Fragmente

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Heute wurde ich freundlicher Weise gefragt, wie es mir mit dem Umstand geht, dass Mutter jetzt schon über ein Jahr im Heim ist.

Schwere Frage, ich weiß es nicht.

Zum einen wurde mir bewusst, dass ich in den letzten Jahren völlig weltfremd geworden bin, zum anderen fehlt mir eine sinnvolle Aufgabe.

Jetzt müsste ich erst eine neue Aufgabe erfinden, häng aber schon seit einem Jahr im Grunde nur rum, lass die Tage vergehen und hab wahrscheinlich zu viel Zeit, mir um meine eingenen psychischen und physischen Defizite Sorgen zu machen. Gleichzeitig aber zu wenig Kraft, wirklich was dagegen zu unternehmen.

Ich geh jede Woche in die Trinkergruppe und hab jede Woche die selbe Angst vor dem Treffen. Und am Ende frag ich mich jedes mal, warum ich mir das antu... diese unnatürliche Situation, in der Menschen mit verschiedenstem sozialen Background und unterschiedlichsten Lebensmotiven zusammen sitzen und sich über ein zentrales Motiv - ihr Alkoholproblem - austauschen.

Dann fahr ich schnell nach Hause, sperr die Tür hinter mir dreimal zu und dann gehts mir wieder gut.

Anfang August war ich drei Tage mit Schlafsack und Rad im Burgenland unterwegs. Das war nicht schlecht, aber glücklich war ich erst wieder, als ich zu Hause angekommen bin und die Tür von Innen verschraubt habe.

Am allerliebsten aber sind mir die sechs Stunden des Tages nachdem ich meine Schlaftabletten genommen habe.

Gestern hab ich mal auf Anraten eines Freundes die Bilder der Verstorbenen von der Wand genommen.
 
So ungefähr geht es mir seit Mutter im Heim ist und wie es ihr geht, weiß ich nicht. Zweimal pro Woche schau ich mir das an, wie sie in den Windeln sitzt und wie die Demenz rasant voranschreitet, um es dann wieder zu verdrängen. Meine Besuche verkommen immer mehr zur Pflichtübung, aber so ist das halt, da kann ich nichts tun.
 
Ein Freund fragt mich viermal die Woche, wies mir geht. Und ich weiß nie, was ich sagen soll, weil ich weiß, dass er`s emotional nicht aushält, wenn ich konkret werde und er in Beratungsnotstand kommt. Das will ich vermeiden, drum fass ich mich am besten kurz und sag nur: "Ja eh!"
 
Ein Freund fragt mich viermal die Woche, wies mir geht. Und ich weiß nie, was ich sagen soll, weil ich weiß, dass er`s emotional nicht aushält, wenn ich konkret werde und er in Beratungsnotstand kommt. Das will ich vermeiden, drum fass ich mich am besten kurz und sag nur: "Ja eh!"


Warum sagst ihm das nicht? Frag ihn doch mal, wie es ihm dabei geht, wenn du von deinen Problemen erzählst.
 
Ich geh jede Woche in die Trinkergruppe und hab jede Woche die selbe Angst vor dem Treffen. Und am Ende frag ich mich jedes mal, warum ich mir das antu... diese unnatürliche Situation, in der Menschen mit verschiedenstem sozialen Background und unterschiedlichsten Lebensmotiven zusammen sitzen und sich über ein zentrales Motiv - ihr Alkoholproblem - austauschen.

Na, dann rück mal raus mit dieser Angst.:)

Die sitzen alle mir Dir im selben Boot - inwiefern ist das unnatürlich? Ich hab das immer sehr spannend gefunden in diesen Gruppen, wo so unterschiedliche Leute zusammenfanden. Je unterschiedlicher der Background, die Motive und die geistigen Fähigkeiten, desto spannender eigentlich. Da gibt es unglaublich viel Berührendes zu erleben!

Weisst du eigentlich, dass du eine Bereicherung für diese Menschen sein kannst, und sie für dich? Ja, das ist Leben und Begegnung, nix unnatürlich :)
 
Das war die Therapeutin, die mir das gesagt hat, als ich im Einzelgespräch darüber redete. Meine Unruhe wäre gewissermaßen normal, weil es sich um eine unnatürliche Situation handelt. Vielleicht hat sie sich nicht glücklich ausgedrückt, aber sie hat mir damit meine Gefühl gut erklärt.

Stell dir das mal vor: Da arbeiten Menschen an einem gemeinsamen Problem - der Sucht - die sich im Extremfall sogar gegenseitig verachten. Weil zum Beispiel der eine ein redlicher Pensionist ist, der Zeit Lebens brav gearbeitet hat um seine Familie zu ernähren und nur nach Feierabend ein wenig zu tief ins Gläschen gefallen ist... und der andere ein sogenannter Assi, der sein Leben lang zwischen Knast und Wirtshaus hin und her gewandert und so älter geworden ist. Jetzt sitzen die beiden da in einer Gruppe und arbeiten an ihrem gemeinsamen Problem - der Sucht - um ihrem restlichen Leben noch ein paar gute Tage rauszureissen.

Wenn du da dazwischen sitzt und ein bisschen tiefer in den Raum und hinter die Fassaden der Leute fühlst, da wird dir schwindelig vor Spannung.
 
Seit`s mir so scheisse geht mit der Sozialphobie ist meine Klappe viel kleiner geworden.

Das ist das Gute dran :D
 
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Natürlich wird so eine Gruppe nicht von der Verachtung getragen.
Gott sei Dank beherrschen noch immer Achtung, Respekt und Toleranz das Gruppengeschehen.

Genau so wie hier im Forum :)
 
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