Spirituelles Gehen

Der gleichmäßige Takt der Schritte bringt mich in einen tranceartigen Zustand - und nicht einmal der gänzlich andere Takt des langen Stockes, der einmal nur etwa bei jedem zweiten Schritt eingesetzt wird, dann wieder dazwischen als Stütze außerhalb des Taktes dient, oder aber auch das Rascheln der im Wind schlagenden Federn kann diese Trance stören ...
Aber was ist diese Trance eigentlich? Ich nehme ja die Rufe und kurzen Gesänge der Vögel dazwischen wahr, reagiere auf sie, ordne sie automatisch ein in Gesang, Warnung oder auch Locken .... Ich sehe die Blüten, die den Waldboden hier und da mit leuchtenden Punkten schmücken ... Ich spüre Wind und Sonne ....
Und ich gehe mitten drin in alledem ...
Und dann ist wieder Zeit, stehenzubleiben, und in die Sonne zu blinzeln ...

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Der Wanderweg geht rechts die Forststraße entlang ... aber dieses dunkle Tor zieht mich förmlich den Bergrücken empor, und gern überlasse ich mich diesem Gefühl Schon oft hat es mich an interessante oder auch nur friedliche Orte geführt ....

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Steil geht es den Rücken hinauf, und plötzlich ändert sich der Wald. Aus dem Fichtenforst wird ein Buchenwald, der sanfte aber steile Rücken wandelt sich zu einem an der Nordseite jäh abfallenden Grat .... und schon finden sich die ersten Zeichen, dass man hier mit offenen Augen und offenem herzen durchgehen sollte: eine Baumwarze weist eindeutig in die Richtung eines fernen bewaldeten Berggipfels ... schon öfter bin ich auch solchen Zeichen gefolgt - und ich werde es auch diesmal tun. Eine meiner nächsten Gänge wird mich wohl dorthin auf diesen unbekannten Gipfel führen ...

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Hell und freundlich ist der Buchenwald, und die Bäume machen scheinbar Platz, damit ich dieses Wegstück problemlos passieren kann. Leise knistert das feuchte Gras unter meinen Schuhen .... hier und dort ist nur der Gesang einer Meise zu hören ...

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Bald gehts weiter durch den Wald ....

cerambyx
 
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Eine dicke Buche zwinkert mir mit ihrem Elfenauge zu, das von einem Ast, der einen anderen förmlich durchwächst, gebildet wird .... nur ein kleines Detail, aber plötzlich wirkt der Wald lebendig ....

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Wie eine Prozession, die den Hang neben mir den Berg hinaufeilt, wirken die schlanken Buchenstämme. Der Himmel mit seinem Blau ist plötzlich erfüllt vom Ruf eines Bussards, der irgendwo die ersten Kreise zieht ....

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Diese Fichte hat scheinbar eine andere, speziellere Gangart entwickelt, den Berg hinaufzukommen .... !?

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Und diese Buche hoppelt einbeinig bergauf unter der schweren Last des aufragenden Stammes ....

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Aber nicht alle Bäume streben aufwärts .... diese beiden hier küssen sich intensiv und haben die Welt rundum vergessen, stehen still und genießen die Sonne ...

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Während diese beiden sich wohlig aneinanderschmiegen und gemeinsam das schöne Wetter genießen ....

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So mancher Baum hat sein Leben eigentlich schon fertiggelebt ... und er bietet nun anderen Lebensgrundlage, Nahrung und Wohnstatt ... und so lebt der Baum eigentlich noch lange weiter - mit dem Leben seiner Gäste verlängert so er sein eigenes Leben ...

Es grüßt aus dem Bergwald
cerambyx
 
Eine ganz eigene Landschaft bildet so eine Buchenkrone am Berg. An ihr zerren die Winde, auf sie brennt die Sonne, und der Winter setzt ihr hart zu mit Schnee und Eis .... aber unbeirrt streckt sie ihre Äste weit von sich und trotzt allem, was da kommt ...

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Dass der Aufenthalt am Grat nicht ungefährlich ist, wenn die Götter ihre Blitze gegen die Erde schleudern, zeigt dieser "Blitzbaum"! Den Blitzschlag selber hat er überlebt, ist nicht zerplatzt in kleine Trümmer wie viele seiner Artgenossen. Er ist nur auf der ganzen Länge an der Seite aufgeplatzt. Die Wunde hat Pilze und Flechten angelockt, die seinen Kern im Laufe der Jahre aushöhlten ... aber noch ist Rinde genug da, um die Blätter in der Baumkrone zu ernähren .... und noch ist genug Kraft im verbleibenden Holz, den Stamm zu stützen und zu halten ... doch irgendwann kommt ein Sturmwind .....

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Und wieder drängen sich zwei - diesmal ganz verschiedene - Bäume aneinander wie Liebende, schmiegen, drehen und winden sich aneinander und können nicht genug voneinander bekommen .... Zeiten um Zeiten lang .... Symbol einer ewigen Freundschaft ...

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Der Wald ist zu Ende .... die Sonne trifft breit und warm auf den Boden und lockt trotz der kalten Winde die ersten Blüten hervor, die klein und stramm den Unbilden der Höhe Widerstand leisten ...

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...
 
Und wieder geht der Blick vom höchsten Punkt ins noch schneebedeckte Gebirge, das schon mit schneefreien Flanken und Rücken lockt ... bald ist es so weit ....

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Der breite Rücken des Ötscher, der heilige Berg der Frau Holle, winkt weit aus dem Osten herüber, stark vergrößert durch die klare kalte Luft ...

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Ich streife auf der Hochfläche noch ein wenig herum, suche Spuren, Insekten oder Vögel ... aber noch ist es hier oben zu früh .... außer ein paar klammen Ameisen ist noch nichts wirklich unterwegs ...

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Also gehts wieder auf dem gleichen Weg zurück und abwärts - und wirklich, bietet sich der Wald von dieser Seite ganz anders dar! Die Bäume wirken knorrig, verästelt, wirr ... aber wirken dennoch harmonisch, ja freundlich mit ihrem Äste-Chaos ....

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Beim Aufwärtsgehen übersehen - aber hier finde ich eine letzte Spur des alten Glaubens der Holzarbeiter - Baumstrünke bieten den guten Geistern der Natur mit dem eingegrabenen Kreuz Schutz vor der Wilden Jagd ... doch auch hier ist schon ein Teil der Überlieferung vergessen: früher wurden gleich drei Kreuze eingegraben, und dies mit der Axt, nicht mit der Motorsäge so wie hier ....

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Ein rundum zufriedener
cerambyx
 
Weit dehnt sich die Landschaft vor meinen Augen ... ich bin unterwegs und markiere Wanderwege; für die kommenden schönen Tage sollen sich die Menschen keine Sorgen um den Weg machen müssen ...

Wie war das hier früher? Als das Mammut auf leisen Sohlen übers Land zog, wie Funde von Stoßzähnen bezeugen? Als steinzeitliche Menschen die Gegend durchquerten oder gar hier siedelten, wie Streufunde von Steinbeilen vermuten lassen. Als Keltische Fürsten von den Höhen in die Gegend spähen ließen, um Feinde rechtzeitig zu erkennen ... und sich an den Abhängen begraben ließen, wie man an manchen künstlichen Hügeln ermessen kann?

Es ist einfach schön, hier in dieser Weite auf diesen Spuren zu gehen, dieselben Wege zu nehmen ... dieselben Blicke zu werfen, dieselben Gefahren zu erfühlen versuchen, die Landschaft zu begreifen ... sie mit dem Gefühl in Besitz zu nehmen ...

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... die Gedanken weit in die Vergangenheit schweifen zu lassen und zu versuchen, sich in diese "alten" Gefühle hineinzuversetzen ... die Sageninhalte mit der Realität zu vergleichen; die Flurnamen dazu in Bezug zu setzen; die Kelten verschwinden und die Römer kommen zu lassen .... die Geschichte des Bodens unter den Füßen auf so vielfältige Weise wie nur möglich zu ertasten, erahnen, erspüren, auszuprobieren ... immer neu und immer anders ... Phantasie und Geschichte zusammenzuwürfeln und eine neue eigene Wirklichkeit von Früher zu schaffen ... und das im JETZT !

Alte Grüße
cerambyx
 
Immer wieder berühren mich Deine Bilder und Deine einmalige Art zu erzählen, die alles lebendig werden und einem dabeisein läßt... :)

LG
Grauer Wolf
Diesen Worten schließe ich mich im vollen Umfang an,
denn das spirituelle Gehen, so wie Du uns in Schrift und Bildern daran teilhaben läßt ist einfach
wunderschön.

Danke @cerambyx

Mein PC hatte viel zu tun und lange gebraucht, bis er alle Deine Natur-Bilder hochgeladen hatte,
bin so lange Kaffee trinken gegangen. :LOL: und dann waren sie da. :D
 
"Spirituelles Gehen" nenne ich meine Wanderungen im Gebirge. Noch vor der anbrechenden Dämmerung beginnt dann mein Weg bergauf; bereits am Anfang setze ich die Schritte im Takt, bis der Körper warm ist. Dann stimme ich den Atem mit den Schritten ab, gleiche sie langsam aneinander an, verkürze nur die Schrittlänge bei schnellerem Schritt, wenn der Atem kürzer wird, mache lange langsame Schritte bei flachen Passagen. Irgendwann passiert es und ich bin im altgewohnten Takt: Drei Schritte ausatmen, zwei Schritte einatmen ... irgendwann kommt der Herzschlag dazu, nach dem sich alles andere richten muß. Und irgendwann habe ich meine Mitte, und das richtige Gehen beginnt ... und ich muß mich nicht mehr darum kümmern. Jetzt ist der Geist wach und empfänglich für die umgebende Natur, deren Inhalte, Stimmen, Bewegungen und ... Stimmungen.
Allein zwischen Gebirgen und weitab von Siedlungen und Hütten schaut mich dann ein silbriges Auge an, lenkt meine Gedanken in Bahnen, die anhalten bis zur noch 4 Stunden weit entfernten Hütte ....

Es ist so ein schönes Bild, und dein spirituelles Gehen wird heutzutage als Breathwalk vermarktet. :)
Dabei ist es alleine so schön.
 
hallo @lumen,
also mir macht das nix wenn jemand damit versucht, Geld zu verdienen - und ich denke auch nicht drüber nach, ob's dann noch so ankommen kann, wie sich's bei mir anfühlt, denn: es hat jeder seinen eigenen Weg zu gehen, und jeder darf sich seinen Lehrer ja selber aussuchen, und auch entscheiden ob und wieviel er dafür zahlen will ! ... und ich glaube kaum, dass ich diesen Lehrern und Schülern jemals begegnen werde; also was solls!
Und es ist ja auch typisch für unsere schnelllebige Zeit, dass man mit externer bezahlter Hilfe schneller ans Ziel (?) kommen will ... andererseits: es macht ja hoffentlich doch bei einigen diesen "Klicks", und das wiederum wäre doch sehr sehr gut ..

Hoffnungsvolle Grüße
cerambyx
 
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Laut hört man Wasser plätschern, das sich mit einem gleichmäßig kräftigen Strahl aus einer Metallröhre ins darunter liegende, aus Stein gemachte Becken ergießt. Eine der vielen mitgebrachten großen Flaschen wird kurz ausgespült, dabei auch gleich der Staub von der gläsernen Oberfläche durch kurzes Eintauchen entfernt, wobei die Hand in das klare, kühle Wasser eintaucht. Ich genieße dieses bewußte Hantieren, ich warte förmlich auf den Moment, wo das kalte Wasser meine Haut auf Fingern und Hand berührt, reizt, kühlt ... und dann wird die Flasche mit der breiten Öffnung des Halses unter den Strahl gehalten ... Zehn Flaschen habe ich mitgebracht, zehnmal die gleiche Handlung, zehnmal das bewußte Tun, und aber bei jedem Aufenthalt hier immer neue, andere Gedanken ... und manchmal gar keine, wie in einer gelungenen Meditation ...

Während das Wasser rinnt, wird mir diesmal bewußt, wie ich "Mann" damit eine zutiefst weibliche Handlung vollführe ... wenn ich das Gefäß an den rinnenden Lebenssaft bringe, stillhalte, ihn aufnehme ... Gedanken an rituelle Handlungen kommen ganz von alleine an diesem immer schon heiligen Ort, die heiß ersehnte oder lebenswichtige Fruchtbarkeit zur Folge haben sollen, für eine Person, eine Familie, oder für's eigene oder ganze Land.

Mir wird mein Tun diesmal als eine priesterliche, schamanische, rituelle, druidische Handlung bewußt, und im Geiste zufrieden und irgendwie fröhlich schmunzelnd, versuche ich die Bewegungen noch bewußter, noch ritualisierter, noch exakter gleich ablaufen zu lassen. Herbeischaffen je zweier Flaschen, spülen, schwemmen, füllen, verschließen, leise und bewußt und vor allem dankbar und vorsichtig am Beckenrand abstellen, die nächste Flasche desgleichen, und dann zurücktragen zum modernen Transportmittel Auto. Dann die nächsten zwei Flaschen ... und die nächsten ...

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Der Raum ist erfüllt von heiligen Bildern, Figuren, Mitbringseln und Zurücklassungen von dankbaren Menschen, die diese heilige und kraftvolle Stimmung ebenso gespürt haben, vielleicht Linderung oder Heilung erfahren haben an diesem lebendigen Ort.
Demütig wird man hier von ganz alleine, aber ohne dies als verkleinernd wahrzunehmen! Die Tür niedrig, so dass man unwillkürlich den Kopf einzieht; ein an der Wand befindliche Bank aus teilweise Stein, teilweise Holz bodennah, so dass gut geerdet sitzen kann, wer sitzen möchte oder muß; der Wasserzulauf und das Becken niedrig, so dass man sich etwas mühen muss, gebückt das Wasser zu entnehmen ... aber kein Gefühl der Unterwürfigkeit oder Kleinheit, sondern eine schlichte wohl auch liebevolle Dankbarkeit und Wohlbehagen macht sich bemerkbar.

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Alle Gefäße sind gefüllt - ich kehre noch einmal zurück und genieße die Stille im kühlen Raum, die durch das Plätschern ergänzt wird .... ja, ergänzt, denn ausschließlich Stille würde hierher irgendwie nicht passen. Die Gewölbe lassen den Aufprall des Wasserstrahles im Becken als hohe Töne zwitschern und sirren, als zitteren zahlreiche hohe Töne durch den Raum, die sich um jeden einzelnen Tropfen schlingen und wirbeln und erst dann den Weg zum Ohr finden ... vielleicht höre ich das aber auch nur mit einem inneren Ohr?

Das Wasser der Quelle begleitet mich - auf eine ganz andere Art leise flüsternd - noch bis zum Ausgang, denn ideenreich wurde der Ablauf durch den ganzen Raum geleitet - das Bild vom Wasser, das uns das Ganze Leben lang begleitet, fest in die Gedanken einprägend. Auch als Mahnung, unbedingt und lebenslang achtzugeben auf den Quell des Lebens ...

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Während der wenigen Schritte zurück in das normale, technikbeherrschte Leben eines Autolenkers denke ich daran, wie man die Großen der Welt in diese kleine Kapelle bringen könnte, um ihnen bewußt zu machen, was sie eigentlich anstellen mit den Vorräten unserer Erde ....

Da sitze ich nun vor dem PC, vor mir ein schönes Glas mit klarem, heilendem Wasser und proste Euch allen in Gedanken zu ...

cerambyx
 
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