnte, damit nur nicht die Wahrheit (daß es dort Sexualorgane gab) herauskam. Es wird berichtet, dass viele Frauen lieber starben, als sich einer gynäkologischen Untersuchung zu unterziehen. In England war es noch vor 50 Jahren ungesetzlich, gedruckt festzuhalten, dass eine Frau Lust beim Geschlechtsverkehr empfinden könne und solle. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass die Sexualität eine gewaltige, unnatürliche Bedeutung bekam, die sehr viel stärker in einer solchen Zeit der Unterdrückung zur Geltung kam, als dann, wenn die Sexualität wegen ihrer besonderen Rolle in der Kultur stillschweigend geduldet wird. Gegen diese absurden Einstellungen ging Freud mit seiner Theorie über die Sexualität vor, nach der neurotisches und normales Verhalten davon abhängt, wie stark die Sexualität verdrängt und sublimiert wird. Freuds bemerkenswerte Einsichten brachten die dringend erforderliche Öffnung des Bewusstseins und eine Anerkennung der menschlichen Sexualität mit sich, schufen aber gleichzeitig andere Verzerrungen. Die unglücklichen Folgen der Ansichten Freuds über seine Epoche waren, dass Gesellschaften der jüngeren Zeit die Sexualität und ihre Bedeutung für die menschliche Entwicklung überbewerteten.
Ein spezieller Aspekt der Freudschen Theorie, der noch bis vor einem Jahrzehnt seine Anhänger hatte, war das biologische Modell der weiblichen Sexualität, dass die weiblichen Fähigkeiten falsch beurteilte, weil es auf unvollständigen biologischen Kenntnissen beruhte. Eine Korrektur erfolgte hier erst in jüngster Zeit durch die Arbeiten der amerikanischen Psychiaterin
Dr. Mary Jane Sherfey (siehe unten), sowie durch die amerikanischen Sexualwissenschaftler Masters, Johnson und anderen. Als Folge, dieses sich lange haltenden Missverständnisses, erklärte man sexuell normalen Frauen, sie seien anormal. Das war nicht so tragisch zu Zeiten, als man die Frauen wegen ihrer nichtsexuellen Dienste schätzte und Ehe und Mutterschaft noch verherrlicht wurden. Aber als sich das Schwergewicht verlagerte, und die sexuelle und romantische Liebe zur Richtschnur für den gesellschaftlichen Erfolg einer Frau wurde, war die angebliche Unfähigkeit, wie eine sexuell normale Frau zu reagieren, für viele Frauen ein gewaltiger psychologischer Schlag, vor allem zu einer Zeit, als man sie für sexuell befreit hielt (in den 60er Jahren).
Das führte zu einer besonders engen Sicht der weiblichen Psyche, die vielleich am besten in der Erklärung des amerikanischen Psychologen Percival Symonds zusammengefasst worden ist, dass Frauen das Liebeserlebnis suchen, um ihr verletztes Selbstwertgefühl wieder herzustellen. Wenn die einzig akzeptable Rolle, die eine Frau spielen kann, sexuell-romantisch ist und der Wert einer Frau auf ihrer sexuellen Attraktivität beruht, verwundert es nicht, dass Frauen, die glaubten, es stimme etwas mit ihnen sexuell nicht, sich in erheblichem Maß sozial verunsichert fühlten. Dieser Wandel vom Nichtsexuellsein zum Abnormalsein, war fraglos einer der maßgeblichen Faktoren, bei der Entscheidung vieler Frauen, ihre Sexualität letztlich selbst zu bestimmen und ihre sexuellen Bedürfnisse so zu beurteilen, wie die Männer das nie getan hatten, bezogen auf Unabhängigkeit und Selbstwert. Das wiederum veranlasste einige Frauen, ihre Sexualität ein wenig voreingenommen zu betrachten, als einen Schlüssel zur Persönlichkeit nämlich und zur persönlichen Befreiung. Das diente höchstwahrscheinlich in den 60er Jahren als Ansporn für die Frauenbewegung, die versuchte, die verworrenen weiblichen Erfahrungen aus der sexuellen Revolution der 60er Jahre einzuordnen.
Ich bin eben auf die Diplomarbeit von
Eugene Faust (Frau) gestoßen, die sich mit der Arbeit der amerikanischen Psychiaterin Mary Jane Sherfey und der weiblichen Sexualität beschäftigt. Mary Jane Sherfey vertritt einige interessante Thesen:
Die Potenz der Frau: Mary Jane Sherfey, eine amerikanische Psychiaterin, entwickelte die Entdeckungen der amerikanischen Sexualforscher Masters und Johnson konsequent weiter und veröffentlichte 1972 ihr sexualwissenschaftliches Buch Die Potenz der Frau (deutsch 1974). Sie bereicherte die Theorien über die weibliche Sexualität um ethnologische, vergleichende embryologische Forschungen und Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gynäkologie, der Evolutionsbiologie und der Endokrinologie. Ihr Forschungsinteresse galt vier ungeklärten Erscheinungen, die praktisch nur bei der menschlichen Frau vorkommen: Das prämenstruelle Spannungssyndrom; der stille Eisprung, der nicht in einer periodisch auftretenden Brunst vorkommt; der weibliche Orgasmus und das Klimakterium, denn die meisten weiblichen Tiere höherer Ordnung behalten ihre Fruchtbarkeit. Sie ging von der Annahme aus, dass nichts die genetische Struktur des Menschen enger mit seiner Kultur verknüpft, als sein Fortpflanzungsapparat.
Frauen sind sexuell ungesättigt (unersättlich): Sherfey zog aus ihren Analysen den Schluss, dass die weibliche Sexualität von ihrer Anlage her unersättlich sei. Jedem Orgasmus folgt ein neues Sichanfüllen der Schwellkörper; Ausdehnung erzeugt wiederum Stauung und Ödematisierung, die ihrerseits weitere Gewebsspannung zur Folge hat usw., Blutzufuhr und Ödematisierung (Schwellung, durch Einlagerung von Blut) der Beckenregion sind unerschöpflich. Daraus folgt, je mehr Orgasmen die Frau erlebt, desto stärker werden sie, je mehr Orgasmen sie erlebt, desto mehr kann sie erleben. Also ist die Frau angesichts eines Höchstmaßes an sexueller Sättigung sexuell ungesättigt. (Hervorhebungen durch Sherfey)
Primatenforschung: (Die Primatenforschung umfasst die Erforschung der Primaten, wozu einerseits die Affen, aber auch der Mensch gehört) Die These einer universellen und physisch bedingten Unfähigkeit der Frau, selbst bei intensiven und wiederholten orgastischen Erlebnissen gänzliche sexuelle Befriedigung, beziehungsweise Sättigung zu erlangen, erhärtete Sherfey durch Beobachtungen aus der Primatenforschung. Primaten stellen für sie enge Verwandte des Menschen ohne kulturelle Restriktionen dar. Weibliche Schimpansen täten fast alles, um in der Woche höchster Brunst möglichst viele Paarungen zu erreichen. Manchmal seien sie am Ende dieser Perioden völlig erschöpft und mit Wunden bedeckt, die ihnen verausgabte, abweisende Männchen zugefügt haben. Ich möchte meinen, dass, hielte die Zivilisation sie nicht zurück, ein nicht unähnliches Verhalten von der Frau zu erwarten wäre. Das Verhalten der Primatenweibchen macht insofern Sinn, dass sie nach dieser Paarungszeit ziemlich sicher Nachwuchs bekommen. Wie uns Evolutionsbiologe Robin Baker in seinem Buch Krieg der Spermien (1999) wissen lässt, hat sich dabei außerdem intravaginal das überlegene Sperma durchgesetzt.
Krieg der Spermien: Baker suchte nicht bei den Primaten, sondern beim Menschen nach Hinweisen und ist davon überzeugt, dass auch das Menschenweib eine ähnliche Sexualstrategie verfolgt. Umfragen zufolge sei eines von zehn britischen Kindern nicht von dem Mann gezeugt, der glaubt, der leibliche Vater zu sein. Im Südosten Englands fanden Ärzte sogar 30% solcher Kuckuckskinder. In einer US-amerikanischen Studie entdeckten Forscher, dass eines von 70 weißen und eines von 10 schwarzen Kindern mit dem Vater nicht genetisch verwandt war. Solche Daten sind allerdings von sozialen Schichten, Ländern und Untersuchungsmethoden abhängig und bisher noch nicht unabhängig überprüft worden. Aber auch seriöse Fachblätter wie die Zeitschrift für das gesamte Familien-Recht operieren mit Schätzungen, nach denen etwa 10 Prozent der Kinder in Deutschland sogenannte Kuckuckskinder sind. (zit. n. BÖLSCHE, 2004, Spiegel-online)
Kulturelles Dilemma: Das Wesen weiblicher Sexualität mit der ungewöhnlichen orgastischen Potenz war nach Sherfey nicht für monogame, sesshafte Kulturen gedacht. Die weibliche unersättliche Sexualität musste also unterdrückt werden. Die Stärke des zu unterdrückenden Triebes bestimme dabei die Kraft, die notwendig sei, um ihn zu unterdrücken. Auch die Anthropologin Hrdy ist davon überzeugt, dass sexuelle Zurückhaltung, Diskretion und die Sorge um den Ruf vieler Frauen, nicht, wie der britische Evolutionsforscher Charles Darwin annahm, dem vormenschlichen alten Erbe entstammt. Diese Schamhaftigkeit lasse sich auch erklären als gelernte Anpassung von Frauen, die den Bestrafungen entfliehen wollten, welche das Patriarchat für ungebärdige Partnerinnen und Töchter ausgedacht hat. Die meisten Kenner sind sich einig, dass die Bedeutung der gesicherten Vaterschaft seit dem 17. Jahrhundert auch auf dem patrilinearen (Vaterfolge, Abstammung vom Vater) Erbschaftssystem beruht, das den Erstgeborenen bevorzugt. Daher waren sexuelle Abenteuer des Mannes auch entschuldbar, bei der Frau jedoch verbrecherisch.
Frauen und das Zölibat I
Zölibat und Bewusstsein I
Zölibat und Bewusstsein II
Das alte Zölibat
Das neue Zölibat I
Das neue Zölibat II
Das neue Zölibat III
Das neue Zölibat IV
Das neue Zölibat V
Das neue Zölibat VI
Quelle:
The new celebacy - Deutsch:
Liebe ohne Sex