Gut, kommen wir zum sechsten Schritt in der Geschichte vom Lämmchen. Der Ochse trinkt vom Wasser. Hier ist eine Wendung in der Geschichte, weil das Wasser nicht leidet, keinen Schmerz hat, wenn es getrunken wird, und auch nicht wirklich weniger wird, nur weil ein Ochse daraus trinkt.
Das bedeutet in der Übertragung, daß hier ein Schritt ist, der nicht mehr durch das Leiden gekennzeichnet ist. Das Leiden ist aufgehoben, und anstelle dessen wird ein Bedürfnis gestillt. Der Ochse ist durstig, sonst würde er nicht trinken. Er würde sogar leiden oder sterben wenn er nichts zu trinken bekommt.
6. ein Verstehen, das keine Worte mehr braucht
Wie gelangt man zu so einem Verstehen? Es ist wichtig, daß man begreift, wofür der "Ochse" ein Bild ist. Es ist das "ich" im Menschen. Das "ich" geht zur Tränke, zum Wasser. Das Wasser ist ein Bild der Zeit und der Geschehnisse in der Zeit. Der "Ochse", also "ich" nehme etwas auf aus diesen Geschehnissen. Ich lerne...
Durch das Lernen entsteht Wachstum. Ich brauche das. Es ist ein Urbedürfnis des Menschen, mehr zu verstehen, innerlich zu wachsen und zu reifen.
Deshalb ist die Frage von HarryPotter so wichtig, und man sollte sie nicht abtun. Weshalb ist es mir gerade und warum gerade jetzt passiert?
Die Antwort, die auf dieser Stufe erarbeitet werden kann, ist genau die. Der Ochse, das "ich" geht zum Wasser. Er betrachtet das Wasser, das ganz still ist. Er sieht seinen eigenen Anteil darin, sein Spiegelbild. Die Geschehnisse in der Zeit haben doch etwas mit mir zu tun. Es war kein blinder Zufall, kein blindes Schicksal. So wie ich es sehe, ist genau das "Sehen", meine spezielle Art, es wahrzunehmen, mein Anteil.
Es gibt hunderte von Sichtweisen, doch ich wähle eine bestimmte. Und diese Wahl hat etwas mit mir zu tun. Es hätte hunderte anderer Dinge gegeben, die ich hätte erleben können. Doch ausgerechnet mir passiert dies. Da steckt ein System dahinter.
nichts paranoides. Aber es liegt in mir, in meinem Sein, und in dem, was ich ausstrahle, was zu mir zurückkommt. Es zieht sich an wie ein Magnet. Im Positiven wie im Negativen. Deshalb könnte man auf dieser Stufe lernen, die schönen Dinge anzuziehen. Selber zu wählen, an welchem Ort das "ich" ins Wasser steigt um daraus zu trinken. Die saubere Quelle wählend. Selber bestimmen, mit welchem Gras ich mich nähre. Welche Hoffnungen und Erwartungen hege ich? Das ist das grüne Gras, das auf der Wiese wächst.
Der "Ochse", das "ich", nähert sich also dem Wasser, der Wasseroberfläche. Immer genauer erkennt er, daß das sein Bild ist, das sich da drin spiegelt. Sein Hauch berührt die Wasseroberfläche und kräuselt sie. Ein Huf tritt ins Wasser, platsch. Da. Nun kommen Wellen und das Bild verschwimmt. Ich kann die Dinge wohl auch durch mein mich-hinein-mischen noch verwirbeln. Dann kann ich sie nicht mehr klar erkennen. Doch in allergrößter Ruhe, ohne Eile, ohne Gier, ohne Neu-Gier, einfach schauend, offenbart sich mein direkter Anteil darin. Und dann trinkt "ich" von dem Wasser. Wäre doch zu schade, wenn man schon so nahe dran ist, seinen Durst nicht zu stillen. "Ich" lerne "mich" kennen, indem ich aus dem Wasser der Zeit trinke. Das ist so spannend. Wie reagiere ich? Was kommt da noch aus mir hervor?
Und wie könnte ich meinem Spiegelbild böse sein? Es ist so, als wenn ich mir ein Marmeladenbrot gemacht habe und dann sage: Ach, du schreckliches Marmeladenbrot, ich vergebe dir, daß du Erdbeermarmelade bist. Ich habe sie doch ausgewählt.
Das meint die Einsicht, daß alles, wirklich alles, selbst gewählt ist. Deshalb gibt es keine Schuld. Kein Vergeben, kein Verzeihen. Oder? Ich könnte mir selbst ja noch verzeihen, oder? Da gäbe es doch die Möglichkeit einer Schuld? Nein. Der nächste Schritt zeigt, daß ja alles nötig war. Wenn es nicht nötig gewesen wäre, dann wäre ich nicht erst jetzt zu dieser Einsicht gekommen. Ich war vorher eben so un-ein-sichtig. Ich konnte nicht durch das eigene Spiegelbild an den Grund der Dinge sehen. Deshalb habe ich vorher natürlich auch so uneinsichtig handeln müssen. Mit Vorwürfen, Selbstmitleid, Schuldgefühlen und Ängsten. All dies hat mich aber bis hierher gebracht. Der Eichenbaum ärgert sich nicht, daß ihn damals, als er eine Eichel war, jemand aufgehoben und woanders hingeworfen hat. Er ist jetzt groß geworden. All meine "Inkarnationen", das Lamm, die Katze, der Hund, der Stock, das Feuer, das Wasser, sie waren alle notwendig. Sonst hätte der Ochse, das "ich", gar nicht so entstehen können.
Und immer weiter wachsen, immer weiter erkennen, bis auf den Grund der Dinge. Das könnte ja so weitergehen, oder?
Na, irgendwann ist Schluß. Da kommt der Schlächter. Und was damit alles kommt.
Fortsetzung folgt.