Hi, Annie.
Trauer halte ich grundsätzlich für ein individuelles Problem des Loslassens -- niemand trauert um jemand anderes, sonder wegen des Umstandes, dass ein endgültiger, unveränderlicher Zustand eingetreten ist. Prominente haben einen großen Teil eines vergangenen Zeitgeists geprägt, an dem viele teilhatten. So lange die Person lebt, könnte dieser Zeitgeist wiederkehren, könnten sich alle dort kondensierten Hoffnungen (doch noch oder wieder) erfüllen. Das sind Begrifflichkeiten, die auch mit z.B. "Heimat" umrissen werden -- und für viele ist der Verlust von Heimat eben ein schmerzlicher Prozess.
Ist ein Proponent der individuellen allerdings verstorben, muss individuell auch der beschworene Zeitgeist aufgegeben werden. Das ist m.E. der eigentliche Anlass zur Trauer, das unwiderrufliche Ende eines Zustands, der zwar nimmer gegeben, aber potentiell noch vorhanden war.
Michael Jackson war für 'seine' Generation omnipräsenter Begleiter während der jugendlichen Sturm und Drang Zeit, seine Musik war einfach der Soundtrack der Achtziger, und das schafft eine Beziehung, die ähnlich nahe ist wie zu den anderen Personen der eigenen Jugend -- Onkel und Tanten, Oma und Opa, Eltern, Jugendfreunde, Nachbarn. Lebt jemand von diesen Idolen ab, wird die tatsächlich gegebene Sterblichkeit evident. Plötzlich fehlt etwas, das unverrückbar zum Leben gehört hat.
Wenn hier nun die Klappe gefallen ist, wird Millionen die eigene Vergänglichkeit bewusst. Ein Stück der eigenen Jugend schwindet unwiderruflich -- das macht traurig und betroffen und multipliziert sich mit Mediahype und Anzahl der Menschen. Dass zur selben Zeit im Irak mehr als 100 Menschen durch Bomben starben (und weit mehr für den Rest ihres Lebens verstümmelt wurden und unsägliche Schmerzen leiden) reicht in der Intensität (für die weitaus meisten Menschen) nicht an einen einzelnen, 'persönlich bekannten' Todesfall heran -- weil die Beziehung zum eigenen Leben fehlt.
Noch mal ich, hi2u..
Das hast du jetzt wirklich mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen geschrieben und die Zusammenhänge auf den Punkt gebracht. Gleichzeitig auch ein schöner Nachruf auf die "Michael-Jackson-Generation" Danke!
LG
Juppi